Sehen, was gelingt

Zentrum Gemeinde: Ideenbörse und Volkshochschule
Foto: pixelio/Dietmar Silber
Foto: pixelio/Dietmar Silber
Eine Mischung aus praktischen Tipps und theologischen Überlegungen gab es in der Hammer Dreifaltigkeitskirche.

Wie würde sich wohl der Leitungsstil in der Kirche "ändern, säßen in den Gremien Leute, die ihre Zeit effektiv nutzen", fragt Thomas Schlag, der an der Universität Zürich Praktische Theologie lehrt. Und die rund 150 Kirchentagsbesucherinnen und -besucher, die die Dreifaltigkeitskirche im Hamburger Stadtteil Hamm füllen, lachen und klatschen.

Auch der Kirchengemeinderat aus einer süddeutschen Stadt stimmt ein. Die Sitzungen enden dort nie vor Mitternacht. Einmal hatte sich der Kirchengemeinderat darauf gefreut, früher nach Hause gehen zu können, umfasste die Tagesordnung dieses Mal nur vier Punkte. Doch kurz nachdem der Vorsitzende des Gremiums, ein Pfarrer, den Segen gesprochen hatte, schlug die Glocke der nahegelegenen Kirche zwölf Mal. Dem Kirchengemeinderat, der werktags um sechs Uhr aufstehen muss, stand wieder eine kurze Nacht bevor.

In der Kirche wird oft geklagt: über die Überalterung der Gottesdienstbesucher und den Rückgang der Mitglieder und Einnahmen. Dass das nicht grundlos ist, zeigt Professor Schlag anhand von Zahlen aus der Schweiz. So gehören in der Zwinglistadt Zürich noch 25 Prozent der Einwohner und in der Calvinstadt Genf nur 11 Prozent der evangelisch-reformierten Kirche an. Aber Schlag, der das "Zentrum für Kirchenentwicklung" an der Universität Zürich leitet, empfiehlt, "auf das zu sehen, was gelingt". Oft würden Kirchenleute durch "alte Bilder" blockiert, zum Beispiel durch die Vermutung, dass sich jüngere Leute nicht für die Kirche interessieren. So habe er auch gedacht, räumt der Professor ein, bis er einmal in einer Gemeinde einen Vortrag über die Kirchenreform gehalten habe. Den Saal hätten nicht, wie er erwartet hatte, Ältere gefüllt, sondern Leute um die Dreißig.

Von einer gelungenen Spendenaktion berichtet in Hamm Michael Goltz. Der Pastor ist Fundraiser des Kirchenkreises Nordfriesland, der von Sylt bis zur Eider reicht. Vor zwei Jahren startete der Kirchenkreis die Kampagne "Kirchturmdenken? Ja bitte". Jede der 23 Kirchengemeinden konnte um Spenden für ein Projekt bitten, mit dem sich die Einwohner, auch Kirchenferne, identifizieren. Dazu zählten Kirchtürme und historisch wertvolle Grabsteine, die restauriert, und neue Glocken und Kirchenbänke, die angeschafft werden sollten. Weil Untersuchungen ergeben haben, dass die über Fünfzigjährigen besonders spendenfreudig sind, erhielten nur diese ein persönliches Schreiben mit einem Foto des Objekts versehen, für das gespendet werden sollte. Von den 16 000 Leuten, die angeschrieben wurden, spendeten 2500, und es kamen rund 135 000 Euro zusammen. Nach der Erfahrung von Pastor Goltz ist eine Spendenaktion dann erfolgreich, wenn das Projekt vorher klar definiert wird, während der Kampagne in den Lokalzeitungen Erfolgsmeldungen erscheinen, am Ende Spendenbescheinigungen zügig zugestellt und die Spender zu einem Fest eingeladen werden, wenn das Objekt restauriert oder angeschafft ist.

Für eine Vielfalt von Gemeindeformen

Manche Probleme entstehen in Gemeinden oder werden nicht gelöst, weil die falschen Fragen gestellt werden. Petra-Angela Ahrens, Mitarbeiterin des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, erinnert daran, dass ehrenamtlich Tätige oft erst dann gesucht werden, wenn Lücken zu füllen sind. Statt zu fragen, "wo brauchen wir noch Leute", sollten Geistliche und Kirchengemeinderäte schauen, welche Kompetenzen bei den Mitgliedern vorhanden sind und welche Aufgabe sie gerne übernehmen würden.

Der Kirchentag ist Ideenbörse, Ort der Begegnung und - Volkshochschule. So bekommen zum Beispiel Leute aus Orten, die kein Professor mit einem Vortrag beehrt, die Gelegenheit, Universitätstheologen zu hören. In der Hammer Dreifaltigkeitskirche zeigt Uta Pohl-Patalong, die an der Universität Kiel Praktische Theologie lehrt, wie im Laufe der Zeit unterschiedliche Formen von Kirchengemeinden entstanden sind. Vorherrschend ist in den evangelischen Landeskirchen nach wie vor die "Parochie". Ihr werden die Kirchenmitglieder zugewiesen, die in einem bestimmten Wohngebiet wohnen. Aber sie erreicht nur eine Minderheit der Kirchenmitglieder. Das haben die "Milieustudien" der vergangenen Jahre gezeigt. Dagegen gibt es Sonder- oder Profilgemeinden, die gezielt diejenigen ansprechen, die die Parochie oft nicht (mehr) erreicht, Jugendliche, Angehörige der Unterschicht, Leute, die wegen beruflicher Belastung wenig Zeit haben oder solche die spirituell auf der Suche sind.

Pohl-Patalong fordert, "die neuen Formen von Gemeinden nicht länger vor dem Hintergrund der Parochie zu denken, sondern eine Vielfalt von Gemeindeformen ernst zu nehmen". Aber das bringt Macht- und Verteilungskämpfe mit sich. Pohl-Patalong räumt ein, dass wegen begrenzter finanzieller Ressourcen, "mit einer nennenswerten Anzahl" von Sondergemeinden "das flächendeckende parochiale System irgendwann so ausgedünnt würde, dass es zusammenbricht". Leider war der Kirchentag wieder einmal konfliktscheu. So war kein Vertreter einer Kirchenleitung eingeladen worden, um mit Pohl-Patalong zu diskutieren. Dafür wird in zeitzeichen der Streit darüber geführt werden, wie Kirchengemeinden organisiert werden müssen.

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Jürgen Wandel

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