Quer durch Misr al Qadima

Ein Besuch des christlichen Viertels in Kairo
Die "hängende Kirche" der Kopten in Kairo.
Die "hängende Kirche" der Kopten in Kairo.
In Kairos Altstadt pulsiert das Leben – auch am Sonntag. Die Journalistin Gundula Madeleine Tegtmeyer erlebt Irrungen und Wirrungen im Viertel der Christen, die sich in Ägypten Kopten nennen.

Es ist Sonntagvormittag, und ich bin auf dem Weg nach Misr al Qadima, nach Alt-Kairo, um Mervet Megalli, den Direktor des Koptischen Museums, zu treffen. Der Verkehr ist chaotisch, der Verkehr ist immer chaotisch in Umm Ad-Dunya, in der „Mutter der Welt“, wie die Ägypter ihre Hauptstadt stolz nennen. In ihr leben etwa 23 Millionen Einwohner und vermutlich doppelt so viele Katzen. Genaueres weiß man nicht.

Genau das gilt auch für die Zahl der Christen in Ägypten, die sich Kopten nennen (von griechisch aegyptoi – Ägypter). „Kopte“ bekam erst im Laufe der Zeit die Bedeutung „ägyptischer Christ“. Die Kopten gelten als die Ureinwohner des Landes. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung variiert stark, je nachdem, wen man fragt und welche Interessen jeweils mit den Zahlenangaben einhergehen. Sechs bis zehn Prozent der Bevölkerung vielleicht, also fünf bis acht Millionen Menschen? Aber das ist auch nur so ein Richtwert.

Nach einer halsbrecherischen Fahrt mit einem genervten Taxifahrer erreiche ich Misr al-Qadima, das sogenannte Koptische Kairo in der historischen Altstadt. Im vierten Jahrhundert wurde hier die erste Kirche der Stadt gebaut, die Al-Muallaqa, zu Deutsch, „die Hängende“. Heute zeugen noch zwei kreisrunde Türme, teilweise rekonstruiert, vom Eingang der einst mächtigen römischen Festung.

Straßenszenen im koptischen Viertel.
Straßenszenen im koptischen Viertel.

Bevor ich das koptische Viertel betreten darf, muss ich eine Sicherheitskontrolle passieren und noch eine weitere am Koptischen Museum. Die Sicherheitskräfte lassen sich Zeit. Um den Prozess etwas zu beschleunigen, erkläre ich, dass ich einen Termin mit Mervet Megalli habe und bitte die Männer, ihn oder seine Sekretärin zu informieren, dass ich nun da sei.

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. Ich ernte verwunderte Blicke: „Heute?“ – Ich nicke. – „ Bist Du sicher?“ – „ Ja“. „Mish mumkin“, „das kann nicht sein“, höre ich die Männer murmeln. Es wird telefoniert, viel telefoniert. Ich ahne nichts Gutes und richtig: Direktor Megali ist in den Ferien und das, obwohl mir gestern der Termin durch die Sekretärin, eine Nadja, noch bestätigt worden war. Ratloses Achselzucken, der Direktor habe keine Sekretärin namens Nadja.

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Fahrhad, Magda und Shafi sind als Obdachlose auf dem Kairoer Nordfriedhof gestrandet und laden Fremde freundlich zum Tee ein.

Enttäuscht will ich mich zum Gehen wenden, da betritt eine Frau das Büro. Es ist „meine Nadja“, aber sie ist nicht die Sekretärin des Museumsdirektors. Sie arbeitet im Souvenirladen und hat mit ihrem gestrigen Versprechen nach einem Treffen mit dem Direktor sichtlich ihre Kompetenzen überschritten, denn sie hat keinerlei Einblick in den Terminkalender des Direktors. Nun plagt sie ein schlechtes Gewissen, und sie lädt mich in ihren Andenkenshop ein.

Eine Sieben-Tage-Woche

Bei einem starken schwarzen Tee erzählt Nadja, dass sie jeden Sonntag um sechs Uhr morgens in den Gottesdienst geht und erst danach frühstückt, da Kopten gemäß der Tradition nüchtern zur Messe gehen. Sie habe eine Sieben-Tage-Woche, aber sie wolle sich nicht beklagen, sondern sei vielmehr dankbar, in diesen Zeiten Arbeit zu haben. Wir sprechen über Alltagssorgen und das Zusammenleben mit Muslimen. Nadja beteuert, das Verhältnis zu den Muslimen sei gut. Über die große Politik sprechen wir nicht. Bei dem Thema fühlt sie sich merklich unwohl. Bevor ich weiterziehe, muss ich Nadja versprechen, sie vor der Abreise aus Ägypten nochmal im Geschäft zu besuchen.

Nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten erstrahlt das Museum außen wie innen in neuem Glanz. Das Koptische Museum Kairo führt durch die wechselreiche Geschichte der ägyptischen Christen und beherbergt Meisterstücke christlicher Kunst.

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Der Engel der Familie Ghesry.

Nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten erstrahlt das Museum außen wie innen in neuem Glanz. Das Koptische Museum Kairo führt durch die wechselreiche Geschichte der ägyptischen Christen und beherbergt Meisterstücke christlicher Kunst.

Zu den charakteristischsten koptischen Erzeugnissen gehören Textilien. Sie liefern wichtige Informationen über das Alltagsleben der Kopten, soziale Klassen innerhalb der Gemeinden. Bemerkenswerte Exponate und Schautafeln erläutern das Mönchstum und das Klosterleben. Bei meinem Rundgang treffe ich auf muslimische Mädchen. Sie sind schnell an ihren Kopftüchern auszumachen, wohingegen Christinnen unverschleiert sind.

Als ich mich im Innenhof erhole, winkt mich kleines Mädchen zu sich und kommt über den Hof auf mich zugelaufen. Ihre Mutter lässt sie gewähren. Sie ist kess und fragt mir Löcher in den Bauch. Ägyptische Kinder kennen keine Berührungsängste. Das Mädchen zeigt mir ihr eintätowiertes Kreuz, dass Kopten meist innen am Handgelenk tragen. Bevor sich unsere Wege trennen besteht die Kleine auf ein Foto mit mir, worauf ihre Mutter das Handy zückt. Die Hitze macht allen zu schaffen.

Unüberhörbares Kichern

Dann beginne meine Erkundungstour durch das Koptische Viertel mit dem Museum, dass bereits 1908 von Marcus Simaika Pasha gegründet wurde. Als erstes erreiche ich die „Hängende Kirche“. Pfarrer Abu Kerolous nimmt sich spontan Zeit für mich und erzählt über die Kirche, die der Jungfrau Maria gewidmet ist. Ihr Name „die Hängende“ rührt daher, dass das Gotteshaus über eine der Bastionen der Römischen Festung Babylon gebaut wurde. Der Kirchenboden schwebt frei mehrere Meter über dem Straßenniveau. Wir steigen die steile Treppe hoch und gehen an einer Galerie von Fotografien vorbei.

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Heilige auch im letzten Winkel – Impressionen vom Kairoer Nordfriedhof.

Sie zeigen koptische Päpste und Priester. Auch auf der gegenüberliegenden Wand reiht sich ein Foto an das andere. Sie zeigen koptische Würdenträger bei Audienzen mit den ägyptischen Präsidenten Nasser, Sadat, Mubarak und Mursi. Das letzte Foto in der Reihe zeigt den amtierenden koptischen Papst Tawadros I. mit Abdel Fattah el-Sisi, dem gegenwärtigen Präsidenten. Pfarrer Abu Kerolous erzählt, dass el-Sisi bislang der einzige ägyptische Präsident sei, der eine koptische Kirche besucht habe.

Das laute Kichern in der Kirche ist nicht zu überhören. Eine Gruppe muslimischer Mädchen ist ausgelassen und macht unzählige Selfies. Die wenigen Touristen stören sich daran, finden es pietätlos. Die koptischen Kirchenbesucher hingegen nehmen es gelassen hin. Auf meinem Weg weiter in das koptische Viertel mache ich einen Abstecher in die griechisch-orthodoxe Mar Girgis, die St. Georgs-Kirche. Der sonntägliche Gottesdienst ist längst vorbei, aber es halten sich noch immer sehr viele Menschen in der Kirche auf.

Die Stimmung ist fröhlich, fast ausgelassen. Während die einen im Gebet versunken sind, toben Kinder durch die Gegend, Familien und Freunde stehen in Gruppen zusammen. Es wird viel gelacht. Nach nur wenigen Minuten ist die Ausländerin entdeckt und im Nu von Kindern und Erwachsenen umringt. Alle reden gleichzeitig, jeder hat Fragen. Das war beim vorigen Aufenthalt in Kairo im April 2012 anders. Damals überwogen ernste und besorgte Mienen, wie es mit der Revolution weitergehen wird, was die Zukunft bringen wird. Zu Ausländern wurde meist Abstand gehalten. Diesmal will jeder ein Foto mit mir. Zurück auf der Straße folge ich dem Menschenstrom. Weiter geht es in das koptische Nonnenkloster des Heiligen Georg, wo ich Zeugin einer Entrückung werde: Gegen eine kleine Spende durfte eine junge Afrikanerin eine Reliquie des Heiligen Georg berühren. Kurz darauf gibt sie unverständliche Laute von sich, sinkt zu Boden und ist nicht mehr ansprechbar. Auf die besorgte Frage, ob ich erste Hilfe leisten soll, bedeutet mir die Nonne mit einem strengen Blick und einer eindeutigen Geste, dass ich mich nicht von der Stelle rühren soll. Für alle Umstehenden ist offensichtlich, dass ich keine Ahnung von diesen Dingen habe. Und siehe, nach einigen Minuten kommt die Afrikanerin langsam wieder zu sich.

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Koptenpapst Schenuda III. mit dem damaligen Staatspräsidenten Mubarak.
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„Bitte nicht böse sein!“ – Nadja im Souvenirladen des Museums.

Ich bin erleichtert und gehe einen Raum weiter. Dort begegne ich einem jungen Pärchen. Er trägt seit Stunden das Baby auf dem Arm. Beide lächeln mir zu. Von ihm erfahre ich, dass die Kopten sonntags eine regelrechte Kirchentournee durch ihr Viertel machen. Jede Reliquie, jede Ikone wird besucht und berührt, unterbrochen von Erfrischungspausen an Kiosken. Wir gehen zusammen durch die engen Gassen in die Kirche des Heiligen Sergius und der Heiligen Barbara. Dann trennen sich unsere Wege, denn mein Ziel ist der koptische Friedhof. Einige Grabstätten sind stark vernachlässigt, und andere werden offensichtlich regelmäßig gepflegt. Und ein Ehepaar wäscht inmitten der Toten seinen Wagen.

An einem prächtigen Mausoleum suchen zwei Männer und eine Frau im Schatten Schutz vor Sonne und Hitze. Sie lächeln mich an „itfadali“ – „bitte sehr“, sie deuten auf den frisch gekochten Tee. Ich nehme die Einladung dankend an. Magda, Fahrhad und Shafi sind die Lebenden zwischen den Toten. Wie viele tausend andere Ägypter, die auf dem Nordfriedhof gestrandet sind, ist der koptische Friedhof ihr Zuhause geworden. In Schichtdiensten bewachen sie die Ruhe der Toten.

Am Abreisetag fahre ich noch einmal die lange Strecke nach Misr al Qadima heraus, um mich von Nadja zu verabschieden. Mein Ärger über den geplatzten Termin mit dem Museumsdirektor ist längst verflogen. Zur Erinnerung an unsere Begegnung, wie kann es auch anders sein, macht ihre Kollegin Fotos von uns. Ich werde Mervet Megalli, den Direktor des Koptischen Museums, ein anderes Mal treffen, inshallah, so Gott oder eine richtige Sekretärin es wollen.

Gundula Madeleine Tegtmeyer (Text und Fotos)

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