Ein Aha-Erlebnis
Der braune Teppichboden verbreitet Behaglichkeit. Sanft filtern die Schirme der Stehlampen das Licht. Angenehm zurückhaltend wirken die modernen Möbel vor dem warmen Erdton der Wände. Eine Tür führt nach nebenan in das blitzsaubere, mit Dusche und WC ausgestattete Bad. Keine Frage: Hier lässt es sich gut wohnen, auch mal für ein paar Tage länger. Das anheimelnde Zimmer ist eines der Gästezimmer des Hotels Vinum in Trier. Wer es noch komfortabler wünscht, dem stehen kleine Suiten zur Verfügung. Für Eltern mit Kindern hält das Haus ein so genanntes Familienzimmer bereit, dessen beide Schlafräume durch eine Tür verbunden sind.
Wein als Willkommensgruß
Direkt gegenüber dem Trierer Hauptbahnhof liegt das barrierefreie Hotel garni, dessen dreißig Zimmer (darunter zwei behindertengerechte) und Suiten in einem stattlichen, gut restaurierten Altbau aus der Gründerzeit untergebracht sind. Nur wenige Gehminuten sind es von hier zur Porta Nigra und ins Stadtzentrum. "Vinum", der Name des Nichtraucherhotels (mit Raucherterrasse) signalisiert, wo sich der Gast befindet: in der einstigen römischen Metropole eines über 2000 Jahre alten Zentrums der Weinkultur. Das römische Wort für Wein steht aber auch für jene lebensfrohe Gastfreundschaft, die sich das 60-Betten-Haus auf die Fahnen geschrieben hat. Weshalb als Willkommensgruß jeden Gast ein Weingeschenk in seinem Zimmer erwartet.
Auf den ersten Blick also eines jener kleinen, individuellen Hotels, die man schon andernorts zu schätzen gelernt hat. Und doch läuft im Hotel im weißen Altbau am Trierer Bahnhofsplatz manches anders als gemeinhin.
Das Trierer Vinum ist ein Integrationshotel, in dem behinderte und nicht behinderte Menschen Hand in Hand zusammenarbeiten. Es gehört zum Diakonischen Werk der Evangelischen Kirchenkreise Trier und Simmern-Trarbach. Von den zehn hauptamtlichen Mitarbeitern des 2011 eingeweihten Hotels sind sechs behindert. Sie sind zwischen 25 und etwas über fünfzig Jahre alt und arbeiten in Service und Reinigung. Von körperlicher oder psychischer Behinderung über Lernbehinderung bis hin zur Gehörlosigkeit reichen ihre Einschränkungen.
"Wir haben seinerzeit gemerkt, dass es für behinderte Menschen hier in unserem Raum schwer ist, Arbeit zu finden", erläutert Carsten Stumpenhorst, der Geschäftsführer des Hotels, das Projekt. Der Psychologe ist zudem Geschäftsführer des Diakonischen Werks der beiden Kirchenkreise. Nicht allein um materielles Einkommen und Gelderwerb gehe es bei der Schaffung von Arbeitsplätzen für Behinderte - das ist Stumpenhorst wichtig. "Wir wollen vielmehr mit unserem Projekt zur Selbstständigkeit und einem selbst verantworteten Leben auch bei unseren eingeschränkten Mitarbeitern beitragen und ihnen so die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen."
Teilhabe und Bewusstsein
Gesellschaftliche Teilhabe und gleichsam wechselseitige Bewusstseinsbildung stehen auch für Christoph Pistorius im Vordergrund. Der Trierer Superintendent ist Mitglied im Beirat der Trägergesellschaft. Behinderte Menschen hätten nun einmal erhebliche Schwierigkeiten und weniger Möglichkeiten, sich mitten in der Gesellschaft zu behaupten und ihren Platz zu finden, hat der Theologe festgestellt. Ein Hotelbetrieb, in dem Mitarbeiter und Gäste notwendigerweise miteinander kommunizieren und aufeinander eingehen müssten, sei ein idealer Platz, behinderten Menschen mitten in der Gesellschaft Aufmerksamkeit und Gehör zu verschaffen. "Die Gäste unseres Hotels müssen sich auf diese Weise mit dem Thema auseinandersetzen", erklärt Pistorius. Für manche Gäste werde der Aufenthalt im Hotel zu einem regelrechten "Aha-Erlebnis".
Hand in Hand arbeitet das Vinum-Team zum Wohl der Gäste. Dazu gehört auch das frische Rührei auf dem allmorgendlichen Frühstücksbuffet.
Im noblen Frühstücksraum, der mit seinen dunkelgrauen Wänden, seinen goldenen Bilderrahmen und seinem Spiegel ganz auf Tradition setzt, bedient derweil Annegret Schiffner einen Gast aus Fernost. Zehn Jahre lang war die gelernte Schneiderin arbeitslos, fast galt sie mit ihrer geschädigten Schulter als nicht mehr vermittelbar. Im Vinum hat sie seit anderthalb Jahren eine neue Aufgabe gefunden. Wenn sie im Frühstücksraum Dienst hat, ist sie zuständig für das Herrichten und Nachfüllen des Frühstücksbuffets, bereitet Rührei zu, deckt die Tische mit Hilfe des kleinen Servierwagens, den das Hotel für sie hat anfertigen lassen, oder kümmert sich um die Getränke. Für englischsprechende Gäste hat sich die dunkelhaarige schlanke Frau eigens einen Basiswortschatz angeeignet. Die Arbeit mache ihr Spaß, sagt Annegret Schiffner. Die Gäste seien freundlich und selbst ihr Lebenspartner habe festgestellt, dass sie viel besser gelaunt sei, seit sie wieder arbeite.
Näher am Menschen
"Alle Menschen verfügen über Ressourcen", bestätigen Carsten Stumpenhorst und Bettina Munding, die Direktorin des Hotels. Es gehe nur darum, sie zu erkennen und angemessen einzusetzen. Bevor sie in Trier tätig wurde, hatte die Hotelfachfrau mehrere Jahre lang ein großes Vier-Sterne-Haus geleitet. Hier sei sie viel näher am Menschen, berichtet die etwas über Fünfzigjährige, die von sich sagt: "Ich war schon immer sozial engagiert". Dass im Vinum der Begriff Behaglichkeit angemessen groß geschrieben wird, ist offensichtlich. Kein hektisches Personal, keine Hyperaktivität. Hier wird planvoll, aber nicht nach der Stoppuhr gearbeitet.
Wichtig ist auch Teamgeist, wie etwa beim Bettenmachen. Die körperlich anstrengende Arbeit ist Teamarbeit. Gemeinsam mit der Hausdame Esther Graf entfernt Veronika Biewers in einem Zimmer Betttücher und Kissenbezüge, bevor frische aufgezogen werden. Hand in Hand im Wortsinn arbeiten die beiden. "Der Schwächste gibt das Tempo an", sagt Esther Graf. Die Hauswirtschaftsbetriebsleiterin bringt langjährige Erfahrung aus einer großen Tagungsstätte mit. Um die Arbeitsabläufe zu veranschaulichen und den Lernprozess für seine behinderten Mitarbeiter zu erleichtern, hat das Haus eine Art Bildband erstellt, in dem die Arbeitsschritte und nötigen Handgriffe abgebildet sind. Nach ausreichender Einarbeitung funktioniere die Arbeitsteilung gut, bestätigt Esther Graf. Gleichwohl: auch wenn der Betrieb gut laufe, nachdem eine feste Arbeitsstruktur geschaffen sei, problemlos sei die Arbeit auch im Vinum nicht. Vor allem Ausfälle durch Krankheit seien angesichts der Personalstruktur häufiger als anderswo. Dafür mache es umso mehr Freude zu sehen, wie sich die behinderten Mitarbeiter durch ihre Tätigkeit entwickelten und viel selbstbewusster würden, erklärt Esther Graf.
Gebärdensprache gelernt
Auch Carola Beckmanns Selbstbewusstsein tut die Arbeit im Vinum offensichtlich gut. Fröhlich kommt sie an diesem Morgen die Treppe herauf, ihren Rucksack auf dem Rücken. Die allein erziehende Mutter arbeitet sechs Stunden an fünf Tagen im "House-Keeping". Auch wenn sie ihre Erfahrung als Hausfrau hier nutzen kann: "Das ist doch etwas anderes als ein Leben als Nur-Hausfrau", sagt sie. Nicht nur die behinderten Mitarbeiter lernen. Um sich mit ihrer gehörlosen Mitarbeiterin zu verständigen, hat Astrid Klebe, die unter anderem für Schichtleitung und Tourismusmanagement zuständig ist, die Gebärdensprache gelernt. "Darauf bin ich stolz."
Bau aus der Gründerzeit: das Integrationshotel liegt zentral in Trier.
Auch wenn seit der Eröffnung kaum zwei Jahre vergangen sind, hat das Vinum bereits Stammgäste. Auch EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider war schon mehrfach zu Gast. Bettina Munding freut sich über das positive Feedback ihrer internationalen zufriedenen Gäste. "Unsere Gäste bestätigen mir, dass man unseren Mitarbeitern die Freude an der Arbeit richtig anmerkt", berichtet die Hoteldirektorin". Viele Gäste würden sich inzwischen gerade wegen des Integrationsmodells für das Hotel entscheiden. Was für Bettina Munding allerdings am Schönsten ist: "Wir merken, wie hier durch unsere Arbeit Berührungsängste gegenüber behinderten Menschen abgebaut werden".
Information
Hotel Vinum, Bahnhofsplatz 7, 54292 Trier, Tel.: 0651/99474-0
Hotel Vinum - Website
Hotel Vinum - Email
Text: Eva-Maria Reuther / Fotos: Jens Grossmann