Die Ankunft auf Faa'a, dem Flughafen von Tahiti, ist vielversprechend. Tropische Wärme und fröhliche Ukulelenklänge empfangen uns. Dazu das Lächeln einer Tänzerin, die sanft ihre Hüften wiegt. Uns wird eine weiße Blüte in den Pass gelegt. Der betörende Duft des Jasmins ist das Einreisevisum für eine paradiesische Inselwelt, über die der Journalist und Abenteurer Axel Thorer schrieb: "Es war der Ort auf Erden, an dem es den Begriff 'zu spät' nicht gab. Das Einzige, was sich dort hastig bewegte, war der Schatten der Palmen im Wind."
Sätze wie diese führen einen hierher. Schon oft haben mich die Gezeiten der Sehnsucht an die Palmenstrände Ozeaniens gespült. Bislang nur im Geiste, doch Reiseträume sind mehr als Schäume. "Die größten Abenteuer", so der Autor vieler Reisebücher Hans H. Krüger, "finden in unserem Kopf statt. Sind wir erwachsen, reisen wir unseren Träumen nach". Genau das ist meine beneidenswerte Situation.
Wir sind zu dritt: Ehefrau Eva erwartet einen Garten Eden ohne Schlange. Sohn Oliver ist bereits seit acht Monaten via "Work & Travel" in Australien und Neuseeland unterwegs. Der Abstecher zu den Gesellschaftsinseln ist die letzte Etappe der elterlichen Rückholaktion und zugleich Höhepunkt der Familienzusammenführung.
Über und unter dem Winde
Als "echte" Südsee gilt nur jenes Gebiet zwischen Neuseeland, Hawaii und Rapa Nui (den Osterinseln). Tahiti liegt im Zentrum dieses polynesischen Dreiecks. Und nach alter Seglertradition werden die "Îles de la Société" aufgeteilt in die Inseln über und unter dem Winde. Wir werden mit Tahiti und Moorea zwei der dem Winde zugewandten Inseln besuchen, dazu ein dem Winde abgewandtes Atoll: Bora Bora.
Als erster Europäer erreicht Samuel Wallis 1767 Tahiti. 1768 folgen Louis Antoine de Bougainville und ab 1769 gleich mehrmals James Cook, den die Insulaner beinahe zärtlich "Ehri no te tuti mai tai" (Der große, liebe Häuptling ist gut!) nennen. Die geographische Abgeschiedenheit, die überwältigende Schönheit der Natur und die Freundlichkeit der Menschen beeindrucken die Europäer zutiefst. Obwohl es an Schilderungen der Schattenseiten - Menschenopfer, strenge gesellschaftliche Tabus und Dämonenglaube - nicht fehlt, wird das Archipel zum Inbegriff der "glückseligen Inseln". Der Rousseau-Verehrer Louis Antoine de Bougainville, Seefahrer und Schriftsteller, schafft eine Verbindung zum Geburtsort der Venus und nennt Tahiti euphorisch "La Nouvelle Cythère": "Die Göttin der Liebe ist hier zugleich die Göttin der Gastfreundschaft; sie hat hier keine Geheimnisse, und jeder Sinnenrausch ist ein Fest für das ganze Volk." Der "Edle Wilde", hier hat er seine Heimstatt. Tahiti, das ist die Welt vor dem Sündenfall.
Geologisch gesehen eine Ruine: Das Atoll Bora Bora, 240 Kilometer nordwestlich von Tahiti.
Impressionen aus Bora Bora.
Malern und Schriftstellern wird die Insel zum Ort der Inspiration. Paul Gaugin, Henri Matisse, aber auch Max Pechstein und Emil Nolde mischen auf ihren Paletten die kraftvollen Farben der Südsee. Und Adelbert von Chamisso, Friedrich Gerstäcker, Herman Melville, Robert Louis Stevenson, Somerset Maugham und Jack London sammeln faszinierende Geschichten ein. Beschrieben wird ein Paradies, jedoch eines, das bereits unter Claude Lévi-Strauss' Kategorie der "Traurigen Tropen" fällt. Kulturelle Entfremdung, koloniale Ausbeutung und verheerende Krankheiten kommen über die Polynesier. "Es ist wohl ein ungeschriebenes Gesetz", so der Reiseschriftsteller Paul Theroux, "dass ein Ort zum Teufel geht, wenn er erst einmal als Paradies gilt." Sündenfälle sind die Kehrseite exotischer Träume. "Auf den Pazifikinseln", so der Nobelpreisträger Jean-Marie G. Le Clézio, "überwiegt die Gewalt die Musikalität, der Krieg die Liebesspiele."
Atolle des Lichts
Es waren die Missionare mit ihren Schulen, Krankenstationen und Produktionsstätten, die den Polynesiern eine gewisse Zukunftsfähigkeit bewahrten. Anerkennung gab es dafür jedoch nur selten: "Es ist leicht", so Stevenson, "die Missionare zu tadeln. Aber es ist ihre Aufgabe, den Wandel herbeizuführen."
Wir sind also gewarnt und freuen uns dennoch auf Atolle des Lichts - tagsüber geblendet von tropischer Sonnenglut, nachts überstrahlt vom Kreuz des Südens und der übrigen Sternenpracht. Literarische Zitate sind unsere schönsten Wegweiser, Sonnenmilch und Mückenspray die unverzichtbaren Begleiter.
Der Inselumriss Tahitis gleicht einer missratenen Acht. Die ersten Tage verbringen wir auf Tahiti Nui, dem größeren Inselteil, der mit dem kleineren Tahiti Iti durch eine schmale Landenge verbunden ist. Wir sind an der Westküste, am Strand von Punaauia. Es ist Feiertag, der Strand wimmelt von Ausflüglern. Glimmende Kokosschalen verbreiten beißenden Rauch, halten aber die Moskitos fern. Europäische Gesichter sehen wir kaum. In Französisch Polynesien sind 83 Prozent der Einwohner indigener Herkunft.
Die Strandszenerie wird von Tahitianern bestimmt, die sich auf bunten Decken im Schatten der Bäume oder unter Sonnenschirmen niederlassen. Luft- und Wassertemperatur - um die 28 Grad Celsius - liegen auf den Inseln des ewigen Sommers stets nah beieinander. Und so sitzt man hier gern über Stunden im seichten Wasser der Lagune, gemächlich mit Nachbarn plaudernd. Überall begegnen uns Ausdrucksformen der Lethargie: entspannt lächelnde Gesichter, bronzefarbene Körper, denen es trotz oftmals bedeutender Körperfülle weder an Anmut in der Haltung noch an Harmonie in der Bewegung fehlt. Unsere Blicke wandern durch eine Gemäldegalerie im Freien. Wo auch immer wir hinsehen, entdecken wir Motive Gauguins: an diesem Strand hat er einst gelebt und unvergängliche Werke geschaffen.
Alle Strände sind öffentlich, Paläste stehen neben Hütten, und Gärten sind zumeist Palmen- oder Bananenhaine. Der Blick übers Meer führt auf die bizarren Bergspitzen der Nachbarinsel Moorea. Ukulelen erklingen, bezaubernde Südseemelodien werden angestimmt, eine blütenumkränzte Tahitianerin beginnt mit wiegenden Schritten und behutsam sich windenden Handflächen zu tanzen, während die Sonne den Himmel mit tropischer Abendröte überzieht. "Danke" heißt auf Tahitianisch "Mauruuru". Wir sind bereit, jede einzelne Silbe zu unterstreichen. Kaum angekommen, haben wir bereits erlebt, was wir uns erträumt haben.
Sündhaft teures Paradies
Das böse Erwachen erfolgt am nächsten Tag: Keine unserer Kreditkarten funktioniert. Also auf zum deutschen Konsul. Der Konsul, ein bayerisches Mannsbild aus Garmisch-Partenkirchen, ist Steinmetz und meißelt hier schon seit über vierzig Jahren Grabsteine. Dank seiner unbürokratischen Hilfe werden auch unsere Geldsorgen beerdigt. Wir erhalten ein zinsloses Darlehen - und zwar aus der Privatschatulle.
Frisches Geld ist auch bitter nötig. Das Südseeparadies ist sündhaft teuer. Auf allen Waren liegen bis zu 200 Prozent Verbrauchssteuer - Spitzenpreise allerorten, obwohl die touristische Infrastruktur allenfalls Mittelmaß ist. "Low Budget" sind allein der öffentliche Busverkehr und frisches Baguette. Trinkgelder aber sind auf Tahiti geradezu verpönt.
"In der Südsee hat der Schöpfer einmal zeigen wollen, was er zu
Später gönnen wir uns "Poisson cru", das polynesische Sushi - roher Thunfisch, mariniert in Limonensaft an Kokosmilch. Und wir haben dabei alles vor Augen, was Südseeträume ausmacht: Nur wenige Schritte zum Strand, majestätische Kokospalmen, die sich gen Himmel recken oder zum glasklaren Wasser neigen, in dem sich neonbunte Fische tummeln. "In der Südsee", so der englische Dichter Rupert Brooke, "hat, so scheint es, der Schöpfer einmal zeigen wollen, was er zu leisten vermag." Und in der Ferne, draußen im tiefen Dunkelblau des Ozeans, jenseits der weißen Brandungsgischt, bietet sich eine weitere Aussicht, deren Schönheit jede Vorstellungskraft sprengt: Die Umrisse von Taha'a und Raiatea, zwei weitere Trauminseln, so dicht beieinander, dass sie sich eine Lagune teilen. Während auf Tahiti das Leben in Zeitlupe abzulaufen scheint, bleibt hier die Zeit geradezu stehen. Irgendjemand hat die Pausetaste betätigt, um dieses Standbild vollkommenen Inselglücks festzuhalten. Man möchte nicht aufhören zu schauen und man atmet im ruhigen Rhythmus des Meeres, bis die Gedanken sich nach und nach entmischen und unterscheidbar werden.
Im Öko-Bungalow
Wir wechseln von Bora Bora nach Tahiti Iti, dem kleineren, kaum erschlossenen wildromantischen Teil Tahitis. Unser mit Palmwedeln gedeckter Öko-Bungalow an der Süd-Westküste ist teils auf Bambusstelzen errichtet, teils in den Hang hineingebaut - die Seitenwände sind weitgehend offen. Man schläft quasi im Freien. Tagsüber ist nichts von der fernen Brandung zu vernehmen, aber des Nachts hören wir, wie machtvoll der "Stille" Ozean gegen das Riff donnert.
Auf der Fahrt zur Nordküste entdecken wir abseits der Hauptstraße eine katholische Kirche. Nur ein Drittel der Insulaner ist katholisch, über die Hälfte ist protestantisch. Altar, Taufstein und Heiligenfiguren sind mit Muschel- und Blumenketten geschmückt. Nebenan, im Gemeindehaus, probt die Jugend tahitianische Tänze. Kaum stehen wir im weit geöffneten Eingang, um etwas zuzuschauen, da bringen uns ein paar junge Burschen auch schon lächelnd eine Sitzbank.
Blick auf Moosea.
Weiter geht es zum Point Venus und zur Baie de Matavai. Tahiti hat weitaus schönere Strände, aber keinen bedeutsameren. Hier, an der Nordküste gingen sie alle an Land: Weltumsegler wie Wallis, Bougainville und Cook, Naturforscher wie Forster und Darwin, sowie 1797 auch die ersten Missionare - Protestanten der "London Missionary Society". Doch keine der Südsee-Geschichten, die von Matavai aus Fahrt aufnehmen, hat die Fantasie der Menschen seit nunmehr über zweihundert Jahren mehr bewegt als das Schicksal der Mannschaft der "Bounty". Die Geschehnisse vom April 1789 sind mittlerweile zur Vorlage für einige hundert Romane, zahllose TV-Dokumentationen sowie sechs abendfüllende Spielfilme geworden. In den Hauptrollen stets Willliam Bligh als tyrannischer Commander und Fletcher Christian als Erster Offizier und romantisch-unglücklicher Meuterer. Ausgelöst hat die berühmteste Rebellion der "christlichen Seefahrt" indes der Maat Ernst Heinrich Hildebrandt, ein Handwerksbursche aus Hannover - in der Bordliste geführt als Hennry Hilbrant.
Kleiner gelber Fleck
Unser letzter Ausflug führt auf die nur siebzehn Kilometer entfernte Nachbarinsel Moorea. Das Herz der Südsee schlägt auf Bora Bora, doch einen herzförmigen Umriss hat nur Moorea. Schon am Strand von Punaauia schauten wir voller Bewunderung zur schönen Schwester Tahitis hinüber. Höhepunkt der Inselrundfahrt ist jedoch nicht eine "tahitianische Hochzeit" im Museumsdorf "Tiki Village", sondern die Rast am "Le Belvédére". Der zentrale Aussichtspunkt dieses polynesischen Arkadiens bietet einen Panoramablick auf die Baie de Cook und die Baie de Opunohu - zwei atemberaubende Buchten, getrennt durch den 900 Meter hohen Mount Rotui. Später, beim Abschied von Tahiti, sehen wir noch vom Flugzeug aus, wie der Passat breite Wolkenbänder um die grünummantelte Gebirgssilhouette Mooreas flattern lässt.
Mein Pass hat einen kleinen gelben Fleck abbekommen von jener Blüte, die uns bei der Einreise hineingelegt wurde. Doch welchen Stempel hat diese Reise in der Seele hinterlassen? Mein Resümee finde ich vorformuliert: "Nüchtern betrachtet", so der Journalist Klaus Simon, "ist Französisch-Polynesien eine Inselgruppe im Südpazifik, die wenig mehr zu bieten hat als Wasser, Berge und die Lethargie der Tropen. Doch wer bei diesem Anblick nüchtern bleibt, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen."
In Papeete herrschen Hektik, Gedränge und Verkehrslärm - insofern eine normale moderne City. In der Markthalle "betrinken" wir uns an frischer Kokosmilch, bestaunen die Vielfalt exotischer Fische, Früchte und Blumen und beriechen Schoten der berühmten Tahitivanille. Ukulelenmusik nebst Gesang gibt es gratis, wobei uns ein Zupfbass begeistert: Aus einer umgestülpten Mülltonne heraus ist eine dicke Paketschnur gespannt, der sich samtweiche Töne entlocken lassen. Später, im "Bougainville Park", gegenüber dem Hafen, fällt uns eine Kanone auf. Sie stammt vom "Seeadler", jenem legendären Segler und Hilfskreuzer, der während des Ersten Weltkriegs unter Graf Luckner im Südpazifik auf Kaperfahrt ging.
Luxus auf Pfählen
Wir fliegen nach Bora Bora - 240 Kilometer nordwestlich von Tahiti. Geologisch gesehen ist das Atoll eine Ruine. Doch das verwitterte Zentrum des einstigen Vulkans bietet beim Anflug ein überwältigendes Panorama: Die Berggipfel umlagert von kleinen Wattebausch-Wölkchen, das üppige Grün zieht sich hinunter bis an den weißen Strand, dem sich das Türkis der Lagune anschließt. Das kranzförmige Riff gewährt nur einen kleinen Durchlass zur offenen See.
Der Flughafen liegt "draußen" auf einem Motu, einer jener wie Perlen an der Schnur aneinandergereihten Miniinseln des Korallenriffs. Mit einem Motor-Katamaran geht es über die herrliche Lagune zur Hauptinsel. Unsere Hotelanlage besteht zu einem Drittel aus "Overwater Bungalows" - Luxusquartiere auf Pfählen, direkt in die Lagune hineingestellt. Im Fußboden eingelassen jeweils eine Glasplatte, durch die die bunte Unterwasserwelt beobachtet werden kann.
Text und Fotos: Reinhard Lassek
Reinhard Lassek
Reinhard Lassek ist Wissenschaftsjournalist. Er lebt in Celle.