Tendenz zur Polarisierung

Die religiöse Pluralisierung wird weiter wachsen - hält die Toleranz Schritt?
Abendgebet zum Beginn des Ramadan, Seheitlik-Moschee, Berlin-Neukölln. Foto: epd/ Ralf Maro
Abendgebet zum Beginn des Ramadan, Seheitlik-Moschee, Berlin-Neukölln. Foto: epd/ Ralf Maro
Deutsche sind gegenüber dem Islam skeptischer als andere Europäer - dies ist ein Ergebnis neuerer religionssoziologischer Studien. Dass dies aber nicht voreilig als besondere Xenophobie der Deutschen gewertet werden kann, zeigt Detlef Pollack, Professor für Religionssoziologie an der Universität Münster.

Das religiöse Feld hat sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland stark verändert. Bildeten 1950 Konfessionslose und Angehörige nichtchristlicher Religionsgemeinschaften eine verschwindende Minderheit, so hat sich der Anteil der Konfessionslosen und der nichtchristlichen Gläubigen im Laufe der letzten sechzig Jahre vervielfacht. In der Gruppe der nichtchristlichen Religionsangehörigen stellen die Muslime mit einem Anteil von etwa 5 Prozent an der Gesamtbevölkerung heute die größte Religionsgemeinschaft dar. Und zweifelsohne wird die religiöse Pluralisierung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter anwachsen.

Die Herausforderungen, die sich durch die wachsende Vielfalt des Religiösen ergeben, betreffen das Zusammenleben der Menschen im Alltag von Beruf, Nachbarschaft und Familie. Auch Fragen der rechtlichen Gleichbehandlung von Angehörigen unterschiedlicher Religionsgemeinschaften, der Erziehung in den Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen oder bei der sozialstaatlichen Hilfe werden damit aufgeworfen: Wie geht die Bevölkerung mit der wachsenden religiösen Vielfalt um, wie nimmt sie diese wahr? Sind die Leute bereit, sie zu akzeptieren?

Die Ergebnisse einer 2010 durchgeführten Studie, die jetzt in Buchform vorliegt, haben gezeigt, dass die Einstellung zur religiösen Vielfalt in den untersuchten Ländern Westeuropas - Deutschland, Holland, Portugal, Frankreich und Dänemark - durch Ambivalenz gekennzeichnet ist. Eine Mehrheit sieht die mit der wachsenden religiösen Vielfalt einhergehende kulturelle Bereicherung, aber auch die damit verbundenen Konflikte. Es gibt ein beachtliches Gefühl der Bedrohung, wenn es auch nicht die Mehrheit erfasst hat. Man hat gegenüber den Angehörigen der nichtchristlichen Religionen eine positive Haltung, aber begegnet ihnen - und dies betrifft vor allem die Muslime - auch mit Vorbehalten. Auch die kürzlich durchgeführten Umfragen des "Religionsmonitors" spiegeln diese Ambivalenz wider. In allen in die Untersuchung einbezogenen europäischen Ländern sind es in der Regel um die 60 Prozent oder mehr, die die zunehmende Vielfalt von religiösen Gruppen zugleich als Bereicherung und Ursache von Konflikten ansehen.

Deutschland unterscheidet sich von den anderen europäischen Ländern, die in die Studie von 2010 einbezogen worden waren, durch eine mehr eindimensionale Sicht auf die zunehmende Vielfalt des Religiösen. Weniger als in Frankreich, den Niederlanden, Portugal und Dänemark wird die wachsende religiöse Pluralität als Bereicherung gewertet. Weniger als in den anderen Ländern wünschen sich die Deutschen in der Nachbarschaft eine Vergrößerung der Vielfalt. Man sollte die Differenzen zwischen den Ländern allerdings auch nicht überzeichnen, denn immerhin ist es auch in Deutschland etwa die Hälfte der Befragten, die religiöse Vielfalt als bereichernd wahrnimmt, und auch in den anderen Ländern wird der Wunsch nach größerer Vielfalt nicht von der Mehrheit geteilt.

Gravierende Unterschiede

Gravierend sind die Länderdifferenzen, wenn es um die Beurteilung der nichtchristlichen Religionsgemeinschaften geht. Gegenüber den Anhängern von Hinduismus, Buddhismus und Judentum zeigt etwa die Hälfte der Deutschen eine positive Haltung; in Frankreich, Holland und Dänemark sind es etwa drei Viertel. Gegenüber den Muslimen beläuft sich der Anteil der positiv Eingestellten in Westdeutschland aber nur auf ein Drittel und in Ostdeutschland sogar nur auf ein Viertel, während in den anderen Ländern etwa 50 Prozent oder sogar 60 Prozent eine positive Haltung einnehmen.

Die Einstellung gegenüber den Muslimen ist zwar in allen untersuchten Ländern negativer als gegenüber den Anhängern anderer Religionen, aber die deutsche Bevölkerung sticht mit einer besonders negativen Einstellung hervor. Auch hier ist das Bild vom Islam wieder weniger als in den anderen Ländern durch Ambivalenz gekennzeichnet. Außer in Frankreich verbindet man den Islam mehrheitlich mit Stichworten wie Benachteiligung der Frau, Fanatismus, Gewaltbereitschaft und Engstirnigkeit. Hinsichtlich der Negativassoziationen sind die Unterschiede zwischen Deutschland und etwa den Niederlanden und Dänemark nicht bedeutend. Kommt es aber zu den positiven Images, die man mit dem Islam verbindet, dann sticht Deutschland wieder heraus: Hier sind es noch einmal weitaus weniger Befragte, die den Islam mit Friedfertigkeit, Toleranz, Achtung der Menschenrechte und Solidarität in Zusammenhang bringen, als in den anderen Ländern, wo ihr Anteil allerdings auch nicht sehr hoch ist und die 30-Prozent-Marke nur selten überschreitet. Die Haltungen dem Islam gegenüber sind in Deutschland nicht nur negativer, sondern auch eindimensionaler.

Zugleich haben die Menschen in Deutschland und in den anderen untersuchten europäischen Ländern durchaus ein starkes Interesse daran, mit nichtchristlichen Religionsgemeinschaften fair umzugehen. Obwohl die Vorbehalte gegenüber nichtchristlichen Religionen und ihren Anhängern, insbesondere gegenüber Muslimen stark verbreitet sind, meinen etwa vier Fünftel der Deutschen, man müsse alle Religionen respektieren. Neun von zehn halten Glaubensfreiheit für wichtig. Gleiche Rechte für alle religiösen Gruppen will aber nur die Hälfte der befragten Deutschen einräumen. Die Analyse der Gründe für die Verweigerung gleicher Rechte für alle religiösen Gruppen durch immerhin die Hälfte der Deutschen hat ergeben, dass vor allem die Einstellung zu den Muslimen und die Haltung religiöser Vielfalt gegenüber hohe Erklärungskraft besitzen. Je mehr Vorbehalte die Menschen gegenüber Muslimen haben und je stärker sie religiöse Vielfalt als nicht erstrebenswert ablehnen, desto stärker neigen sie auch dazu, sich gegen die Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften auszusprechen. Toleranz als universalistische Wertehaltung, als eine generelle Einstellung gegenüber der zunehmenden religiösen Vielfalt in Europa, findet sich in vielen Ländern, das haben die Untersuchungen gezeigt. Als unabhängige Haltung ist sie bei den Einstellungen zu den Muslimen hingegen nicht nachweisbar. Dem entspricht es, dass etwa zwei Fünftel der Westdeutschen und mehr als die Hälfte der Ostdeutschen die islamische Glaubensausübung stark eingeschränkt sehen wollen. Weniger als 30 Prozent befürworten den Bau von Moscheen, noch weniger den von Minaretten.

Bei der Analyse der Faktoren, die die ablehnende Haltung der Mehrheit der Deutschen gegenüber den Muslimen erklären, erweist sich vor allem ein Faktor als ausschlaggebend: die Häufigkeit von Kontakten mit Muslimen. Je mehr Kontakte die Menschen mit Angehörigen des Islam haben, umso positiver ist ihre Einstellung ihnen gegenüber. Im Vergleich zu Dänemark, Frankreich und den Niederlanden ist die Kontakthäufigkeit in Deutschland deutlich niedriger, wobei sie in Ostdeutschland, wo nur wenige Muslime leben, besonders gering ausfällt. Zugleich ist der Anteil derer, die eine positive Haltung Muslimen gegenüber haben, in Ostdeutschland noch einmal niedriger als in Westdeutschland.

Neben der Kontakthäufigkeit spielen natürlich auch andere Faktoren eine Rolle. Als wichtig erweist sich neben der Kontakthäufigkeit vor allem die Haltung zum Christentum. Eine positive Haltung zu den Christen behindert nicht etwa eine positive Meinung über die Muslime, sondern befördert sie. Die Zugehörigkeit zum Christentum und die Identifikation mit ihm stellt also nicht nur keine Barriere gegen eine Verbesserung des Verhältnisses zum Islam und seinen Anhängern, sondern eher eine Ressource dafür dar.

Wichtig sind Begegnungen

Auffällig ist, dass soziodemografische Merkmale kaum einen Einfluss ausüben. Allenfalls spielen in manchen Ländern Bildungsniveau, Alter und Haushaltseinkommen eine gewisse Rolle. Selbst der Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland erbringt nicht den Nachweis einer besonderen Wirksamkeit von Merkmalen sozialer Deprivation. Das ist erstaunlich, weil Deprivationsthesen zur Erklärung von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus häufig herangezogen werden. Im Vergleich zum mangelnden Kontakt kann Faktoren der Benachteiligung für die Erklärung ablehnender Haltungen gegenüber Muslimen nur eine nachgeordnete Bedeutung beigemessen werden. Nicht der soziale Status ist ausschlaggebend für die Haltung gegenüber Muslimen. Wichtiger sind die soziale Praxis, die Möglichkeiten von Begegnungen mit Angehörigen des Islam sowie die Erfahrungen, die man mit ihnen macht.

Das aber heißt, dass es für das Bild vom Islam und von den Muslimen auf beide Seiten ankommt, nicht nur auf die Mehrheitsbevölkerung, sondern auch auf die Muslime. In der Analyse des sozialstrukturellen Profils der Muslime in Deutschland und Europa im Vergleich lassen sich einige Besonderheiten der muslimischen Bevölkerungsgruppe herausarbeiten, in denen sich diese von anderen Zugewanderten in Deutschland sowie von Muslimen in anderen europäischen Ländern unterscheiden. Im Unterschied zu Frankreich, Dänemark und den Niederlanden, wo die muslimische Gemeinschaft nicht mehrheitlich aus einem einzelnen Herkunftsland stammt, dominieren in der Bundesrepublik Muslime türkischer Abstammung mit einem Gesamtanteil von 63 Prozent (2,6 Millionen Personen). Welche Wirkungen davon ausgehen, dass die Gruppe der Muslime vergleichsweise homogen ist, lässt sich nicht eindeutig bemessen. Es ist aber wahrscheinlich, dass die Wahrnehmung der Muslime als relativ homogene Gruppierung bei manchen Gefühle der Fremdheit auszulösen vermag und dass sich manche durch die besondere öffentliche Sichtbarkeit dieser Gruppe sogar bedroht sehen.

Tatsächlich weisen Regressionsanalysen einen signifikanten Zusammenhang zwischen Bedrohungs- und Fremdheitsgefühlen und ablehnenden Einstellungen gegenüber Muslimen nach. Nicht nur derjenigen, die meinen, dass Deutschland durch fremde Kulturen bedroht sei, sondern auch derer, die sich durch die vielen Muslime in Deutschland manchmal wie Fremde im eigenen Land fühlen, neigen stärker zu einer abwertenden Haltung gegenüber Muslimen. Man sollte dieses Unbehagen am Fremden und Ungewohnten nicht gleich als Fremdenfeindlichkeit diffamieren, vielmehr drückt sich darin auch ein aus der Sozialpsychologie bekanntes Phänomen aus: dass man am liebsten mit seinesgleichen zusammen ist und das Unvertraute eher meidet.

Darüber hinaus weisen die in Deutschland lebenden türkischstämmigen Muslime oft ein niedrigeres Bildungsniveau, eine geringere Sprachkompetenz, stärkere räumliche Abschottung und höhere Neigung zur innerethnischen Heirat auf als andere Zugewanderte. Negative Haltungen gegenüber Muslimen seitens der deutschen Mehrheitsgesellschaft dürften durch die insgesamt ungünstige soziale Positionierung dieser Gruppe zwar nicht hervorgebracht, wohl aber verstärkt werden. Selbstverständlich kann es nicht darum gehen, Schuldzuweisungen vorzunehmen. Aber man muss als sozialwissenschaftlicher Beobachter der Spannungen und Konflikte zwischen der deutschen Mehrheitsgesellschaft und der muslimischen Minderheit auch nicht so tun, als hätten ablehnende Haltungen gegenüber Muslimen allein in dem sozialen und mentalen Profil der deutschen Mehrheitsbevölkerung ihren Grund. Immerhin begegnen die Deutschen Angehörigen unterschiedlicher Religionsgemeinschaften ja nicht mit demselben Grad an Vorbehalten und Kritik.

Genau diese Nüchternheit in der Einschätzung der Probleme der wechselseitigen Wahrnehmung und Akzeptanz von Muslimen und Mehrheitsgesellschaft lässt die öffentliche Debatte oft vermissen. In ihr gibt es eine starke Tendenz zur Polarisierung. Auf der einen Seite stehen die, die vor Überfremdung durch ausländische Kulturen warnen und die Muslime zu einer höheren Anpassungsbereitschaft auffordern, auf der anderen Seite diejenigen, die Muslime für eine Bereicherung unserer Kultur ansehen und den Deutschen Abschottung und Fremdenfeindlichkeit vorwerfen. Beide Positionen lassen sich nur selten auf ein vermittelndes Gespräch ein. Strebt man nach einer Lösung für diese kommunikativen Polarisierungen, reicht es nicht aus, den goldenen Mittelweg zu suchen und beide Seiten zur Verständigung aufzurufen. Der Erlanger Philosoph Heiner Bielefeld scheint mit seiner Aufforderung Recht zu haben, "mit den weithin existierenden Vorbehalten und Befürchtungen sorgfältig umzugehen, sie auf ihren Sachgehalt hin kritisch zu prüfen, stereotype Darstellungen und Erklärungen zu überwinden und Diffamierungen klar entgegenzutreten. Die für eine liberale, aufgeklärte Diskussionskultur entscheidende Trennlinie verläuft nicht zwischen freundlichen und weniger freundlichen Darstellungen des Islam und seiner Angehörigen, sondern zwischen Genauigkeit und Klischee".

Literatur

Detlef Pollack u.a.: Grenzen der Toleranz. Wahrnehmung und Akzeptanz religiöser Vielfalt in Europa. Springer VS, Wiesbaden 2014, 247 Seiten, EUR 39,99. E-Book-Version EUR 29,99.

Detlef Pollack

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Foto: epd-bild / Brigitte Heeke

Detlef Pollack

Dr. Detlef Pollack ist Professor für Religionssoziologie an der Universität Münster und Sprecher des dortigen Exzellenzclsuters "Religion und Politik".


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