Adonaj, Vater, Mutter...

Gespräch mit dem Alttestamentler Frank Crüsemann über Gottesbilder in der Bibel
(Foto: v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel)
(Foto: v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel)
Man kann von Gott nicht reden, ohne vom Menschen zu reden und umgekehrt, sagt der Alttestamentler Frank Crüsemann. Aber: Gott ist nicht identisch mit dem, was wir über Gott denken oder sagen.

zeitzeichen:

Herr Professor Crüsemann, welche Gottesbilder sind für das Alte Testament zentral?

FRANK CRÜSEMANN:

Da beginnt man am besten mit dem Dekalog. Dort stellt sich Gott zunächst mit seinem Namen vor, den Juden nicht aussprechen, sondern als "Adonaj" wiedergeben, Gott ist "dein Gott". Er steht in einer Beziehung zum Volk Israel, aber auch zum Menschen überhaupt.

Wichtig ist dann, und auch das wird zu Beginn der Zehn Gebote deutlich, dass Adonaj diese Beziehung durch die Befreiung bestimmt, konkret: die des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten. Gott ist ein Gott der Freiheit. Dann folgt das Gebot, keine andere Gottheit zu verehren, also das, was man abstrakt Monotheismus nennt, und das Bilderverbot.

Und last not least folgen die ethischen Gebote. Gott und Ethik gehören also zusammen. Dazu kommt: Der Mensch ist Ebenbild Gottes und das heißt, man kann von Gott nicht reden, ohne vom Menschen zu reden und umgekehrt.

Wie kommt es, dass Israel so ein Gottesbild entwickelt?

FRANK CRÜSEMANN:

Darüber wird in der Forschung sehr kontrovers diskutiert. Aus archäologischen Funden wissen wir, dass mindestens bis zum sechsten Jahrhundert vor Christus, als die Israeliten ins babylonische Exil verschleppt wurden, es in fast jedem jüdischen Haus auch weibliche Gottesbilder gab. Die Entwicklung zum Monotheismus hat Jahrhunderte gedauert. Von ihr wissen wir im Detail allerdings recht wenig, sie gleicht einem dunklen Raum, in dem wir hin und wieder ein paar kleine Lichter sehen. Und wie ist es dazu gekommen, dass sich Juden und Christen Gott immer wieder als Mann vorgestellt haben?

FRANK CRÜSEMANN:

In der Schöpfungsgeschichte heißt es, dass Gott den Menschen als Gottes Ebenbild geschaffen hat, und zwar männlich und weiblich. Das bedeutet: Beide Geschlechter sind Ebenbild Gottes, und so kann Gott nicht nur eines von beiden sein.

Bevor Gott als Einheit verehrt wurde, ist der Gott Israels wohl männlich gedacht worden. Ja, es gibt Hinweise, dass er damals wahrscheinlich auf weibliche Gottheiten bezogen war. Doch mit dem Weg zum Monotheismus ändert sich das. Das Ergebnis zeigt sich in der Bibel.

Kennt denn die Bibel weibliche Züge Gottes?

FRANK CRÜSEMANN:

Ja. Die weiblichen Gottheiten sind mit ihren Zügen genauso in das Gottesbild Israels integriert worden wie die männlichen. So wird Gott mit einer Mutter verglichen, die ihr Kind in den Arm nimmt und die für es sorgt. Und auch die Güte und die Liebe, die Gott im Alten Testament zugeschrieben werden, sind ja nicht primär männliche Eigenschaften. Wie erklären Sie sich dann, dass das männliche Gottesbild die Überhand gewonnen hat bis hin zu den Darstellungen Gott als alten Mann mit Bart?

FRANK CRÜSEMANN:

Die künstlerischen Darstellungen Gottes als alter Mann mit Bart, durch Albrecht Dürer, Michelangelo und viele andere, bedeuten einen Bruch des Bilderverbotes, wie das im Judentum nie vorgekommen ist. Eine Rolle spielt dabei wohl, dass Jesus Gott seinen Vater nennt. Dabei ist das ein sprachliches Bild, von dem man weiß, dass es – wie alle sprachlichen Bilder - nicht mit Gott gleichgesetzt werden darf.

Dass es in der Bibel, gerade auch im Alten Testament, viele männliche Sprachbilder für Gott gibt, liegt doch an der patriarchalischen Gesellschaft, in der die Bibel entstanden ist, oder?

FRANK CRÜSEMANN:

Ja, aber umso erstaunlicher ist doch, dass es auch starke gegenläufige Aussagen gibt, zum Beispiel dass Gott kein Mann ist oder mit einer Mutter verglichen wird.

Aber die männlichen Sprachbilder überwiegen doch.

FRANK CRÜSEMANN:

Numerisch schon, aber die Theologie hat immer betont, dass Gott in den männlichen Sprachbildern nicht aufgeht. Gott steht als Schöpfer jenseits der Polarität der Geschlechter, die die Mensch- und Tierwelt durchzieht. Das hat man zumindest abstrakt immer gewusst.

Ansonsten muss man unterscheiden zwischen dem, was in der Bibel steht, im hebräischen Urtext des Alten Testamentes, und was in Übersetzungen. So hat auch Luther den Gottesnamen, den Juden nicht aussprechen, sondern mit "Adonaj" wiedergeben, mit "Herr" übersetzt.

So steht im Alten Testament sechstausendmal Herr, obwohl da eigentlich gar nicht von "Herr" die Rede ist. So geht er in den Zehn Geboten in erster Linie nicht um Herrschaft, sondern um Freiheit und Beziehung.

Um noch einmal auf das Bilderverbot zurückzukommen, gilt das auch für Christen?

FRANK CRÜSEMANN:

Ja. Denn es verhindert, dass man Gottesbilder, figürliche wie gedankliche und sprachliche, mit der Wirklichkeit Gottes gleichsetzt. Gott ist eben nicht identisch mit dem, was wir über Gott denken oder sagen. Diese Einsicht gehört zur christlichen Theologie unbedingt dazu.

Unter den Christen haben besonders die Reformierten das Bilderverbot des Alten Testamentes betont, die Protestanten, die sich dem Erbe der Schweizer Reformatoren Ulrich Zwingli und Johannes Calvin verpflichtet wissen. Haben sie die Zehn Gebote besser verstanden als Lutheraner oder Katholiken?

FRANK CRÜSEMANN:

An dieser Stelle ja.

Zu den gedanklichen und sprachlichen Bildern Gottes, die weit verbreitet sind - man hat den Eindruck, außerhalb der Kirche wesentlich stärker als in ihr - gehört das Klischee: Der Gott des Alten Testamentes ist ein Gott der Rache, der des Neuen Testamentes ein Gott der Liebe.

FRANK CRÜSEMANN:

Darüber kann ich mich nur wundern. Denken Sie nur an die Psalmen, die wir im Gottesdienst beten und wo vom Gott der Liebe die Rede ist, dem, "der alle deine Sünden vergibt und heilet alle deine Gebrechen" (Psalm 103). Oder denken Sie nur an Psalm 23: "Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang." Die Rede von Gott, der die Menschen liebt und sich ihnen zuwendet, stammt doch aus dem Alten Testament.

Und umgekehrt ist im Neuen Testament auch vom Jüngsten Gericht die Rede und davon, dass Gott das Recht durchsetzt und die Mächte des Bösen, und da sind in der Johannesoffenbarung konkret die Römer gemeint, vernichtet. Das wird seltsamerweise oft zur Seite geschoben.

Natürlich gibt es im Alten Testament eine Reihe von Texten, die von Gott und Gewalt so reden, wie wir das im Christentum nicht mehr gewohnt sind. Dabei kann die Sprache der Gewalt aber ein Mittel sein, reale Gewalt zu bewältigen.

Zum Beispiel?

FRANK CRÜSEMANN:

Ein wichtiges Beispiel sind die so genannten Rachepsalmen. In ihnen breiten Menschen vor Gott ihr Leid aus, beklagen erfahrene Gewalt. lassen ihrem Zorn freien Lauf und äußern den Wunsch nach Vergeltung. Aber solche Gefühle haben nun einmal Menschen, denen andere Menschen Schreckliches angetan haben, deren Angehörige ermordet wurden. Wer solche Hassgefühle und Vergeltungswünsche vor Gott ausbreitet, ist vielleicht davor gefeit, sie selbst auszuagieren.

Und er kann sie transformieren - möglicherweise.

FRANK CRÜSEMANN:

Vielleicht. Denn in diesen Psalmen wird Gott die Rache anheim - und die eigene Rache damit hintangestellt. Diese Haltung reicht ja bis ins Neue Testament, bis Paulus, der seine Glaubensgeschwister auffordert, sich nicht selbst zu rächen, sondern dies Gott zu überlassen (Röm 12,19).

Sie haben es einmal als "falsche Lehre" bezeichnet, "dass in Jesus Christus ein Moment der Güte Gottes erschienen ist, das vorher nicht sichtbar war". Heißt das, Juden und Christen haben dasselbe Gottesbild?

FRANK CRÜSEMANN:

Im Kern bestimmt. Natürlich konzentrieren wir Christen uns auf Jesus von Nazareth als den Messias, den Christus. Und diesen Glauben teilen Juden nicht.

Andererseits wird im Neuen Testament Jesus fast durchgängig mit alttestamentlichen Begriffen beschrieben. Es gibt im Neuen Testament sozusagen kein Wort über Jesus, das nicht der jüdischen Tradition entnommen ist.

Im Mittelpunkt jüdischer Gottesdienste steht zudem viel stärker als in christlichen der Bezug Gottes zu Israel. Aber das sind aus meiner Sicht Akzentunterschiede. Denn der Kern des Gottesbildes vom Schöpfergott, lebendig und gütig, vergebend und befreiend, ist identisch. Ja, das Christentum hängt an dieser Identität - daran, dass auch wir es mit dem Gott des Alten Testamentes zu tun haben und mit keiner anderen Größe.

Wenn Sie dies so stark betonen, halten Sie dann das christliche Konzept eines dreieinigen Gottes für angemessen?

FRANK CRÜSEMANN:

In Christus begegnet uns, den nichtjüdischen Menschen, Israels Gott, der Gott des Alten Testamentes. Das ist der Kern dessen, was wir dann als die Trinitätslehre bezeichnen. In der Art und Weise, wie sie in der alten Kirche entwickelt worden ist, ist sie natürlich auch Ausdruck ihrer Zeit, eines Denkens und einer Theologie, die ab dem zweiten Jahrhundert stark antijüdisch gewesen ist und große Teile der Bibel nicht mehr zu Worte kommen ließ.

Wenn Sie das Alte und Neue Testament betrachten, welche Merkmale Gottes sind für Christinnen und Christen unverzichtbar bei allen Gottesbildern, die Menschen so haben?

FRANK CRÜSEMANN:

Die Glaubensbekenntnisse der Kirche haben immer wieder versucht, dieses Wesentliche zu formulieren. Das reicht von den altkirchlichen Bekenntnissen der ersten Jahrhunderte über die Bekenntnisschriften der Reformationszeit bis zur Barmer Theologischen Erklärung von 1934. Dabei wurden, in Abwehr von Irrlehren, immer besondere Züge Gottes betont, anderes blieb dagegen im Hintergrund. Deshalb würde ich sagen, dass die Bibel insgesamt das Gottesbild enthält, das für uns unverzichtbar ist, mit all der Vielfalt, Fülle und Widersprüchlichkeit, die sich dort findet.

Und es ist halt so, und wir sollten das auch ganz gelassen hinnehmen, dass wir immer nur bestimmte Ausschnitte des biblischen Gottesbildes aktualisieren. Andere werden dann vielleicht von der nächsten Generation wieder entdeckt. So wie im christlich-jüdischen Dialog der vergangenen Jahrzehnte Christen und Christinnen entdeckt haben, dass der Bezug Gottes auf das Volk Israel auch für sie und ihren Glauben von Bedeutung ist.

Natürlich stehen wir immer in der Gefahr, wichtige Aspekte des Gottesbildes der Bibel wegzulassen. Wenn man zum Beispiel das Bilderverbot weglässt, wie das im Christentum oft geschehen ist, kommt es leicht dazu, dass bestimmte Züge Gottes dominieren, wie die eines alten Mannes mit Bart, die dann in der Folgezeit wieder korrigiert werden müssen.

Wenn Sie die Gottesbilder betrachten, die in der Kirche en vogue sind, welche sollten aus Ihrer Sicht korrigiert werden?

FRANK CRÜSEMANN:

Ich habe schon darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung Gottes als Herr zu dominant ist, was nicht heißen soll, dass sie vollkommen verschwinden soll. Und beim Wort "Vater"

denken wir zu wenig daran, dass auch dieses nur ein Bild ist, ein sprachliches, und ihm das Wort Mutter genauso zur Seite gestellt werden kann, ganz zu schweigen davon, dass es auch Bilder jenseits von Vater und Mutter gibt.

Außerdem habe ich den Eindruck, dass das Bild von Gott als Richter, der Gerechtigkeit schafft, in den vergangenen Jahren zugunsten eines nur sanften Gottes zurückgetreten ist. Dabei ist doch die Vorstellung der Gerechtigkeit, die Gott gegen den Widerstand von Gewaltherrschern und Ausbeutern herstellt, eine zentrale Vorstellung des Alten und des Neuen Testamentes.

Das geschieht letztlich, ein für allemal, beim Jüngsten Gericht.

FRANK CRÜSEMANN:

Ja. Und gerade bei solchen eschatologischen Vorstellungen, bei Vorstellungen, die über den Tod hinausgehen, können wir nur in Bildern denken und reden. Zum Zentrum des Monotheismus gehört die Vorstellung, dass wir in all den Erfahrungen, die wir machen, den positiven wie den negativen, einer einzigen Größe begegnen, die auch noch als gerecht und lieb gedacht wird und die sich durchsetzen wird, die letztlich Gerechtigkeit durchsetzt. Das ist der Kerngedanke des biblischen Gottesbildes.

Und wie geht das Jüngste Gericht aus? Kommen die einen in den Himmel und die anderen in die Hölle? Oder werden am Ende alle versöhnt?

FRANK CRÜSEMANN:

Das biblische Recht, gerade auch das alttestamentliche Strafrecht, unterscheidet sich von unserem Strafrecht. Dieses haben wir vor Augen, wenn wir an das Jüngste Gericht denken. Leute werden bestraft, müssen eine Geldstrafe zahlen oder ins Gefängnis. Im Alten Testament kommt es dagegen zu einem Ausgleich mit den Geschädigten.

Zu einem Opfer-Täter-Ausgleich.

FRANK CRÜSEMANN:

Genau. Und so darf man sich wohl auch das Gericht Gottes vorstellen. Ich glaube, dass die mittelalterlichen Höllenvorstellungen mit der Bibel nicht viel zu tun haben. Es geht vielmehr darum, dass die Opfer, die in einem unsagbaren Maße Gewalt erfahren und dadurch wohlmöglich ihr Leben oder Angehörige verloren haben, am Ende zu ihrem Recht kommen. Dass Gott dafür einsteht, das gehört für mich zum Gottesbild, wie es in der Bibel immer wieder zu sehen und zentral ist.

Das Besondere am jüdischen Gottesglauben, den dann im Christentum Nichtjuden übernommen haben, ist die Einsicht: Das Gottesbild, das wir haben, ist mit der Realität Gottes nicht identisch. Da bleibt immer ein Unterschied. Aber woher kann ich wissen, dass ich es mit der Realität Gottes zu tun habe und nicht nur mit menschlichen Bildern von ihm?

FRANK CRÜSEMANN:

Das Wichtigste, was wir über Gott wissen, stammt aus Erzählungen. Die älteste Erzählung handelt von der Befreiung aus Ägypten. Diese Momente von Freiheit und Befreiung wieder ins Zentrum zu rücken, scheint mir fundamental wichtig zu sein, wenn man heutigen Menschen den Gott der Bibel nahebringen will. Deren Skepsis gegenüber Gott, hängt gerade mit dem jahrhundertelangen Bruch des Bilderverbots zusammen. Wenn Kinder lernen, dass Gott ein alter Mann im Himmel ist, dann ist es kein Wunder, dass sie den Gottesglauben ablegen, wenn sie erwachsen werden. Jener Gott ist kein Gott, an den man glauben kann. Und ist erst recht nicht der Gott der Bibel.

Ein zentraler Punkt des biblischen Gottesbildes ist doch auch, dass Gott kommuniziert.

FRANK CRÜSEMANN:

Genau. Wir reden nicht über eine Gottheit, die irgendwo im Weltall ist, sondern die den Mensch als Gottes Ebenbild geschaffen hat und mit diesem in Beziehung getreten ist, zuerst mit Israel und dann - durch Jesus Christus – mit den nichtjüdischen Völkern.

Das Gespräch führten Kathrin Jütte und Jürgen Wandel am 21. Oktober in Bielefeld. LITERATUR Frank Crüsemann: Das Alte ­Testament als Wahrheitsraum des Neuen. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh Februar 2011, 384 Seiten, Euro 29,95. Frank Crüsemann et al. (Hg.): Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh

Frank Crüsemann lehrte bis zu seiner Emeritierung an der Kirchlichen Hochschule in Bethel. Der 72-jährige Alttestamentler beschäftigt sich im Schwerpunkt mit der Hermeneutik und der Sozialgeschichte des Alten Testaments. Und er ist Mitherausgeber der "Bibel in gerechter Sprache".

Frank Crüsemann

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