Den Glauben singen

Starke Entwicklung: Vom Chorprojekt zum Eventveranstalter
Fotos: Creative Kirche
Fotos: Creative Kirche
Die Stiftung Creative Kirche setzt bundesweit neue Maßstäbe für christliche Musik-Events. Zugleich bildet sie eine geistliche Gemeinschaft im westfälischen Witten, wie der Journalist Thomas Krüger bei einem Besuch festgestellt hat

Nur noch 15 Minuten bis zum Auftritt, und Henrieke Kuhn ist die Ruhe selbst: „Kein Kribbeln im Bauch - ich habe einfach nur Lust zu singen.“ Sagt sie und eilt aus dem Backstagebereich nach nebenan. Dort, in der Halle Münsterland, sitzen schon über zweitausend Menschen und warten gespannt auf den Beginn von „Amazing Grace“. Es ist die zehnte große Aufführung des Chormusicals über die Entstehung des legendären Gospelsongs - organisiert und produziert von der Stiftung Creative Kirche.

Die Creative Kirche ist ein einzigartiges Phänomen in der evangelischen Kirche: Aus einem 1993 von zwei Diakonen im Kirchenkreis Hattingen-Witten organisierten Chorprojekt wuchs sie zum großen Musikproduzenten und Eventveranstalter heran. Sie versammelt alle zwei Jahre viele Tausend Menschen zu Gospelkirchentagen und schickt zum Reformationsjubiläum 2017 das Pop-Oratorium „Luther“ auf Deutschland-Tournee durch die großen Hallen. Ihre Kindermusicals wurden über viertausend Male von Kirchengemeinden aufgeführt.

Verglichen mit „Luther“, dessen Premiere 15?000 Zuschauer und 3?000 Choristen am Reformationstag in Dortmund feierten, ist „Amazing Grace“ in Münster noch überschaubar. 800 Chorsänger haben ein halbes Jahr lang dafür geübt und sammeln sich jetzt - alle schwarz gekleidet - auf den Rängen hinter der Bühne. Die 19-jährige Henrieke wurde für den zwölfköpfigen „Small Choir“ ausgewählt: „Wenn es um besondere rhythmische Präzision geht, übernehmen wir das.“

Hinter der Bühne steht nun auch Henry Schmidt auf seinem Platz. Allmählich sammeln sich hier die Musiker des Jungen Orchesters NRW, die Henry gleich als erste auf die Bühne schicken muss. Der 23-Jährige ist Azubi zum Veranstaltungskaufmann und übernimmt bei der Aufführung das „Stage Management“ und die Künstlerbetreuung. Nach der gelungenen Generalprobe am Vorabend gibt er sich gelassen: „Ist ja nicht meine erste Großveranstaltung.“

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Das Licht im Saal erlischt, die Orchestermusiker betreten die Bühne, die Streicher stimmen noch einmal ihre Instrumente. Auf der anderen Seite nimmt die Begleitband mit Schlagzeug, Piano, Bass und Gitarre Platz. Bei den Oratorien und Musicals der Creativen Kirche fließen Klassik und Pop seit vielen Jahren zusammen. „Wir sind überhaupt nicht gegen die klassische Kirchenmusik“, sagt „Crea“-Gründer Ralf Rathmann. „Die Popularmusik ist aber eine notwendige Ergänzung zur Klassik.“ Henry Schmidt hat im Vorfeld des Events die Verbindung mit den Musical-Stars gehalten, die jetzt gleich auftreten werden, hat Zeitpläne geschrieben, Zug- und Flugverbindungen gebucht. Er ist einer von 25 angestellten Mitarbeitern der Creativen Kirche, die darüber hinaus aus einem Reservoir von 150 Ehrenamtlichen schöpfen kann. Alle sind musikbegeistert und die Allermeisten verstehen sich bewusst als Christen - wie auch die Sänger in den Chören. Vor zwei Stunden, nach dem Soundcheck, haben die Achthundert gemeinsam um den Segen für den Auftritt gebetet.

„Glauben singen. Glauben leben.“ Dieses Motto begrüßt den Besucher in den Räumen der Creativen Kirche in Witten. Gestartet als „Synodaler Dienst“ des Kirchenkreises, hat sie längst neue Strukturen als Stiftung und gemeinnützige GmbH bekommen, blieb aber Teil der westfälischen Kirche. Man verstehe sich durchaus als missionarisch, sagt Mitgründer und Co-Geschäftsführer Martin Bartelworth: „Wir möchten den Schatz des Glaubens mit anderen teilen.“

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„Und ökumenisch sind wir auch“, fügt Bartelworth hinzu. Das zeigt sich bei der Zusammensetzung der großen Chöre. So sind zum Beispiel von 3?000 „Luther“-Sängern in Dortmund 700 katholisch. Es zeigt sich aber auch bei den Mitarbeitenden: Henrieke, die gerade ihr Soziales Jahr bei der „Crea“ ableistet, wuchs in einer lutherischen Dorfgemeinde auf, Henry in einer sehr traditionellen freikirchlichen Gemeinde. Stephan Hesse aus Witten nennt sich „richtig katholisch“ - der Architekt hilft ehrenamtlich bei der Organisation der großen Events. Als sein Steckenpferd sieht er jedoch „himmelwärts“, die monatlichen Stadtgottesdienste der Creativen Kirche in Witten: Hier koordiniert er das Bühnenmanagement, den Auf- und Abbau der Technik. „Bei ‚himmelwärts‘ kann ich selber mehr miterleben als bei den Events“, sagt Hesse.

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„Let the praise begin, let the choir sing“, legt die Band los und die Sechshundert im Wittener Saalbau fallen ein. Der „himmelwärts“-Gottesdienst beginnt. Den Sonntag über haben sich Chorsänger aus ganz Nordrhein-Westfalen in Witten getroffen, gemeinsam geübt und Erfahrungen ausgetauscht, und jetzt sind viele noch geblieben. Vor allem Lobpreis-Lieder auf Deutsch und Englisch prägen den Gottesdienst, die Texte werden auf eine Leinwand projiziert.

Immer gute Musik

Das niedrigschwellige Angebot kommt an: Eine Chorsängerin, etwa Mitte vierzig, aus Ahlen zeigt sich begeistert von der Musik, aber auch von der „offenen Form“ bei der Predigt. Sie gehe auch zuhause in die Kirche, aber hier gebe es nicht „bloß abgelesene Texte“. Ein junger Mann aus Essen ist „immer wieder mal dabei“, vor allem, wenn bekannte Christen sprechen, wie etwa Samuel Koch. „Himmelwärts“ ist für ihn „eine Abwechslung zum normalen Gottesdienst: Es gibt immer gute Musik“.

Solche Sätze dürften Rathmann und Bartelworth freuen. Sind sie doch einst angetreten, um „Kirche so zu gestalten, dass wir guten Gewissens auch unsere Freunde einladen können.“ Die Milieuverengung wollten sie aufbrechen - sprachlich, vom Lebensgefühl her, vor allem musikalisch. Der damalige Superintendent stärkte den Initiatoren den Rücken gegen anfängliche Widerstände aus Ortsgemeinden. „Die dachten, wir nehmen ihnen die Leute weg“, erinnert sich Bartelworth. Inzwischen schicken Pfarrer ihre Konfirmanden vorbei und bitten um Beratung bei der Gottesdienstgestaltung.

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Mit ihren Gottesdiensten, Musik-, Kreativ- und Gesprächsangeboten bildete die Creative Kirche von Anfang an auch eine geistliche Gemeinschaft in Witten. 2012 wurde sie von der westfälischen Landeskirche als eigenständige Gemeinde anerkannt. Das Experiment der Bildung einer solchen Personalgemeinde sieht Bartelworth als „Marathon“: 70 Menschen seien binnen drei Jahren beigetreten, „allesamt motivierte Menschen, keine ‚Karteileichen“. Das Gehalt des Pfarrers übernimmt die Landeskirche, sonst finanziert sich die junge Gemeinde allein aus Spenden.

Auch die Stiftung Creative Kirche lebt durch Zuwendungen von Privatleuten, Firmen, Kirchen oder öffentlichen Stellen. Doch sorgen auch Teilnehmerbeiträge, Eintrittsgelder und der Verkauf von CDs und Noten dafür, dass der Laden läuft. Die Entwicklung verlief rasant: Die erste CD-Produktion 1995, das westfälische Pop- und Gospelchorfestival POGO 1998, das erste Chor-Großprojekt „Jesus Celebration“ mit 1?400 Sängern im Jahre 2000. Mit dem ersten Gospelkirchentag 2002 wagten sich die Wittener auf die nordrhein-westfälische Landesebene; und als Bischöfin Margot Käßmann diesen Event 2008 nach Hannover einlud, war das der bundesweite Durchbruch.

Neue Maßstäbe

Mit dem Pop-Oratorium „10 Gebote“ 2010 und dem auch von der EKD unterstützten „Luther“ hat die Creative Kirche neue Maßstäbe für christliche Musik-Events gesetzt. Noch „höher, schneller, weiter“ solle es aber nicht gehen. „Wir wollen nicht noch größere Events, sondern Menschen qualifizieren, die moderne christliche Musik in den Gemeinden verankern“, sagt Ralf Rathmann. Denn die Kritik an mangelndem musikalischem Können von Kirchenbands und flachen Texten von Lobpreis-Liedern sei zum Teil ja berechtigt. „Deswegen haben wir die Gründung der Evangelischen Pop-Akademie angestoßen.“ In diesem Herbst beginnt in Witten der Bachelor-Studiengang „Kirchliche Popularmusik“. Zweites Standbein wird die Aus- und Weiterbildung von Erzieherinnen, Gemeindepädagogen und Ehrenamtlichen sein.

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In der Halle Münsterland geht die bewegende Geschichte um John Newton, den Komponisten von „Amazing Grace“, zu Ende. Jetzt feiern Publikum, Darsteller, Sänger und Mitarbeiter bei einem „Gospel-Medley“ richtig ab. „Das war schon eine Parade-Vorstellung“, sagt Henry hinter der Bühne, „so etwas kann auch anders sein.“ Gerne würde er später mal einen Jugendtreff aufbauen, wo Konzerte und Festivals stattfinden „und Christen auch was für andere tun“. Während das Publikum jetzt „Glad to be in the service“ mitsingt, gehen gelbe „Kollekten-Eimer“ durch die Reihen: Fast 9?000 Euro kommen in den beiden Münsteraner Vorstellungen von „Amazing Grace“ für ein Projekt von „Brot für die Welt“ in Bangladesch zusammen.

Henrieke, die schon als Kind Geige spielen lernte, Gesangsunterricht bekam und später einen Jugendchor leitete, stand nach dem Abitur vor der Frage: selber Musik machen oder Musik organisieren? Das Soziale Jahr bei der Creativen Kirche hat ihr bei der Entscheidung geholfen: „Ich würde gerne an der Pop-Akademie studieren und als Kantorin in der Gemeinde andere für Musik begeistern.“ Vor wenigen Tagen hat sie ihre Bewerbung für den Studienplatz abgegeben.

Information

Der 8. Internationale Gospelkirchentag findet vom 9. bis 11. September in Braunschweig statt. Am 14. Januar 2017 beginnt in Hannover die Deutschland-Tournee des Pop-Oratoriums „Luther“, für die noch Sängerinnen und Sänger gesucht werden.

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Thomas Krüger

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