
Oben, auf dem Heiligen Berg, wie der Hügel in Andechs genannt wird, verlässt Pater Valentin die Klausur. Mit schnellen Schritten durchquert er die Wallfahrtskirche, verneigt sich kurz in Richtung Altar und öffnet schließlich das hölzerne Eingangstor. Er tritt nach draußen, die Sonne blendet. Der Pater kneift die Augen zusammen, blinzelt. Dann läuft er auf ein paar Jugendliche zu, die in der Sonne auf einer Steinbank sitzen. Schnell wechselt Pater Valentin ein paar Worte.
Pater Valentin Ziegler, 47 Jahre, kurzes graues Haar, Kinnbärtchen, ist einer von fünf Benediktiner-Mönchen, die heute noch im Kloster Andechs leben. Als Seelsorger betreut er die zahlreichen Wallfahrtsgruppen. Außerdem zelebriert er in den umliegenden Gemeinden die Messe, tauft, beerdigt. Und doch ist das nur die eine Seite. Denn der Name Pater Valentin ist eng mit der Klosterbrauerei verbunden. Lange Jahre war er als Cellerar der Klosterbrauerei für die wirtschaftlichen Belange zuständig. Verwaltung, Personal, Finanzen lagen in seinem Zuständigkeitsbereich. Pater Valentin stammt aus der Pfalz und ist gelernter Weinbauer. Wohl deshalb haben ihm seine Mitbrüder, als er mit Anfang zwanzig ins Kloster eintrat, diese Aufgabe übertragen. „Ich bin vom Wein zum Bier gekommen“, sagt er.

Weltweit ist Andechs heute für sein Bier bekannt. Die Klosterbrauerei in Bayern ist eine der letzten, die von einer Ordensgemeinschaft konzernunabhängig geführt wird. „Wir Mönche bestimmen den grundsätzlichen Lauf in der Brauerei“, sagt Pater Valentin, der das Amt des Cellerars vor einem Jahr an einen Mitbruder abgegeben hat. „Die Brauerei ist eine der wenigen Klosterbrauereien, die nicht ihre Lizenz vergeben haben“, sagt er. „Dort wo Andechs draufsteht, soll auch Andechs drin sein.“ Tradition wird groß geschrieben in dem Dorf nahe des Ammersees.
Um zu verstehen, was der Pater meint, muss man einen Blick in die Geschichte werfen. Andechs ist ein alter Wallfahrtsort, vielleicht der älteste in Bayern. Schon lange bevor die Benediktiner sich auf dem Hügel niederließen, kamen hierher Wallfahrer aus ganz Bayern. Sie pilgerten zu einem Reliquienschatz, den einst die in Andechs ansäßigen Grafen von Andechs-Meranien angesammelt hatten und der nach dem Aussterben des Grafengeschlechts zum Wallfahrtsziel geworden war. 1455 gründete Herzog Albrecht III. von Bayern, genannt der Fromme, dort – wo einst das Grafengeschlecht seine Burg hatte – das Benediktinerkloster.


Und mit den Benediktinern kam auch die Braukunst nach Andechs. Sie brauten, für sich selbst, aber auch, um die Wallfahrer zu versorgen. Das ist – nachdem das Kloster 1803 aufgelöst und 1850 an die von König Ludwig I. gegründete Benediktiner-Abtei St. Bonifaz in München ging – bis heute noch so. Rund 30000 Wallfahrer zählt das Kloster jährlich – Metzgerinnungen kommen ebenso wie Pfarrgemeinden oder einzelne Personen.
Über die Jahre hat sich viel verändert. Bis zum Ersten Weltkrieg lebten rund fünfzig Mönche auf dem Berg, sie brauten Bier, lebten und beteten zusammen. Aber im Krieg zog ein Großteil der Männer an die Front, viele fielen auf den Schlachtfeldern. Davon hat sich das Kloster bis heute nicht erholt. Und doch ist Andechs erfolgreicher denn je und weit über die Grenzen Bayerns bekannt.
Rezept im Rechner
Das Kloster Andechs ist der Wirtschaftsbetrieb der Benediktinerabtei St. Bonifaz in München. Pater Valentin legt großen Wert darauf, dass die Benediktiner nichts mit der gleichnamigen Molkerei in Andechs zu tun haben. Fast 200 Angestellte hat das Kloster heute. Das Kloster hat Tagungsräume und eine eigene Gastronomie mit Biergarten. Zum Kloster gehören aber auch Land- und Forstwirtschaft sowie eine Metzgerei und eben die Brauerei mit rund siebzig Mitarbeitern.

Dort, am Fuße des Heiligen Berges, arbeitet auch Braumeister Alexander Reiss. Er ist der Geschäftsführer der Brauerei, ein Mann mit kräftigen Armen, das Logo von Andechs auf seiner Arbeitsjacke. Er betritt das Sudhaus. In den Sudkesseln wird nach und nach aus Malz, Wasser und später Hopfen die Würze für das Bier gekocht. Das Sudhaus ist das Schaltzentrum der Brauerei. Hier überwacht und kontrolliert ein Mitarbeiter an mehreren Monitoren die Brauabläufe. Anders als zur Zeit der ersten Mönche in Andechs ist Brauen heute keine Handarbeit mehr. „Die Mischverhältnisse der Rezepte, nach denen der Sud gebraut wird, sind auf dem Rechner hinterlegt“, erklärt Reiss.
Reiss ist stolz darauf, dass in Andechs einiges langsamer und nachhaltiger läuft als in anderen Brauereien. Er öffnet den Gärlagerungskeller. Es ist kalt hier zwischen den Bottichen, die bis zu 1000 Hektoliter Bier fassen. Das Bier reift noch im Tank, sechs Wochen lang, erklärt Reiss. Insgesamt werden in Andechs jährlich über 100000 Hektoliter Bier im Jahr produziert. Weißbier, wie das Weizen in Bayern heißt, ebenso wie Export, Helles und Doppelbock.


In Andechs legen sie Wert auf das bayerische Reinheitsgebot, das seit fünfhundert Jahren existiert. „Wir sind sogar noch etwas strikter, als es das heutige Bierrecht auf der Basis des Bayerischen Reinheitsgebotes zulässt“, sagt Reiss. So werde grundsätzlich kein Röstmalz verwendet, um das Bier dunkel zu färben. Auch von den derzeit angesagten Craft-Bieren, die oft in kleinen Brauereien mit viel Experimentierfreude und ungewöhnlichen Rezepturen hergestellt werden, hält man hier nichts. Stattdessen setzt man allein auf die traditionellen, im Reinheitsgebot festgeschriebenen Zutaten: Malz, Hopfen, Wasser. Dazu kommt Hefe. Die Produkte werden regional eingekauft, der Hopfen kommt aus der Hallertau. „Das Benediktinische gibt uns vor, nachhaltig zu sein, vorsichtig zu agieren, nicht irgendwelchen Trends nachzulaufen,“ formuliert es Pater Valentin.
Beliebtes Ausflugsziel
Aber auch in Andechs hat die Moderne Einzug gehalten, nicht nur im Sudhaus. Auch in der Abfüllhalle läuft nahezu alles automatisch. Gerade wird ein helles Weißbier abgefüllt. Roboterarme greifen nach dem Lehrgut, setzen die Flaschen auf das Fließband. Es klackert, während die Flaschen über das Band laufen und nach und nach gereinigt, neu befüllt, verschlossen und etikettiert werden. Nur ab und an stoppt ein Arbeiter das Fließband, füllt den Leim für die Etikettier-Maschine nach oder nimmt eine kaputte Flasche vom Band. 19?740 Flaschen pro Stunde laufen hier durch die Produktion, verrät die digitale Anzeigetafel.


Inzwischen ist es Mittag geworden. Während in der Brauerei Flasche um Flasche vom Band läuft, wird oben auf dem Berg das Bier ausgeschänkt. Andechs ist ein beliebtes Ausflugsziel für Touristen. Zwischen 800000 und einer Millionen Menschen, schätzt Pater Valentin, kommen Jahr für Jahr hierher, um das Kloster zu besichtigen und im Klosterstübl das ein oder andere Bier zu trinken. Auf dem Parkplatz unterhalb des Klosters stehen auch an einem gewöhnlichen Mittwoch viele Busse und Autos. Der Biergarten des Klosters ist gut besucht. Auf den Tellern dampft die gegrillte Haxe und der Leberkäs‘. Es gibt Brez‘n und Obazda. Und kaum einer, der nicht das Bier der Mönche probiert. Auch die vielen Touristen, die mit dem Auto unterwegs sind, können mittlerweile ausgiebig kosten. Denn seit März gibt es das Andechser auch alkoholfrei.


Barbara Schneider (Text) / Michael McKee (Fotos)
Barbara Schneider
Barbara Schneider ist Journalistin. Sie lebt in München.