Traum von einem Wunder

Papst Benedikt XVI. besucht Deutschland. Und was bringt er mit?
Im vergangenen Jahr besuchte Benedikt XVI. die lutherische Kirche Roms. Foto: epd/Cristian Genari
Im vergangenen Jahr besuchte Benedikt XVI. die lutherische Kirche Roms. Foto: epd/Cristian Genari
Ab 22. September reist der Papst durch die Heimat Martin Luthers. Der Chefredakteur der Frankfurter Rundschau Joachim Frank verknüpft den Ausblick auf den Staatsbesuch mit einer Analyse von Benedikts Einstellung zur Ökumene. Frank hat den wesentlichen Teil seines Studiums der katholischen Theologie in Rom absolviert.

Mit Besuchen, an die sich hohe Erwartungen knüpfen, hat die katholische Kirche ihre eigenen Erfahrungen. So sah das päpstliche Rom nach der Konversion der schwedischen Königin Christina vom Luthertum zum Katholizismus die alsbaldige Rekatholisierung Skandinaviens voraus und bereitete der abgedankten Monarchin im Jahr 1655 einen triumphalen Empfang. Gian Lorenzo Bernini entwarf dafür eigens eine neue Fassade für die Porta Flaminia an der Piazza del Popolo in Rom. Doch römischer Wunsch und konfessionelle Wirklichkeit lagen allzu weit auseinander. Die nordischen Länder sind bis auf den heutigen Tag protestantisch geblieben.

Was mögen die Hoffnungen und Erwartungen an den Besuch Papst Benedikts XVI. in Deutschland sein, des ersten - und vielleicht einzigen - Staatsbesuchs in seiner Heimat? Klar ist: Niemand wird das Brandenburger Tor umgestalten, nur weil der Papst nach Berlin kommt. Und selbst unter den euphorischsten Anhängern Benedikts dürfte es kaum einen geben, der sich Veränderungen für die deutsche Kirche erwartet. Da hat der Weltjugendtag 2005 in Köln - allem Benedetto-Jubel zum Trotz - doch eher ernüchternd gewirkt. Der gastgebende Kardinal Joachim Meisner behauptete vor dem Großevent allen Ernstes, im Anschluss daran würden sich die Priesterseminare wieder mit jungen Männern füllen. Doch ein solcher Boom ist bekanntlich ausgeblieben. Im Gegenteil: Als Folge der Kontroverse um die reaktionäre Piusbruderschaft und besonders des Missbrauchsskandals hat die katholische Kirche in Deutschland 2010 mehr Mitglieder durch Austritt verloren, als sie Neugetaufte hinzugewinnen konnte.

Recht viel Zeit für Protestanten

Benedikt XVI. hat diese dramatische Lage weder verursacht noch ist er für sie allein verantwortlich. Aber als Kirchenoberhaupt ist er - wie zuvor als Präfekt der Glaubenskongregation - Protagonist der Krise. Als solcher wird er bei seinem Besuch in Deutschland wahrgenommen werden, selbst wenn das im Juli veröffentlichte Programm bisher keinen einzigen Termin enthält, der ausdrücklich der Krisenbewältigung oder dem Gespräch mit Opfern sexuellen Missbrauchs gewidmet wäre. Vermutlich laufen die Vorbereitungen dafür hinter den Kulissen - so wie das bei anderen Papstreisen der Fall gewesen war.

Anderen Einträgen im Kalender der viertägigen Visite ist hingegen schon deutlicher anzumerken, welche Akzente der Pontifex setzen möchte. Neben Kontakten mit Repräsentanten des Staates ist relativ viel Zeit für ökumenische und interreligiöse Gespräche vorgesehen. Den insgesamt breitesten Raum nimmt hier die Begegnung mit der evangelischen Kirche ein: ein gut halbstündiges Gespräch mit "Ansprache des Heiligen Vaters" und einem anschließenden etwa einstündigen ökumenischen Gottesdienst, in dem Benedikt predigt. Für sich genommen ist das ein gutes Zeichen - im Land der Reformation, wenige Jahre vor den Feiern zum 500. Jahrestag ihres Beginns.

Wie bekannt wurde, geht diese besondere Gewichtung auf den Papst höchstpersönlich zurück: "Den zuständigen Instanzen habe ich inzwischen mitgeteilt, dass in dem Land, in dem die Reformation ihren Ursprung nahm, ein stärkerer ökumenischer Akzent notwendig ist", schrieb Benedikt Ende Februar dem EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider. Auch der geschichtsträchtige Ort der Begegnung, Martin Luthers einstiges Kloster in Erfurt, wurde im Einvernehmen mit Benedikt vereinbart. Und das hat aufhorchen lassen: Da wischt der Papst eine sorgsam austarierte Planung vom Tisch, düpiert die Organisatoren in Deutschland wie im Vatikan und wählt eine hochsymbolische Location. Aber wofür eigentlich? Für ein bisschen kirchendiplomatisches Chi-Chi? Für den Austausch frommer Allgemeinplätze? Muss da nicht noch mehr sein? Hat der Papst womöglich etwas in der Hinterhand, einen Plan B für die Ökumene?

Führende Vertreter der EKD bemühen sich allenthalben, hochfliegende Spekulationen zu erden. Sie verweisen auf die äußerst begrenzte Zeit für das Gespräch und dessen formalisierten Ablauf mit all seinen rituellen Girlanden. Andererseits geistert auch in den Köpfen der EKD-Spitze eine Art Benchmark herum, ein inneres Raster für die eigene Befriedigung oder Enttäuschung über das, was beim Treffen mit dem Papst herauskommen mag. Zu befürchten steht: nicht viel.

Die Wirkmacht der Bilder

Diese Prognose ist nicht dem professionellen Pessimismus des ewig nörgelnden Journalisten geschuldet, sondern schlicht den bisherigen Erfahrungen mit Benedikts Pontifikat. Der als Theologe so hoch gelobte, wortmächtige Joseph Ratzinger hat in seiner nunmehr sechsjährigen Amtszeit noch keinen einzigen Akzent gesetzt, der von der Doktrin seines Vorgängers, Johannes Pauls II., abwiche - abgesehen vom Entgegenkommen gegenüber dem rechten Rand des Katholizismus, seien es die Piusbrüder oder die Liebhaber der alten, tridentinischen Messe, bei denen liturgische Präferenzen allzu oft nur die ästhetische Camouflage für einen tief sitzenden antiaufklärerischen und antimodernen Affekt sind.

In seiner Amtsausübung hat Ratzinger, was von dem eher scheuen Intellektuellen nicht unbedingt zu erwarten gewesen wäre, mindestens eine wesentliche Intuition seines Vorgängers übernommen: das Wissen um die Wirkmacht der Bilder, Gesten und Symbolhandlungen. In diese Kategorie fallen Benedikts Besuche der Kölner Synagoge 2005, der Blauen Moschee in Istanbul 2006 und - im selben Jahr - des ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz. Und jetzt sucht er das Klostergebäude auf, in dem Martin Luther einen Teil seiner religiösen Sozialisation erfuhr.

Wer die Reden nachliest, die der Papst in Köln und Auschwitz hielt, muss feststellen, die gesamte Energie und Strahlkraft seiner Auftritte schien sich darin erschöpft zu haben, dass sie überhaupt stattfanden. Inhaltlich beließ es der Papst jedes Mal bei lehramtlichem Mainstream und sorgsamem Leisetreten auf gut gesichertem Terrain, bis hin zu umfangreichen wörtlichen Anleihen bei seinem Vorgänger. Von Originalität, vom Aufblitzen eines neuen, eigenen Gedankens keine Spur (der Genius loci inspirierte keinen Genius verbi).

Konfessionelle Abgrenzung

Warum das während einer halben Stunde im Erfurter Augustinerkonvent anders sein sollte, ist schwer zu sagen. Dafür spräche allenfalls der besondere Umstand, dass zum ersten Mal seit vielen hundert Jahren ein Deutscher das Papstamt innehat. Kirchengeschichtlich könnte darin tatsächlich ein Schicksalsmoment für die katholisch-protestantische Ökumene liegen. Dazu müsste der Amtsinhaber allerdings den Mut und die Souveränität haben, gewissermaßen von sich selbst Abstand zu nehmen.

Denn kaum jemand hat in den zurückliegenden Dekaden in Lehre und Praxis so sehr auf konfessionelle Abgrenzung und Selbstbehauptung gesetzt wie Joseph Ratzinger als oberster Glaubenswächter. Das fatale Dokument "Dominus Iesus" vom August 2000, das die Kirchen der Reformation ekklesiologisch herabstuft, trägt Ratzingers Unterschrift. Das Drängen der Kirchenbasis nach einem gemeinsamen Abendmahl, das sich etwa 2003 in Berlin auf dem Ökumenischen Kirchentag in überkonfessionellen Eucharistiefeiern artikulierte, verurteilte er als "politische Aktion, um etwas zu erreichen in der Kirche". Ratzinger konnte darin lediglich den "in höchstem Grad unangemessenen" Missbrauch des "Sakraments, der eigentlichen heiligen Gabe des Herrn" sehen. Nur nebenbei sei erwähnt, dass Ratzinger just zu der Zeit, als in Berlin hunderttausend Katholiken und Protestanten erstmals gemeinsam einen Kirchentag abhielten, zur Spendung der Firmung durch bayerische Pfarreien tourte - was unschwer als demonstrative Geringschätzung oder Missbilligung für das vermeintliche Großevent der Beliebigkeit zu dechiffrieren war.

Dabei ließen sich die Ökumenischen Kirchentage für das Oberhaupt der katholischen Kirche auch positiv als ein "Zeichen der Zeit" lesen: Denn in den säkularen Gesellschaften des Westens, aber auch im globalen Konkurrieren mit anderen Religionen liegt auf konfessioneller Kleinstaaterei kein Segen. Dass viele Gläubige, Katholiken wie Protestanten, die von Kirchenleitungen und Theologen behaupteten Hindernisse auf dem Weg zur Einheit innerlich längst übersprungen haben, mag gewiss mit einem Mangel an Wissen und Verständnis für komplizierte theologische und historische Zusammenhänge zu tun haben. Dies ist aber auch der Erfahrung einer großen Gemeinsamkeit im Glaubensleben geschuldet, einer substanziellen Einheit in den Überzeugungen, mit denen "die Kirche steht und fällt". Um ein berühmtes Wort des Jesuiten-Theologen Karl Rahner abzuwandeln: Die Kirche der Zukunft wird ökumenisch sein, oder sie wird nicht sein.

Papstamt als Hindernis

Johannes Paul II., dem schwerlich eine römisch-katholische Anämie zu attestieren ist, hatte das erkannt. Ihm war mit seinem Vorgänger Paul VI. klar, dass das Papstamt mit dem Jurisdiktionsprimat und dem Unfehlbarkeitsanspruch eines der größten ökumenischen Hindernisse darstellt. In seiner Enzyklika "Ut unum sint" von 1995 forderte Johannes Paul II. darum eine theologische Relecture des Papstamtes in ökumenischer Perspektive - hin zu einer "Form der Primatsausübung ..., die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet". Dies sei eine "ungeheure Aufgabe, die wir nicht zurückweisen können und die ich nicht allein zu Ende bringen kann", betonte der Papst. "Könnte die zwischen uns allen bereits real bestehende, wenn auch unvollkommene Gemeinschaft nicht die kirchlichen Verantwortlichen und ihre Theologen dazu veranlassen, über dieses Thema mit mir einen brüderlichen, geduldigen Dialog aufzunehmen, bei dem wir jenseits fruchtloser Polemiken einander anhören könnten?"

Und was ist seitdem passiert? Theologen wie der Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts in Paderborn, Wolfgang Thönissen, verweisen auf allerlei gelehrte Abhandlungen, Symposien und Sammelbände, in denen sich Antworten auf den flehentlichen Ruf des polnischen Papstes niedergeschlagen hätten. Und die Glaubenskongregation habe unter Joseph Ratzinger "eine gewisse Offenheit" in der Primatsfrage erkennen lassen. Umgekehrt glaubt Thönissen auch "eine zunehmende Bereitschaft in nicht-katholischen Kirchen [zu] erkennen, die mit dem universalen Primat verbundenen theologischen Anliegen eines notwendigen universalen Dienstamtes für die Einheit der Kirche zu würdigen".

Nur theologisches Glasperlenspiel?

Vereinfacht gesagt: Wie können und wollen sich nichtkatholische Kirchen in eine Einheit mit Rom begeben, bei der sie nicht den im 19. Jahrhundert definierten päpstlichen Vollmachten unterworfen sind? Und wie kann und will das römisch-katholische Verständnis vom Papstamt Abstriche von dessen Geltungsanspruch machen? Entgegen der optimistischen Einschätzung eines Spezialisten wie Thönissen hat es nicht den Anschein, dass diese Fragen von höchster Stelle vorangetrieben würden - und zwar nicht als theologisches Glasperlenspiel, sondern mit festen Perspektiven und belastbarer Bereitschaft zur Veränderung. Es hat nicht den Anschein, dass die Spaltung der Kirche als Verstoß gegen den Stifterwillen Jesu, Verdunkelung des christlichen Zeugnisses und damit als ein Skandal wahrgenommen wird, der den Kirchenführern keine Ruhe lässt, allen voran dem Papst. Um weit nachrangigere Fragen kümmert er sich jedenfalls mit weit größerer Intensität.

Könnte Erfurt 2011 nicht zumindest ein Umdenken, eine neue Kraftanstrengung einleiten? Vorbild dafür könnte wiederum der von Benedikt so häufig und ostentativ bemühte Johannes Paul II. sein. Durch dessen ersten Deutschlandbesuch 1980 zog sich als ein roter Faden das Bemühen um Fortschritte in der Ökumene. Auffallend häufig und voller Hochachtung zitierte er Luther und stellte sich sogar in eine Reihe mit dem Reformator: "Ich erinnere mich in dieser Stunde daran, dass Martin Luther 1510/11 als Pilger, aber auch als Suchender und Fragender zu den Gräbern der Apostelfürsten in Rom kam. Heute komme ich zu Ihnen, zu geistlichen Erben Martin Luthers; ich komme als Pilger. Ich komme, um mit dieser Begegnung in einer gewandelten Welt ein Zeichen der Verbundenheit in den zentralen Geheimnissen unseres Glaubens zu setzen." Und für die "noch unbewältigten Probleme" forderte der Papst in einer Ansprache an Vertreter der EKD "eine umfassendere Behandlung, als sie hier und heute möglich ist".

"Versöhnte Verschiedenheit"

Die Folge war die intensive Arbeit am Projekt "Lehrverurteilungen - kirchentrennend?" und schließlich die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999, die einen Konsens zwischen Lutheranern und Katholiken über die zentrale Glaubenswahrheit von der Rettung des Menschen durch Gott "allein aus Gnade" formuliert.

Es ist nicht von ungefähr, dass ausgerechnet Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation persönlich eingriff, um ein Scheitern der Konsenserklärung und ihrer feierlichen Unterzeichnung in letzter Minute zu verhindern. Und zwölf Jahre später könnte er in neuer, noch gewichtigerer Funktion in Erfurt einen weiteren Brückenschlag über Gräben initiieren, die die Kirchen trennen. Dabei wäre eine Rückkehrökumene, dass die anderen "einfach wieder katholisch" werden, ein fataler Irrweg. Erfolg verspricht vielmehr allein eine Spurensuche in Richtung "versöhnte Verschiedenheit" oder - um einem Begriff des früheren Ökumeneministers des Vatikan, Kardinal Walter Kasper zu benutzen - eines "differenzierten Konsenses". Worin müssen die Kirchen mindestens übereinstimmen? Und welches Maß an Eigenheiten können sie sich darüber hinaus erlauben?

Auf all das bräuchte Benedikt noch gar keine Antworten parat zu haben. Es wäre im Gegenteil sogar gut, wenn er nicht als Bescheid- und Besserwisser nach Erfurt käme. Er müsste nur einen kräftigen Anstoß geben und so eine "Tür öffnen, die niemand mehr schließen kann" (Johannes-Offenbarung 3,8).

Und wenn der deutsche Papst dann noch ähnlich lobende Worte für den deutschen Reformator fände wie 31 Jahre zuvor der Pontifex aus Polen, wäre für die Ökumene mehr gewonnen, als Luthers geistliche Erben zu hoffen wagen.

Und noch ein verwegener Gedanke: Was wäre, wenn Papst Benedikt XVI., genau 490 Jahre nach der Bannbulle gegen Martin Luther, ein Dekret in der Tasche hätte, mit dem er die Exkommunikation des Reformators durch den Medici-Papst Leo X. aufhebt? Eine Bulle Benedikts namens "Ecce quam bonum", inspiriert vom Beginn des 133. Psalms: "Siehe, wie fein und lieblich ist's, dass Brüder einträchtig beieinander wohnen."

Das wäre ein Wunder. Gewiss eines von der Sorte Wunder, die selten geschehen. Aber davon zu träumen, ist ja nicht verboten. Auch nicht in der Kirche.

Joachim Frank

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