Jenny Erpenbeck: Gehen, ging, gegangen

Traurig

Leben auf der Flucht
Bild
Der Roman klagt nicht an. Er schildert. Er versucht, erzählend genau zu sein.

Was bedeutet Leben im Übergang? Richard denkt, dass Flüchtlinge in ihrer Heimat vor ihrer Flucht doch wohl einen „ausgefüllten und überschaubaren Alltag“ hatten und dass sie nun in einen „nach allen Seiten offenen, gleichsam zugigen Alltag“ geraten seien. Richard hat sich ein Forschungsprojekt ausgedacht. Als gerade emeritierter Professor für Altphilologie will er das Leben dieser Menschen im Übergang wissenschaftlich dokumentieren und aufbereiten. – So beginnt der neue Roman von Jenny Erpenbeck wie eine unterhaltsame Story über einen Neuruheständler. Dabei spielt eine Rolle, dass auch Richard noch auf der Suche ist, wie er seinen eigenen Übergang in die Zeit ohne berufliche Pflichten hinbekommen soll.

Richard interviewt nach gründlicher Vorbereitung Menschen, die auf der Flucht bei uns angekommen sind, denen aber das eigentliche Ankommen und Hineinkommen in das Leben die Gesellschaft verweigert wird. Er ist auf die große Gruppe aufmerksam geworden, die bis April 2014 den Oranienplatz in Berlin mit Zelten besiedelte und deren Schicksal öffentliches Aufsehen erregte. Der Roman knüpft an die tatsächlichen Ereignisse an. Bei den Interviews zeigt sich, dass für alle ein „ausgefüllter und überschaubarer Alltag“ meist lange zurück liegt, wenn sie ihn denn überhaupt je hatten. Die Männer verbindet, dass sie schließlich Arbeit in Libyen fanden. Aber durch den Libyenkrieg 2011 verloren sie dort alles und wurden in Boote nach Europa verfrachtet. Die Überfahrt über das Mittelmeer – ein Überlebenskampf. Die Aufnahme in Italien – ein Schock. Schließlich die Reise nach Deutschland, wo kein Bleiberecht gewährt wird, weil Italien Eintrittsland in die EU ist.

Aus dem wissenschaftlichen Interviewer wird mehr und mehr ein Hörender und Sehender. Das Projekt tritt in den Hintergrund. Der erst Distanzierte wird Begleiter und Freund. Es entstehen persönliche Beziehungen. Richards eigene Geschichte verwebt sich mit der der Menschen, die er ins Gespräch gezogen hat. So bleiben auch Enttäuschungen nicht aus. Dazu erlebt Richard die Tristesse des Alltags in einer Flüchtlingsunterkunft und die Menschen, die unbedingt arbeiten wollen und es nicht dürfen. Er sieht die Ausweglosigkeiten.

Erpenbeck führt mit Richard den Leser immer weiter an die Schicksale heran, und auch in das hinein, was europäische und deutsche Regelungen für Geflüchtete bedeuten können. „Richard versteht: Mit Dublin II hat sich jedes europäische Land, das keine Mittelmeerküste besitzt, das Recht erkauft, den Flüchtlingen, die übers Mittelmeer kommen, nicht zuhören zu müssen.“

Auch wirtschaftliche Zusammenhänge kommen in den Blick. Einer ist aus Niger geflohen, wo der französische Staatskonzern Areva im großen Stil Uran abbaut und den Müll auf Weideland verkippt. Das ist nur ein Beispiel für eine von vielen Fluchtursachen. Überhaupt: Die Afrikaner müssten doch eigentlich ihre Probleme zu Hause lösen, bekommt Richard zu hören. Er denkt an seine eigenen begrenzten Möglichkeiten, wenn er Veränderungen in seinem Umfeld erreichen möchte. Der Roman klagt nicht an. Er schildert. Er versucht, erzählend genau zu sein. Der Roman ist eine Geschichte vom Übergang. „Gehen, ging, gegangen“ – traurig, aber zutreffend für viele, die hier nicht ankommen dürfen, so beschreibt es Jenny Erpenbeck einfühlsam und nüchtern. Die Alternative wäre: Kommen, ankommen und ein Leben miteinander führen.

Andreas Flade

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

Inge Jens: Langsames Verschwinden

Sensibler Blick

Leben mit einem Demenzkranken
Bild
Wenn die Sprache versagt, wenn kein „normaler“ Zugang zu dem Kranken mehr möglich ist, bleibt das Gefühl als Brücke.

Muss das eigentlich sein? Das dritte Buch zum Thema Demenz aus dem Hause Jens? Nachdem Sohn Tilmann bereits 2009 mit dem Titel Demenz über die Erkrankung seines Vaters Walter die Feuilletons heftig in Wallung gebracht hatte und sich dann in Vatermord gegen Häme und Angriffe verteidigt hatte, nun auch noch Inge Jens mit einem Buch über die letzten Jahre ihres Mannes? Angesichts der großen Fülle an vorhandener Literatur muss das wirklich nicht sein.

Aber: Es kann sein. In diesem Falle zumal, da es sich hier um Texte handelt, die im Ursprung nicht zur Veröffentlichung gedacht waren und die gerade darum in ihrer Authentizität bestechen. In dem kleinen Büchlein sind Briefe versammelt, die die Literaturwissenschaftlerin Inge Jens zwischen 2005 und Februar 2013 – also etwa vier Monate vor dem Tod des berühmten und hochgeachteten Tübinger Altphilologen am 9. Juni 2013 – an Freunde und Bekannte geschickt hatte. In diesen Briefen berichtet sie über den Alltag der Familie und über das Befinden ihres Mannes.

Sie selbst, die Ehefrau, die Angehörige, die Betroffene, tritt hinter den Berichten zurück. Ihr tiefes Inneres bleibt den Leserinnen und Lesern weitgehend verschlossen. Wir können nur ahnen, welche Wunden die Jahre der Krankheit von Walter Jens auch bei ihr, einer schließlich nicht mehr jungen Frau (Inge Jens ist inzwischen 89 Jahre alt) hinterlassen haben. Aber wenn sie das Adjektiv „traurig“ benutzt (und das kommt häufiger vor), geht es niemals um sie, stets geht es um den Zustand ihres Mannes.

Eines der wenigen Gefühle, die sie mitteilt, ist Dankbarkeit. Dankbarkeit für die gute gemeinsame Zeit, Dankbarkeit für die Hilfe, die ihr und ihrem Mann zuteil wird, und Dankbarkeit für die im Vergleich zu anderen privilegierte Situation, die sie trotz der Pflege in die Lage versetzt, ihr eigenes Leben, wenigstens zum Teil, weiterzuleben.

Langsames Entschwinden heißt der Band von Inge Jens, und schon der Titel bestätigt einmal mehr die allgemeinen Erfahrungen mit dieser Krankheit: Die Demenz raubt den Angehörigen den geliebten Mann, die Mutter, den Vater schon zu Lebzeiten. Demenz – das ist ein schleichender Prozess des allmählichen und unumkehrbaren Abschiedes: Der Verstand geht, der Körper bleibt. Am Schluss steht das Paradoxon der „anwesenden Abwesenheit“ (Inge Jens).

Aber noch etwas bleibt: das Gefühl. Wenn die Sprache versagt, wenn Worte fehlen (eigentlich unvorstellbar für einen Mann des Wortes wie Walter Jens), wenn kein „normaler“ Zugang zu dem Kranken mehr möglich ist, bleibt das Gefühl als Brücke. Und das ist momentan, da wirksame Medikamente gegen die Demenz noch auf sich warten lassen, vielleicht die einzige Hoffnung für alle betroffenen Angehörigen: Der Weg zum anderen muss nicht gänzlich versperrt sein.

Freude oder Kummer, Wohlbefinden oder Unwillen – auch schwer an Demenz Erkrankte empfinden das breite Spektrum menschlicher Gefühle. Und sie spüren es, wenn ihnen jemand vertraut ist. Dass sie dessen Namen nicht mehr nennen können, wird dann, das hat auch Inge Jens im Laufe der Zeit gelernt, zur Nebensache.

Wer sich bereits intensiver mit dem Thema Demenz befasst hat, wird nicht wirklich Neues in dem Buch von Inge Jens entdecken. Wer sich aber erstmals mit dem Thema befasst, erhält einen Eindruck davon, wie diese Krankheit – bei allen individuellen Unterschieden – verläuft. Dafür ist der sensible Blick der Autorin ebenso hilfreich wie ihre klare Sprache. Und wer selbst einen Demenzkranken pflegt oder gepflegt hat, findet vielleicht Trost darin, zu erfahren, wie andere mit ihrem Schicksal umgehen.

Annemarie Heibrock

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

Emmanuel Carrère: Das Reich Gottes

Selbstbezogenheit

Neue Glaubensmeditation
Bild
Carrère berichtet in seinem Buch, wie er zum Glauben fand, wieder davon abkam und heute als Agnostiker Paulus und Lukas liest.

Man kann nicht behaupten, dass die akademischen Theologen eine zu große Anzahl interessanter, gut geschriebener Bücher produzierten. Eigentlich fällt einem aus den vergangenen Jahren nur Jörg Lausters wunderbare Kulturgeschichte des Christentums ein. Doch zum Glück gibt es Randsiedler und Fachfremde, die den Leser mit eigensinnigen Annäherungen an den Glauben überraschen, irritieren und inspirieren. Man denke an das Buch des französischen Soziologen Bruno Latour über das Jubilieren oder an die Korinthischen Brocken des Dichters und Theologen Christian Lehnert (siehe zz 1/2014). So freut man sich, die frisch erschienene Glaubensmeditation des französischen Romanciers Emmanuel Carrère aufzuschlagen. In seinem Heimatland war sie ein regelrechter Bestseller. Carrère berichtet in seinem Buch, wie er zum Glauben fand, wieder davon abkam und heute als Agnostiker Paulus und Lukas liest. Sympathisch ist, dass er weder in einen Konvertiten- oder Renegaten-Furor verfällt, sondern auch bei diesem so intimen Thema abwägt und differenziert bleibt. Er will niemanden vom Christentum oder dessen Gegenteil überzeugen. Aber ernst nehmen will er die großen Anfänger des Christentums. So zeigt Carrère, dass man auch heute, mitten in religiös aufgeheizten Konflikten, über den Glauben engagiert und doch gelassen sprechen kann. Deshalb könnte man sich über die positive Aufnahme seines Buches eigentlich nur freuen. Doch stellt sich beim Lesen bald Enttäuschung ein. Allzu lang, viel zu breit erzählt Carrère und offenbart dabei eine ungebremste Selbstbezogenheit, die die Lektüre schnell zur Pein werden lässt. Es ist nicht nur langweilig, es ist auch unangenehm, wie der Autor seine Lebens- und Ehekrisen, die familiären Sorgen, den Ärger mit dem Dienstpersonal, ja sogar – Gipfel des Peinlichen – die Gespräche mit seiner Therapeutin ausbreitet. Als Prediger kennt man den Grundsatz, dass man auf der Kanzel persönlich, aber nicht über Privates sprechen sollte. Hätte Carrère doch einmal davon gehört! Als Seelsorger würde man sich auf seine ungezügelte Selbstbespiegelung einlassen, aber wenn man sich das neue Buch eines renommierten Autors kauft, erwartet man anderes.

Es ist erstaunlich, wie wenig Gedanken Carrère sich über die Gestalt, den Ton und Stil seines theologischen Versuchs gemacht hat. Er erzählt seine Erlebnisse und Gedanken einfach in einem banalen Berichtsstil herunter und bedient sich dabei unbekümmert abgenutzter Sprachklischees. Es gibt in diesem Buch keinen Bogen, keine Spannung, keine Prägnanz, keine Pointierung. Mühelos hätte man die über 500 Seiten auf ein Drittel kürzen können. Die formvergessene Redseligkeit sticht umso deutlicher hervor, als die biblischen Texte – ob man ihnen nun Glauben schenkt oder nicht – doch genau dieses besitzen: eine verdichtete Gestalt und viele erstaunliche Formulierungen. So muss man gar nicht groß vermerken, dass man Carrères biblische Meditationen unbelehrt und unüberrascht hinter sich lässt. Der Autor ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um aus Paulus oder Lukas etwas Interessantes herauszuholen. Gottfried Benn hat einmal behauptet, Gott sei ein schlechtes Stilprinzip, und „wenn man religiös wird, erweicht der Ausdruck“. Carrère beweist, dass auch der Verlust des Glaubens zu Ausdruckserweichungen führen kann: Zu viel „Ich“ ist ebenfalls ein schlechtes Stilprinzip.

Johann Hinrich Claussen

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

Christine Eichel: Deutschland, Lutherland

Luthers Spuren

Reformator in der Gegenwart
Bild
Die Grundthese lautet: Die Deutschen sind bis heute in ihrem Denken und Handeln Kinder der Reformation.

Die Spuren, die Martin Luther bis heute in Deutschland hinterlassen hat, sind nicht zu übersehen. Zahlreiche Baudenkmäler erinnern an den Reformator. Nicht nur in Wittenberg, dem Ausgangspunkt der Reformation. Zu den Schauplätzen, an denen Luther gewirkt hat und die heute im Sinne eines Reformationstourismus erschlossen sind, zählen auch Worms, Leipzig oder Augsburg. Luthers Reformation hat Deutschland geprägt, davon ist auch Christine Eichel überzeugt. Die Autorin wählt allerdings einen anderen Ansatz: In ihrem Buch Deutschland, Lutherland ergründet sie, wie sehr Luthers Denken, seine Theologie und sein Handeln bis heute den Alltag in Deutschland bestimmen.

Dabei geht die Philosophin und Journalistin, die mit einer Arbeit über Theodor W. Adorno promoviert wurde, von Alltagsbeobachtungen aus: Sie erzählt von einer Frau, die drei Tage lang durcharbeitet, um eine Präsentation fertigzustellen. Sie schildert, wie spendenfreudig die Deutschen sind. Und sie verweist darauf, dass im aktuellen Kabinett neun evangelische Minister und Ministerinnen sitzen. Von diesen Beispiele ausgehend analysiert sie die Verhaltensweisen der Deutschen, ihr Kulturverständnis und die politische Kultur in Deutschland. Bei dem Versuch, die deutsche Befindlichkeit historisch zu ergründet, setzt sie immer wieder bei Luther und seinem Denken an. Eichels Grundthese lautet: Bis heute ist die kollektive Mentalität der Deutschen von Luther geprägt, sind die Deutschen in ihrem Denken und Handeln Kinder der Reformation. Luther, so der Ausgangspunkt für Eichels Buch, markiert den Beginn einer neuen Zeitrechnung. Der Reformator steht nicht nur für ein neues Gottesbild. „Mit Luther entstand neben einem neuen Gottesbild und einer neuen Kirche auch ein neues Weltbild“, schreibt die Autorin. Eichel verweist auf „Luthers innerweltliche Askese und seine Aversion gegen jede Art äußerlicher Prachtentfaltung“ ebenso wie auf sein Verhältnis zu Obrigkeit und Gehorsam, sein Arbeitsethos sowie auf sein Bildungsverständnis und seine Einstellung zu Gesellschaft und Familie. Vom Denken und der Lebenshaltung des Reformators ausgehend, schlägt Eichel einen Bogen ins 21. Jahrhundert.

In dreizehn Kapiteln seziert die Autorin die deutsche Befindlichkeit und führt tradierte Muster typisch deutschen Verhaltens auf den Reformator als Urheber zurück: Der deutsche Arbeitseifer, die deutsche Sparsamkeit oder eine Neigung der Deutschen zur Kinderlosigkeit. Eichel führt die reiche kulturelle Landschaft mit ihren zahlreichen professionellen Orchestern und Museen auf Luthers Kunstverständnis zurück. Ihrer Einschätzung nach lassen sich reformatorische Einflüsse beinahe überall finden: in der Politik, in Gesellschaft, Ökonomie und Kultur. Auch die dunkle Seite – Luthers Antisemitismus – wird erwähnt.

Eichels Buch provoziert Widerspruch. Dessen ist sich auch die Autorin bewusst. Ganz zu Beginn ihres Buches räumt sie daher ein, Deutschland, Lutherland sei eine steile These. Und in der Tat: Wenn es um die Frage geht, worauf unsere Gesellschaft heute fußt, bleibt die Argumentation zu sehr auf Luther fixiert. Dem Buchtitel folgend steht der lutherische Einfluss im Mittelpunkt, kultur- und geistesgeschichtliche Einflüsse jenseits des Reformators werden zwar immer wieder erwähnt, in ihrer Bedeutung für die Gegenwart dann jedoch relativiert.

Die Aufklärung etwa findet in Eichels Ausführung nur am Rande statt. Eichel bleibt sich ihrer Argumentationslinie, die Wurzeln bei Luther zu suchen, treu. So gesehen ist das Buch ein provokanter, aber auch spannend zu lesender Erklärungsversuch dazu, warum die Deutschen so sind, wie sie sind.

Barbara Schneider

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

Christian Grethlein: Abendmahl feiern

Neues wagen

Abendmahl feiern
Bild
Man liest, schluckt und fragt sich: „Wie hat‘s geschmeckt?“ Und stellt fest: „Some like it hot!“

Ezechiel musste eine Buchrolle verspeisen, bevor Gott ihn zu den Israeliten schickte. Wie schmecken Bücher? Ich bin froh, dass ich Christian Grethleins Abendmahlbuch nicht essen muss. Es wäre mir zu scharf.

Aufgebaut im klassischen Dreischritt Geschichte, Gegenwart und Zukunft bietet es vor allem im ersten Teil Gepfeffertes. Im zweiten Teil widmet es sich unterschiedlichen Formen zwischen „Tradition und Aufbrüchen“ – auch Überlegungen zum Essen, Empirisches, Rechtliches, Ökumenisches und ganz Praktisches werden abgehandelt. Unter dem Titel „Einheit im Herrn und Vielfalt im Feiern“ wird im dritten Teil die Kernthese des Buches noch einmal entfaltet und zugespitzt: Der bis zur Unkenntlichkeit reduzierte Mahlcharakter der Abendmahlsfeier müsse wieder hergestellt werden. Fehlten die Grundcharakteristika des jesuanischen Mahls – die Offenheit für alle und das Miteinander-Teilen bei der Sättigung – kommuniziere die Mahlfeier nicht mehr Evangelium. Sie bleibe dann, was sie jetzt sei: ein eher kümmerliches, steifes und eigentlich überflüssiges Ritual für religiös Hochmotivierte.

Ist dem so? Nicht von der Hand zu weisen ist eine gewisse Lustlosigkeit. Zwischen dem, was die Theologie postuliert und dem, was sich in der Kirche manifestiert, klafft ein Abgrund. Christian Grethlein hat sich darum dem britischen Theologieprofessor Martin Stringer folgend für eine problemgeschichtliche Periodisierung entschieden, in der jeweils drei Jahrhunderte eine Einheit bilden. Die Titel der Kapitel sprechen für sich: Von Jesu inklusiven Mahlzeiten zur kultischen Mahlfeier der Kirche (bis 300); Vergeistigung und Verdinglichung der kirchlichen Eucharistie (300–600); von der Feier der Eucharistie zum Lesen der Messe (600–900); das priesterliche Opfer als Ausdruck kirchlicher Macht (900–1200); Ritual zwischen scholastischer Bestimmung und volksfrommer Praxis (1200 – 1500); Rückkehrversuche zum Nachtmahl des Herrn (1500–1800); zwischen kirchlicher Normierung und vielfältigen Aufbrüchen (1800–1975).

Zwar soll dieser Aufriss nicht nur als „Verfallsgeschichte“, sondern auch als „Kontextualisierung“ der ursprünglichen Mahlfeier interpretiert werden. Aber es bleibt beim überaus kritischen Fazit: Die Ablösung vom Sättigungsmahl und die Klerikalisierung provozierten eine Reglementierung, Institutionalisierung, Instrumentalisierung, Ritualisierung, Sakralisierung und Hierarchisierung der Mahlfeiern. Was einmal inklusive Mahlfeier in pluriformer Gestalt war, ist ein exklusives kultisches Ritual geworden – und eine trockene Angelegenheit. Weit und breit keine „fetten markigen Speisen und alter, geläuterter Wein“ (Jesaja 25. 6 – 8) zu sehen. Wer meint, das Buch sei ein Beitrag zum Reformationsjubiläum, schluckt trocken. Die reformatorische Abendmahlsreform sei zwar als „Rückkehrversuch“ zu würdigen, aber gescheitert, weil die Fixierung auf die Einsetzungsworte, die Buße und den Sakramentscharakter eine viel radikalere Reform verhindert habe. Formen wie das Feierabendmahl, das Gemeindefest oder „Charity Dinner“ weisen die Richtung. Theologisch ist weder die Trennung zwischen Agape und Abendmahl noch die Leitung eines Ordinierten plausibel.

Man liest, schluckt und fragt sich: „Wie hat‘s geschmeckt?“ Und stellt fest: „Some like it hot!“ Und fragt nach: Ist denn das Abendmahl nicht [auch] eine Zeichenhandlung? In der Mahlfeier geht es doch [auch] um den Genuss Gottes! Wer die Liturgie liebt, vermisst in diesem Buch den Geschmack des Heiligen. Das spricht aber nicht gegen die Rückgewinnung der diakonischen Dimension. Es spricht dafür, sich von der guten Küche inspirieren zu lassen und neue Kombinationen zu wagen!

Ralph Kunz

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: Caroline Krajcir

Ralph Kunz

Ralph Kunz (*1964) ist seit 2004 Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. Seine Forschungsschwerpunkte sind Liturgik, Homiletik, Gemeinde­aufbau und Kirchenleitung. 

Weitere Rezensionen

Anne Bezzel: Jenseits der Mauern die Freiheit

Zäh

Roman über die Clarissen
Bild
Anne Bezzel will den tapferen Clarissen ein Denkmal setzen, indem sie die Nürnberger Ereignisse des Jahres 1525 historisch getreu nacherzählt.

Zu den außergewöhnlichen Frauen des frühen 16. Jahrhunderts gehört die Äbtissin des Nürnberger Clarissen-Klosters Caritas Pirckheimer, eine hochgebildete Frau, die sich gegen die Zwangseinführung der Reformation in Nürnberg zur Wehr setzte und mit Hilfe Philipp Melanchthons die Schließung ihres Klosters verhindern konnte. Sie verdient es, dass ihrer auch im Rahmen des Reformationsjubiläums gedacht wird, steht sie doch für die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Andersdenkenden.

Caritas Pirckheimer schrieb in den Jahren 1525–1528 eine Chronik, die heute unter dem Titel Denkwürdigkeiten zugänglich ist. Auch ihr weitläufiger Briefwechsel mit den Geistesgrößen ihrer Zeit wurde publiziert.

Auf diesen Quellen beruht der historische Roman der Erfurter Theologin Anne Bezzel, die während ihres Studiums auf die Geschichte von drei jungen Nonnen stieß, die 1525 gegen ihren Willen von ihren Familien aus dem Klarissenkloster geholt wurden, weil die „neue Lehre“ das Klosterleben verurteilte. Anne Bezzel will den tapferen Clarissen ein Denkmal setzen, indem sie die Nürnberger Ereignisse des Jahres 1525 in zahlreichen Episoden historisch getreu nacherzählt. Sie hat viel recherchiert. Detailgenau schildert sie die Arbeit der Nonnen in der Bibliothek, sie beschreibt die Kleidung der Nürnberger Patrizier, ihre Wohnhäuser, doch gelingt es ihr nicht recht, diesen Kenntnisreichtum mit der Romanhandlung zu verweben. Oft entsteht der Eindruck, als bilde die Handlung nur den Rahmen für die didaktischen Absichten der Autorin.

In ihrer Erzählung bleibt Anne Bezzel nicht bei den Nonnen, sondern führt für die Geschehnisse vom Nürnberger Religionsgespräch bis zum – leider späten – Eingreifen Melanchthons immer wieder neue Figuren ein. Auf diese Weise kann sie den Ablauf zwar genau nachvollziehen und die verschiedenen Perspektiven – Klosterfrauen hier, Nürnberger Patrizier da – richtig darstellen, aber der emotionale Aufruhr, den sie bei all ihren Figuren beschwört, bleibt ohne Tiefe.

Die jungen Clarissen, Clara, Katharina und Margarethe, deren noble Familien schließlich die Klostertüren stürmen, haben alle die gleichen aufgewühlten Gefühle, sind alle drei gleichermaßen glücklich in ihrer frommen Mädchengemeinschaft unter der Obhut der mütterlichen Äbtissin, von deren Geistesschärfe und Kampfeslust im Roman nichts zu spüren ist. Die reale Caritas Pirckheimer brachte selbst gegenreformatorische Schriften in Umlauf und schmähte die Lutherischen als „trunkene, unkeusche Pfaffen“. Bei Anne Bezzel wird sie zur sanftmütig Leidenden, die das sola scriptura und das solus Christus auch ohne Luther längst gelernt hat. Die Reformation in Nürnberg dagegen, auch wenn die Autorin um Nuancierungen bemüht ist, erscheint als ein Zeitgeistphänomen: Plötzlich laufen alle der „neuen Lehre“ nach und fürchten sich außerdem vor den Bauern. Sympathisch ist das Unterfangen, den Nürnberger Clarissen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und einer evangelischen Leserschaft nahe zu bringen, dass die Klöster zur Reformationszeit nicht samt und sonders verkommen, die klösterlichen Gelübde gerade für Frauen auch eine Sache von Bildung und innerer Freiheit waren. Aber für einen Roman ist das Buch doch zäh und spannungsarm geraten.

Angelika Obert

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

Wilco: Star Wars

In blassem Pink

Wilco: Star Wars
Bild
Das neue Wilco-Album ist eine Kühlschranktür: Magnete, Zettel und dahinter ein sonores Brummen.

Der Griff in die Tür zur Milch erfolgt zwar meist unbewusst, in Haushalten mit Kaffeetrinkern und Jugendlichen aber täglich zigfach. Letztere machen, sobald erst magnetbefestigt Einkaufsliste, Rezepte und Notizen dran hängen, gern auch den Schritt darüber hinaus und erweitern den Kühlschrank: von der funktionalen Vorrats- zur mäandernden Küchenlitfaßsäule.

Ob Magnetsticker oder ein Polizei-Badge, verloren und aufgelesen bei einer Demo, alles kommt drauf. Fotos, Karten, Zeichnungen, Sprüche, Zeitungsausrisse. Ziehen die Heranwachsenden dann aus und das Ensemble bleibt, wird es zum Memento von miterlebter Jugendzeit, zum Speicher von Geschichten und Erlebnissen. Oft übersehen wie beim Griff zur Milch, manchmal jedoch, wenn die Wohnung still ist, plötzlich pure Gegenwart.

Eine ganze Welt auf dem Kühlschrank, und in seinem Brummen klingt alles nach. Lachen, Tränen, Gespräche, Partylärm, Gemüseschneiden, Bratenzischen, ausgeschüttete Herzen, Abschiedsworte - alles da. Das neue Wilco-Album "Star Wars" ist solch ein Kühlschrank, in "Magnetized", dem letzten seiner elf Stücke, sogar explizit: "Orchestrate the shallow pink, pink refrigerator drone" heißt es da im rezitierend charismatischen Singsang von Jeff Tweedy zu sakral verschattetem, leierndem Orgelsound. Dann setzen Chorgesang, Gitarren, Bass, Drums und Piano ein, Schleifen vom Mellotron und Streicher treten hinzu. Typisch für den Stil der Americana-Bandikone, die seit zwanzig Jahren Alben aufnimmt und begeisternd aus Folk, Country, Alternativerock, Velvet Underground und vielen Kreuzversionen schöpft oder diese erst selber schafft. Anlagern, Amalgamieren, dem Sound, dem Spirit vertrauen, der der Melancholie von Mastermind Tweedy dicht auf den Fersen ist. Bilder, Storys, Montagen, Ensembles, die wir hören und spüren wollen. Schichten, die mit jedem Hören dichter herantreten. Vier Wochen lang war diese Musikmalerei zunächst als Gratis-Download zu haben, weil sie das so wollten und es sich leisten können.

In der R. E. M. /Radiohead-Liga sind sie schon lange, und auf die Kauftreue der Fans ist Verlass, seit Wilco 2001 die Rechte für ihr Album "Yankee Hotel Foxtrot" für 50.000 Dollar vom Label, dem das nicht gefiel, zurückkauften, den Deal kündigten, die Aufnahmen umgehend ins Netz stellten - und den Durchbruch schafften. Wilco haben seither den Nimbus von Hartnäckigkeit und eigenem Sound. Experimente wie zuletzt passten gut dazu. Auch "Star Wars" beginnt mit "ekg" - dissonant wie eine "Sonic Youth"-Platte -, aber dann folgen nur Wilco-typische Klänge. Große epische Bögen, repetierende Muster, minutiöse Soundarbeit, Gitarrenschichtung, Steigerung bis an den Rand der Kakophonie, und dann sind es doch Songs ganz à la Wilco mit viel Tiefe, selten Up tempo. Beseligende Melancholie. Und dazu ein Glas Milch - weil der Kühlschrank mal wieder so fesselnd gut zu erzählen beginnt.

Wilco: Star Wars. dBpm/anti-Records/Indigo 2015.

Udo Feist

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

Shostakovich: The Cello Concertos

Geistvoll

Schostakowitschs Cellokonzerte
Bild
Der Geist schwelgt im großen Klang und lässt sich im selben Moment in all die feinen Verästelungen und Schattenfelder entführen.

Die Begegnung mit Dmitri Schostakowitsc hs Cellokonzerten gleicht dem Moment, wenn man eine Hügelkuppe erreicht und unvermittelt auf eine faszinierende, sich weit zum Horizont erstreckende Landschaft schaut. Das Auge weiß nicht, wohin es sich zuerst wenden soll - zu überwältigend ist der Gesamteindruck. So ergeht es beim Hören der beiden Konzerte für Violoncello und Orchester: Der Geist schwelgt im großen Klang und lässt sich im selben Moment in all die feinen Verästelungen und Schattenfelder entführen. Sei es auch, dass er darin verloren ginge.

Im Stile sinfonischer Dichtungen sind beide Werke angelegt. Befreit von den künstlerischen Limitierungen durch die stalinistische Kontrolle, sprühen sie vor musikalischer Vielfalt und emotionalen Wechseln. Vor allem das erste Konzert in Es-Dur von 1959 stellt überdies immense technische Anforderungen an den Solisten. Schostakowitsch hat es seinem Orchestrierungs-Schüler Mtislav Rostropowitsch gewidmet, der auch Solist in der Uraufführung war - wie sieben Jahre später beim zweiten Cellokonzert.

Die Liste vorzüglicher Aufnahmen ist lang, neben Rostropowitsch haben unter anderem Michael Chomitzer, Alexander Ivashkin oder Heinrich Schiff den Stücken ihren Stempel aufgedrückt. Letzterer war einer der Lehrer von Gautier Capuçon, Jahrgang 1981, einem der herausragenden jüngeren Vertreter seiner Zunft. Schostakowitschs Cellokonzerte hätten ihn seit seiner Kindheit begleitet, sagt er. Seine eigene Einspielung braucht nun einen Vergleich mit den großen Vorgängern nicht zu scheuen.

Man nehme nur den zweiten, leisen Satz des Es-Dur-Konzertes: Capuçons Gestaltungskraft selbst in den höchsten Lagen ist bemerkenswert. Wenn das Cello dann tief hinunterstürzt, zunächst noch begleitet von den Streicherinnen und Streichern, dann alleingelassen im Abgrund, verleiht er der dunklen Einsamkeit eine würdevolle Ruhe und Kraft. Im Schlusssatz fegt der Franzose mit souveräner Schwerelosigkeit durch das ungestüm treibende Orchester hindurch.

Ach, überhaupt: das Orchester. Man kann gar nicht genug würdigen, welche Klangpracht Maestro Valery Gergiev und das Orchester des renommierten Mariinsky Opernhauses in St. Petersburg dieser Aufnahme verliehen haben. Perfekt in den Dosierungen, klar in den Akzenten - ein wunderbares Schlagwerk im zweiten Konzert -, brillant im Umgang mit Tempo und Dynamik. Unbedingt anhören.

Shostakovich: The Cello Concertos. Erato, 082564606736.

Ralf Neite

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

Okko Herlyn: Was ist eigentlich evangelisch?

Fundgrube

Evangelische Argumentation
Bild
Eine Empfehlung für die Gemeindegruppenarbeit, aber auch für Menschen, die einfach etwas mehr über das Evangelische erfahren wollen.

Aktuell ist Okko Herlyn mit seinem Kabarett-Programm "Hier stehe ich, ich kann auch anders!" unterwegs und begeistert mit seinen Provokationen zu Kirche & Co das Publikum. In ähnlich lockerer und aus dem Leben gegriffener Weise kommt dieses kurzweilig anmutende Buch daher.

Der emeritierte Ethikprofessor und gelernte Pfarrer will den Blick für das Ganze und die zentralen Inhalte schärfen - damit die christliche Identität im Miteinander in der Kirche, aber auch im Gespräch mit Menschen anderer Religionen wieder vermittelbar wird. Dabei geht es aber keineswegs um Schlichtheit, sondern darum, das Komplexe so auszudrücken, dass es verstehbar bleibt. Fragen und Zweifel sind ihm ausdrücklich wichtige Begleiter auf der Suche nach der evangelischen Identität. Herlyn ist überzeugt: "Wir müssen wieder lernen, auch über das zu reden, was wir glauben, und das, was uns am Glauben schwer fällt." Wie das gehen kann, zeigt er auf überzeugende Weise in dem vorliegenden Buch.

Die Abschnitte sind kurz und bündig, enthalten aber stets das Wesentliche. Drei Beispiele: "Die Bibel aufschlagen: Wo anfangen, wo aufhören?" - "Einfach glauben: Manche Sachen, die wir getrost belachen" - "Den Mund aufmachen: Zwischen Missionssonntag und Mission Impossible". Das motiviert zu näherer Betrachtung.

Herlyn arbeitet heraus, welche Erkenntnisse der Reformation für heute wichtig sind: mit Hilfe der vier "Soli" wird die Idee der Rechtfertigung aus Gnade ebenso vorgestellt wie die Geschichte des Auszugs Abrahams als Liebesgeschichte. Oberflächlichkeit und frommes Getue sind abzulehnen. Frömmigkeit kann nicht bürgerlich-tugendhaft daherkommen, sondern ist die Glaubenshaltung des Christen in der Bindung an den gnädigen Gott. Der Autor fragt, ob die Bibel in der evangelischen Kirche heute tatsächlich das beachtete Buch ist, wie es die Reformatoren zur Grundlage der protestantisch-evangelischen Bewegung gemacht haben. An anderer Stelle wird mit Bezug auf Dietrich Bonhoeffer pointiert, dass Kirche nicht um sich selbst kreisen darf, sondern "Kirche für andere" ist, Anwältin der Schwachen. Evangelischer Glaube ist, so Herlyn, nicht naiver blinder Glaube, sondern ein Glaube, dem das verständige Erkennen zur Seite steht, das wird mit Anselm von Canterbury, Karl Barth und Rudolf Bultmann argumentativ unterlegt.

Man spürt die reformierte Prägung, wenn der Autor nach Nüchternheit in Sachen Spiritualität ruft. Und das Gebet? Für Herlyn ist es nicht ein Beten zu irgendwelchem Nutzen, sondern der schlichte menschliche Anteil an der Beziehung Gottes zu mir. Nicht Tun-Ergehen, sondern die durch die Gnade Gottes motivierte gute Tat als Dank dafür ist evangelisch. Für die Gestaltung eines evangelischen Gottesdienstes erwartet Herlyn mehr Mut beim Einbringen von Gaben und Kreativität, mehr Öffentlichkeit. Die Taufe: eine besondere Art der Verkündigung, ein Zeichen für das "Ja" Jesu Christi, das Abendmahl: einladende Wegzehrung für Alle. Es ist deutlich zu spüren, dass dem Autor das alles eine Herzensangelegenheit ist. Zum guten Schluss dann eine Zugabe mit "Humor", ohne den ein menschenfreundlicher Protestantismus nicht sein kann.

Das Buch eignet sich als Fundgrube für die Gemeindegruppenarbeit, aber auch als Lektüre für Menschen, die einfach etwas mehr über "das Evangelische" erfahren wollen, als Argumentationshilfe im Gespräch. Es ist durch die zahlreich erzählten Erfahrungsgeschichten geerdet. Das macht die verschiedenen thematischen Felder für den Leser sehr gut nachvollziehbar. Die Texte sind leicht verständlich, unkonventionell - und gerade deshalb ist das Buch einfach gut.

Okko Herlyn: Was ist eigentlich evangelisch? Neukirchener Verlagsgesellschaft, Neukirchen-Vluyn 2015, 191 Seiten, Euro 14,99.

Peter Noss

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

Norbert Arnold: Biowissenschaften und Lebensschutz

Wichtige Hilfe

Über die bioethische Agenda
Bild
Wer sich in den einschlägigen Debatten orientieren möchte, kann getrost an dieses Buch verwiesen werden.

Wissenschaftlicher Fortschritt wirft moralische Fragen auf. Das gilt vermutlich für keinen Bereich mehr als für die modernen Biowissenschaften und besonders, wenn es um die frühesten Phasen menschlichen Lebens geht. Wo ethische Orientierung notwendig ist, kann auch eine wertplurale Gesellschaft nicht auf die religiösen Sinnstiftungspotenziale verzichten. Die Stimme der Kirchen ist in den einschlägigen Debatten zwar nur eine, aber gleichermaßen gewichtig wie unersetzlich.

Der von Norbert Arnold im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebene Sammelband stellt römisch-katholische Perspektiven auf eine Bandbreite bioethischer Herausforderungen vor, vom moralischen Status des Embryos über die Stammzellforschung bis zu verschiedenen Methoden vorgeburtlicher Diagnostik, und bringt sie zugleich ins Gespräch mit anderen Disziplinen.

Nach einer Einleitung des Herausgebers werden zunächst grundlegende Aspekte der "bioethischen Agenda" thematisiert und Grundlagen der interdisziplinären ethischen Reflexion diskutiert. Vielleicht wenig überraschend, aber prägnant und zugleich gut verständlich dargestellt stehen dabei von Seiten der Moraltheologie der unbedingte Lebensschutz und der ihn fundierende Würdegedanke argumentativ im Mittelpunkt. Hier wie in den folgenden drei Abschnitten, die auf einzelne Handlungsfelder fokussieren, werden den ethischen Positionierungen Erwägungen vor allem aus dem Bereich der Lebens- und Rechtswissenschaften zur Seite und gegenüber gestellt. Wegen seiner weiterführenden und zugleich grundlegenden Ausrichtung ist der fünfte Abschnitt besonders bemerkenswert, werden hier doch Fragen der Wissenschaftsethik und der Ethik der Politikberatung noch einmal in prinzipieller Weise mit moraltheologischen Überlegungen verknüpft. Allenfalls eine noch ausgeprägtere theologisch-selbstkritische, auch Fragen der Methodik stärker fokussierende Reflexion im Hinblick auf die Kraft eigener zentraler Argumente gerade in einem zunehmend säkular geprägten Debattenkontext wäre an dieser Stelle eine gute Ergänzung gewesen.

Der Band versammelt nicht nur Beiträge hochrangiger Moraltheologen und ausgewiesener Experten aus weiteren relevanten Disziplinen zu einem Überblick über die Argumente und Positionen in aktuell relevanten ethischen Fragen am Beginn menschlichen Lebens, sondern stellt auf Grund seiner Lesbarkeit, die noch einmal durch die jedem Abschnitt vorangestellten sehr konzisen Zusammenfassungen des Herausgebers verbessert wird, eine wichtige Hilfe für alle dar, die sich kurz, aber prägnant über die bioethische Diskussionslage zwischen römisch-katholischer Kirche und Lebenswissenschaften informieren möchten.

Dies gilt gerade auch für die evangelische Seite, die im einen oder anderen inhaltlichen Punkt anders votieren könnte, sowie für philosophische Ethiker, die sich ernsthaft mit der kirchlichen Positionierung auseinandersetzen möchten.

Dass am Ende des Bandes die Erkenntnis bleibt, dass zwischen Moraltheologie und Biowissenschaften auch in Zukunft nicht der Kompromiss, sondern die Kontroverse, nicht der Konsens, sondern der Dissens den Normalfall darstellen dürfte, ist keineswegs als resignativ zu verstehen.

Vielmehr hält diese Feststellung die Einsicht offen, dass der Dialog zwischen Wissenschaft und Kirche, zu dem dieser Band beiträgt, von beiden Seiten als eine echte Diskussion zu führen ist, in der ernsthaft um entscheidende bioethische Fragen gerungen wird. Wer sich in den einschlägigen Debatten orientieren oder sich selbst - in welchen Kontexten auch immer - daran unter Berücksichtigung kirchlicher Argumentationen beteiligen möchte, kann getrost an dieses Buch verwiesen werden.

Norbert Arnold: Biowissenschaften und Lebensschutz.

Herder Verlag, Freiburg 2015, 304 Seiten, Euro 24,99.

Jens Ried

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Weitere Rezensionen

abonnieren