Dreifach genial
Was für ein Glücksfall, dass der Chordirigent Pablo Heras-Casado als junger Student vor knapp zwanzig Jahren in der Spanischen Nationalbibliothek zu Madrid nach neuem, unbekanntem Material für sein Alte-Musik-Ensemble suchte. "Ich wollte unbedingt ein Projekt mit protestantischer Musik aus der Zeit vor Bach realisieren", erinnert er sich heute. Und Heras-Casado wurde fündig: Ihm fielen einige erlesene Editionen in die Hände, die dort lange geschlummert hatten, Musik aus dem frühen 17. Jahrhundert von Praetorius und zwar in dreierlei Gestalt: Nicht nur der Praetorius, den jeder kennt, also Michael Praetorius (1571-1621), der überragende Musiktheoretiker, Autor des Grundlagenwerkes "Syntagma Musicum" und Komponist des berühmtesten deutschen Weihnachtssatzes "Es ist ein Ros entsprungen", sondern auch zwei Vertreter einer Hamburger Praetorius-Sippe in Gestalt von Hieronymus Praetorius (1560-1629) und dessen Sohn Jacob (1586-1651). Letztere sind mit ersterem weder verwandt noch verschwägert, sondern schlicht namensgleich. Wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Praetorius die vornehm latinisierte Form von "Schulze" ist, und von denen gab es schon damals ein paar mehr.
Dass alle drei geniale Komponisten sind, wird dem staunenden Hörer der CD schnell bewusst, eigentlich vom ersten Ton des prächtigen Magnificat quarti toni von Hieronymus P. an. Genial ist aber auch die Ausführung zu nennen. Selten bekommt man eine so runde, vollendete Qualität geboten, wie durch die Sängerinnen und Sänger des Balthasar-Neumann-Chores und die Instrumentalisten mit ihnen: Kraftvoll, aber nicht forciert; klare Textverständlichkeit, aber dieselbe getragen von einem Legato-Atem erster Güte; dazu eine Mischung der Stimmen, die individuelle Timbres wohlig erahnen, aber nicht unschön hervortreten lässt.
Dritte und letzte Genialität dieser Anthologie: Außer zwei ausgedehnten Magnifikatkompositionen - in der Mitte der CD erklingt von Michael P. das fast 20-minütige Magnificat per omnes versus super ut re mi fa so la - gibt es erlesene, kleiner besetzte, ja madrigaleske Vertonungen des Hohelieds zu hören, jener herrlichen Liebesliedersammlung der Bibel. Ein Klangfest für die Ohren. Von einer dieser herrlichen Preziosen, nämlich der Motette Indica mei, ist bekannt, dass Jacob P. sie zur Hochzeit seiner Tochter Gesa im Jahr 1635 komponiert hat. Ob Gesas Ehe glücklich verlief, ist nicht bekannt, und wenn nicht: An der Hochzeitsmusik hat es bestimmt nicht gelegen.
Hieronymus, Jacob & Michael Praetorius: Praetorius Balthasar-Neumann-Chor & Ensemble. DG-Archiv 00289 479 4522
Reinhard Mawick