Partei ergreifen!

Demokratische Parteien und Kirchen sitzen im gleichen Boot.
Foto: privat

Neulich habe ich auf dem Katholikentag in Erfurt einem Generalsekretär gelauscht, wie er eine Viertelstunde lang in freier, inspirierter und exzellenter Rede die Leistungen der Kirche für das Miteinander in unserer Gesellschaft, den Schutz der Schwachen und die Demokratie gelobt hat. Das zivilgesellschaftliche Engagement der Kirche wurzele im festen Fundament der katholischen Soziallehre, deren Werte für unsere Zeit wichtiger denn je seien. Ohne die Kirche, so lernte ich, könnten wir gleichwohl einpacken, und den Laden den Rechtsradikalen und Populisten überlassen. 

Allein, ich horchte nicht auf die Worte des gastgebenden Generalsekretärs des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Marc Frings. Um die Zustimmung und Solidarität der Katholik:innen und Gäste warb am historischen Ort des Kaisersaals Kevin Kühnert, der Generalsekretär der SPD.

Gebrüll von Rechts

Kühnert absolvierte in Erfurt gleich mehrere Auftritte, aber seine Rede zum Empfang der Sozialdemokratie am Donnerstagabend stach ob der Begeisterung für die Kirche(n) noch einmal besonders heraus. Man tritt Kühnert nicht zu nahe, wenn man nüchtern feststellt, dass er eine solche Rede vor fünf oder gar zehn Jahren niemals gehalten hätte. Und das liegt nicht allein daran, dass man als Generalsekretär einer – dem eigenen Selbstverständnis nach – Volkspartei anders sprechen muss als ein Juso-Vorsitzender. Die Liebe zur konfessionellen Formation ist bei Kühnert aus der Not heraus entflammt, in die er das demokratische Miteinander im Allgemeinen und seine Partei im Besonderen hineingestellt sieht. 

Die Not verursacht, daran besteht kein Zweifel, das anschwellende Gebrüll von Rechts, das gewaltsam Raum greift. Wo die AfD Wahlerfolge feiert, wie in Erfurt oder Sonneberg, steigt die Zahl rechtsextremer Gewalttaten steil an. Mitglieder und Funktionär:innen demokratischer Parteien, die sich im Wahlkampf engagierten, werden ins Krankenhaus geprügelt. Zur Gewalt auf den Straßen kommt das Erzittern der Institutionen der Demokratie: In Thüringen und Sachsen scheint eine Regierungsbildung jenseits der AfD nach den Landtagswahlen im Herbst den aktuellen Umfragen zufolge ausgeschlossen. Bei den letzten Kommunalwahlen hat die AfD in Ost und West viele Mandate hinzugewonnen. Es wird immer schwieriger, an ihr nach guter Sitte vorbeizuarbeiten.

„Der Feind steht rechts!“ rief Reichskanzler Joseph Wirth von der katholischen Zentrumspartei im Jahr 1922 nach der Ermordung Walther Rathenaus im Reichstag und erntete damit die Zustimmung der großen Mehrheit des hohen Hauses. Ein Jahrzehnt später verpuffte diese Warnung, auch im politischen Katholizismus. Im Kaisersaal zu Erfurt wurde beim Katholikentag 2024 an die geteilte Geschichte der Diskriminierung von Katholizismus und Sozialdemokratie unter Bismarck ebenso erinnert wie an die wertebasierte Nähe von Sozialdemokratie und katholischer Soziallehre, an „Rerum Novarum“ (1891) und später Oswald von Nell-Breuning.

Zeichen der Verzweiflung

Heute aber stehen die Freunde der sozialen Demokratie nicht nur in Thüringen mit dem Rücken zu Wand. Kühnert erzählte von einem thüringischen Kreisverband seiner Partei, in dem nur ein paarundvierzig Mitglieder den Betrieb stemmen. Wer sich von den Gästen ein wenig mit den katholischen Gemeinden in der Region auskennt, konnte sich in dieser Schilderung gut wiedererkennen. Sollen die Schwächelnden die Schwachen stützen? Kühnerts emphatisches Lob der Kirche(n) wurde darum nicht nur freudvoll aufgenommen, als Honig für die Ohren des gebeutelten katholischen Verbandskatholizismus, sondern auch als Zeichen der Verzweiflung: Wie weit ist es schon gekommen, dass ein linker SPD-General bei den Kirchen um Hilfe anklopft?

Jahrelang haben sich die demokratischen Parteien und die Kirchen eine hübsche Zurückhaltung voreinander zugelegt. So entsprach das ganz dem Gefüge der Bundesrepublik. Und außerdem wollte man sicher auch dem rechtspopulistischen Gerede von der „linksgrünversifften“ Kirche nicht noch mehr Zunder geben. Nun, der Zug ist wirklich abgefahren. Ohne Engagement in und für die demokratischen Parteien kracht unsere repräsentative Demokratie zusammen. Das sollten all jene begreifen, die in den Kirchen gerne wortreich zwischen „politisch“ und „parteipolitisch“ unterscheiden. Für die Demokratie das Wort zu erheben, heißt Partei zu ergreifen.

Und ohne die überdurchschnittlich engagierten Christ:innen, die an vielen Orten der Kitt im sozialen Gefüge sind, die sich um Geflüchtete und Schwache bis an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit hinan kümmern, die für den Kampf gegen die Klimakrise auch Einbußen an der eigenen Bequemlichkeit in Kauf nehmen und eben nicht nur auf sich selbst schauen, geht es auch nicht. Es wäre schön, wenn man das nicht nur im Willy-Brandt-Haus, sondern auch im Kanzleramt begreift. 

Kanzlers kalte Schulter

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fand, wie auch schon auf dem Kirchentag in Nürnberg im vergangenen Jahr, bei seinem Auftritt auf dem Katholikentag außer ein paar losen Floskeln zu Halt und Werten keine lobenden Worte für das viel tausendfache ehren- und hauptamtliche Engagement der Christ:innen. Ihm gelang nicht einmal ein anständiges „Hallo, vielen Dank, ich freue mich hier heute bei Ihnen zu sein“. Ich weiß nicht, ob es an der allzu großen Harmoniesehnsucht des Publikums auf beiden Großveranstaltungen lag oder an der Höflichkeit, auf die man unter Christ:innen gerne noch zählt, dass man des Kanzlers kalte Schulter nicht deutlich als die Unverschämtheit benennen mag, die sie im Grunde darstellt. Ich weiß auch nicht, was Scholz durch sein arrogant-abständiges Dozieren unter Beweis stellen will. Dass er klug ist, nähme man ihm sicher auch ab, wenn er sich erkennbar um Verbündete bemühte. Es verstärkt sich der Eindruck, dass Scholz sich einfach zu fein ist für den Schulterschluss.

Nun ist er nicht Vorsitzender der SPD oder einer der anderen demokratischen Parteien, sondern „Kanzler aller Menschen in Deutschland“. Aber erleben wir nicht gerade in diesen Tagen wieder eine Verweigerung der demokratischen Exekutive, im Sinne der demokratischen Mehrheit des Landes zu agieren? Was nützen die Bekenntnisse, wenn Realpolitik doch entlang der Angst vor den Rechtsradikalen gestaltet wird?

Demokratische Parteien und Kirchen sitzen im gleichen Boot. Als Player in unserer pluralen Gesellschaft sind sie aufeinander verwiesen. Überdies sind Kirchen und Staat auf vielfältige Weise als Partner unterwegs. Gerade auf stürmischer See ist es wichtig, sich gegenseitig daran zu erinnern: Wir sind mehr!

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