Wie ein Theater

Warum die Scharrers Krippen bauen
Beim Material ist die Vielfalt groß. Hier entstanden die Figuren aus Papier. Foto: Jonas Pfreundt
Beim Material ist die Vielfalt groß. Hier entstanden die Figuren aus Papier. Foto: Jonas Pfreundt
Eine Krippe ist mehr als die Darstellung der Heiligen Familie. Für das Ehepaar Scharrer aus Straubing ist sie eine Bühne, die zum Betrachten und Innehalten einlädt. Jedes Jahr bauen die Scharrers neue Krippen und Figuren, mal schlicht, mal barock. Der Journalist Jonas Pfreundt hat sie in ihrer Werkstatt besucht.

Eine karge Voralpenlandschaft dient als Kulisse für die Geburt Christi. Nur wenige Hirten beten und knien vor dem Jesuskind, das Maria auf ihrem Schoß hält. Josef hat seinen Arm auf Marias Schulter gelegt. Die Heilige Familie zeigt sich in einem offenen Stall, der nur wenig Schutz bietet. In einer anderen, eher rauen Landschaft, die fast völlig aus Naturmaterialien gefertigt wurde, verteilen sich Miniaturfiguren in mehreren Gruppen oder auch einzeln. Auch hier sind die Hirten schon angekommen oder eilen herbei. Die Heiligen Drei Könige nähern sich auf Kamelen der Krippe mit Kind. Maria und Josef haben sich auch hier in einem primitiven Unterstand niedergelassen.

Zerbrochener Bogen

Ganz anders erzählt eine orientalische Ruinenkrippe die Weihnachtsgeschichte. Ein zerbrochener Portalbogen und die abgetragenen Mauerteile sollen den Niedergang der alten Welt symbolisieren und auf den Beginn der neuen Zeit durch die Geburt Jesu hinweisen. Ein Brunnen verdeutlicht, dass das Wasser die Quelle allen Lebens ist. Solche verschiedenartigen Darstellungen gefallen dem Straubinger Krippenexperten Guido Scharrer. "Eine Krippe muss wie ein Theater wirken", sagt der 68-Jährige. Ein Krippenbauer sollte wie ein Regisseur arbeiten, Krippenbau sei eben kein perfekter Modellbau.

Scharrer baut seit seiner Kindheit Krippen. Diese Leidenschaft teilt er seit vielen Jahren mit seiner Frau Theresa. Ihre Krippenwerkstatt findet sich in den Kellergewölben des Straubinger Herzogsschlosses. Der Duft von Zuckeräpfeln, gebrannten Mandeln, Lebkuchen und feinen Gewürzen, den viele in der Weihnachtszeit suchen, liegt hier keineswegs in der Luft. Stattdessen riecht es nach Holz oder Ton. Zwei Naturmaterialien, die die Scharrers für ihre Figuren und Krippenkulisse immer wieder verarbeiten.

Foto: Jonas Pfreundt
Foto: Jonas Pfreundt

Auch kleine Krippenfiguren gehören zum Werk der Scharrers.

Fast das ganze Jahr über werden in den Schlosskatakomben Krippen gefertigt. Auch andere Krippenfreunde aus der niederbayerischen Stadt legen hier unten Hand an. Pinsel und kleine Messer liegen bereit, aber auch professionelles Sägewerkzeug steht vor dem Eingang zum Werkraum. Während Guido Scharrer mit dem Cuttermesser auf einer Styrodurplatte (Hartschaumplatte) Mauersteine gekonnt einritzt, formt seine Frau Theresa aus Ton im Handumdrehen neue Figuren. Die beiden sind ein eingespieltes Team, jeder hat seine feste Aufgabe: Er baut die Kulisse, sie gestaltet die Figuren. Vorher haben sie sich viele Gedanken darüber gemacht, wie die Krippe aussehen soll. Gemeinsam spielen sie durch, was sie wollen.

"Die Figuren sind das Wichtigste", sagen die Scharrers übereinstimmend. Und dann macht sich Theresa an die Arbeit. Mit flinken Fingern formt sie einen Kopf und zeichnet mit Fingernägeln oder feinem Werkzeug ein ausdrucksstarkes Gesicht: mit feiner oder großen Nase, mit gewölbten oder schmalen Lippen, mit tiefen Augenhöhlen, mit langen oder breiten Augenbrauen, mit glattem oder lockigem Haar. "Die Hände sind das Schwierigste", sagt sie, weil daran die Qualität der Figuren zu erkennen sei.

Hunderte Figuren

In ihren Händen sind schon hunderte von Krippenfiguren entstanden. Auch die Kleider dafür macht Theresa Scharrer selbst. "Nähen ist oft zu aufwändig und dauert zu lange", deshalb nimmt sie lieber ein bisschen mehr Stoff, den sie umwickeln kann. Damit verdeckt sie auch die Bleifüße, die die Figuren sicher stehen lassen. Die Fußplatten stammen aus dem Anglerbedarf. Ihr Mann Guido nimmt am liebsten Styrodurplatten, die er oft als Reste vom Bau bekommt. Daraus erschafft er besonders gern seine Krippenschaupätze. Das können Felslandschaften sein, aber auch riesige Tempel und hohe Türme. Die Hartschaumplatten ähneln Styropor, "sind aber nicht so bröselig", weiß Scharrer. Aus einfachem Material schafft er auch herrliche Barockschlösser mit viel Liebe zum Detail. Solche Krippen sehen schwer aus und sind doch ganz leicht, manche brauchen aber eben viel Stellplatz.

Foto: Jonas Pfreundt
Foto: Jonas Pfreundt

"Die Figuren sind das wichtigste", sagt Theresa Scharrer. Sie modeliert diese aus Ton.

Foto: Jonas Pfreundt
Foto: Jonas Pfreundt

Es kommt aber nicht auf die Architektur an, sagte Scharrer und meint, sie sollte jedenfalls nicht dominierend wirken. "Wichtig ist beim Krippenbauen das Gefühl", sagt Scharrer, wobei der Verstand nicht ausgeschaltet werden darf. So soll der Betrachter durch eine gefällige Gestaltung und vor allem ausdrucksstarke Symbolik selbst interpretieren können, was ihm die Krippen von Scharrer oder auch anderen Krippenbauern sagen wollen. Zum Beispiel: Die Krippe als barockes Welttheater inszeniert. Sie lässt das Auge weit schweifen und immer wieder neue Deutungen zu. Etwa einhundert kunstvolle Figuren sind es, die in der symbolhaften Simultankrippe fünf Szenen darstellen: Zug der Könige, Taufe, Jesu, Hochzeit von Kana, Verklärung Jesu. Sie korrespondieren mit Präfigurationen (Vorausdeutungen) aus dem Alten Testament: Adam und Eva, Besuch der Königin von Saba bei Salomo, Noah und die Arche, Rückkehr der Kundschafter mit einer riesigen Traube aus dem "gelobten Land", Moses und der brennende Dornbusch.

Selber deuten

Es sind die Gegensätze, mit denen Scharrer spielt. Er zählt als Beispiele Gott und Teufel für Gut und Böse, verdorrte und blühende Landschaften für Welt und Paradies oder helle und dunkle Pflanzen, die für Positives und Negatives stehen. Der Hofnarr findet dabei ebenso seine Bedeutung wie der Tod und die Heilige Familie. Krippe ist für die Scharrers eben nicht nur die Weihnachtskrippe.

Foto: Jonas Pfreundt
Foto: Jonas Pfreundt

Aus Hartschaumplatten baut Guido Scharrer unterschiedliche Landschaften.

Foto: Jonas Pfreundt
Foto: Jonas Pfreundt

Wie viele Kippen er schon gebaut hat, weiß Guido Scharrer nicht so richtig. Jedes Jahr werden es mehr. "Pro Jahr sind es wohl zwei, die fertig werden." Dazu kommen Krippen, die das Ehepaar sammelt. Beide gehören seit fast zwei Jahrzehnten zu den Straubinger Krippenfreunden, deren Verein Guido Scharrer gegründet hat. Seine erste Krippe hat er als kleiner Junge selbst gebaut. Damals war er Ministrant im Grundschulalter und hatte an einem Kurs teilgenommen. Und auch seine Frau, mit der er seit über 40 Jahren verheiratet ist, hat viele Erinnerungen an Krippen: "Das hat schon als Kind zu Weihnachten einfach dazugehört." Aus dieser kindlichen Faszination ist die Leidenschaft fürs Krippenbauen entstanden.

Richtige Entspannung

Bei dieser Arbeit können die Scharrers den Alltag vergessen. "Das ist für mich richtige Entspannung", sagt der Pensionär ganz gelassen. Sehr geschickt, ganz ruhig und doch schnell ritzt er auf der Platte weitere Steine ein. Im Nu ist die Mauer fertig. Der frühere Lehrer und Journalist kann beim Krippenbauen abschalten und zugleich kreativ sein. So achtet Guido Scharrer stets darauf, dass Gebäude nicht zu gleichmäßig sind. Um Spannung zu schaffen, sollten sie lieber etwas schief als gerade stehen. Wenn die Schindeln auf dem Stalldach schief und krumm, die Wände bröcklig und die Gebäude nicht ganz exakt sind - umso besser. "Das entspricht mehr der Wirklichkeit", erklärt Guido Scharrer.

Foto: Jonas Pfreundt
Foto: Jonas Pfreundt

Das barocke Welttheater .

Krippenbau muss nicht Kunsthandwerk sein, sagt der Routinier. So macht er Teilnehmern von Baukursen Mut, einfach loszulegen. Selber machen sei meist billiger als eine Krippe zu kaufen. Und mehr Freude hat man auch daran. Handwerkliches Geschick sei nicht so wichtig. "Besser ist es, bewusst etwas schlampig zu bauen, damit die Krippe Ausstrahlung bekommt." Insgesamt müsse eine Krippe stimmig sein, der Stil und die Figuren einheitlich.

Seit wann es Krippen gibt, weiß auch der Krippenexperte nicht so genau. Die Geburt Christi findet sich bildhaft ab dem vierten Jahrhundert auf Wandfresken, Sarkophagen oder liturgischen Geräten, wie Scharrer recherchiert hat. Die Darstellungen zeigten meist das gewickelte Kind in der Krippe mit Maria und "häufig noch ohne Josef". Manchmal seien darauf schon Ochs und Esel mit einem Hirten abgebildet. Die Heiligen Drei Könige seien noch im gleichen Jahrhundert allein zu sehen.

Im siebten Jahrhundert

Im siebten Jahrhundert entstand in einer Kirche in Rom der erste Nachbau der Geburtsgrotte im Abendland, so Scharrrer. Auch Franz von Assisi habe mit seiner Feier der Heiligen Nacht im Jahr 1223, bei der er im Wald von Greccio die Weihnachtsliturgie mit einem Krippentrog, einem lebendigen Ochs und Esel veranschaulichte, nicht die Weihnachtskrippe erfunden. "Die Geschichte der Krippen begann eigentlich erst, als sich die Figuren von weihnachtlichen Szenen von den Altären lösten und die lebendigen Theaterspieler, die im Mittelalter weihnachtliche Klerikerspiele oder religiöse Volksschauspiele zur Geburt Christi aufführten, durch künstliche Figuren ersetzt wurden", sagt der studierte Historiker.

Foto: Jonas Pfreundt
Foto: Jonas Pfreundt

Folkloristischer Stil prägt die "Neopolitanische Krippe".

Als die ersten privaten Krippen um 1560 entstanden, griffen Jesuiten die Idee auf und nutzen sie als pädagogisches Mittel, um Bibelstellen zu verdeutlichen und Tugenden zu vermitteln. Es gab die so genannten Ganzjahreskrippen, die alle paar Wochen neue Szenen boten, von der Verkündigung des Herrn bis zur Hochzeit zu Kana. Im Zeitalter der Aufklärung verboten es der Staat, aber auch die Kirchen, Krippen öffentlich aufzustellen. Zu "spielerisches" Brauchtum, aber ebenso zu weltliche Vielfalt und Pracht sollten bekämpft werden, wie Scharrer erklärt.

Aus Schrott

Heute wie damals gehören zur Krippe das Jesuskind, Maria und Josef, die Tiere im Stall, die Hirten und die Heiligen Drei Könige. Aber das reicht den Scharrers nicht immer bei ihren Werken. Guido und seiner Frau Theresa ist eines wichtig: "Die Krippe im Bewusstsein der theologischen und volkskundlichen Tradition zu sehen und zu gestalten, aber vor diesen Hintergründen auch nach neuen und zeitgemäßen Formen suchen." Die kleinste Krippe in der Sammlung der Scharrers ist gerade mal vier Zentimeter groß. Sie kennen aber auch riesige Krippen, die komplett aus Schrott gebaut sind. In ihrem Haus haben Krippen das ganze Jahr über Platz, manche werden auch immer wieder mal ausgetauscht. Dabei handeln sie ganz nach ihrem Credo: "Eine Krippe muss einen zum Nachdenken bringen."

Text und Fotos: Jonas Pfreundt

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