Wohnen unterm Sternenzelt

Das Ehepaar Hüßner lebt in einer ehemaligen Synagoge
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Vor der Nazizeit gab es in Deutschland Schätzungen zufolge rund 2800 jüdische Synagogen und Betstuben. Ein Großteil wurde in der Reichspogromnacht 1938 zerstört. Die Synagoge im unterfränkischen Wiesenbronn hat das Wüten unbeschadet überstanden. Heute wohnen hier Michaela und Reinhard Hüßner. Sie haben die Geschichte der Synagoge aufgearbeitet. Barbara Schneider hat sie besucht.

Reinhard Hüßner hat es sich in seinem Wohnzimmersessel gemütlich gemacht und schaut hinauf zu den Sternen. Die funkeln nicht am Himmel, sondern an der Zimmerdecke. Denn dort, wo Reinhard Hüßner heute die Zeitung liest oder ein Glas Wein trinkt, war früher ein jüdischer Gebetsraum mit einer farbenprächtig bemalten Decke. Zwölf Jahre ist es her, dass der heute 59-Jährige zusammen mit seiner Frau Michaela die alte jüdische Synagoge im unterfränkischen Wiesenbronn gekauft und restauriert hat.

„Wir haben zwanzig Jahre lang ein altes Haus gesucht und irgendwann sahen wir das Schild: „Zu verkaufen“ im Fenster “, erzählt Michaela Hüßner und lacht. Dass sie die alte Synagoge erworben haben, war Zufall, sagt die 53-Jährige. „Es hätte genauso gut ein schönes Fachwerkhaus sein können.“ Im Holzofen knistert das Feuer, alte Truhen und Schränke stehen in dem hohen Raum. Auf einem Schrank liegt ein Schofar, ein aus Widderhorn gefertigtes jüdisches Blasinstrument.

Als die Hüßners das alte Haus kauften, wussten sie noch nicht, welche Schätze es in sich trug. Erst nachdem sie Zwischendecken entfernt hatten, traten die zahlreichen Schmuckelemente und die Schönheit des Raumes wieder zum Vorschein.
Als die Hüßners das alte Haus kauften, wussten sie noch nicht, welche Schätze es in sich trug. Erst nachdem sie Zwischendecken entfernt hatten, traten die zahlreichen Schmuckelemente und die Schönheit des Raumes wieder zum Vorschein.

Reinhard Hüßner hat früher einmal Winzer gelernt, später dann die Laufbahn eines Verwaltungsbeamten eingeschlagen. Inzwischen leitet er das Kirchenburgmuseum Mönchsontheim, ein Bauern- und Handwerker-Museum, das - wie es der Name schon sagt - sich den Kirchenburgen in Franken, aber auch der mainfränkischen Kultur und dem Weinbau widmet. Hüßner ist ein Sammler und Entdecker, einer der alte Geschichte und Geschichten ausgräbt. Und so wundert es wenig, dass er und seine Frau sich der alten Synagoge in Wiesenbronn verschrieben haben.

Als Michaela und Reinhard Hüßner 2005 das klassizistische Sandsteingebäude gekauft haben, war kaum zu erkennen, dass es eine ehemalige Synagoge ist. Die Mikwe, also das rituelle Bad, war zugeschüttet. Der Raum darüber zum Bad ausgebaut und mit türkisen Kacheln gefliest. Die Vorbesitzer hatten Wände, Treppen und Zwischendecken in das Haus eingebaut. Die Geschichte des jüdischen Gotteshauses war im wahrsten Sinne des Wortes verschüttet. Reinhard und Michaela Hüßner haben sie zusammen mit Archäologen, Denkmalschützern, Geologen und Restauratoren wieder ausgegraben - und damit nicht nur die Geschichte der Synagoge, sondern auch die Geschichte der Juden in Wiesenbronn in Erinnerung gerufen.

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Diese konnte Hüßner bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen, 1715 sind erstmals jüdische Ortsbewohner erwähnt. Die Synagoge wurde 1793 eingeweiht - im Obergeschoss des zweistöckigen Hauses versammelte sich damals die jüdische Gemeinde zum Gebet, im Erdgeschoss war eine Wohnung. „Am Anfang wohnte hier der Rabbiner, später war es ein Armenhaus, eine Art Sozialwohnung für sechs bis sieben arme jüdische Einwohner“, erzählt Hüßner. Im 19. Jahrhundert erlebte das jüdische Leben in Wiesenbronn eine Blüte. Danach allerdings schrumpft die jüdische Gemeinde. Hüßner zeigt auf eine Statistik, in der er die jüdischen Einwohner des Ortes aufgeschlüsselt hat. 1817 gab es in dem Dorf 123 Juden, 1925 waren es noch 27 jüdische Männer, Frauen und Kinder. Ein Teil der jüdischen Bevölkerung emigrierte in den 30er Jahren, die drei letzten Juden aus Wiesenbronn wurden 1941 deportiert.

Kontakt zu Zeitzeugen

1938 lebten kaum noch Juden in dem unterfränkischen Dorf, erzählt Hüßner. Schon vor der Reichspogromnacht, bei der auch in Wiesenbronn jüdische Geschäfte zerstört wurden, hatte sich die jüdische Gemeinde aufgelöst. Das hatte vor allem einen Grund: „Damit ein jüdischer Gottesdienst gehalten werden kann, müssen zehn religionsmündige Männer zusammenkommen.“ Die gab es zu diesem Zeitpunkt in dem Ort schon nicht mehr. Das Synagogen-Gebäude wurde profaniert, die Kultgegenstände, wie etwa die silbernen Toraschilder, gingen in das Zentraldepot des „Verbandes Bayerischer Israelitischer Gemeinden“ nach München. Im Juni 1938 kaufte ein Schumacher aus der Nachbarschaft das Gebäude. „Die Frau des Schusters hatte jahrelang in der Synagoge geputzt“, sagt Hüßner.

Zahlreiche Fundstücke brachte die Renovierung ans Tageslicht. Sie sind nun in einem kleinen Museum im Haus zu besichtigen. Auch die ehemalige Mikwe wurde wieder freigelegt, ebenso die Frauenempore im Gebetsraum.
Zahlreiche Fundstücke brachte die Renovierung ans Tageslicht. Sie sind nun in einem kleinen Museum im Haus zu besichtigen. Auch die ehemalige Mikwe wurde wieder freigelegt, ebenso die Frauenempore im Gebetsraum.

Für Reinhard Hüßner war es wichtig, Kontakt zu den Wiesenbronner Juden, die nach Israel oder in die USA emigriert sind und Holocaust überlebt haben, aufzunehmen. Er reiste nach Kalifornien, schrieb an die Zeitzeugen. Dabei hatte er vor allem ein Ziel: Er wollte herausbekommen, wie das jüdische Leben in dem unterfränkischen Dorf aussah. Und er bekam Antwort. „Gottesdienste wurden an Sabbath und Feiertagen gehalten“, erinnerte sich etwa ein 1938 in die USA ausgewanderter Wiesenbronner in einem Brief. „Der Rabbiner von Kitzingen kam einmal im Jahr und prüfte die Schüler über hebräisch und Geschichte der jüdischen History.“

Alte Techniken

Die Briefe und Kontakte sind es auch, die Hüßner helfen, das Gebäude möglichst detailgetreu zu restaurieren. „Wir wussten nicht, wie es ursprünglich in dem Haus aussah“, sagt Reinhard Hüßner. Nach und nach graben sie die Mikwe aus, entfernen die Zwischendecken, machen die Frauenempore im Gebetsraum wieder sichtbar. Heute führt im Wohnzimmer eine weiße Holztreppe hinauf auf die ehemalige Empore, auf der die jüdischen Frauen während des Gottesdienstes beteten. Dort stehen heute ein Sofa, Fernseher, ein Schreibtisch, aber auch die Klarinette von Michaela Hüßner.

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Reinhard Hüßner steigt die engen Stufen nach oben, setzt sich auf das Sofa. Dann nimmt er einen Stapel Fotografien in die Hand, Aufnahmen vom Umbau des Hauses. „Wichtig war uns vor allem authentisches Material und alte Handwerkstechniken zu verwenden“, sagt er. Die Dielen sind genagelt, das Holz kommt aus den Wäldern der Umgebung. Heute steht das Haus unter Denkmalschutz. Und doch ist die Renovierung nur das eine. Das andere ist es, die Geschichte des Hauses und des Judentums in Wiesenbronn zu dokumentieren. Im Untergeschoß - in der ehemaligen Rabbiner-Wohnung - haben Michaela und Reinhard Hüßner deshalb eine kleine Ausstellung eingerichtet.

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Eine Schautafel erzählt die Geschichte der letzten Bewohnerin der Synagogen-Wohnung, die 1931 gestorben ist. Zu sehen ist aber auch ein jüdisch-deutsches Wörterbuch mit insgesamt 274 Wörtern, das ein Wiesenbronner Bauer um 1870 verfasst hat. Auch die Mikwe mit ihrem knapp drei Meter tiefen Tauchbecken kann heute wieder besichtigen werden - immer am letzten Sonntag im Monat.

In mehreren Vitrinen liegen Fundstücke aus dem Haus: Bei ihren Ausgrabungen haben Michaela und Reinhard Hüßner in der Mikwe zwischen Bauschutt einen alten Lederschuh gefunden. „Den hat der Vorbesitzer, der Schuster war, dort entsorgt“, sagt Hüßner. Aber auch einen jüdischen Taschenkalender, Gebetsriemen und Schriften mit dem Gottesnamen Jahwe hat er bei der Restaurierung entdeckt. „Das sind Genisa“, erklärt Hüßner: Jüdische Schriften, die nicht mehr gebraucht wurden oder unbrauchbar geworden waren, wurden in Synagogen an einem geheimen Ort aufbewahrt. In der Synagoge in Wiesenbronn war dieser Ort unter dem Dach. „Dort warf man die Schriften hinauf“, erzählt Reinhard Hüßner. Und dort blieb ein Teil unentdeckt, bis zur Restaurierung.

Heute erstrahlt das Haus in neuem Glanz. Trotzdem forscht Reinhard Hüßner weiter. Noch immer entdeckt er Neues, findet Spuren der Vergangenheit. Spuren, die mitunter älter sind als die Synagoge selbst. Wie die Tonscherben aus dem 14. Jahrhundert, die zur Zeit auf seinem Wohnzimmertisch liegen. Mit Kleber und viel Fingerspitzengefühl setzt er sie zusammen. Irgendwann werden wohl auch diese Fundstücke in einer Vitrine in der Ausstellung zu sehen sein.

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Text: Barbara Schneider / Fotos: Daniel Peter

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