Ganz großes Kino

Reinhard Goebel Redivivus
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Mit mehr Liebe und Qualität kann ein musikalischer Vorhang nicht aufgezogen werden.

Eigentlich müsste ich mich entschuldigen, denn grundsätzlich geht es nicht, dass an dieser Stelle Aufnahmen präsentiert werden, die über ein Vierteljahrhundert alt sind und in einem optisch wenig ansprechenden Pappschuber daherkommen. Aber es muss sein, denn, verehrtes Publikum, diese Aufnahmen mit Sonaten, Suiten und Konzerten von Georg Philipp Telemann (1681-1767), die jetzt im Zehnerpack wieder neu aufgelegt wurden, gehören zum Besten, was es in der Welt der Barockmusik gibt. Das liegt natürlich an den Werken selbst, aber fast mehr noch liegt es an der Interpretation dieser Werke. Für die Musik von Telemann gilt leider, dass sie dramatisch verliert, wenn sie lustlos, uninformiert und damit automatisch schlecht interpretiert wird. Zum Glück aber gilt auch umgekehrt: Wenn man die Sache angeht, oder - pardon - anging, wie vor Jahrzehnten der furiose Barockgeiger Reinhard Goebel mit seinem Ensemble Musica Antiqua Köln, dann entsteht Klang mit Suchtfaktor zehn!

Um diese besondere Qualität zu illustrieren, sei als Beispiel aus dem mehr als über zehnstündigen Konvolut nur das Konzert für Blockflöte, Traversflöte, Streicher und Continuo in e-Moll genannt, und zwar der Beginn des dritten Satzes: Sanft, aber unendlich energiegeladen schwebt auf silbernen Cembaloschwingen ein leicht aufgerauter Streicherklang wie aus Himmelhöhen heran, der durch überbordende Verzierungskunst der ersten Violine - unverkennbar Maestro Goebel himself - zum erlösenden Schlussakkord mit genussvoll flirrendem Quartvorhalt geführt wird. Mit mehr Liebe und Qualität kann ein musikalischer Vorhang nicht aufgezogen werden und zwar in einer knappen halben Minute. Danach hebt ein edel klagendes Blockflöten- und Traversflötenlamento an - kommentiert vom zunächst sanften, dann immer wieder keck akzentuierenden Streicher-Pizzicato - bis alles erneut in den edlen Streicherpart vom Satzbeginn mündet. Perfekte Emotionen, perfekte Proportionen, perfekter Klang, kurz gesagt: Ganz großes Kino! Bitte unbedingt hören, zu finden auf CD Nummer Neun, Track 18 (3. Largo).

Einziger Wermutstropfen der Neuauflage - die Einzel-CDs erschienen von 1979 bis 2005, mit einem gewissen Schwerpunkt Ende der Achtzigerjahre - ist der Verzicht auf die luziden Beihefttexte von damals aus der Feder Goebels und des renommierten Telemannforschers Eckart Klessmann. Trotzdem ist dieser gehobene Archivschatz keinesfalls von Pappe, sondern ein Geschenk, das man sich auf jeden Fall selbst, aber auch vielen anderen unter den Weihnachtsbaum legen sollte!

Musica Antiqua Köln/Reinhard Goebel (Leitung): Telemann. Deutsche Grammophon, 0289 479 3708, 10 CDs.

Reinhard Mawick

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