Johanna Haberer: Digitale Theologie

Differenziert

Digitale Theologie gefordert
Bild
Die Digitalisierung, die unser gesamtes Leben und unseren Alltag umformt und neben Fortschritten auch Gefahren mit sich bringt, muss menschlich gestaltet werden.

Der Titel lässt erstaunt fragen: Was haben Digitalisierung und Theologie miteinander zu tun? Doch schon am Anfang des Buches erschließt sich der Bezug: Die Digitalisierung, die in einer ungeahnten Weise unser gesamtes Leben und unseren Alltag umgeformt und neben Fortschritten auch Gefahren mit sich bringt, muss menschlich gestaltet werden. Dazu ist weit mehr nötig als nur ein Set von "Spielregeln"; vielmehr bedarf es einer neuen Kultur. Dies kann weder der Staat noch die IT-Branche aus sich heraus leisten.

Bereits in der Bibel werden laut Haberers Interpretation grundlegende Fragen der Kommunikation angesprochen. Zudem sind Medienrevolutionen nichts grundsätzlich Neues; vielmehr gab es im Laufe der Kulturgeschichte mehrere solcher Umbrüche: die Entstehung der Sprache, die Entwicklung der Schrift und die Erfindung des Buchdrucks.

Jenes Ereignis vor fünfhundert Jahren ist uns nicht nur zeitlich am nächsten, sondern ähnelt auch in der ganzen umstürzenden Wirkung der gegenwärtigen digitalen Revolution. Vor allem aber gehören Buchdruck und Reformation zusammen; nur mit den damals neuen Printmedien konnte sich die reformatorische Botschaft verbreiten, und erst Luther als weltweit gefragter Bestsellerautor brachte Druckerei- und Verlagswesen als neue Wirtschaftszweige in Schwung. Die Digitalisierung könnte nach Haberer den mit der Reformation eröffneten Weg zu Freiheit, Meinungsäußerung und mehr gesellschaftlicher Teilhabe fortsetzen - unter der Voraussetzung, dass die Missbrauchs-, Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten nicht weiter überhand nehmen.

Angesichts dieser Gefahr ist es Haberers Anliegen, die in der biblischen Heilsgeschichte und in der Reformation beschrittenen Wege fortzusetzen. Zudem fordert sie eine Rückbindung an bereits errungene Werte, deren Verlust durch die neue Technik droht. Auf die beiden Kapitel über "biblische Einsichten" und "reformatorische Aufbrüche" folgt ein drittes über "das vervielfältigte Ich", das nicht nur das Werden des modernen Ich-Bewusstseins (im Rückblick auf Antike, Reformation und Aufklärung) umreißt, sondern in den Ich-Erweiterungs-Prognosen des Medienwissenschaftlers Marshall McLuhan gipfelt.

Das Ambivalente der neuen digitalen Welt kommt noch einmal besonders drastisch im letzten Kapitel zum Ausdruck. Hier werden die religiösen (Welt-)Erlösungsansprüche der IT aufgezeigt, von den anarchistischen Hoffnungen, die anfangs im US-amerikanischen NewAge gründeten, bis zu den Heilsversprechen der heutigen IT-Giganten. Hier wird besonders deutlich, warum es eine seriöse, an den bereits vorhandenen Ressourcen unserer Kultur anknüpfende Theologie des Digitalen braucht.

Das Buch schließt mit "10 Geboten für die digitale Welt", die die Prinzipien des biblischen Dekalogs punktgenau auf die heutigen Herausforderungen übertragen.

Johanna Haberer, die in Erlangen Professorin für Christliche Publizistik ist, steht mit ihrer differenzierten Sicht der Digitalisierung in der Kirche ziemlich allein auf weiter Flur; abgesehen von ihrem Fakultätskollegen Werner Thiede, der das Thema nahezu zeitgleich und ähnlich kritisch aufgreift. Im Schatten der Kirchtürme herrscht ansonsten immer noch die unkritische Begeisterung vor, die auch unsere Gesellschaft insgesamt lange prägte.

Eine Weiterarbeit an diesem Thema sollte allerdings auch die ökologischen und gesundheitlichen Gefahren einbeziehen, die von Digitalisierung und Drahtlostechnologie ausgehen. Darauf nimmt Haberer leider keinen Bezug. Ihr Verdienst aber sind ihre überzeugenden und höchst inspirierenden kulturgeschichtlichen Bezüge. Darauf könnten Theologie und Kirche künftig Überlegungen zum Umdenken und Umsteuern (traditionell: "Buße") gründen, die dann auch Auswirkungen auf die (wachstumsorientierten, ökologiefeindlichen) Rahmenbedingungen hätten, unter denen die Digitalisierung heute noch erfolgt.

Johanna Haberer: Digitale Theologie. Gott und die Medienrevolution der Gegenwart. Kösel Verlag, München 2015, 208 Seiten, Euro 16,99.

Ulrich Schneider

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

Javier Núnez: Á modo italiano

Einstiegsdroge

Neues vom Cembalo
Bild
Ein Hörerlebnis, das auch bisherige Cembaloverächter zu Liebhabern oder gar zu Süchtigen machen wird.

Einstiegsdrogen sind gefährlich. Man sollte tunlichst einen Bogen um sie machen. Es sei denn, es handelt sich um Musik - dann nur her damit! Die Aufnahme, mit der wir es hier zu tun haben, ist bestens geeignet, eine besondere Sucht zu entfachen und gleichzeitig immer wieder zu stillen, nämlich die nach aufregend-edler Cembalomusik. Doch Gott sei's geklagt, das Instrument Cembalo hat immer noch gegen Vorurteile zu kämpfen, denn vielen lastet der stumpfe, mechanische Klang schlechter Instrumente im Ohr, die meist in der Zeit vor 1970 gebaut wurden. Der schale, flache Ton dieser Tasten-Dinos konnte abschreckende Wirkung entfalten. Er hat jedoch mit dem überaus qualitätvollen Klang der Nachbauten, die im Rahmen der Alte-Musik-Renaissance der vergangenen Jahrzehnte entstanden sind, rein gar nichts mehr gemein. Eine ganze Armada versierter Instrumentenbauer ist herangewachsen, die nach genauem Studium der historischen Vorbilder wahre Prachtstücke fertigt.

So zum Beispiel jenen Nachbau eines italienischen Cembalos von Giovanni Batista Giusti, den der Niederländer Titus Crijnen 2011 baute und auf dem der junge spanische Cembalist Javier Núnez die vorliegende CD einspielte. Sie enthält Cembalopreziosen verschiedener Art, die alle in der Zeit um 1600 im Kreis der Neapolitanischen Schule entstanden sind. Werke, die einen vom ersten Ton an faszinieren, ja geradezu wohlig anfallen.Zum Beispiel gleich die eröffnende Fantasia von Antonio Valente.

Antonio who? Richtig, die meisten Komponistennamen sind völlig unbekannt, sieht man einmal von Girolamo Frescobaldi ab, der ein herrlich entspannt-entrücktes "Capriccio di durezze" beisteuert, das mit dem "Consonanze stravaganzi", einem schwebenden Werk von Giovanni Maria Trabaci, zu den ruhenden Höhepunkten der CD gehört. Doch es fällt schwer, irgendetwas hervorzuheben. Denn jedes Stück eröffnet eine Welt, allerorten Klänge, die beglücken. Einen gelungenen Vergleich zieht Interpret und Arrangeur Javier Núnez, indem er diese Musik so charakterisiert: " ... voller Kontraste, mit Licht und Schatten, wie die hochgerühmten Gemälde Caravaggios oder die Vokalmusik des großen Carlo Gesualdo..."

Dem ist nichts hinzuzufügen, ein Hörerlebnis, dass auch bisherige Cembaloverächter zu Liebhabern oder gar zu Süchtigen machen wird. Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt!

Javier Núnez: á modo italiano. Cembalo Cantus Records 9615.

Reinhard Mawick

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

Irene Ruttmann: Adele

Ohne Pathos

Eine Liebesgeschichte im Krieg
Bild
Schon nach ein paar Seiten ist man verliebt in die Liebesgeschichte dieser jungen Leute, die ohne jeden Plot auskommt.

Der Salbei hat sie zusammengeführt, eine junge Frau, die zufällig an einer Hauswand vor der Apotheke sitzt und einen jungen Soldaten, der auf der Suche nach einem Heilmittel für seine kranken Kameraden ist. Sauge, das französische Wort für Salbei, den die Französin ihm aus dem Kräutergarten dann mitgibt, klingt ihm lange im Ohr. Und das: "A Demain" am Schluss scheint ihm so verheißungsvoll, dass er von nun an den Schrecken des 1. Weltkrieges ein wenig ausblenden kann.

Adèle heißt die bezaubernde Französin und aus dem Dresdner Max wird ein geflüsterter Maximilien, damit fühlt er sich für Momente leicht und unbeschwert. Ich habe sechsSchwestern, denkt Max, aber ich weiß nichts von der Haut einer Frau. Sie ziehen sich körperlich an, sie lachen zusammen, und weil die Liebe bekanntlich durch den Magen geht, macht Adèle ihn nicht nur mit der französischen Küche, sondern auch mit Cognac bekannt. Sie durchstöbern die Bibliothek des Hauses, Balzac, Zola finden sich hier und sogar Fontane, den Max mag, weil der Drogist war wie er. Nichts verbindet so schnell wie Literatur und Kunst - Adèle liest aus dem Grafen von Monte Christo, Max revanchiert sich mit Herrn von Ribbeck. Zwar ist die Konversation mühsam, da sie aus dem Elsass stammt, kennt sie ein wenig Deutsch, er hat aus der Schulzeit ein paar französische Worte behalten. Doch die Liebe macht alles wett, hebt alles auf, und leichtfertig verlässt Max immer wieder seine Einheit. Sein Kamerad Bruno, der Künstler aus der Dresdner Bohème, deckt die beiden. Die Liebe zwischen der Französin und dem Kriegsfeind muss geheim bleiben, das ist beiden bewusst. Und kleine Missverständnisse, entstanden aus der Sprachbarriere, müssen auch aus dem Weg geräumt werden.

Schon nach ein paar Seiten ist man verliebt in die Liebesgeschichte dieser jungen Leute, die ohne jeden Plot auskommt. Beide leben ihre Liebe nur im Jetzt und Hier, wissend, dass sie jeden Tag auseinander gerissen werden können, und der Leser freut sich mit ihnen über jedes weitere gelungene Treffen. Die Story ist leicht und doch meisterhaft erzählt, gerade weil sie schlicht und ohne Pathos bleibt. Man weiß von Anfang an, dass es kein Happy End geben wird, denn Max' erwachsene Tochter erzählt die Geschichte ihres Vaters nach seinem Tod anhand dessen wohl behüteter Tagebücher. Erst beschreibt er seine Erlebnisse dieses Krieges in einer kurzen Zeitspanne von 1916-1917 und als er in einem kleinen Ort an der Somme in der Champagne stationiert ist, geht es überwiegend um Adèle.

Doch wie es im Leben so ist - die große Liebe bleibt immer die unglückliche, nicht auf Dauer gelebte Liebe. Max wird an die Ostfront verlegt und sie verlieren sich aus den Augen.

Irene Ruttmann: Adèle. Verlag Paul Zsolnay, München 2015, 160 Seiten, Euro 17,80.

Angelika Hornig

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

Hubertus Halbfas: So bleib doch ja nicht stehen

Spannend

Ein katholisches Leben
Bild
Das Buch zeigt einen kritischen, sich nicht auf von ihm als faul wahrgenommene Kompromisse einlassenden Autor, dem sein Leben als katholischer Theologe und Religionspädagoge in der Tat viel zugemutet hat.

Wer sich noch an den "Fall Halbfas" erinnert, wird dieses Buch des bekannten katholischen Religionspädagogen (Jahrgang 1932) gespannt zur Hand nehmen. Und diese Erwartung wird nicht enttäuscht: Ein beträchtlicher Teil ist den damaligen Umständen der späten Sechzigerjahre gewidmet, als Hubertus Halbfas die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen wurde. Auch wer sich an die damaligen Zusammenhänge nicht erinnert, findet hier eine informative und, wie kann es anders sein, engagierte und anklagende Darstellung, auch mit bisher unveröffentlichten Dokumenten, die kein gutes Licht auf die katholische Kirche werfen. Dazu gehören aber auch Informationen, etwa über das Verhalten von Kollegen aus der katholischen Theologie, wie Hans Küng, von deren mangelnder Solidarität sich Halbfas bis heute zutiefst enttäuscht zeigt.

Doch enthält das Buch noch weit mehr. Einer klassischen Autobiografie entsprechen am ehesten die ebenfalls umfangreichen Schilderungen zu Herkunft und Leben in Drolshagen im Sauerland, das Hubertus Halbfas mit wenigen Unterbrechungen Heimat geblieben ist. So wundert es nicht, dass er dort am Ende sogar einen Heimatverein gegründet hat, dem er viele Jahre lang vorsaß.

Das dritteElement kann als eine Art kommentierter Werkgeschichte bezeichnet werden. In chronologischer Abfolge und biografischer Einbindung werden die wichtigsten monografischen Veröffentlichungen dieses Autors vorgestellt. Hintergründe und Intentionen werden beschrieben, Beobachtungen zur Rezeption und Nicht-Rezeption verschiedener Bücher - nicht selten auch mit bissigen Kommentaren über diejenigen, die sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Als eine letzte, aber nicht weniger wichtige Linie wird das Buch von Reflexionen durchzogen, in denen der Autor über die Kirche und den christlichen Glauben oder die Theologie nachdenkt und vor allem herausfordernde Analysen bietet.

Das Buch zeigt einen kritischen, sich nicht auf von ihm als faul wahrgenommene Kompromisse einlassenden Autor, dem sein Leben als katholischer Theologe und Religionspädagoge in der Tat viel zugemutet hat. Dass er auch anderen viel zumutet, zeigen seine Ausführungen auch heute noch. Seinen Kollegen hält er ein "verschlafenes theologisches und religionspädagogisches Bewusstsein" vor. Einen "theistischen Glauben, der Gott immer noch als geschichtlich handelnd sieht", hält er für ebenso überholt wie die "Erlösungslehre von der Kreuzigung Jesu als Sühnopfer".

Religiöse Weite und Offenheit statt Dogma und Verkrustung, so oder so ähnlich scheint Hubertus Halbfas sein eigenes Programm zu sehen. Erstaunlich wenig taucht dabei der politische Hintergrund auf, vor dem sich dieses Leben abgespielt hat. Ist die Nachkriegszeit noch biografisch präsent, so haben der Kalte Krieg, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, die deutsche Vereinigung, oder was man sonst erwarten mag, diese Lebensgeschichte offenbar nicht weiter berührt. Auch die tiefgreifenden Veränderungen, beispielsweise eines zunehmend multireligiösen Deutschlands, ragen nicht in diese Autobiografie hinein. Eher ist es die Religionswissenschaft oder die Religionsphilosophie, die diesen Autor bewegt haben und bewegen.

Ich habe das Buch mit Spannung und Vergnügen gelesen, auch wenn - und auch weil - ich gerade theologisch vielfach nicht zustimmen kann. Ob ich mich deshalb nun auch zu den "verschlafenen Religionspädagogen" zählen muss? Die Antwort überließe ich nur ungern diesem Autor allein.

Hubertus Halbfas: So bleib doch ja nicht stehn. Mein Leben mit der Theologie. Patmos Verlag, Ostfildern 2015, 416 Seiten, Euro 28,-.

Friedrich Schweitzer

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: Jörg Winter

Friedrich Schweitzer

Friedrich Schweitzer ist Professor für Praktische Theologie/Religionspädagogik an der Universität Tübingen.

Weitere Rezensionen

Harper Lee: Gehe hin, stelle einen Wächter

Lebendig

Neue Veröffentlichung
Bild
Der Wert dieser nachgetragenen Veröffentlichung aber liegt in ihrer unbestechlichen Analyse einer Wahrheit, der niemand gern ins Gesicht sieht

Plötzlich steht die Welt der Literatur auf dem Kopf. Was bislang als unerreichter Erstlingswurf einer Autorin galt, offenbart sich 55 Jahre nach seinem Erscheinen als ein Nachläufer, der vom Lektorat gelenkt wurde. Eine Vaterfigur, die der gesamten, bürgerlichen Welt als Vorbild der Toleranz vorgeführt wurde, enthüllt ihre rassistischen Vorurteile, und eine Kindheitsidylle entpuppt sich als ein Hort des Unverständnisses und der Einsamkeit. Ursprünglich hat Harper Lee ein Buch darüber geschrieben, wie ihre kantige Heldin Jen-Louise Finch dem heillos spießbürgerlichen Maycomb in Alabama entronnen ist.

Dabei geht es nicht allein um Rassismus. Dieser erste Romananlauf enthält auch die Abrechnung mit einem Methodismus, der Hand in Hand mit den Ideen des Ku-Klux-Clan ging und seine festgefahrenen Ansichten von Weiblichkeit und hierarchischer Gesellschaftsordnung für gottgewollt hielt. Aber 1960 schien ein solch ernüchterndes Urteil über die spirituellen Grundlagen Amerikas noch nicht opportun. Der Wert dieser nachgetragenen Veröffentlichung aber liegt in ihrer unbestechlichen Analyse einer Wahrheit, der niemand gern ins Gesicht sieht: Zumindest der Rassismus lässt sich nicht mit hehren Idealen und Gesetzen ausrotten. Die literarischen Schwächen des Buches treten besonders im zweiten Teil zum Vorschein, der fast nur noch aus langen Dialogen und Gedankenfetzen der Protagonistin besteht. Das ist ermüdend und könnte die Hörerin in Versuchung führen, die MP3 vorzeitig abzubrechen. Aber die variantenreiche, äußerst lebendige Inszenierung des Textes durch Nina Hoss hilft, bei der Stange zu bleiben, um die Selbstfindung einer jungen Amerikanerin abzuwarten.

Harper Lee: Gehe hin, stelle einen Wächter. Der Hörverlag München, 2015, MP3-CD. Laufzeit: 450 Minuten.

Susanne Krahe

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

Fulbert Steffensky: Heimathöhle Religion

Frohe Skepsis

Neues von Fulbert Steffensky
Bild
In kurzer, klarer, resonanzenreicher Sprache umspielt und bedenkt der mittlerweile 82-jährige Autor große Themen.

Dieses Buch ist nicht geplant und in sich nicht groß konzipiert, wie der Autor im Vorwort einräumt: "Die einzelnen Teile haben wenig Systematik, und die Themen sind zufällig. Die Texte sind meistens Auftragsarbeiten." Doch das macht rein gar nichts, denn Texte von Fulbert Steffensky zu lesen, ist immer ein Gewinn: Er schreibt schön, und zwar einfach schön, nicht angestrengt-gestelzt schön. Schon im Vorwort findet sich diese besondere Sprachkunst. Darin erzählt Steffensky von einer Tagung: "Wie es bei theologischen Veranstaltungen immer der Fall ist, waren die meisten der Teilnehmenden alt. (...) Sie erzählten, wie ihnen das Leben eingeengt wurde mit den Begriffen Sünde und Schuld, Gehorsam und Gericht.

Des Jammerns war kein Ende. Es waren einige jüngere Menschen in diesem Kreis, die uns Alten mit großmütigem Verständnis zuhörten. Aber ihr Verständnis war begrenzt. Irgendwann war es ihnen genug, und sie erklärten: 'Wir haben andere Probleme'." Und dann kommt ein Satz, der - und das ist die Gabe Steffenskys! - vielschichtig Schillerndes klar auf den Punkt bringt, ohne es abstrahierend zu verwässern: "Ihr kämpft gegen die engen Grenzen. Wir fragen, was uns eigentlich noch begrenzt." Aus diesem Generationenkonflikt zieht der Autor einige Zeilen später die Summe: "Die Anklage fällt ja immer leichter, als die Güte der eigenen Geschichte zu sehen."

In solch kurzer, klarer, resonanzenreicher Sprache, im Stylus Steffenskiensis also, umspielt und bedenkt der mittlerweile 82-jährigeAutor große Themen. Und er liebt den Dialog über alles. Dies gelingt kunstvoll, zum Beispiel in "Zwiesprache I-III", einem Text-Triptychon am Ende des Buches. Schon die Art der Fragen - ein Beispiel: "Warum verziehst du das Gesicht, wenn du das Wort Spiritualität hörst?" - zeigt, dass hier nicht abgehoben spekuliert wird, sondern ein ehrlicher Dialog mit dem gläubigen und fragenden Selbst geführt wird.

Dem mag der Leser nur allzu gerne folgen, weil er spürt, dass hier und in allen anderen Texten des Buches - und sei es bei der zauberhaften Alltagsbeobachtung unter dem Titel "Freundschaft mit einem alten Pullover" - im Grunde genau die Dinge verhandelt werden, die ihn selbst umtreiben.

Unbedingt genannt werden muss noch der mit Abstand längste der 28 Texte des Buches: "Dorothee Sölle - ein Wildfang der Hoffnung". Hier legt der Autor von Wesen und Werk der Theologin und Dichterin Zeugnis ab, mit der er 34 Jahre verheiratet war. Den vielschichtigen, bewegenden Text beschließt Steffensky mit einer "köstliche(n) Formulierung dessen, was wir Gnade nennen" aus dem letzten Vortrag von Dorothee Sölle: "Wir beginnen den Weg zum Glück nicht als Suchende, sondern als schon Gefundene."

Nach der Lektüre dieses Buches bleibt der möglicherweise unbescheidene Wunsch, dass von Fulbert Steffensky, dem großen Weisen und liebevoll-frohen Skeptiker des deutschen Protestantismus, schon bald wieder Textsammlungen veröffentlicht würden, gerne auch mit "wenig Systematik" und "zufällig(en) Themen"...

Fulbert Steffensky: Heimathöhle Religion. Ein Gastrecht für widersprüchliche Gedanken. Radius-Verlag Stuttgart 2015, 160 Seiten, Euro 16,-.

Reinhard Mawick

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

Florian Huber: Kind, versprich mir, dass du dich erschießt

Hervorragend

Heraufholen des Verdrängten
Bild
Welche Motive hatten tausende Menschen, bei Kriegsende ihr Leben zu beenden? Huber versucht, sich in die Psyche der "kleinen Leute" des Jahres 1945 hinein zu denken.

In diesem Jahr wird an vielen Orten an das Endes des Zweiten Weltkrieges vor siebzig Jahren gedacht. In diesem Zusammenhang ist auch das Buch Florian Hubers entstanden, das kurz nach seinem Erscheinen bereits in der vierten Auflage vorliegt. Huber thematisiert eine Welle von Selbstmorden in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges, die so in der breiten Öffentlichkeit bisher nicht wahrgenommen wurde.

In einem Zeitraum von wenigen Tagen nahmen sich Tausende Deutscher das Leben, in der pommerschen Kleinstadt Demmin waren es zwischen dem 28. April und 3. Mai1945 nach vorsichtigen Schätzungen 700 bis 1000 Menschen, immerhin jeder 17. Einwohner. Ganze Familien wurden ausgelöscht: Mütter erstickten oder ertränkten ihre Kinder und töteten dann sich selbst, Großväter töteten ihre Enkel und anschließend sich selbst. Wochenlang trieben Leichen auf der Peene und in anderen Flüssen der wasserreichen Stadt. Monatelang fand man Tote in den Wäldern und Wiesen der Umgebung. Ein unglaubliches Grauen ereignete sich in den letzten Kriegstagen.

Demmin ist aufgrund des Kriegsverlaufs in Pommern und einiger weiterer Faktoren ein extremes Beispiel für den "Untergang der kleinen Leute 1945", aber - so sagt Florian Huber - "Demmin ist überall" und er kann das - trotz der schwierigen Quellenlage - gut belegen. Die Zahl der Selbstmorde in der Region zwischen Stettin und Rostock ist 1945 erschreckend: Friedland verzeichnet mehr als 500, in Neustrelitz töteten sich knapp 300, Hunderte nahmen sich in Neubrandenburg das Leben, in Anklam etwa 300. Massenselbstmorde sind weiter belegt aus Ost- und Westpreußen, Schlesien, Pommern, Mecklenburg, Brandenburg und Berlin. Im Westen und Süden Deutschlands war der Kriegsverlauf anders. Hier entfiel auch die von der nationalsozialistischen Propaganda kräftig geschürte Angst vor den Russen als Motiv für die Selbsttötung. Trotzdem bringt der Historiker auch viele Beispiele aus dem Rheinland, Westfalen, der Pfalz und Oberbayern. In Berlin verfünffachte sich im Jahre 1945 die Zahl der Selbstmorde im Vergleich zu den Vorjahren.

Welche Motive hatten all diese Menschen, ihr Leben zu beenden? Huber versucht, sich in die Psyche der "kleinen Leute" des Jahres 1945 hinein zu denken. Akribisch wertet er Tagebuchaufzeichnungen aus dieser Zeit aus. Er benennt folgende Gründe: Für weite Kreise in Deutschland hatte die nationalsozialistische Regierung die Schmach von Versailles getilgt. Mit dem scheinbar erfolgreichen Agieren Adolf Hitlers als Reichskanzler war man wieder wer in Europa, man war "Teil von etwas Großem" und identifizierte sich narzisstisch-grandios mit dem NS-Staat. Nicht nur einzelne, sondern die Masse war "verliebt in den Führer". Das schlechte Gewissen aufgrund der Judenverfolgung und anderer Unrechtstaten hatte man weggedrückt. Über das an der Front begangene Unrecht, gerade auch in der Sowjetunion, war man zum Teil durch Berichte von Soldaten informiert, auch wenn diese sich mit genauen Schilderungen zurückhielten. Man wusste, dass man an etwas Ungeheuerlichem mitgewirkt hatte. Die Ideale zerbrachen. Nun fürchtete man die Rache der Kriegsgegner. Die Nazipropaganda über den russischen Unmenschen tat ihre Wirkung und schien bestätigt in dem, was man von dem Verhalten der Soldaten der Sowjetarmee hörte, Frauen jeden Alters fürchteten, vergewaltigt zu werden.

Florian Huber hat ein hervorragend recherchiertes und dabei äußerst bewegendes Buch geschrieben. Siebzig Jahre nach dem Ende des Zweites Weltkrieges bringt er das jahrzehntelang Verdrängte ans Licht - ohne Effekthascherei. Und es handelt sich ja nicht nur um Selbsttötungen, sondern in vielen Fällen um "erweiterten Selbstmord", das heißt, ein Familienmitglied ermordet zuerst die anderen Familienmitglieder und tötet zum Schluss sich selbst. Natürlich werfen solche Tötungen moralische und theologische Fragen auf. Einziges Beispiel für einen Mahner in Hubers Buch ist Gerhard Jacobi, von 1933 bis 1939 Präses der Synode der Bekennenden Kirche in Berlin und Brandenburg und Pfarrer an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, der sich öffentlich gegen die massenhafte Bereitschaft zum Selbstmord wandte. Und heute? Deutschland hat Demmin noch nicht zur Kenntnis genommen. Doch dass die Lesungen des Autors ausverkauft waren und viele, gerade ältere Menschen dort ihre Geschichten erzählten, zeigt, welch wichtigen Impuls Florian Hubers Buch gegeben hat. Der kirchlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit steht es noch bevor, sich mit diesen Abgründen am Kriegsende auseinanderzusetzen.

Florian Huber: Kind, versprich mir, dass du dich erschießt. Der Untergang der kleinen Leute 1945. Berlin Verlag, Berlin 2015, 304 Seiten, Euro 22,99.

Hans-Jürgen Abromeit

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

Ulrich Kleinert: Das Rätsel der Königin von Saba

Unerschöpflich

Über die Königin von Saba
Bild
Die Erzählung von Salomo und der Königin von Saba verbindet die drei großen Weltreligionen.

Auf Litfaßsäulen kann man hin und wieder den Spruch lesen "Die Bibel ist ein Märchenbuch". Dieser abschätzig gemeinte kritische Satz spricht eine Wahrheit aus, die ihrem Urheber wahrscheinlich nicht bewusst ist. Die Bibel enthält in der Tat viele schöne Geschichten, die nicht historisch zu beweisen und doch von großer religiöser und kultureller Bedeutung sind. Zu ihnen gehört die Geschichte vom Besuch der Königin von Saba bei König Salomo in Jerusalem. Im zehnten vorchristlichen Jahrhundert soll dieser Besuch stattgefunden haben, der im ersten Buch der Könige, Kapitel 10, berichtet wird. Danach hört die Königin von Salomos Weisheit und kommt in die jüdische Hauptstadt, um ihn mit Rätselfragen zu prüfen.

Der emeritierte Dresdener Theologieprofessor Ulfrid Kleinert hält sich in seinem mit vielen farbigen Abbildungen und Fotos prachtvoll ausgestatteten Buch nicht lange mit historischen Verifikationsversuchen dieser legendenhaften Visite auf, sondern sagt gleich zu Beginn: "Eine historische Begegnung zwischen einer Königin von Saba und einem König Salomo hat es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gegeben." Denn weder gab es in dem südarabischen Sabäerreich damals eine Königin noch war Salomo so reich und mächtig, wie ihn die Bibel schildert. Eine erfundene Begegnung also, die aber den Wünschen der sie Erzählenden entspricht. Eine zunächst mündliche, dann schriftlich fixierte Erzählung, in ihrer endgültigen Gestalt im Buch der Könige ist sie Teil des deuteronomistischen Geschichtswerks, das erst zwischen dem sechsten und vierten Jahrhundert vor Christus entstand. Diese Literatur gewordene Begegnung hat eine Fülle von kulturellen, religiösen und bildnerischen Wirkungen aus sich herausgesetzt, denen Kleinert minutiös nachgeht. Er verhält sich dabei selbst wie ein kluger und gebildeter Märchenerzähler, der die Lesenden an die Hand nimmt und sie umsichtig durch die vielfältige Wirkungsgeschichte dieses Textes führt. Nach Kleinert erzählt die Geschichte von der Begegnung zweier gleichberechtigter, gleich kluger und gleich reicher Herrscherpersönlichkeiten. Es ist vor allem die Begegnung von einem Mann und einer Frau, Kleinert berücksichtigt die Genderperspektive dieser Erzählung ständig und geht auch auf ihren erotischen Aspekt ein. Es ist weiter die Begegnung von zwei Völkern und schließlich auch die Begegnung zweier Religionen. Indem er andere biblische Traditionen, Urgeschichte, Jona-Novelle, Völkerwallfahrt, anführt, zeigt er, wie diese Geschichte in einer Zeit großer Horizonterweiterung Israels stattfindet.

Wichtig aber ist Kleinert, dass die Königin von Saba im Mittelpunkt der Erzählung steht, als eine fremde Frau, an der viel Rätselhaftes bleibt, vor allem auch die Rätsel, die sie Salomo stellt, welche er zwar alle lösen kann, die aber inhaltlich nicht benannt werden, so wenig wie die Geschenke, die sie von ihm erhält.

Erstaunlich genug stellt dann Jesus die Königin als Vorbild für seine Generation hin, weil sie neugierig von der Weisheit Salomo lernen wollte, "und hier ist mehr als Salomo"(Matthäus 11, 42). Auch scheint Matthäus 2 als Folie hinter dem Auftritt der Weisen aus dem Morgenland auf. So weit so gut. Doch dann im Hauptteil seines Buches, unter der Überschrift "Die Geschichte verzweigt sich. Die Erzählung in Darstellungen jüdischer, christlicher und islamischer Tradition", wird es manchmal recht kompliziert und allzu detailreich. Die Palette reicht von Josephus' Schilderung einer Begegnung der Königin von Ägypten mit Salomo über die Koransure 27, die die Bekehrung der Königin zum Islam durch Süleyman (=Salomo) mithilfe eines Wiedehopfs schildert, über ihre Wandlung zur Hexe und Adams Frau Lilith in jüdischen Auslegungen bis hin zur Saba-Königin als eine, die Kirche darstellende, Kathedralskulptur in Freiberg/Sachsen. Zu lernen ist daran, dass die religiöse Phantasie unerschöpflich ist und selbst im Islam wunderschöne Bilder von Salomo und der Königin schafft. Kleinert gelingt es aber, die Fülle des Materials durch die Erklärung großer Kunstwerke aufzulockern.

In seinem Fazit macht Kleinert deutlich, worum es ihm bei dieser genauen Recherche geht. Die Erzählung von Salomo und der Königin von Saba verbindet die drei großen Weltreligionen. Sie kennen und interpretieren die Begegnung der beiden. Trotz der sich dabei zeigenden männlichen religiösen Dominanz behauptet sich in allen drei monotheistischen Weltreligionen die Wahrnehmung der sagenhaften Königin als souverän handelnde Person.

Kleinert hofft, dass die legendenhafte Erzählung so zur gegenseitigen Wertschätzung der drei Weltreligionen beiträgt. Und wie schön wäre es, wenn die friedliche Begegnung dieser beiden Herrscher heute im Nahostkonflikt eine Neuauflage fände.

Ulfrid Kleinert: Das Rätsel der Königin von Saba. Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2015, 207 Seiten, Euro 29,95.

Hans-Jürgen Benedict

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: privat

Hans-Jürgen Benedict

Hans-Jürgen Benedict war bis 2006 Professor für diakonische Theologie an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie des Rauhen Hauses in Hamburg. Seit seiner Emeritierung ist er besonders aktiv im Bereich  der Literaturtheologie.

Weitere Rezensionen

Tigran Hamasyan: Luys i Luso

Lichterfüllt

Geistliches aus Armenien
Bild
Luys i Luso vereinigt Hymnen und Choräle aus der geistlichen Musik seiner Heimat Armenien.

"Luys i Luso" - Licht aus Licht. Schon der Titel des neuen Albums von Tigran Hamasyan verströmt eine Aura des Geheimnisvollen, Transzendenten. Tatsächlich hat sich der Jazzpianist für seine erste Zusammenarbeit mit dem Münchener ECM-Label einen Stoff gesucht, der über das Irdische hinausreicht. Luys i Luso vereinigt Hymnen und Choräle aus der geistlichen Musik seiner Heimat Armenien. Die ältesten Texte reichen zurück ins vierte Jahrhundert, und die jüngsten datieren ins 20. Jahrhundert.

Die Hamasyan-Aufnahme fügt sich ein in eine lange Reihe von ECM-Veröffentlichungen - seit 1979 - mit engem Bezug zu Armenien. Produzent Manfred Eicher hat hier einen reichen Schatz an rhythmischen, harmonischen und melodischen Besonderheiten entdeckt, dazu eine Schar von Ausnahmekünstlerinnen und -künstlern, Kim Kashkashian die Bekannteste darunter, Hamasyan als jüngstes Glied der Kette.

Die ältesten Notenaufzeichnungen stammen aus dem 13. Jahrhundert, davor und auch später noch ist die armenische Musik durch mündliche Überlieferung von Generation zu Generation weitergegeben worden. Eine Besonderheit, die Tigran Hamasyan bei seinen Nachforschungen entdeckt hat, ist die Erkenntnis, dass bereits der Komponist Nerses Shnorhali im Elften Jahrhundert mit Improvisations-Elementen gearbeitet hat. Die Sänger wechselten zwischen freien und festgelegten Passagen, wie erhalten gebliebene Briefe Shnorhalis verraten.

"Für mich war das eine direkte Ermutigung zu einer improvisatorischen Interpretation", sagt Hamasyan. Auf Luys i Luso übernimmt der staatliche Jerewan Kammerchor den fixierten Part, der freilich eher an ein feines, sehr leichtes Tuch erinnert, in das der Pianist improvisierend seine Fäden webt. Dies tut Tigran Hama-syan von den ersten Takten äußerst behutsam. Die Klaviertöne wirken wie einzeln hingetupft, nichts ist zu viel.

Monophone Hymnen, dem gregorianischen Gesang nicht unähnlich, bilden den größten Teil der geistlich-musikalischen Literatur Armeniens. Doch sie klingen rhythmisch und harmonisch facettenreicher als das westliche Pendant. Glissando-Effekte durch Vierteltonwendungen sind hier möglich, dazu Melismen, die in der Gregorianik undenkbar gewesen wären.

Tigran Hamasyan verleugnet seine Jazz-Herkunft nicht, schöpft aber ebenso aus klassischen bis folkloristischen Quellen. Insbesondere der Impressionismus scheint seine Spuren hinterlassen zu haben, auch in der dynamischen Behandlung des Materials. Zarte Schattierungen sind das Gestaltungsmittel, auf überraschende Sprünge wird verzichtet. Mit einem friedvollen Cantus klingt das Album schließlich aus. Lichterfüllt.

Tigran Hamasyan, Klavier; Jerewan Kammerchor; Harutyan Topikyan, Leitung: Luys i Luso. ECM 2447

Ralf Neite

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

Ralf Konersmann: Die Unruhe der Welt

Anspruchsvoll

Über das Leiden an der Unruhe
Bild
Die Unruhe ist kein Phänomen, dem man mit privater Work-Life-Balance beikommen kann.

Oft wird sie beklagt, die Hektik unserer Zeit, und gern auch auf Kanzeln als Phänomen der Moderne angeprangert. Um sich gegen allgegenwärtigen Stress und drohenden Burnout zu wehren, stehen Entspannungsübungen hoch im Kurs. Zugleich sehen sich jedes Unternehmen und auch die Kirche unentwegt genötigt, neue Wege zu gehen, sich zu verändern und zu reformieren, denn Stillstand, also Ruhe, wäre schändlich. Das Leiden an der Unruhe und die Unmöglichkeit, ihr zu entkommen, definiert der Kieler Philosoph Ralf Konersmann als die "Passion" des westlichen Kulturkreises, einen Daseinsmodus, dem er in seinem Buch "Die Unruhe der Welt" auf den Grund geht. Er will das Phänomen der Unruhe verstehen, indem er ihren Spuren in der Ideengeschichte nachgeht.

Den immer noch nachwirkenden Ursprung westlicher Unrast findet er in den Urgeschichten der Bibel: Wird hier doch die Ruhe des Paradieses als ein verlorenes Ideal dargestellt, das den Menschen nach der Vertreibung nur noch als Sehnsuchtsbild vor Augen stehen kann.

Mehr noch interessiert sich Konersmann für die Geschichte von Kain und Abel, die er überzeugend als den Ursprungsmythos der von Gott verhängten menschlichen Unruhe deutet. Der kainitische Mensch, der sich von Gott weg ins Ungewisse entfernt, ist für ihn der metaphysisch obdachlose Mensch, dem gar nichts anderes übrigbleibt, als sich ein eigenes Dach zu schaffen, das heißt, Kultur zu entwickeln.

Unruhe und Kultur gehören darum in unserem Kulturkreis von jeher zusammen. Nur am Rande streift Konersmann die religiösen Lösungswege aus dem Dilemma der Unruhe, das theologisch als Schuldverhaftung gedeutet wird. Er beobachtet vielmehr, wie der biblische Fluch im Laufe der Kulturgeschichte zu einer positiven Kraft und verlockenden Verheißung umgedeutet wurde. Vom frühen Empirismus Francis Bacons über Schiller und Hegel verfolgt er die Argumentationslinien, die mit der Unruhe die Kraft zur Erkenntnis verbanden und damit die Hoffnung auf eine letztendliche Rückkehr in einen Zustand erfüllter Vollkommenheit. Erst Karl Marx habe mit dem dialektischen Materialismus das Prinzip von Entwicklung und Veränderung absolut gesetzt und damit die Diagnose für das Selbstverständnis der Moderne geliefert, in der der "Wandel" zum Selbstzweck geworden ist. Die entfesselte Unruhe habe im 20. Jahrhundert zur "totalen Mobilmachung" geführt und lebe weiter in der Wachstumsgläubigkeit des globalisierten Kapitalismus, im "rasenden Stillstand".

Die Unruhe ist also, darum geht es Konersmann, kein Phänomen, dem man mit privater Work-Life-Balance beikommen kann. Sie ist vielmehr das Element, in dem wir uns als westliche Menschen immer schon vorfinden. Aufgabe der Zukunft sei es, die Kultur der Unruhe "als unser Eigenes zu begreifen und klug zu begrenzen". Dafür will Konersmann keine eilfertigen Lösungen anbieten. Es wird aber deutlich, wohin seine Sympathien gehen, wenn er Walter Benjamin, dem leisen Verweigerer der "totalen Mobilmachung", ein liebevolles Kapitel widmet und sich in einem gesonderten Abschnitt ausführlich mit der Lebensphilosophie der Stoa befasst: Bei Seneca entdeckt er eine Ruhe, die nicht mit einem verlorenen Paradies verknüpft ist, sondern als immer neu zu erringende menschliche Kulturleistung verstanden wird.

Man ist nach der Lektüre des Buches allemal wacher für die Allgegenwart und Fraglosigkeit der Unruhe in unserer Zeit und um einiges klüger, was die lange Geschichte der westlichen Unrast betrifft. Ein anregendes, anspruchsvolles Buch, das Tiefenschärfe in die Wahrnehmung der Gegenwart bringt und die Voraussetzungen westlichen Selbstverständnisses klärt.

Ralf Konersmann: Die Unruhe der Welt. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2015, 461 Seiten, Euro 24,99.

Angelika Obert

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

abonnieren