Starke Signale senden

Die Kirche kann und muss nachhaltiger wirtschaften
Protest mit Plastik: Dreitausend Tüten verhüllen die Fassade der evangelischen Johanneskirche in Bonn. Foto: epd/ Karl Pfleging
Protest mit Plastik: Dreitausend Tüten verhüllen die Fassade der evangelischen Johanneskirche in Bonn. Foto: epd/ Karl Pfleging
Die Kirchen könnten eine wichtige Rolle bei der Gestaltung einer nachhaltigeren Wirtschaft spielen, meint Marlehn Thieme, Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung und EKD-Ratsmitglied. Ob sie dabei erfolgreich sein werden, hänge aber in hohem Maße von ihrer Glaubwürdigkeit und ihrem eigenen wirtschaftlichen Handeln ab.

In diesem Jahr wird an vielen Orten und zu vielen Anlässen auch über die enge Disziplin der Forstwirtschaft hinaus an den sächsischen Wirtschaftsfachmann Carl von Carlowitz und seine Formulierung und Definition des Begriffes der Nachhaltigkeit vor dreihundert Jahren erinnert. In seinem wissenschaftlichen Appell, die natürlichen Grenzen des Waldes zu achten und nicht mehr Holz zu schlagen und für die Verhüttung einzusetzen, als nachwachsen kann, war Carlowitz ein besonderer Mahner seiner Zeit. Mit seiner explizit christlich begründeten Idee und Wortschöpfung des Begriffs der "Nachhaltigkeit" hat er, wie wir heute sagen würden, die Ideen der Bewahrung der Schöpfung und der Generationengerechtigkeit verbunden und für die frühe Industrialisierung fruchtbar gemacht.

In der postindustriellen Gesellschaft ist die Notwendigkeit der Nachhaltigkeit existenziell. Im Kern des Prinzips "Nachhaltigkeit" geht es um einen Perspektivwechsel von kurz- zu langfristigem Denken und von der Gegenwarts- zur Zukunftsorientierung. Und immer noch geht es um die Frage nach den Rohstoffen und den Grenzen unseres Natur- und Ressourcenverbrauchs, darüber hinaus heute um unsere Verantwortung für das Klima und die Entwicklung der Länder des Südens.

Die EKD und die Landeskirchen sind in diesem Diskussionsprozess intensiv präsent. Es gibt Veröffentlichungen und Synodenbeschlüsse zu zahlreichen Einzelthemen (Klima, Ernährung, Landwirtschaft, Finanzkrise). Auch in ökumenischer Gemeinsamkeit haben der Rat der EKD und die Deutsche Bischofskonferenz dieses Thema adressiert, etwa im gemeinsamen Wort von 1997: "Die christliche Soziallehre muss künftig mehr als bisher das Bewusstsein von der Vernetzung der sozialen, ökonomischen und ökologischen Problematik wecken. Sie muss den Gedanken der Bewahrung der Schöpfung mit dem einer Weltgestaltung verbinden, welche der Einbindung aller gesellschaftlichen Prozesse in das - allem menschlichen Tun vorgegebene - umgreifende Netzwerk der Natur Rechnung trägt. Nur so können die Menschen ihrer Verantwortung für die nachfolgenden Generationen gerecht werden. Eben dies will der Leitbegriff einer nachhaltigen, d.h. dauerhaft umweltgerechten Entwicklung zum Ausdruck bringen."

Partei ergreifen

Doch bleiben die Taten aufgrund dieser Postulate bis heute erstaunlich wenig effektiv, obwohl zahlreiche Initiativen vorbildlich sind und viele Appelle in Politik und Zivilgesellschaft große Beachtung genießen. Und diese erwarten von den Kirchen als über den Zeiten und über direkter Verantwortung stehenden Institutionen geradezu, dass sie Partei ergreifen und wie zu Carlowitz' Zeiten langfristiges Denken und Verantwortung für kommende Generationen aus christlichem Denken heraus kraftvoll einfordern. Ihnen wird die besondere Fähigkeit zugesprochen, sich überzeugend für langfristige Orientierungsperspektiven einzusetzen, die trotz begonnener nationaler und internationaler Nachhaltigkeitsstrategien dringender denn je als Korrektiv der zumeist auf kurzfristige Optimierung ausgerichteten Politik und Wirtschaft erforderlich sind.

Die internationale Politik hat in der Folge der Brundtland-Kommission und der ersten UN-Konferenz für "Sustainable Development" in Rio 1992, sich verpflichtet, nationale Nachhaltigkeitsstrategien zu etablieren. Deutschland hat dies 2002 verwirklicht und seitdem regelmäßig überprüft und fortgeschrieben. Der Blick auf den Stand der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie - deren Umsetzung der Rat für Nachhaltige Entwicklung kritisch begleitet - zeigt allerdings, dass in vielen Bereichen noch großer Handlungsbedarf besteht. Die Rohstoffproduktivität steigt weiterhin viel zu langsam an, der absolute Ressourcenverbrauch nimmt nur schleichend ab. Die Flächenversiegelung bleibt weiterhin deutlich über dem selbstformulierten Ziel von max. 30 ha/Tag. Die Ziele zur Reduzierung der Staatsverschuldung und Verbesserung der Gesundheit werden ebenfalls nicht erreicht.

Um den Zielen der Strategie nicht weiter hinterherzuhinken, muss das Ziel der Generationengerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung in seinen zahlreichen Facetten stets neu definiert und begründet werden, damit es Akzeptanz in der Gesellschaft findet. Hier hat die Kirche eine wichtige Aufgabe und sollte ihre Kräfte bündeln, um wie Carlowitz vor dreihundert Jahren aus dem christlichen Glauben die Bewahrung der Schöpfung und die Verantwortung für nachfolgende Generationen und die Eine Welt in den Diskurs um Zielkonflikte zwischen sozialen, ökologischen und ökonomischen Zielen einzubringen und angesichts der durch den Klimawandel dringenden Notwendigkeit veränderten Verhaltens und Wirtschaftens mutig zu begründen. Die evangelische Kirche sollte einen deutlich stärkeren Impuls in die Gesellschaft geben und hierfür ihre Kräfte koordinierter aufstellen. Ich halte einen breiten Diskurs in unserer Kirche für dringend geboten, um mit Einfluss und Zuversicht in Deutschland und international nachhaltigere Politik und nachhaltigeres Wirtschaften und individuelles Verhalten zu bewirken - und auch die Kirchen können selbst sehr viel tun, wie sie etwa mit der Initiative "Grüner Hahn/Gockel" und dem "Leitfaden für nachhaltige Geldanlagen" gezeigt haben!

Stärkere Sichtbarkeit!

Zudem ist es wichtig, das Modell einer sozialen und nachhaltigen Wirtschaft voranzutreiben. Dafür müssen die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen der erfolgreichen sozialen Marktwirtschaft um Nachhaltigkeitskriterien erweitert werden, damit der Wettbewerb um die beste nachhaltige Wirtschaftsform entstehen kann und Unternehmen eine aktive und verantwortliche Rolle im Prozess der nachhaltigen Entwicklung einnehmen können.

Die Vertreter der deutschen Industrie sind nicht entschieden, zu viele warten ab. Die meisten Geschäftsmodelle sind auf kurzfristige Gewinnoptimierung anstatt auf innovative nachhaltige Lösungen ausgelegt. Zudem bieten billige Verschmutzungsrechte aus dem europäischen Emissionshandelssystem kaum Anreize, kohlenstoffarm zu produzieren und auf saubere Technologien umzuschwenken. Auch das Thema Energieeffizienz ist noch lange nicht als strategischer Erfolgsfaktor in den Unternehmen angekommen. Durch Effizienzgewinne erreichte Einsparungen im Energie- und Rohstoffverbrauch werden zumeist durch mehr Konsum überkompensiert - und damit bleibt die Senkung des absoluten Verbrauchs aus.

Die Automobilindustrie treibt den Ausbau der Elektromobilität zu langsam voran. Eine Infrastruktur-Offensive, die eine stärkere Durchdringung auch ländlicher Regionen mit Ladestationen zum Ziel hat, ist nötig. Hier muss die Automobilindustrie aktiv werden, das vorhandene Potenzial für neue Geschäftsmodelle freisetzen und dazu neue sektorübergreifende Allianzen schließen. Erst dann werden auch Verbraucher und Dienstwagenbeschaffer Vertrauen entwickeln! Hinzu kommt das politisch sensible Thema der Festsetzung von CO2-Grenzwerten für Autos, wie sie auf EU-Ebene verhandelt werden. Schon unabhängig von Brüssel und der deutschen Politik könnten aber die Kirchen und ihre Diakonieeinrichtungen eigene Standards für Dienstwagen festlegen und damit ein starkes Signal senden.

Was die Gesellschaft braucht, ist eine stärkere Sichtbarkeit und wirtschaftlicher Erfolg der Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell nachhaltig ausrichten und ökologische und faire Gesichtspunkte in ihre Geschäftstätigkeit einbeziehen. Nur dann können diese Vorreiterunternehmen eine Handlungsnorm für nachhaltiges Wirtschaften etablieren, die von der Politik, den Konsumenten, auch von den Kirchen, zum Beispiel bei der Beschaffung, unterstützt und gefördert werden muss. Nur so kann die Praxis nachhaltigen Wirtschaftens aus der Nische geholt und mit Standards tauglich für den Mainstream gemacht werden: Das dass mit Hilfe der Kirchen gelingen kann, zeigen ökofaire Produktions- und Konsuminitiativen (wie zum Beispiel die GEPA) trotz vieler Probleme im Detail sehr eindrucksvoll.

Vorreiterrolle ausbauen

Die deutsche Nachhaltigkeits-Wirtschaft muss enger zusammenfinden und ihre Vorreiterrolle weiter ausbauen. Aus Sicht des Rates für Nachhaltige Entwicklung wäre ein regierungsunabhängiger Bericht über den Stand des nachhaltigen Wirtschaftens ein wichtiges Signal an Markt und Politik. Auf Basis einer solchen Bestandsaufnahme könnte unter Einbeziehung der Interessengruppen ein Dialog geführt werden, wie nachhaltige Unternehmenspraxis ausgeweitet werden kann. Dass dies auch ein Anliegen des Rates für Nachhaltige Entwicklung ist, zeigt nicht zuletzt der von ihm aufgesetzte "Deutsche Nachhaltigkeitskodex" (DNK), der Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaften setzt. Seit seiner Veröffentlichung 2011 haben 51 Unternehmen Entsprechenserklärungen zum DNK vorgelegt. Da der DNK einen Vergleichsrahmen für Nachhaltigkeit darstellt und Informationen nüchtern aufbereitet, wird der Blick auf das Wesentliche gelenkt - und deutlich gemacht, welche Unternehmen nachhaltig handeln.

Da sich der DNK an verschiedene Organisationstypen richtet, kann und sollte er von allen Akteuren angewendet werden, die wirtschaftlich handeln. Das schließt natürlich auch die Kirchen und ihre Diakonie mit ein, die mit ihren Gliederungen zu den großen Beschaffern gehören und zahllose Gebäude bewirtschaften. Hier besteht großes Potenzial für ökofaire Beschaffung, für den Einsatz erneuerbarer Energien und für Umweltmanagement. Doch immer noch haben nicht alle Kirchengemeinden Umweltmanagementsysteme implementiert, dabei besteht mit dem "Grünen Hahn" ein vorbildliches Konzept hin zu einer EMAS-Zertifizierung von Gemeinden.

Trotz der Appelle und Empfehlungen zur ökofairen Beschaffung wird auch in der evangelischen Kirche noch zu wenig nachhaltig eingekauft und beschafft - oft ist die Verfügbarkeit oder der Preis von Produkten ausschlaggebender als die Bedingungen, unter denen diese produziert wurden. Viele kirchliche und diakonische Einrichtungen bleiben in ihrem Nachhaltigkeitsengagement passiv und das Thema ökofaire Beschaffung ein Randthema, zumal entsprechende Empfehlungen der Kirchen an die Gemeinden keinen bindenden Charakter haben und die diakonischen Einrichtungen ihr Einkaufsverhalten nur zögerlich umstellen.

Nachhaltige Entwicklung ist ein Prozess, der allen Beteiligten kontinuierliche Veränderung abverlangt. Dass Gemeinden und diakonische Einrichtungen nicht von heute auf morgen auf ökofaire Beschaffung umstellen können, ist verständlich. Als Akteur hat die Kirche aber Möglichkeit und Pflicht zugleich, im nachhaltigen Wirtschaften voranzugehen, um ihrem Anspruch an andere gerecht zu werden. Sonst entsteht eine Glaubwürdigkeitslücke, welche mit ein Grund dafür sein mag, dass die Kirche im Nachhaltigkeitsdiskurs und bei der Debatte um Lösungen globaler Umweltfragen nicht die Rolle spielt, die ihr von anderen Akteuren gerne zugeschrieben oder gar abverlangt wird.

Die Aufgabe der Kirchen besteht darin, zur Klärung ethischer Fragen der Nachhaltigkeitsdiskussion beizutragen. Dies hat der Rat für Nachhaltige Entwicklung bei einem Dialogprojekt zum Thema "Nachhaltigkeit und Gesellschaft" festgestellt. Ob die Kirchen bei der Bewältigung dieser Aufgaben erfolgreich sind, hängt in hohem Maße von ihrer Glaubwürdigkeit ab. Für die Kirchen kommt es darauf an, diese Glaubwürdigkeit durch Übereinstimmung von Wort und Tat nach innen wie nach außen herzustellen. Nur so kann der Nachhaltigkeitsdiskurs eine Brücke der Kommunikation zwischen Kirche und moderner Gesellschaft schlagen. Exemplarisches Handeln schafft mehr als viele Appelle: nämlich die Motivation zur Veränderung.

Der Nachhaltigkeitsrat

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung wurde im April 2001 von der Bundesregierung berufen. Ihm gehören fünfzehn Personen des öffentlichen Lebens an. Die Aufgaben des Rates sind die Entwicklung von Beiträgen für die Umsetzung einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie und die Benennung von konkreten Handlungsfeldern und Projekten. Amtierende Vorsitzende ist Marlehn Thieme, Direktorin bei der Deutschen Bank, ihr Stellvertreter ist Olaf Tschimpke, Präsident des Naturschutzbund Deutschland (nabu).

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Marlehn Thieme

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Foto: epd/Norbert Neetz

Marlehn Thieme

Marlehn Thieme ist studierte Juristin und war knapp drei Jahrzehnte in verschiedenen Positionen bei der Deutschen Bank tätig, unter anderem als Geschäftsführerin der Alfred-Herrhausen-Stiftung, als Konzernverantwortliche für Corporate Social Responsibility sowie als Mitglied des Aufsichtsrates. Seit 2015 ist sie Aufsichtsratsvorsitzende der Bank für Kirche und Diakonie. Zudem übt Marlehn Thieme zahlreiche ehrenamtliche Tätigkeiten aus, sie ist u.a. Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung, Präsidentin der Welthungerhilfe und EKD-Ratsmitglied.


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