Spiel mit der Differenz

Gespräch mit der Leipziger Kultursoziologin Monika Wohlrab-Sahr über den Wechsel der Religion und warum manche Religionen attraktiver sind als andere
Foto: privat
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Oftmals führen nicht theologische Probleme zur Konversion, sondern persönliche. Über den Zusammenhang zwischen einer krisenhaften Biographie und einer Bereitschaft zur Konversion, zum Beispiel wenn eine Religion klare Ordnungsstrukturen für das Leben anbietet, berichtet Monika Wohlrab-Sahr, Professorin für Kultursoziologie an der Universität Leipzig.

zeitzeichen: Frau Professorin Wohlrab-Sahr: Was verstehen Sie unter dem Begriff "Konversion"?

Monika Wohlrab-Sahr: Bei Konversion muss man zwei Dimensionen unterscheiden, den Wechsel der Zugehörigkeit zu einer Religion oder Konfession und den Wandel der Identität oder grundlegenden Orientierung des Konvertiten. In der Vergangenheit haben Menschen immer wieder die Konfession und Religion gewechselt, weil dies erwartet oder politisch erzwungen wurde. Damit ging dann kein grundlegender Wechsel in der Orientierung der Person einher. Auch heute gibt es sicher eine ganze Reihe von Konversionen, die sich auf einen Wechsel der Mitgliedschaft beschränken, etwa um sich der Religion eines Ehepartners, einer Ehepartnerin anzupassen. Das bedeutet nicht zwingend, dass man sich religiös neu orientiert. Das zweite ist die Veränderung der Identität, also eine Neuorientierung: Die Leute stellen ihre Lebensführung um, ändern ihre Bezugsgruppen, interpretieren ihr Leben anders.

Sie haben sich mit Übertritten zum Islam beschäftigt. Waren die Leute, denen sie begegnet sind, zuvor schon religiös, oder hatten sie mit der Religion oder Konfession, in deren Schatten sie aufgewachsen sind, nichts am Hut?

Monika Wohlrab-Sahr: Teils, teils. In den Interviews, die ich geführt habe, habe ich mitunter gehört, der Islam sei wesentlich rationaler als das Christentum, denn dieses sei nicht klar monotheistisch, und die Trinitätslehre könne sich sowieso niemand vorstellen. Doch als ich nachgefragt habe, hat sich herausgestellt, dass die Interviewpartner erst nach ihrer Konversion begonnen haben, sich darüber Gedanken zu machen, es also keine theologischen Probleme waren, die sie zur Konversion zum Islam geführt haben. Die theologischen Gründe sind oft nachträgliche Rationalisierungen einer Entscheidung, die aus anderen Gründen zustande kommt.

Wie haben Sie denn die Konvertiten befragt?

Monika Wohlrab-Sahr: Ich habe mir ihre Lebensgeschichte erzählen lassen. Meinen Interviewpartnern war zwar klar, dass ich mich für die Konversion interessiere, aber ich habe immer deutlich gemacht, dass mich auch ihr Leben als Ganzes interessiert.

Sie haben in einem Beitrag geschrieben, dass mitunter negative Erfahrungen mit der Sexualität für die Konversion zum Islam eine große Rolle spielen. Gilt das besonders für Frauen?

Monika Wohlrab-Sahr: Es war auffälliger bei den Frauen. Einige haben Erfahrungen der Missachtung und Demütigung gemacht. Der Islam steht in ihrer Vorstellung dafür, sie als Frauen in ihrer Würde besser zu schützen. Aber ich habe auch ein Interview geführt mit einem Afroamerikaner, an dessen Schule sexueller Missbrauch ein großes Thema war und der eine stark ausgeprägte Angst vor Homosexualität hatte. In einem Gespräch in Deutschland erzählte mir ein Mann von Problemen in seiner früheren Partnerschaft, auch von Gewalt. Er ließ sich nach seiner Konversion beschneiden und erzählte dies wie eine Form der Wiederherstellung seiner Männlichkeit. Auf der symbolischen Ebene spielen Vorstellung von Ehre, klaren Geschlechtergrenzen, Männlichkeit und Weiblichkeit eine wichtige Rolle. In den Biographien bin ich sehr oft - und für mich überraschend - auf solche Geschichten gestoßen. Natürlich löst der Islam diese Probleme nicht. Aber er bietet einen Deutungsrahmen, wie die Probleme verursacht worden sind und wie sie gelöst werden können.

Sie haben geschrieben, dass männliche Konvertiten die traditionelle Männerrolle im Islam angezogen hat.

Monika Wohlrab-Sahr: Natürlich hat die Konversion auch bei Männern viele Ursachen. Aber die klare Geschlechtertrennung und Rollenzuschreibung im Islam spielen bei der Konversion von Männern eine Rolle. Auch in der Art und Weise, wie sie danach ihr Muslimsein leben und wie sie ihre Partnerschaften gestalten, mit klaren Verantwortlichkeiten und eindeutigen Männer- und Frauenrollen, sind Beleg dafür.

Überraschend ist auch Ihre These, dass der Konversion denen, die Erfahrungen des Scheiterns hinter sich haben, die Möglichkeit eröffnet, anerkannt zu werden oder gar Kariere zu machen. Wie muss man sich dies konkret vorstellen?

Monika Wohlrab-Sahr: Das gilt generell für Konversion. Gerade in evangelikalen Kirchen in Afrika und in Lateinamerika ergeben sich für Frauen Karrieremöglichkeiten, zum Beispiel als Predigerin, was ihnen zum Beispiel in der römisch-katholischen Kirche verwehrt war und oft auch nicht ihrer Rolle in diesen Gesellschaften entspricht. Bei der Konversion zum Islam kommt aber noch ein anderer Punkt hinzu, nämlich die Rolle, die der Islam in der eigenen Gesellschaft spielt. Man kann sich innerhalb der eigenen Gesellschaft von der Gesellschaft, die einem die Anerkennung verweigert, abgrenzen. Man kann ihr signalisieren, dass man sie nicht braucht und ihr überlegen ist.

Wer in einem christlich geprägten Land zum Islam konvertiert, ist ja auch ein Exot und ragt so aus der grauen Masse heraus.

Monika Wohlrab-Sahr: Ja, es hat etwas mit Exotismus zu tun, aber auch mit Schockieren. Wenn deutsche Frauen im öffentlichen Raum ein Kopftuch tragen, irritiert das. Da geht es um eine Differenzerfahrung, darum zu dokumentieren: Ich bin anders als ihr, und ich traue mich, das genau zu zeigen.

Rechnen Sie damit, dass in Deutschland Konversionen zum Islam zunehmen?

Monika Wohlrab-Sahr: Durch den Zuzug von Muslimen kommt es zu Begegnungen, so dass sicher mehr Ehen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen geschlossen werden oder einfach Kontakte entstehen. Da wird sich an der einen oder anderen Stelle die Frage der Konversion stellen. Aber das wird sicher kein Massenphänomen werden.

Zwei Drittel der Deutschen gehören einer Religionsgemeinschaft an, und ein Drittel ist konfessionslos. Behindert diese gesellschaftliche Situation Konversionen?

Monika Wohlrab-Sahr: Der Wechsel zwischen Religionsgemeinschaften und vor allem zwischen den Kirchen ist in den usa bekanntermaßen sehr hoch. Das hängt natürlich mit der religiösen Prägung und mit dem religiösen Pluralismus zusammen. Dort trifft man auf eine hohe religiöse Mobilität. Die deutsche Situation befördert dagegen nicht unbedingt Konversion, weil die religiöse Beteiligung auch bei den zwei Dritteln, die kirchlich gebunden sind, eher schwach ist. Der Bielefelder Soziologe Niklas Luhmann nennt das "generalisierte Unterstützung", das heißt, die Leute unterstützen die Kirchen als Organisation, weil sie weiterbestehen sollen. Aber eigentlich will man sich nicht beteiligen. Und Konversionen werden dadurch nicht befördert.

Es gibt Konvertiten, die zu besonders fanatischen Anhängern ihrer neuen Religion oder Konfession werden, während andere das Erbe ihrer alten Religion oder Konfession mitnehmen und es in der neuen fruchtbar machen. Können Sie als Soziologin erklären, warum mal das Eine und mal das Andere geschieht?

Monika Wohlrab-Sahr: Oft handelt es sich auch um zwei verschiedene Phasen im Leben von Konvertiten. Zur ersten gehört ein hundertfünfzigprozentiges Überzeugtsein. Man eignet sich die neue Religion an, will sie nach außen verteidigen und den alten Freunden und der Familie signalisieren: Ich bin jetzt ein anderer. Und man will den geborenen Muslimen oder Juden zeigen, dass man ein guter Muslim oder Jude ist. Leider gibt es keine Studien, die Konvertiten über längere Zeiträume verfolgen.

Religionswissenschaftler führen auch an, Menschen, die in eine Religion wechseln, nicht in sie hineingeboren sind, könnten schwerer taxieren, wie weit man deren Vorschriften einhalten muss und wo man sie getrost überschreiten kann.

Monika Wohlrab-Sahr: Wenn jemand Religion von Kind an im gesellschaftlichen Umfeld und in der Familie erlebt, lernt er oder sie natürlich auch die ganze Pragmatik der Religion kennen. Aber es gibt auch unter Menschen, die in eine Religion hineingeboren werden, Fälle von Konversionen hin zu der strengeren Form der eigenen Religion. Solche Menschen sind überzeugt, dass sie erst jetzt ihre eigene Religion richtig verstehen und praktizieren, im Unterschied zu dem, was sie "Kulturmuslime", "Kulturjuden" oder "Kulturchristen" nennen.

Sind Sie bei Ihren Untersuchungen auf einen Menschentyp gestoßen, der für einen Konfessions- oder Religionswechsel prädestiniert ist?

Monika Wohlrab-Sahr: Das ist eine schwierige Frage. Wenn man sich die Biographien der Leute anschaut, sieht man immer auch die anderen Optionen, die sie gehabt hätten. Wäre da zum Beispiel ein anderer, liebevollerer Partner gewesen, wäre die Frage vielleicht gar nicht aufgetreten. Es gibt meines Erachtens einen Zusammenhang zwischen einer krisenhaften Biographie und einer Bereitschaft zur Konversion, zum Beispiel wenn eine Religion klare Ordnungsstrukturen für das Leben insgesamt anbietet. Einen Typus von Konversion nenne ich symbolische Emigration, dem liegt ein Fremdsein im eigenen Kontext zugrunde.

Das kann das Fremdsein nach der Wende im Osten sein, wo man vorher eine Bedeutsamkeit erfahren und diese später verloren hat. Oder das Fremdsein in einer Umgebung, in der man keine Anerkennung bekommt, nicht die Integration findet, die man braucht. Diese Fremdheitserfahrung, dieses nicht Dazugehören wird dann bearbeitet, indem man zu einer Religion wechselt, die den Anstrich des Fremden hat. Damit zeigt man: Ich brauche euch gar nicht, ich habe etwas Besseres. Es ist ein Spiel mit der Differenz: Ich gehe raus und bin trotzdem drin. Das scheinen mir, Mechanismen zu sein, die mit der Konversionsdynamik zu tun haben.

Wer in Oberbayern aufwächst, ist oft römisch-katholisch und folgt der Tradition der Familie und der Mehrheit der Bevölkerung. Und wer in Leipzig aufwächst, der ist oft konfessionslos und folgt ebenfalls der Tradition der Familie und der Bevölkerung. Sind Konvertiten, die ja vom Gewohnten und Allgemeinen abweichen, besonders sensibel, wach und reflektiert, weil sie bewusst eine Entscheidung treffen?

Monika Wohlrab-Sahr: Diese bewusste Reflexion entspricht nach meiner Erfahrung nicht dem Prozess, der zur Konversion führt. Ich würde eher sagen, er beginnt damit, dass ein Mensch aus unterschiedlichen Gründen für etwas Neues empfänglich oder auf der Suche nach etwas ist, das anders ist. Und er trifft dann auf ein Angebot, das passt. Ich bin skeptisch gegenüber der vermeintlichen Rationalität solcher Entscheidungen.

Der Ausgangspunkt für Konversionen sind Krisen?

Monika Wohlrab-Sahr: Oft. Eine Krisenerfahrung kann aber auch eine Umsiedlung ins Ausland sein. Dort fange ich zum Beispiel an, meine bisherigen Selbstverständlichkeiten infrage zu stellen. Ich kann fasziniert sein von dem, was mir begegnet. Ich kann Begegnungen mit Personen haben, denen ich mich nahe fühle, vielleicht näher als meinen Eltern. Gerade diese Begegnungen mit anderen Kulturen, die Faszination durch andere Formen des Lebens, scheinen eine große Rolle dafür zu spielen, dass eine andere Religion attraktiv wird. Aber man muss dafür eine Bereitschaft mitbringen, die meines Erachtens eher aus der eigenen Biographie resultiert.

Können Sie gesellschaftliche Zustände benennen, die Konversion erleichtern, und andere, die Konversion verhindern?

Monika Wohlrab-Sahr: Ich bin im vergangenen Jahr drei Monate in Indien gewesen. In dieser hochreligiösen Gesellschaft wird Konversion sehr behindert. Seit der Unabhängigkeit werden Konversionen zu einer nichtindischen Religion in hohem Maße problematisiert, besonders die zum Christentum.

In vielen Bundesstaaten gibt es gesetzliche Regelungen, die "Freedom of Religion Acts". Faktisch sind das Antikonversionsgesetze, denn die Konversion ist anzeigepflichtig. Vordergründig geht es darum, so genannte Zwangskonversionen oder Verführung zur Konversion zu verhindern. Dadurch kommt es immer wieder zu Denunziation und auch zu gewalttätigen Ausschreitungen. Selbst wenn Kirchen diakonisch helfen oder Bildung anbieten, kann das als Verführung ausgelegt werden.

Ein konträres Beispiel sind die USA, wo Konversion einfach ist. Dort gibt es in der Gesellschaft eine hohe Erwartung, religiös zu sein, und erst sekundär geht es darum, wie man religiös ist. Dieser Kontext ist ebenso konversionsfreundlich, wie er auch religionsfreundlich ist. Verdächtig sind dort Atheisten, nicht Konvertiten. Ansonsten ist das Thema kaum erforscht.

Woran liegt das?

Monika Wohlrab-Sahr: Das fängt schon damit an, dass oft die Zahlen zur Religionszugehörigkeit fehlen. In manchen Ländern werden sie gar nicht erhoben, weil es verboten ist, danach zu fragen, zum Beispiel in den usa. In Deutschland haben wir dagegen aufgrund des Meldewesens zumindest für die christlichen Kirchen seriöse Zahlen. Beim Islam wird meist von der Zahl türkischstämmiger Migranten auf die Religionszugehörigkeit geschlossen. Konversionen sind auch deswegen nicht erfasst, weil die Moscheevereine keine Mitgliederlisten führen, wie das Kirchen tun.

Haben Sie sich eigentlich mit dem Phänomen der Rekonversion beschäftigt, dass Menschen konvertieren und wieder zur alten Religion zurückkehren?

Monika Wohlrab-Sahr: Ich habe vereinzelt mit Abkehrern vom Islam gesprochen. Aber meine These zur Konversion ist, dass es sich in vielen Fällen weniger um einen bewussten Wechsel von einer Religion zu einer anderen Religion handelt, sondern eher um den Wechsel von einer diffusen Orientierung hin zu einer klaren Religion. Insofern bedeutet dann auch die Abkehr vom Islam nicht unbedingt die Rückkehr zu einer früheren Religion, sondern eher zur alten Religionslosigkeit.

Was fasziniert Sie eigentlich an dem Phänomen der Konversion?

Monika Wohlrab-Sahr: Ich habe in Berlin gelebt, und dort sind mir deutsche Frauen mit Kopftuch und langen Mänteln in der Stadt aufgefallen. Das hat mich neugierig gemacht. Es hat mich einfach interessiert, warum Menschen sich eine Religion suchen, die vielen anderen Deutschen suspekt ist.

Das Gespräch führten Kathrin Jütte und Jürgen Wandel am 18. Juli 2013 in Leipzig.

Monika Wohlrab-Sahr, Jahrgang 1957, ist seit 2006 Professorin für Kultursoziologie an der Universität Leipzig. Zuvor war sie von 1999 bis 2006 in Leipzig als Professorin für Religionsoziologie tätig. Sie hat evangelische Theologie und Soziologie in Erlangen und Marburg studiert. 1998 habilitierte sich die in Selb geborene Bayerin an der FU Berlin mit dem Thema "Über Form und Funktion von Konversionen zum Islam in Deutschland und in den USA". Sie war Gastwissenschaftlerin an der University of California in Berkeley, am Fernand-Braudel-Fellow am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz und am Jawaharlal Nehru Institute of Advanced Study der JNU in New Delhi.

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Monika Wohlrab-Sahr

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