Eindringlich
Dass die Orgel als "Königin der Instrumente" gilt, ist sprichwörtlich. Andere Musikwerkzeuge hingegen kommen im Konzert der öffentlichen Meinung nicht so gut weg. Die Blockflöte etwa. Warum über sie so häufig gespottet wird, liegt zum einen daran, dass es ein beliebtes Erstinstrument sehr junger Kinder ist und, nun ja, aller Anfang ist schwer. Zum anderen ist aber auch der boshafte Wanderwitz überliefert: "Was ist schlimmer als eine Blockflöte? - Zwei Blockflöten."
Fatalerweise wird die Urheberschaft dieser Schnurre auch noch Wolfgang Amadeus Mozart zugeschrieben, was sich aber nicht nachweisen lässt und deshalb getrost in das Reich der Legende gehört. Der einzig wahre Kern liegt höchstens darin, dass die Blütezeit des musikalischen Dilettantismus im 18. und 19. Jahrhundert eben nun mal sehr eng mit der Flöte verbunden war. So schreibt der Musiker und Autor Christian Friedrich Daniel Schubart in seinen posthum veröffentlichten Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst im Jahre 1806: "Da man sie leichter als ein anderes Instrument mit sich herumführen kann, so ist dadurch heutigen Tages die zahllose Menge von Dilettanten auf der Flöte entstanden."
Wie auch immer, von solchem Ballast der Missgunst und Verleumdung gilt es sich freizumachen, und ein probates Mittel ist die neue Blockflöten-Solo-CD mit Elisabeth Schwanda: Der staunenden Hörerschaft wird in gut 70 Minuten ein ganzes Jahrtausend Musik präsentiert und damit einher in atemberaubender Virtuosität und Klangschönheit der verschwenderische Reichtum der Blockflöte, wobei zehn Flöten zum Einsatz kommen. Angefangen bei mittelalterlichen Hymnen aus dem Klosteralltag: "Sie zeugen von magischer Einfachheit und hinterlassen einen Hauch von Ewigkeit", heißt es durchaus selbstbewusst im Beiheft - aber besser lässt sich die Wirkung zum Beispiel des galicischen Marienliedes aus dem 13. Jahrhundert kaum beschreiben. Eine ganz andere Stimmung herrscht dreihundert Jahre später in "Engels Nachtegaelje" aus der Sammlung "Fluyten Lust-Hof" von Jacob van Eyck. Und ausgesprochen schön und farbenreich klingt J. S. Bachs berühmte Partita BWV 1013 auf der Blockflöte.
Besonders gelungen aber, dass Elisabeth Schwanda das letzte knappe Drittel der CD dem Repertoire der modernsten Moderne widmet. Werke wie "Junicanari" und "Schlaflied für einen Kolibri" von Markus Zahnhausen (geboren 1969) oder das hinreißende "La Luna" von Christine Martini (geboren 1967) reizen die Möglichkeiten des Instruments so hinreißend aus, dass derjenige, der sich nach dem Genuss dieser Werke nicht in die Blockflöte verliebt haben sollte, ein Herz aus Stein haben muss.
Elisabeth Schwanda: Flauto dolce solo. Eine musikalische Zeitreise. ROP 6099 (rondeau).
Reinhard Mawick