Tausend Lavendel im August

Gabriella Pape: Was der Mensch im Garten lernen kann
Die Landschaftsarchitektin Gabriella Pape. (Foto: Isabella van Groeningen)
Die Landschaftsarchitektin Gabriella Pape. (Foto: Isabella van Groeningen)
Ein Garten ist immer ein Stück gezähmte Natur, sagt Gabrielle Pape. Ein Gespräch mit der Landschaftsarchitektin über "Angstgärten" des 16. und 17 Jahrhunderts, die Technikverliebtheit deutscher Gartenfreunde und die Experimentierlust und Leidenschaft am Gärtnern der Engländer.

Sie hat ihr Studium am größten Botanischen Garten der Welt, Kew Gardens in London, mit Auszeichnung abgeschlossen und darüber hinaus ein Diplom für Landschaftsarchitektur der Universität Greenwich erworben. Gabriella Pape ist heute Vorsitzende der Gesellschaft zur Förderung der Gartenkultur. Und vor zwei Jahren hat die 47-Jährige die Königliche Gartenakademie in Berlin-Dahlem gegründet.

zeitzeichen:

Frau Pape, Sie haben 2008 die Königliche Gartenakademie in Berlin-Dahlem gegründet. Davor gab es schon Auszeichnungen und begehrte Gartenpreise. Woher kommt Ihre Faszination für das Gärtnern und für Gärten?

GABRIELLA PAPE:

Die ist mir in die Wiege gelegt. Ich bin in Gärten aufgewachsen. Zunächst in einem ganz winzigen Dorf namens Buchholz in der Nordheide. Dort hatten wir ein Häuschen mit großem Grundstück. Meine Mutter hat den Garten bestellt. Später, als ich sieben oder acht war, sind wir in die Stadt, in ein Reihenhaus, gezogen. Auch dort gab es einen großen Garten mit Staudenbeeten, Gemüse und anderem. Ich habe schon in mei­ner Sandkiste Baumschulen angelegt. Statt einer Puppenstube baute ich kleine Gärtnereien. Das ist wirklich ein angeborener grüner Daumen.

Gab es jemanden, der Sie beeinflusst hat?

GABRIELLA PAPE:

Der alte Nachbar Vollrath tauchte ein­es Tages am Gartenzaun auf. Den konnte ich immer alles fragen. Seine Leidenschaft war der Kompost, die habe ich von ihm geerbt. Und die Lust an Pflanzen und Sträuchern. Deshalb habe ich auch erst einmal eine Ausbildung als Baumschulerin gemacht. So heißt das, nicht etwa "Baumschülerin". Ich war übrigens die erste weibliche Auszubildende in der Geschichte der Baumschule Lorenz von Ehren in Hamburg. Später folgte das Studium "Horticulture" in Kew-Gardens (London) und dort auch ein zweites Studium der Landschaftsarchitektur. Heute interessieren mich mehr die Stauden und die Blumen. Das hat sich so entwickelt.

Kann man eigentlich einfach so über Gärten sprechen, wie wir das gerade tun, oder sollten wir erst definieren, was ein Garten ist?

GABRIELLA PAPE:

Man braucht immer eine Definition. Viele Menschen kommen zu mir, um ihren Garten zu verschönern, und ich stelle fest, die haben nur ein Stück Land. Da gibt es schon Unterschiede: Ein Garten hat für mich eine Struktur, die muss nicht gestaltet sein, aber sie hat eine Räumlichkeit mit unterschiedlichen Pflanzen, mit Blumen, Sträuchern und eventuell auch Gemüse. Ein Garten ist also immer ge­zähmte Natur. Sobald zum Beispiel ein Zaun um die Blumen ge­zogen wird, können die Pflanzen nicht mehr wachsen wie sie wollen.

Außerdem: Natur braucht Platz; diese Flächen haben wir heutzutage gar nicht mehr. Ein Beispiel: Auf 200 Quadratmetern entsteht mit Geduld zwar auch Natur, wenn man sie lässt. Da kommt zunächst die Brennnessel, danach die Brombeere. Nach der Brom­beere das Pioniergehölz, die Birke und die Buche und danach die Eiche. Und dann sprechen wir wieder von ein­em Wald. Ein Garten ist jedenfalls nicht Natur, sondern eine Zähmung der Natur auf engem Raum.

Dann gehört zum Garten auch der Gartenzaun?

GABRIELLA PAPE:

Nein. Aber der Zaun ist meistens da, um sich von den Nachbarn abzugrenzen. Oder eine Hecke oder ein Graben wie in England um die großen Landschaftsparks. Früher waren die großen Gärten oft eingemauert, die Parkanlagen mit riesigen Hecken um­geben, weil man nicht nur Angst vor Wildschweinen, sondern auch vor Fremden, ja vor der Welt draußen hatte. Diese Gärten des 16. und 17. Jahrhunderts nenne ich Angstgärten. Mit ihnen wollte man beweisen, dass die Natur sich der menschlichen Kraft und Gewalt zu beugen habe.

Die strengen Schnitte waren Ausdruck dieser Haltung. Zum Beispiel in Versailles mit diesen riesigen Lindenalleen, die immer beschnitten wurden und gar keine mächtigen Bäume sein durften. Nach dem Motto: Wir können der Natur sagen, wie sie zu wachsen hat. Wir wollen über die Natur herrschen.

Sprechen wir über England. Dort haben Sie 25 Jahre gelebt und als Landschafts­architektin sehr erfolgreich gearbeitet. Worin unterscheiden sich Deutsche und Eng­länder im Umgang mit ihren Gärten?

GABRIELLA PAPE:

Die Engländer sind ganz mit dem Herzen und der Seele bei den Gärten. Sie sind Teil ihres Lebens. Es ist kein Conversation Killer, wenn man in Eng­land über Gärten spricht. Der Garten verbindet Arm und Reich, Jung und Alt, Männer und Frauen. Aber das eigentliche Geheimnis be­steht darin, dass Engländer außerordentlich viel in ihre Gärten hineingeben: Geduld, Liebe und ständige lust­volle Pflege.

Unserer deutschen Mentalität entspricht es hingegen eher, dass wir eine Pflanze in den Boden stecken, und diese soll möglichst sofort etwas bringen. Geht sie aber ein, versuchen wir es erneut, vorzugsweise mit der gleichen Pflanze. Das wäre doch gelacht, wenn wir das nicht schafften. Der Engländer hat eine andere Philosophie: Geht etwas ein, nimmer er das zur Kenntnis: "Platz für etwas Neues", sagt er sich.

Es gibt also typisch Deutsches im Garten zu entdecken?

GABRIELLA PAPE:

Oh ja. Zum Beispiel der Preisvergleich liegt uns Deutschen offenbar im Blut. Wer in der Gärtnerei vor dem Pflanzenangebot steht, schaut erst auf das Preisschild: "Teuer!" Der Preis entscheidet oft über den Kauf. Der Engländer schaut ebenfalls auf das Schild, aber auf die Seite mit dem Namen. Er will wissen, wie die Pflanze heißt, die ihm so gut gefällt. Da wundert es mich nicht wirklich, dass Gartenliebhaber auf den britischen Inseln über ein ungeheuer großes Repertoire an Pflanzennamen und -kenntnissen verfügen.

Und dann ist da noch das unausbalancierte Verhältnis zwischen den Hütten mit dem Gartenzubehör und dem Verhältnis zu Pflanzen und ihrer Pflege. Hobbygärtner in Deutschland können mitunter kleineren Gartencentern Konkurrenz machen. Nur Pflanzen gibt es wenig. Wir Deutschen sind technisch verliebt, weil wir glauben, die teure Technik könnte uns die Gartenarbeit versüßen.

Stichwort "Gartenarbeit". Der Deutsche spricht selbst, wenn er im Garten seinem Hobby nachgeht, von Arbeit. Spiegelt die Sprache da eine innere Haltung?

GABRIELLA PAPE:

Ich denke schon. Die Sprache offenbart einen Unterschied: "Gardening" statt "Gartenarbeit". Der Engländer widmet sich dem Garten und spricht von Gardening, im Grunde gärtnert die ganze Nation. Der Deutsche hin­gegen leistet Gartenarbeit - mit allen Konsequenzen.

Die da wären?

GABRIELLA PAPE:

Ein Gefühl der Anstrengung. Auch die Sorge, etwas falsch zu machen. Dabei gibt es im Garten kein gänzlich Richtig oder Falsch. Die Natur lässt sich nicht versachlichen, sie lebt, sie ver­geht. Ein Garten erlaubt Leichtigkeit. Dieses "Paradies vor der eigenen Haus­tür", wie der Engländer seinen Vorgarten gern nennt, beginnen wir in Deutschland erst allmählich zu entdecken.

Setzt hier die von Ihnen gern beschworene Gartenkultur ein? Was verstehen Sie eigentlich unter Gartenkultur?

GABRIELLA PAPE:

Gartenkultur setzt dort an, wo der Mensch die Pflanze den Boden berühren lässt. Schon das ist Kultur, denn ich kultiviere die Pflanze und überlasse sie nicht mehr allein der Natur. Je nach den Vorstellungen des Gärtners wird kultiviert. Pflanzen können lernen, an bestimmten Orten zu wachsen. Und wir können lernen, es ihnen beizubringen, in dem wir berücksichtigen, was die Pflanze braucht, um dort glücklich zu sein.

Gartenkultur ist dagegen nicht die Summe vieler schöner Entwürfe und Ausführungen von Gärten. Gartenkultur hat mit dem schier unendlichen Wissenskanon über die Pflanzen und ihre Lebensbedingungen zu tun, den sich der Mensch zu eigen macht, um in Einklang, aber auch im Widerstreit mit der Natur, seine Vorstellungen und Bedürfnisse durchzusetzen.

Wo also Menschen mit Kenntnissen über Pflanzen sich um ihr Gedeihen kümmern, entsteht Gartenkultur.

Dann ist Wissen der Schlüssel?

GABRIELLA PAPE:

Ja. Aber in jedem Fall muss der Gärtner, die Gärtnerin verstehen, dass er immer nur ernten kann, was er auch gibt. Das hat auch mit Liebe zu tun. Das beste Beispiel dafür sind Zwiebeln. Ich kenne kein Land, in dem die Leute so zurückhaltend mit Zwiebelpflanzen sind wie in Deutschland. Vielleicht liegt das daran, dass man sie kaufen muss, wenn sie am hässlichsten sind, kleine schrumpelige Dinger. Sie brauchen Geduld. Die Hoffnung und Zuversicht, dass daraus im Frühjahr etwas wächst und blüht, muss man eben schon im Oktober und November haben.

In Ihrem Buch "Meine Philosophie lebendiger Gärten" beklagen Sie den Verlust von Gartenkultur in Deutschland. Warum? Was war früher anders?

GABRIELLA PAPE:

Bei Gartenkultur denken wir üblicherweise an große Gartengestalter oder wundervolle Garten- und Parkanlagen: an Peter Joseph Lenné und seine Werke, wie den Park von Sanssouci in Potsdam, die Pfaueninsel oder den Tiergarten in Berlin; an Fürst Hermann von Pückler-Muskau und seine Gärten in Muskau und Branitz; an Friedrich Ludwig von Sckell und den Eng­lischen Garten in München.

Diese Gartenkultur ist in Deutschland, wo sie einst diese bedeutenden Vertreter hatte, wo Einrichtungen und Institutionen diesen Wissenskanon pflegten, aus meiner Sicht abhanden ge­kommen. Hier wird Kultur heute eher mit alten Gebäuden, alten Bildern, alter Musik in Verbindung gebracht. Ein derart umfassendes Studium der Gartenkultur, wie ich es im englischen Kew absolvieren durfte, ist heute in Deutschland gar nicht mehr möglich. Noch vor achtzig Jahren allerdings konnten Sie dieses an der Königlichen Gärtnerlehranstalt Dahlem in Berlin-Steglitz tun.

Welche Rolle spielte bei diesem Verlust in Deutschland die Erfahrung von Krieg und Diktatur?

GABRIELLA PAPE:

Eine große, denke ich. Das Land lag in Trümmern. Es standen andere Dinge auf der Tagsordnung als ein Garten und blühende Blumen. Aus den Er­zählungen meiner Großmutter sehe ich immer die Arbeit der Trümmerfrauen vor mir, wie sie jeden Mauerstein gereinigt, gestapelt und zum Wiederaufbau vorbereitet haben. Ich bin keine Sozialforscherin, aber ich denke, dass die Menschen hierzulande eine innere Schuld und Scham mit sich herumtrugen. Und deshalb wollten sie zeigen, dass sie trotzdem etwas leisten konnten. Daraus folgte "Vorsprung durch Technik", aber eben nicht durch Pflanzen.

Und heute ist der Beruf des Gärtners einer der am schlechtesten bezahlten in Deutschland.

GABRIELLA PAPE:

Ich weiß nicht, woher das Klischee kommt, Gärtner seien nicht intelligent. Hier, auf dem Gelände der ehe­maligen Königlichen Gärtnerlehranstalt, gab es 1903 67 Ausbil­­dungs­teams. Und der Gärtner am Hofe war schon seit Mitte des 18. Jahrhundert der wichtigste Mann im Lande. In England, Deutschland und in Frankreich waren die Gärtner am Hofe die höchstbezahlten Männer. Sie hatten zwischen 50 und 100 Leuten unter sich. Es entwickelten sich mit der Zeit ganze Dynastien von Hofgärtnern, in denen die Söhne die Stellen der Väter übernahmen.

Bevor solche Ausbildungsstätten wie die von Lenné im neunzehnten Jahrhundert gegründet wurden, erwarben die angehenden Hof­gärtner ihr Wissen durch Reisen, vornehmlich ins Ausland. Königshäuser, allen voran das preußische, holten sich die besten und kreativsten Köpfe als leitende Hofgärtner. Der Hofgärtner plante die Anlage und den Pflanzenanbau, er entwarf und verwaltete einen vom König oder Fürsten bewilligten Etat.

Wie kommt es, dass so viel botanisches Wissen in den vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen ist?

GABRIELLA PAPE:

Das liegt auch daran, dass wir in die Städte gezogen sind und dort in Wohnungen ohne Gärten und Pflanzen leben. Und dass die urbane Kultur eine lebensstilbildende Kraft hat. Im vergangenen Jahr hatten wir hier auf dem Gelände in ein Beet eine Kletterbohne gepflanzt. Niemand kannte sie mehr. Dabei kann man sie im Frühjahr einsetzen und dann blüht sie den ganzen Sommer orange. Ganz abgesehen davon, dass Sie ab und zu ein paar Bohnen ernten können. Inzwischen möchten auch viele Eltern für ihre Kinder kleine Gemüsegärten anlegen. Die täten aber auch den Eltern gut, denn viele erkennen weder Rote Beete noch Rotkohl.

Der Garten ist also in der Nachkriegszeit stiefmütterlich behandelt worden. Aber auch heute noch verblüfft die Einheitlichkeit vieler Vorgärten- oder Balkonbepflanzungen. In spätsommerlichen Balkonkästen etwa überwiegen Geranien, später dann kommt die Heide. Warum ist das so?

GABRIELLA PAPE:

Eine spannende Frage. Gerade heute habe ich mich mit Gärtnern am Großmarkt unterhalten und gefragt, wer denn die ganze Heide oder die Chrysanthemen um diese Zeit kaufe. Sie sagten, die Leute wollten diese Pflanzen, wenn sie aus den Sommerferien zurückkämen. Mich schmerzt das, wie viele Menschen sich im eigenen Pflanzenbeet oder auf ihrem Fensterbrett festgefahren haben. Sie entwickeln sich nicht weiter, sträuben sich, auch einmal ganz andere Wege zu gehen. Gekauft wird wieder und wieder, was sich seit Jahren bewährt hat. Die Pflanzen zeigen mir, wo so mancher Gartenliebhaber steckengeblieben ist. Das ist nicht selten die eigene Kindheit.

Dabei kann Neues so viel Freude bringen. Ich möchte für unseren Verkauf jetzt riesige Mengen Lavendel haben. Schließlich kommen die Leute mit Sehnsüchten aus dem Urlaub zurück, wollen vielleicht ein bisschen Provence auf der Terrasse. Ich kaufe Ende August bestimmt noch einmal 500 oder 1.000 Lavendel.

Zudem hat sich die Vielfalt in der Pflanzenwelt in den vergangenen fünfzig Jahren doch dramatisch entwickelt, oder?

GABRIELLA PAPE:

Ja. Und ich betrachte es auch als mei­ne Aufgabe, die Menschen aus ihren über­kommenen Vorstellungen und ihrer Pflanzenaffinität der vergangenen vierzig Jahre herauszuholen. Zum Bei­spiel, indem ich ihnen Weiterentwicklungen zeige. Früher waren es die Rei­senden und Entdecker fremder Länder und Kontinente, die neben Gewürzen und Gold auch neue Pflanzen in die alte Welt mitbrachten. Das war schon bei Marco Polo vor gut 700 Jahren so. Nicht, dass eine Pflanzensorte nicht mehr gut ist, wenn sie alt ist. Aber Züchter versuchen ständig, ihr Sortiment zu verbessern. Selbst mein großes Gärtnervorbild Karl Foerster hat regelmäßig seine früheren Züchtungen aus dem Sortiment entfernt, wenn eine neue besser war.

Gärtnern setzt einen anderen Umgang mit Zeit voraus, als es sonst in der Gesellschaft üblich ist.

GABRIELLA PAPE:

Absolut. Der Garten sieht zu der Zeit, an dem er ge- oder bepflanzt wurde, am hässlichsten aus. Ab dann arbeitet die Zeit. Sie ist nicht überbrückbar. Die Zeit im Garten ist nicht anzuhalten, zu beschleunigen schon eher. Zum Beispiel, indem man einen üppig blühenden Topf im Gartencenter kauft und sich daran erfreut. Doch was sich aus dem kleinen Pflänzchen entwickelt, aus einer Zwiebel oder aus einem winzigen Samenkörnchen entsteht, das sind die wirklichen Wunder der Natur, des Lebens, des Gärtnerns und der Zeit im Garten.

Sie schreiben, zum Gärtnern brauche man Geduld, Demut und Zuversicht in die Kräfte der Natur und Liebe. Klingt eigentlich nach Kindererziehung.

GABRIELLA PAPE:

Ja, da gibt es Parallelen. Deshalb habe ich mich auch als Kind nie alleine gefühlt beim Gärtnern. Ich fand das toll, eine Saat einzustecken und dann zu erleben, dass daraus etwas kommt, was man dann wiederum auseinander zieht. Diese Liebe zum Vermehren und zum Teilen, zum Großziehen, von einem Topf zum anderen, die war da in mir. Und dieses Lernen von der Natur - mit welcher Pflanze kann man was machen? All das erfordert viel Offenheit, Mut und Experimentierfreude. Es gibt sehr viele Vergleiche, die ein Licht auf die Gesellschaft werfen. So zum Beispiel verpflanzen wir heute oft alte Bäume, damit für die ungeduldigen, jungen Bauherren dann sofort alles perfekt ist. Dabei sollte man alte Bäume ja besser nicht verpflanzen.

Hat das Gärtnern für Sie eigentlich religiöse Aspekte?

GABRIELLA PAPE:

In gewisser Weise schon, denn es geht beim Gärtnern auch um Zuversicht und Glauben. Ich glaube auch daran, dass diese blühenden und grünenden Pflanzen unser Pflegebedürfnis stillen. Sie sind abhängig von uns, und wir müssen uns um sie kümmern. Sie blühen aus Dankbarkeit oder sie gehen ein.

So wie Sie mit der Gartenkultur verwachsen sind, gehen wir davon aus, dass die Weisheit des Gärtnerns nicht am Gartenzaun aufhört? Können wir aus der Gartenarbeit für unser Leben lernen? Und wenn ja, was?

GABRIELLA PAPE:

Geduld, Demut und Zuversicht. Der letzte lange Winter hat das ganz be­sonders gezeigt. Und nun ist alles wieder da, die Beete wuchern, die Rosen blühen. Das ist genial. Ein Garten ist eine Lebensschule. Denn wie im Leben, so lernen wir auch im Garten fast mehr durch die Fehler als durch die Erfolge. Da ist die Natur auch sehr großzügig. Meine Herausforderung ist natürlich auch, immer wieder etwas Neues auszuprobieren. Es gibt neue Sorten, Verbesserungen werden registriert - wir nennen das Gartenwertigkeit.

Was sind für Sie Orte, an denen die Sensibilität für das Gärtnern geweckt werden könnte. Würden Sie sagen, Gärtnern gehört als Fach in die Schulen?

GABRIELLA PAPE:

Unbedingt. Doch davon muss man erst einmal die Lehrer überzeugen. Wenn ich noch mehr Zeit hätte, würde ich mich um die Errichtung von Schulgärten kümmern und mit Gemüse beginnen. Obstbäume und Früchte sind für Kinder schöner und einfacher zu ver­stehen. Sie wachsen länger und müssen den Winter überstehen. Nichts ist interessanter für ein Kind, als wenn aus einem Apfelkern ein Apfelbaum wird. Vor allem während der Zeit, in der sie die Schule besuchen. Den können sie fast als Erwachsenenbaum mitnehmen, wenn sie nach zwölf Jahren die Schule verlassen.

Gibt es noch einen Gartentraum, den Sie sich erfüllen möchten?

GABRIELLA PAPE:

Ja. Ich möchte hier in Deutschland das Äquivalent der Royal Horticultural Society gründen, Gärten zugänglich machen, so, wie ich versuche, Design zugänglich zu machen. Die Engländer haben eine Royal Horticultural Society mit 400.000 Mitgliedern. Das möchte ich auch erreichen. So einen Ort, an dem man Fragen stellen und sich austauschen kann. Mit Staudensichtungsgärten ohne Ein­tritt oder mit Ritterspornsichtung im Sommer und im Herbst Kurse für Obstbaumschnitt. Sicher, es gibt ganz viele Verbände, wie den der Gartenbauer oder den der Landschaftsbauer. Aber einen Ort für Gartenfreunde und -besitzer, den gibt es nicht. Deshalb engagiere ich mich ja auch in der deutschen Gesellschaft zur Förderung der Gartenkultur.

Das Gespräch führten Evamaria Bohle und Kathrin Jütte am 22. Juni in Berlin.

Gabriella Pape

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