Sehnsucht nach dem Reich Gottes

Im zeitzeichen-Gespräch zieht der scheidende EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider Bilanz einer Amtszeit, die ungewöhnlich begonnen hat und nun früher enden muss
Foto: Rolf Zöllner
Foto: Rolf Zöllner
Überraschend musste er 2010 Vorsitzender des Rates der EKD werden, als Margot Käßmann zurücktrat. Nun gibt Nikolaus Schneider das Amt ein Jahr früher auf, um seiner kranken Frau Anne beizustehen. Im Gespräch mit zeitzeichen zieht der 67-Jährige ein Fazit seiner Zeit an der Spitze der EKD.

Am Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte befindet sich seit 1999 die Dependance der Evangelischen Kirche in Deutschland in der Bundeshauptstadt - direkt gegenüber von der Französischen Friedrichstadtkirche, in der im Sommer immer der Johannisempfang der EKD stattfindet. In dem Haus Charlottenstraße 53/54 befindet sich im obersten fünften Stockwerk die Evangelische Akademie Berlin und in den übrigen Stockwerken die Dienststelle des Bevollmächtigten der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Im dritten Stock hat der Vorsitzende des Rates der EKD sein Büro in Berlin, direkt neben der EKD- Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017, Margot Käßmann, der Vorgängerin von Nikolaus Schneider im Amt des Ratsvorsitzenden. Dass Schneider 2010 Käßmann nachfolgte, kam überraschend.

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zeitzeichen: Herr Schneider, was haben Sie gedacht, als in den dramatischen Stunden des Rücktritts von Margot Käßmann am 24. Februar 2010 plötzlich das Amt des Ratsvorsitzenden auf Sie zukam?

Nikolaus Schneider: Der erste Gedanke war mein Bedauern über den Rücktritt, denn ich hätte gerne in der bestehenden Konstellation weitergemacht mit Margot Käßmann als Vorsitzender des Rates und mir als ihrem Stellvertreter. Gerne hätte ich auch - so war es ursprünglich gedacht - das Zusammenwachsen des Diakonischen Werkes der EKD mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst im Detail weiter begleitet. Aber mir wurde schnell klar, dass ich mich der neuen Aufgabe stellen wollte. Es war eine ermutigende Erfahrung, wie viel Vertrauen mir aus der Mitte des Rates und vom damaligen Präsidenten des EKD-Kirchenamtes Hermann Barth entgegen kam. Das erleichterte mir die Arbeit in den folgenden Monaten sehr. Und die große Bestätigung auf der Synode im November 2010 hat mich gestärkt.

Muss man als Ratsvorsitzender vorsichtiger sein? Lernt man, seine Zunge stärker im Zaum zu halten, wenn man in so einem Amt ist?

Nikolaus Schneider: Mir wurde in besonderer Weise bewusst, dass meine Stimme als Stimme der EKD und aller ihrer Gliedkirchen wahrgenommen wird. Das zog schon eine andere Art von Anspannung nach sich.

Nun geht Ihre Amtszeit zu Ende. Bereits im März 2013 sind Sie aus dem Amt als leitender Geistlicher der Evangelischen Kirche im Rheinland ausgeschieden. Sie waren jetzt mehr als anderthalb Jahre Ratsvorsitzender ohne gleichzeitig leitender Geistlicher einer EKD-Gliedkirche zu sein. Wie sind Ihre Erfahrungen? Wäre es nicht angebracht das Amt des EKD-Ratsvorsitzenden auch in Zukunft hauptamtlich zu besetzen?

Nikolaus Schneider: Die Hauptamtlichkeit des Ratsvorsitzenden wäre mit der gegenwärtigen Struktur der EKD nicht vereinbar. Die EKD wird von den Gliedkirchen getragen und nimmt ihre Aufgaben im Auftrage der Gliedkirchen wahr. Das Amt des Ratsvorsitzenden ist dabei als ehrenamtliche Aufgabe konzipiert. Er ist auf ein hohes Maß an Zuarbeit aus dem EKD-Kirchenamt gewiesen.

Die unterstützenden Strukturen könnten doch geändert werden, oder?

Nikolaus Schneider: Sicher, aber entscheidend ist doch die Aufgabenstellung der EKD. In der Öffentlichkeit wird im Übrigen weniger über die Hauptamtlichkeit des Ratsvorsitzenden diskutiert, sondern darüber, ob dieses Amt nicht mehr kirchenpolitisches und auch geistliches Gewicht haben müsste.

In der Öffentlichkeit wird der EKD-Ratsvorsitzende eben als oberster Protestant in Deutschland wahrgenommen. Wenn Sie in einer Talkshow sitzen, sind Sie der Chef der EKD. Wäre es nicht sinnvoll, dass sich die öffentliche Wahrnehmung und die Realität des Amtes annähern?

Nikolaus Schneider: Ich verstehe mich als der erste Sprecher und sehe die "Machtfrage" ziemlich entspannt. Ich komme ja aus einer kirchlichen Tradition, in der die Mitbestimmung der Basis, also der Gemeinden und Synoden, sehr wichtig ist. Dieser Dienstcharakter aller anderen kirchlichen Strukturen auf die Basis hin hat mich geprägt. Das ist ja durchaus vergleichbar zu dem Verhältnis der EKD zu ihren Gliedkirchen, und es hat mir keine große Mühe gemacht, in diesem Geiste das Amt auszuüben. Natürlich wurde ich häufig mit dem Anspruch angefragt, wir wollen hören, was sagt die Evangelische Kirche. Diese Erwartungen zu korrigieren und auch zu enttäuschen, bleibt eine ständige Herausforderung. Ich bin aber davon überzeugt, dass unsere von der Basis her bestimmten Strukturen ihren guten theologischen Sinn haben. Wir sollten sie also nicht allein an der öffentlichen Wirksamkeit orientieren, unsere Strukturen müssen vielmehr der inneren Logik unserer Kirche entsprechen.

Sollen sich die Strukturen ändern, oder soll alles so bleiben, wie es ist?

Nikolaus Schneider: Ich würde schon begrüßen, wenn es gelänge, die Kirchlichkeit der EKD in stärkerer Weise zu beschreiben und zum Ausdruck zu bringen. Das wird aber nicht notwendigerweise dazu führen, dass man einen hauptamtlichen Ratsvorsitz braucht.

Abgesehen von Struktur und Anspruch der EKD und ihrer Gliedkirchen: Ist das Amt des Ratsvorsitzenden, wie es jetzt ist, nicht eine ungeheure Belastung für einen Menschen, der sowohl eine große Gliedkirche zu leiten und auch noch das "Ehrenamt" des Ratsvorsitzenden wahrzunehmen hat? Ist das eigentlich zu machen?

Nikolaus Schneider: Natürlich ist das einerseits eine große zeitliche Belastung. Andererseits ist die heimatliche Gliedkirche auch eine Entlastung. Da gibt es viele Menschen, die mitdenken und beraten. Die feste Verankerung in einer Gliedkirche bedeutet zugleich eine Erdung des oder der Ratsvorsitzenden. Man bleibt den Menschen an der Basis verbunden - die EKD hat keine unmittelbare gemeindliche Basis. Ich habe die Leitung einer Gliedkirche deshalb als Erleichterung für die Arbeit als Ratsvorsitzender wahrgenommen.

Wie sehen Sie den Stand der Dinge beim Verbindungsmodell zwischen EKD, UEK und VELKD? Glauben Sie, dass es da jetzt auch auf dieser Synode möglicherweise zu einem entscheidenden Durchbruch kommt?

Nikolaus Schneider: Ich hoffe sehr, dass auf der kommenden Tagung der Synode Anfang November in Dresden Grundsätze beschlossen werden, die dann 2015 als Gesetze verabschiedet werden können. Es geht darum, die Grundordnung der EKD so zu verändern, dass das "Kirche Sein" der EKD deutlicher zum Ausdruck kommt! Eine entscheidende Frage ist, wie das künftige Miteinander von UEK, VELKD und EKD beim Zusammenwirken der Leitungsorgane und der Zusammenarbeit der Ämter gestaltet wird. Auch dafür werden wir Grundsätze beschließen. Ich bin zuversichtlich, dass wir auf der Synode entscheidende Schritte weiterkommen!

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Das Thema Krieg und Frieden prägte die Amtszeit von Nikolaus Schneider. Seine Vorgängerin Margot Käßmann war Anfang 2010 mit ihrer Neujahrspredigt und dem Satz "Nichts ist gut in Afghanistan" in die Schlagzeilen geraten. Schneider reiste im Februar 2011 nach Afghanistan und zog die Bilanz: "Es gibt Hoffnung in Afghanistan - aber es ist Hoffnung auf dünnem Eis." In der Diskussion um die Terrorgruppe IS in den vergangenen Monaten plädierte Schneider dann schweren Herzens für Waffenlieferungen an die Kurden Irak - anders als der EKD-Friedensbeauftragte und seine Vorgängerin Margot Käßmann. Auch in Sachen Flüchtlingspolitik setzte Schneider Akzente: Als im Oktober 2013 fast vierhundert Flüchtlinge vor Lampedusa ertranken, forderte der Ratsvorsitzende eindringlich, die Hilfen zu verstärken und sagte: "Sonst droht Europa seine Seele zu verlieren." Einen Monat später besuchte er ein Flüchtlingslager in Jordanien. Zahlreiche Auseinandersetzungen gab es in den vergangenen Jahren auch um das kirchliche Arbeitsrecht.

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Während der EKD-Synode in Magdeburg 2011 gab es eine große Demonstration der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, auf der das "Menschenrecht auf Streik" in diakonischen Betrieben eingefordert wurde. Ein Jahr später kam das Urteil des BAG in Erfurt, das die Kirchen teilweise zumindest fröhlich stimmte. Wie beurteilen Sie die Lage heute?

Nikolaus Schneider: Die Debatte um das kirchliche Arbeitsrecht hat tiefgreifenden Veränderungs-Prozesse in unserer Kirche ausgelöst - sicher nicht nur zum Schaden unserer Kirche. Allerdings hat mich die Form der Auseinandersetzung mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bisweilen befremdet. Da wurden zum Teil überholte antikirchliche Vorurteile geschürt. Das ist sehr bedauerlich, denn eigentlich haben Diakonie, Kirche und ver.di ja gemeinsame Interessen, nämlich, dass Sozialarbeit unter guten Bedingungen im Interesse der Menschen geleistet werden kann. Innerkirchlich habe ich in der ganzen Debatte erlebt, wie schwierig es ist, die verschiedenen Interessen einzelner Werke und Arbeitgeber zusammenzuhalten. Die Situation in den Gliedkirchen und den verschiedenen Diakonischen Werken ist durchaus unterschiedlich. Unser Miteinander wurde und wird dabei immer wieder neu auf den Prüfstand gestellt. Wir durften beim Bundesarbeitsgericht in Erfurt erleben, dass staatskirchenrechtliche Grundpositionen weiterhin Bestand haben. Allerdings haben wir dafür auch Auflagen zu erfüllen. Ich hoffe, dass uns dies auch gelingt.

Hat sich das Verhältnis zu ver.di in den beiden Jahren nach dem Erfurter Urteil geändert? Gibt es eine gemeinsame konstruktive Basis, oder werden immer noch die alten Kämpfe ausgefochten?

Nikolaus Schneider: Es geht nicht um alte Kämpfe. Die Kirche hat gelernt, dass sie viele Werte und Ziele mit den Gewerkschaften teilt. Aber: Ver.di hat sich entschieden, das Urteil von Erfurt vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen. Ver.di hat darüber hinaus ankündigt, notfalls auch auf europäischer Ebene zu prozessieren. Ver.di greift damit uns wichtige, im Grundgesetz verankerte Rechte der Kirchen an. Das macht das Verhältnis zu ver.di grundsätzlich schwierig.

Das im Sommer 2013 veröffentlichte EKD-Familienpapier mit dem Titel "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit" hat der EKD viel Kritik eingetragen und auch intern viel Widerspruch ausgelöst. Wie beurteilen Sie ein gutes Jahr danach das Handeln des Rates und Ihr persönliches Handeln?

Nikolaus Schneider: Das Familienpapier hat die gesellschaftliche Situation Ernst genommen und Orientierungshilfe für die Vielfalt familiären Zusammenlebens in unserer Zeit gewagt. Das Papier gibt auf die Herausforderungen dieser gesellschaftlichen Situation meines Erachtens viele wegweisende Antworten. Nicht hinreichend berücksichtigt haben wir allerdings die Bedeutung theologischer Argumentation. Die theologischen Überlegungen und Gewichtungen in einer kirchlichen Veröffentlichung so stark zurückzustellen, beruhte auf Fehleinschätzungen: Wir wollten unausgesprochen voraussetzen, was der Rat in früheren Schriften theologisch zu Ehe und Familie erarbeitet hatte. Außerdem war der Verzicht auf eine "Institutionen - Ethik" zugunsten einer "Kriterien - Ethik" nicht ausreichend erläutert und begründet. Deshalb hat der Rat folgerichtig die Konsequenz gezogen, die Kammer für Theologie zu bitten, die mit Ehe und Familie verbundenen theologischen Fragen noch einmal sehr grundsätzlich zu bedenken.

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2017 will die EKD ganz groß 500 Jahre Reformation feiern - in Erinnerung an das Symboldatum 31.10.1517, der Tag, an dem Martin Luther angeblich seine 95 Thesen an der Wittenberger Schlosskirche angeschlagen hat. Zur Gestaltung dieses Jubiläums wurde bereits zur Zeit des Ratsvorsitzes von Wolfgang Huber (2003-2009) das "Kuratorium Luther 2017" gegründet, ein gemeinsames Gremium aus evangelischen Kirchen und Vertretern von Bund und Ländern unter Leitung des Ratsvorsitzenden. Es wurde gemeinsam verabredet, auf dem Weg nach 2017 eine Lutherdekade mit Themenjahren durchzuführen. 2015 steht das Thema "Reformation - Bild und Bibel" auf der Agenda. Das Jubiläumsjahr 2017 soll möglichst ökumenisch und unter Einbeziehung vieler Gäste aus aller Welt gefeiert werden. Die Bundesländer haben bereits zugestimmt, dass der 31. Oktober 2017, ein Dienstag, in Deutschland ein Sonderfeiertag sein soll.

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Es sind jetzt noch genau drei Jahre bis zum Jubiläum am 31. Oktober 2017. Sind Sie mit dem Stand der Vorbereitungen EKD-seits zufrieden oder überwiegen die Sorgen?

Nikolaus Schneider: Es gibt vieles, das uns zufrieden sein lässt. Etwa: Der Deutsche Evangelische Kirchentag und der Rat der EKD als Vertreter der verfassten Kirche haben einen gemeinsamen Durchführungsverein für das Jubiläum 2017 gegründet. Das ist kirchenhistorisch durchaus bedeutsam und bisher ohne Beispiel!

Was soll denn vordringlich 2017 gefeiert werden?

Nikolaus Schneider: Wir werden 2017 als ein Christusfest feiern. Wir fragen also an vorderster Stelle danach, worum es Martin Luther und den Reformatoren damals inhaltlich ging: Es ging und es geht um die Zentralität Christi. Es ging und es geht um die Zentralität der Bibel. Das wollen wir auch 2017 stark machen. Wir feiern also nicht die Spaltung der westlichen Kirche und veranstalten auch keinen Personenkult um Martin Luther.

Uns ist ganz wichtig: Wir laden ökumenisch ein. Ein Christusfest eröffnet die Möglichkeit, dass auch andere christliche Kirchen einen Zugang zu dieser Feier finden. Das gilt für die Freikirchen, die ja in der Reformationszeit bisweilen unter Verfolgung und Intoleranz zu leiden hatten, das gilt für die römisch-katholische Kirche, und das gilt für die Orthodoxie. Ich bin sehr glücklich, dass der Ökumenische Patriarch Bartholomäus signalisiert hat, dass er einer Einladung nach Wittenberg folgen würde.

Also alles auf bestem Wege ...?

Nikolaus Schneider: Ich sehe durchaus noch Desiderate bei der Aufarbeitung antijüdischer Ausfälle Luthers und anderer Reformatoren. Ich wünsche mir gemeinsame Projekte im interreligiösen Bereich und ein noch deutlicheres Zugehen auf die Jugend.

Erfreulich ist aber, wie vertrauensvoll Staat und Kirche zusammenarbeiten und trotzdem ihr je eigenes Profil bewahren. Mit dem Europäischen Stationenweg, der Weltausstellung der Reformation in Wittenberg, den Konfi- und Jugendcamps und den Kirchentagen auf dem Weg zum Festgottesdienst in Wittenberg am 28. Mai 2017sind bereits wesentliche Formate klar vorgezeichnet, die das Jahr 2017 bestimmen werden. Insgesamt sind wir also gut unterwegs.

Und die rege Debatte um den EKD-Text "Rechtfertigung und Freiheit" im Sommer dieses Jahres hat mich sehr gefreut!

Wie kann man dem Gegenwartsmenschen, der kirchenfern lebt und dem zum Beispiel das Thema Rechtfertigung aus Glauben nichts mehr sagt, die Sache vermitteln?

Nikolaus Schneider: Die Notwendigkeit einer unverdienten Rechtfertigung begegnet uns allen doch ständig. Etwa angesichts des Leistungsdrucks. Wenn Menschen darauf reduziert werden, was sie können und leisten, können sie daran zerbrechen. Deshalb ist die Botschaft des Evangeliums so lebensfreundlich: Dein Gottvertrauen, und nicht Deine eigene Leistung schenkt Dir Rechtfertigung. Du bist gerechtfertigt, also geliebt und angesehen, weil Du als Mensch ein Geschöpf Gottes bist. Und nicht weil Du schön bist, nicht weil Du stark bist, nicht weil Du klug und effektiv bist. Also ich finde, die Rechtfertigungslehre ist hochaktuell!

Wie beurteilen Sie den heutigen Stand der evangelisch-katholischen Ökumene in Deutschland?

Nikolaus Schneider: Die Ökumene zwischen Protestanten und Katholiken lebt aus einem sehr hohen gegenseitigen Vertrauen. Vieles im Miteinander ist selbstverständlich geworden. Wir sind freundschaftlich verschieden und werden in mancher Hinsicht auch verschieden bleiben. Zum Beispiel in der Frage der kirchlichen Hierarchie. Und ich hoffe, dass es gelingen wird, in Fragen der eucharistischen Gemeinschaft weiterzukommen. Etwa dadurch, dass das gemeinsame Abendmahl in der Taufe gegründet wird. Sie verbindet uns schon jetzt über Konfessionsgrenzen mit einander. Bei allen Kontroversen darf aber nicht unterschätzt werden: Wir haben sehr verbindliche, gute persönliche Beziehungen miteinander. Das gilt auf der Ortsebene in den Gemeinden, aber das gilt auch für das Verhältnis der leitenden Geistlichen, also der Bischöfe zueinander.

Wenn Sie die Ergebnisse der fünften KMU betrachten, was überwiegt: Die Ernüchterung oder die Potenziale?

Nikolaus Schneider: Natürlich die Potentiale! Die jüngste Kirchliche Mitgliedschaftsuntersuchung hat erneut deutlich gemacht, dass das volkskirchliche Modell Zukunft hat - allerdings verbunden mit erheblichen Herausforderungen für unser kirchliches Handeln. Etwa, dass theologische und seelsorgliche Qualität der Amtshandlungen wichtig ist, damit die Menschen sich darin auch wiederfinden und sie als wohltuend erleben.

Deutlich wurde aber auch, wie wichtig unsere Kirche für die Gesellschaft ist. Die Untersuchungen zeigen, dass von Glauben geprägte Menschen in überdurchschnittlicher Weise gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Auch dass die Anzahl derjenigen, die sich mit der Kirche hochverbunden fühlen, zunimmt, ist eine gute Botschaft. Wenn damit allerdings einhergeht, dass die Polarisierung innerhalb unserer Kirche zwischen Hochverbundenen und wenig Verbundenen zunimmt, dann wirft das natürlich auch Fragen auf.

Ein wichtiges Ergebnis der fünften KMU ist, dass der Pfarrer immer noch eine große Bedeutung hat, vielleicht mehr als man dachte. Was heißt das für die Zukunft?

Nikolaus Schneider: Auf der einen Seite müssen Pfarrerinnen und Pfarrer Wertschätzung spüren, auf der anderen Seite müssen wir lernen, mit dem Priestertum aller Getauften konstruktiv umzugehen. Die Spannung zwischen der besonderen Bedeutung des Pfarramts und dem Priestertum aller Getauften darf nicht zu einer Einebnung aller Funktionen im kirchlichen Dienst führen! Statt abfällig von der "Pastorenkirche" zu reden, sollten wir das Amt und den Dienst der Pfarrerinnen und Pfarrer nüchtern als den entscheidenden Kristallisationskern von Gemeinde begreifen.

Was war das schönste und was war das schlimmste Erlebnis in Ihrer Zeit als Ratsvorsitzender?

Nikolaus Schneider: Zu meinen schönsten Erfahrungen gehört das verbindliche und freundschaftliche Miteinander im Rat der EKD über all die Jahre. Wenn ich an Einzelerfahrungen denke, die mich in besonderer Weise bewegt haben, dann fallen mir die kurze intensive Begegnung mit Papst Franziskus, der Besuch von Flüchtlingen in Jordanien und meine Sudanreise ein. Papst Franziskus ist mir in herzlicher, brüderlicher Weise entgegengekommen. Im Eintreten für die Armen, die Flüchtlinge und Benachteiligten wusste ich mich einig mit ihm - ein sehr schönes ökumenisches Erlebnis. Das Flüchtlingselend in Jordanien zu sehen, hat mich tief bewegt. Dieser Besuch hat mich noch einmal in ganz besonderer Weise sensibilisiert für die Flüchtlingspolitik hier in Europa und in unserem Land. Schlimmer noch war der Sudanbesuch im Juni dieses Jahres. Besonders bedrückend war hier erleben zu müssen: Christliche Stämme bekämpfen sich gegenseitig! Dort erweisen sich Stammeszugehörigkeit und die materiellen Interessen als stärker als der gemeinsame christliche Glaube. Das macht mir deutlich: Auch unsere Kirche als Teil der unerlösten Welt bleibt erlösungsbedürftig. Meine Sehnsucht nach dem Reiche Gottes wächst!

Das Gespräch führten Stephan Kosch und Reinhard Mawick am 22. September 2014 in Berlin.

Nikolaus Schneider

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