Kann Wohlklang zu Kitsch werden? Und wenn ja: An welchem Punkt verwandelt sich das eine in das andere? Die Antwort auf die erste Frage lautet: ja. Wenn Musik anfängt, wie ein klebriger Bonbon zu schmecken; wenn man beginnt, sich nach Lärm und Dissonanz zu sehnen - dann sind das deutliche Anzeichen. Aber: Die Grenze ist in diesen Fällen bereits überschritten. Die zweite Frage nach dem Wandelmoment ist mithin viel schwerer zu beantworten und obendrein sehr von der Tagesform abhängig.
Wer sich mit dem Gegenstand dieser kurzen Einlassung nun gerne selbst und intensiver auseinandersetzen möchte, dem sei das neue Album der englischen Star-Trompeterin Alison Balsom wärmstens ans Herz gelegt. Beginnen wir beim Wohlklang: "Paris", so der Titel der CD, ist damit reich ausgestattet. Das betrifft zunächst den butterweichen, souveränen Ton, mit dem Alison Balsom die Trompete bläst. Wer im Jazz eine Entsprechung suchte, würde vielleicht bei Roy Hargrove fündig werden. Warum überhaupt im Jazz? Weil sich die Britin mit Guy Barker für die Platte einen Arrangeur als Partner gesucht hat, der als Trompeter und Komponist vor allem im Jazz zu Hause ist.
Nun kann man dem Schönen prinzipiell auf zweierlei Weise begegnen: Man stellt ihm etwas Dunkles, Schroffes zur Seite, um es noch stärker zur Geltung zu bringen. Oder man ist der Meinung, dass nichts Hässliches das Schöne umgeben dürfe. Alison Balsom und Guy Barker haben sich in ihren Arrangements für den zweiten Weg entschieden.
Das kann sehr gut klingen, wenn die Musik vielschichtig ist, wenn sie Ecken und Kanten bieten. So wie Olivier Messiaens "Le Baiser de l'Enfant Jésus" (der Kuss des Jesus-Kindes). Das Werk ist nicht so lieblich, wie der Titel vermuten ließe, und in diesem Kontext blüht die Kunst Alison Balsoms in reichen Farben. Oder auch bei Astor Piazzolla, dem Meister des Tango, der hier eine zärtliche Annäherung erfährt.
Satie hingegen ist der Menge an Süßem nicht ganz gewachsen, "La Valse des Lilas" von Legrand, Marnay und Barclay ist gar ein großes Schoko-Eis mit Sahne und Sirup. Aber das ist natürlich wieder nur eine Frage des Geschmacks, denn man könnte es auch so beschreiben: Der Hörer wird vom Sound auf das Wonnigste umschmeichelt, was könnte es an einem kühlen November-Abend Schöneres geben? Insgesamt wäre dem Album vielleicht mehr Tempo und Schwung gut bekommen - Alison Balsom verbindet mit Paris offenbar eher romantische Erinnerungen. Das sei ihr gegönnt, viele werden sie dafür lieben. Manche freilich weniger; es kommt ganz auf die persönliche Kitschgrenze an.
Alison Balsom: Paris. Warner Classics, 0825646327898.
Ralf Neite