Diakonie und Dämonen

Mit pfälzischen Protestanten unterwegs in ihrer ghanaischen Partnerkirche
Musik und Tanz im Gottesdienst, präsentiert vom Frauenbund in Duakwa. Foto: Martin Rothe
Musik und Tanz im Gottesdienst, präsentiert vom Frauenbund in Duakwa. Foto: Martin Rothe
Seit gut dreißig Jahren sind Kirchengemeinden der Pfalz mit presbyterianischen Gemeinden in Ghana verbunden. Bei gegenseitigen Besuchen entdecken sie Gemeinsamkeiten - aber auch Irritierendes beim Partner aus dem jeweils anderen Land.

Ghana im Sommer 2011: Unweit der Hauptstadt Accra, in der Kleinstadt Akropong steht eine Presbyterianische Kirche. In der riesigen flachen Halle mit etwa tausend Plastikstühlen, haben sich mehrere hundert Gläubige versammelt. Unter Ihnen sind auch zwanzig Deutsche aus der Evangelischen Kirche der Pfalz. Die ist seit den Achtzigerjahren mit der Presbyterianischen Kirche von Ghana (PCG) partnerschaftlich verbunden. Mehrere pfälzische Gemeinden pflegen regelmäßig den Austausch mit ihrer jeweiligen Partnergemeinde in Ghana und fördern deren soziale Projekte. Doch was die deutschen Gäste gerade eben in ihren Ehrensitzen neben dem Altar erlebt haben, lässt sie verstört und fragend blicken: War das jetzt eine Inszenierung? Oder ist hier gerade wirklich etwas Wunderbares passiert?

"In the naaame of Jesus! Get out!"

Die Pfälzer Protestanten sind zu Gast in einem "Heilungs- und Erlösungs-Gottesdienst". Der Ablauf des Rituals: Eine Band spielt ohrenbetäubend hämmernde Musik - geeignet, Leute in Ekstase zu versetzen. Menschen, die sich durch Sorgen oder Sünden beschwert fühlen, werden nach vorn gebeten. Einige Gemeindemitglieder stehen auf, die meisten von ihnen sind Frauen. Auf jede einzelne von ihnen beten die Männer vom "Deliverance-Team" immer heftiger ein. Sie beschwören den angeblichen bösen Geist in ihren Klientinnen: "Get out! Get out! In the naaame of Jesus! Get out!" Einige der Frauen fangen plötzlich an, hysterisch zu schreien, fallen um und wälzen sich wie Besessene schreiend auf dem Boden. Dann werden sie zu ihren Plätzen zurückgeführt. Geht es ihnen nun besser? Augenscheinlich zumindest jetzt noch nicht.

Foto: Martin Rothe
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Dienstbesprechung in der Urwaldklinik Enchi: Klinikleiterin Philomena Yakong (links) mit ihren leitenden Mitarbeitern.

Foto: Martin Rothe
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Heilungsritual im Healing and Deliverance Center in Akropong.

Eine alte Frau wird vor die Gemeinde geführt. Sie scheint an den Beinen gelähmt zu sein, denn sie muss von beiden Seiten gestützt werden. Als auch auf sie eingebetet wird, schreit sie und fällt hin. Doch dann rappelt sie sich auf, stellt sich fest auf ihre Beine und beginnt herumzulaufen als wäre sie nie lahm gewesen, reißt die Hände hoch und jubelt. Ihre Angehörigen kommen gelaufen und erzählen der Gemeinde, wie krank die alte Frau gewesen und was für ein Wunder eben geschehen sei. Halleluja!

Böse und gute Geister

In der anschließenden Diskussion verweist der Leiter des "Healing and Deliverance Center", Evangelist Ebenezer Obboah-Offei, auf Jesus, der auch Dämonen ausgetrieben habe. Und Obboah-Offei kennt genau die Hierarchien der bösen und guten Geister. Charismatische Heilung brauchen ihm zufolge Kranke, Drogenabhängige, Homosexuelle, Verbrecher, Hexer, Leute, die oft Geld verlieren oder deren Geschäft nicht gut läuft. Und viele andere mehr. Folgt man dem Anamnese-Fragebogen seines Instituts, ist quasi jeder Mensch ein potenzieller Kunde seiner landesweiten Dämonenaustreibungsteams. Auf die Frage, ob es überhaupt jemanden gebe, der diese nicht brauche, antwortet der Heiler: "Nur der, der weiß, was Gott für ihn getan hat. Gesundheit und Wohlstand können da äußere Zeichen sein."

Die von Männern wie Obboah-Offei repräsentierte charismatische Bewegung befindet sich in Ghana auch in der Presbyterianischen Kirche im Aufwind. Wohl auch deshalb, weil sie einheimische Weltbilder aufgreift. Immer mehr Gläubige begeistern sich für die wortgewaltigen Auftritte der Heiler. In vielen Haushalten läuft ununterbrochen ein Fernsehkanal, der nonstop lautstarke Dämonenaustreibungen zeigt. Und seit 2010 steht ein charismatisch geprägter Theologe an der Spitze der Presbyterianischen Kirche. Dieser gehören knapp eine Million der 24 Millionen Ghanaer an. Und entsprechend der Demografie des ganzen Landes ist die PCG eine wachsende und sehr jugendliche Kirche.

Foto: Martin Rothe
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Ein Dorf am Volta-Fluss.

Doch die pfälzische Delegation hört auch mehrere Stimmen von Pfarrern und Laien, die angesichts dieser Entwicklung um das presbyterianische Erbe und die Einheit ihrer Kirche bangen. "Wir sind jetzt am Limit", sagt ein Gemeindepfarrer aus dem westlichen Kirchenbezirk. "Denn viele Kirchenglieder sind sich der Bedeutung von Bibel und Katechismus nicht mehr bewusst. Wir müssen auf unsere protestantischen Wurzeln aufpassen."

Missionare an der Goldküste

Diese Wurzeln liegen im Pietismus. 1828 landeten Basler Missionare an der damaligen "Goldküste", um die Frohe Botschaft zu verkünden. Und um damit zugleich eine Schuld ihrer europäischen Vorfahren abzutragen: Vor allem Portugiesen und Holländer hatten seit dem 15. Jahrhundert Einheimische in die neu errichteten Sklavenburgen an der Küste verschleppt und dann nach Amerika verschifft. Die ersten Missionare starben allesamt an der Malaria. Noch heute kann man ihre Gräber auf dem Friedhof von Accra-Abokobi besichtigen.

Dass die Basler dennoch nicht aufgaben, rechnen ihnen die Menschen in Ghana bis heute hoch an. Viele der Missionare waren junge Leute aus Südwestdeutschland. Einer von ihnen, Andreas Riis, begründete 1835 im hochgelegenen und weniger moskitoverseuchten Akropong die Keimzelle der heutigen Presbyterianischen Kirche. In den folgenden Jahrzehnten entstanden überall im Land Missionsstationen. Dort wurden für die Kinder Schulen eingerichtet. Jungen Leuten wurden Kenntnisse in Handwerk und Landwirtschaft vermittelt. Der Katechismus-Unterricht florierte. Riis und andere Missionare lernten die Landessprache Twi, gaben Wörterbücher heraus und übersetzten deutsche Choräle. Der Name der Basler Missionare hat bis heute überall in Ghana einen guten Klang: "Wir sind ihnen sehr dankbar", sagt ein Dorfhäuptling, "denn sie brachten uns zwei wichtige Dinge: das Evangelium und die Bildung!"

Foto: Martin Rothe
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Viele junge Missionare fielen in Ghana der Malaria zum Opfer.

Foto: Martin Rothe
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Eine Gedenktafel für Andreas Riis. Der Missionar aus Deutschland begründete die Presbyterianische Kirche in Ghana.

Die einheimischen Kirchen sind in die Fußstapfen dieser Missionare getreten, auch in Bezug auf ihr soziales Engagement: Die größten christlichen Konfessionen im Land sind die Presbyterianer und die Methodisten. Daneben gibt es Katholiken, Pfingstler, Baptisten und diverse Heilsarmeen. Auch die Zeugen Jehovas und verschiedene muslimische Strömungen sind stark vertreten. Die großen Kirchen unterhalten Schulen, Kindergärten und Kliniken. "Was in Ghana an Entwicklung gelang, haben zu 80 Prozent die Kirchen geleistet", sagt eine einheimische Pfarrerin. So ist es zum Beispiel engagierten Gläubigen wie der katholischen Hebamme Philomena Yakong zu verdanken, dass binnen zehn Jahren im entlegenen Enchi eine Urwaldklinik aus dem Boden gestampft wurde, mit protestantischen und muslimischen Mitarbeitern und finanzieller Unterstützung aus der Pfalz.

Religion überall

Die Pfälzer sehen auf ihrer Reise durch Ghana ein Land, in dem die Religion omnipräsent ist. So prangen Parolen wie "Praise the Lord!", "Gott allein!", "Holy Ghost, take control!" an der Heckscheibe jedes zweiten Autos. Stehen längere Fahrten an, wird bei Abfahrt und Ankunft ganz selbstverständlich gebetet. Inhaber vieler Friseursalons, Handy-Shops und Tankstellen schmücken ihre Fassaden mit glaubensstarken Bibelversen. Nicht ungewöhnlich sind Geschäftsnamen wie "Psalm 23 Beauty Salon". An den Straßenrändern kleben Hochglanzplakate, auf denen sich populäre Prediger und Exorzisten empfehlen.

In allen Orten verkünden Plakate den "Home Call" eines begüterten Mitbürgers: Will heißen, die mit Foto abgebildete Person wurde "zur himmlischen Ehre heimgerufen", und das ganze Viertel ist zur "Celebration of Life" eingeladen, zum Trauergottesdienst mit fröhlichem Leichenschmaus. Bis tief in die Nacht hinein übertragen Lautsprecher ins ganze Viertel, wie sich eine Erweckungskirche in Ekstase singt. In welcher Gemeinde auch immer man gerade zu Gast ist, immer heißt es gleich nach der Begrüßung: "Come, let us share a word of prayer!", lassen Sie uns gemeinsam beten.

Foto: Martin Rothe
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Pfarrerin Marianne Wagner und Klinikleiterin Philomena Yakong neben dem Fahrzeug für den Mobilen Medizinischen Dienst des Krankenhauses in Enchi.

Foto: Martin Rothe
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Herzlicher Empfang in Duakwa für eine Vertreterin der Partnergemeinde aus Neustadt/Weinstraße.

Ein Sonntagmorgen in Duakwa, im Süden Ghanas: Allmählich füllt sich die presbyterianische Dreifaltigkeitskapelle. Der Gottesdienst beginnt mit einem schwungvollen Choral. Eskortiert vom schwarz gekleideten Kirchenchor, dessen Sänger eine Art Doktorhut tragen, ziehen der "Reverend Minister" und seine Gäste ein. Zusammen mit den Kirchenältesten nehmen sie neben dem Altar auf Prunksesseln Platz. Der Gottesdienst dauert dreieinhalb Stunden, ist aber sehr abwechslungsreich: Zu den von einer Band begleiteten Chorälen wird geklatscht, geswingt, getanzt. Die vielen Kinder und jungen Leute sind begeistert dabei. Verschiedene Gemeindegruppen, Frauenbund, Männerbund, Jugendliche, Kindergottesdienst, treten mit eigenen Lobpreis-Performances in Erscheinung. Mehrfach pilgert die festlich gekleidete Gemeinde tanzend zu den Opferstöcken vor dem Altar. Viele Aufgaben innerhalb der Liturgie übernehmen Laien. Der Pfarrer hält eine mitreißende Predigt in Twi und beendet wichtige Passagen mit einem energischen "Halleluja", auf das die Gemeinde begeistert mit "Amen" antwortet.

Diakonische Expertise

Gäbe es nicht die Bibellesungen und das Vaterunser, könnte man meinen, die anwesenden Protestanten aus Deutschland entstammten einer anderen Weltreligion - fällt es doch manchen pfälzischen Gemeinden schon schwer, überhaupt das "Amen" nach den Gebeten mitzusprechen. Beim ihrem Besuch in der Pfalz 2010 hatten sich die Gäste aus Ghana über den geringen Gottesdienstbesuch gewundert - vor allem die wenigen jungen Leute. In Ghana hören die Pfälzer allerdings auch selbstkritische Töne der Afrikaner - angesichts der bestaunten Effizienz und diakonischen Expertise der Deutschen. Halb im Spaß konstatiert ein Kirchenältester: "Manchmal beten wir unter der Woche zu viel. Wir müssen lernen: Effizient arbeiten und gleichzeitig beten - das geht!"

Foto: Martin Rothe
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Die Ortspfarrer von Duakwa weihen zusammen mit Vertretern aus der deutschen Partnergemeinde ein neues Kindergartengebäude ein.

Was den Ghanaern die Kraft gibt, angesichts widrigster Umstände so heiter und gelassen zu sein? Nicht weit entfernt von Duakwa, in der Kleinstadt Nsaba, gibt es ein noch heute genutztes Missionshaus. Dort ist an einer Wand zu lesen: "No matter the circumstances: I know I'm safe. Because I'm confined in God's hand", was auch passiert, ich bin sicher in Gottes Hand.

Foto: Martin Rothe
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Gebet auf der Heckscheibe: Ghanas Alltag ist religiös geprägt.

Text und Fotos: Martin Rothe

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