Einzylinder für den Frieden

Eine besondere Motorradtour über das Dach der Welt
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Gewalt gegen Minderheiten und gegenüber Frauen und ein stärker werdender Hindu-Nationalismus unter der aktuellen Regierung Modi sorgen für eine angespannte Situation bei der christlichen Minderheit im Norden Indiens. Deshalb hat die Diözese Amritsar auch in diesem Sommer zu einer Friedensfahrt mit dem Motorrad eingeladen. Mit dabei war Peter Noss, Referent für Ökumene im Evangelischen Dekanat Wetterau, das seit vielen Jahren eine Partnerschaft mit den Christen der Diözese pflegt.

Zwei Frauen, einundvierzig Männer, in der Mitte der Bischof und seine Frau: alle tragen blaue T-Shirts und Kappen mit dem Schriftzug „Ride for Peace“ und dem Logo der Diözese Amritsar der Church of North-India (CNI). Sie sitzen bei brütender Hitze um 45 Grad auf den Motorrädern, stehen in der Gruppe zusammen und freuen sich auf den Start ins Abenteuer.

Es ist bereits die fünfte Friedensfahrt, die Bischof Pradep Kumar Samantaroy in den vergangenen zehn Jahren initiiert hat: Sie verbindet die Visitation von Gemeinden, Schulen und anderen kirchlichen Projekten mit dem Wunsch nach Frieden für die heterogene indische Gesellschaft. Dieser ist gefährdet durch das tief verwurzelte Kastenwesen, durch einen erstarkenden Hindu-Nationalismus unter der aktuellen Regierung Modi, durch Gewalt gegen Minderheiten und gegenüber Frauen.

2.000 Kilometer legen die „Peacerider“ während der Tour auf den indischen Royal-Enfield-Maschinen zurück. Nach dem Start in Amritsar an der pakistanischen Grenze geht die Fahrt hoch ins Himalaya-Gebirge über den zweithöchsten Pass der Welt.

Ungewöhnlich ist diese Reise allemal: 2?000 Kilometer auf den Einzylindermaschinen der Marke „Royal Enfield“ aus der Hitze der Metropole Amritsar nahe der pakistanischen Grenze bis hinauf nach Leh im Ladakh. Der Weg in diese Stadt, eine der höchstgelegensten dauerhaft bewohnten Städte der Welt im Himalaya-Gebirge der Kaschmirregion, führt über den zweithöchsten Pass der Welt (Taglang La) dessen Scheitelpunkt bei 5?320 Metern liegt.

Ursprünglich sollte die Reiseroute weiter westlich verlaufen, was aber aufgrund der angespannten Lage nicht möglich ist: Immer wieder kommt es in diesem Teil der mehrheitlich muslimisch geprägten Region zu Übergriffen auf religiöse Minderheiten, so auch auf christliche Schulen, die deshalb zeitweise geschlossen werde mussten – auch wirtschaftlich ein Problem.

Angespannte Lage

Auf der alternativen Strecke über Palampur, Manali und Keylong wird die ebenfalls angespannte Situation im Kaschmir greifbar: riesige militärische Anlagen, häufige Kontrollen und Checkpoints, lange Militärkonvois.

Der „Goldene Tempel“ in Amritsar ist ein zentraler Ort für die Sikhs, andere Regionen sind vom Buddhismus geprägt, dessen Klöster sich nicht um Nachwuchs sorgen müssen. Doch das Miteinander der Religionen ist nicht immer friedlich. Indiens Gesellschaft ist

Der Auftakt mit Gästen aus Politik und Ökumene findet in der Millionen-Stadt Amritsar statt. Hier befindet sich nicht nur der Sitz der Diözese der CNI (Church of North-India), sondern auch das Zentrum der Sikh-Religion, der „Golden Temple“. Mohinder Singh, Mitglied der Sikh-Gemeinschaft und Bürochef des Bischofs, beteiligt sich jeden Montag am Bibelstudium der Mitarbeiterrunde. Kein Problem sagt er, denn er ist der Ansicht, dass es inhaltlich kaum Unterschiede gibt – in beiden Religionen stehen Friedensabsicht und der Respekt vor dem Fremden im Mittelpunkt. Dem gut besuchten Gottesdienst am Sonntag in der St.Pauls-Church folgt ein erster Motorradcorso auf der Prachtstraße und am Montag eine öffentliche Segenszeremonie. Die Medien berichten ausführlich, auch von den nächsten Stationen. Bis hinauf nach Manali, einem Touristenort am Fuße des riesigen Gebirges, sind die Straßen gut ausgebaut. Gefahren lauern für die 25 Motorradfahrer und die drei Begleitfahrzeuge vor allem durch den chaotischen Verkehr, asphaltgraue Kühe, wilde Hunde und die engen Kurven. Fast jeder LKW trägt den Schriftzug „blow horn“, manches waghalsige Überholmanöver ist unvermeidbar. In Manali betreibt die Kirche ein Krankenhaus und eine Schule für knapp tausend Schülerinnen und Schüler. Die christlichen Kinder sind in der Minderheit. Aber selbstverständlich werden an jedem Tag zum Morgengebet christliche Lieder gesungen und das Vaterunser gesprochen. Das gilt auch für die Schulen im Kaschmir, die wegen ihres hohen Bildungsstandards bei Familien aller Religionen sehr beliebt sind.

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Für den Abend sind Vertreter der Religionen zum Gespräch über den Frieden eingeladen: Der Imam ist da, drei Mönche aus dem buddhistischen Kloster, der Hindu-Priester und ein Sikh-Geistlicher. Alle rufen dazu auf, das Miteinander zu festigen. Die Mission des Bischofs zeigt Wirkung – und zwar positiv. Der Wille zur Verständigung ist offensichtlich da. Auch die Gäste aus den Dekanaten Wetterau und Gießen, die seit dreißig Jahren mit den Christen im Norden Indiens verbunden sind, haben das Gefühl, das Richtige zu tun. Neben dem Autor dieses Textes, dem regionalen Beauftragten für diese Partnerschaft, sind dabei Dekan Volkhard Guth, Detlev Knoche, der Leiter des Zentrums Ökumene und der Architekt Matthias Federle.

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Riesiges Gebirge

Die Fahrt hinauf in das riesige Gebirge ist körperlich anstrengend, die Passstraßen sind permanente Baustellen. Das geologisch noch relativ junge Gebirge arbeitet. Im Winter liegt alles unter einer hohen Schneedecke. An den zahlreichen Baustellen begegnet die Gruppe Dalit-Familien, die als Kastenlose am unteren Rand der Gesellschaft stehen. Für Hungerlöhne zertrümmern sie große Felsbrocken mit Hacken und Hämmern. Wer ihnen zuwinkt, bekommt ein Lächeln geschenkt. Die Herausforderungen der Tour schweißen die Teilnehmer zusammen. Man hilft sich gegenseitig, spricht sich Mut zu. Wer nicht mehr weiter kann, findet im Begleitfahrzeug einen Ersatzmann und ruht sich aus. Gespräche über die Familie, Träume, Lebensziele – viel näher kann man sich in so kurzer Zeit nicht kommen. An überfluteten Abschnitten werden gemeinsam Lösungen gesucht, auch mit den vielen anderen, die auf dem Motorrad unterwegs sind. Die Strecke ist ein Lebenstraum für viele junge Inder. Sie sind genauso begeistert wie die Friedensfahrer und hören interessiert zu, wenn ihnen die christlichen Biker von der Idee der Friedensfahrt erzählen.

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In Leh, in der Stadt auf der Hochebene, sind die braunen Felsen und die Klöster mit bunten Gebetsfahnen geschmückt. Der Buddhismus ist prägend, die Klöster bewohnt, es gibt Nachwuchs. Am Sonntag dann Gottesdienst der Herrenhuter Gemeinde. Es gibt sie seit dem 19. Jahrhundert, vor kurzem hat sie sich gespalten, die Gründe bleiben unklar. Während in der neu gebauten Kirche die Fröhlichkeit abhanden gekommen scheint, geht es nebenan hoch her, es wird gebetet und gesungen, die Motoradfahrer machen begeistert mit und fühlen sich willkommen.

Dabei ist die Lage der Christen, die nur knapp drei Prozent der Bevölkerung ausmachen, alles andere als rosig. In einem offenen Brief an die Kirchenführer des Landes mahnten kürzlich über hundert namhafte Mitglieder unterschiedlichster Kirchen aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung: „Wir als indische Christen machen uns Sorgen über die stetige Veränderung unseres Landes von einem pluralistischen, säkularen, demokratischen hin zu einem Hindu Rashtra“, einer Hindu-Nation. Anzeichen dafür seien: Lynchjustiz auf offener Straße, Schautribunale oder die Opferbeschimpfung, dazu die allgemeine Sprachlosigkeit, Fake News: „Die von Euch geführte Kirche muss handeln, bevor es zu spät ist“, schreiben sie. Der Bischof und seine cni wagen die geforderten ersten Schritte und treten mit ihrer Botschaft von notwendigem Frieden und Verständigung an die Öffentlichkeit. Es ist ein Beitrag zur Öffentlichen Theologie in Indien.

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Nach zwei Wochen kehren die Peacerider zurück nach Amritsar. Vor dem großen Abschlussgottesdienst waschen sich alle den Dreck der Straße vom Gesicht, ziehen mit ihren blauen T-Shirts in die Kirche ein. Bei der Predigt sehen sie Gesichter voller Zuversicht, auch bei den Vertretern aus dem regionalen Parlament. Das Engagement für den Frieden wird Früchte tragen, da sind sie sich sicher.

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Peter Noss (Text und Fotos)

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