Lerke von Saalfeld: Wir waren voller Hoffnung

Eigensinn

Zeitzeuginnen des Jahrhunderts
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Dieses Hörbuch entlarvt zunächst ein paar Denkschablonen, um dann mit ihnen aufzuräumen.

Fünfundzwanzig CDs mit je einem Interview von etwa vierzig Minuten Länge: Dieses Hörbuch entlarvt zunächst ein paar Denkschablonen, um dann mit ihnen aufzuräumen. Eine Frau, die das 20. Jahrhundert repräsentiert, muss sich nicht einer Oppositionsbewegung zurechnen, um den Verführungen wechselnder Ideologien widerstanden zu haben. Sie muss auch nicht ihr gesamtes Leben in Deutschland oder Österreich verbracht haben, um eines dieser Herkunftsländer ihre Heimat zu nennen. Schließlich muss sie sich keineswegs als „Feministin“ ausweisen, um ihre Frauenrolle selbstbestimmt zu gestalten. Mut, Selbstbewusstsein und Eigensinn schwingen in den Stimmen aller hier versammelten, 25 Frauen mit. Die ältesten erlebten noch den Untergang der Monarchie, die jüngsten positionieren sich angesichts eines wiedervereinten Deutschlands.

Die Fragen der Kulturjournalistin Lerke von Saalfeld sind treffsicher. Im Kopf der Hörer setzt sich ein vielschichtiges Panorama zusammen, fernab des üblichen Eurozentrismus, und ohne jeglichen, voyeuristischen Einblick in persönliche Intimitäten. An Stellen, die immer wieder mal einen apokalyptischen Funken in die Gegenwart der Hörerinnen wehen, mag die nüchterne Tonart der Interviewten unterkühlt wirken. Aber weder den Befragten, noch der Fragenden kommt es auf die Emotionen an, die von Verfolgung, Lagerhaft, Flucht, Emigration und Krieg ausgelöst wurden. Sie waren schmerzhaft, wie jeder Hörer sich ausmalen kann, aber sie gehören nicht zur Zeitzeugenschaft. In diesen Gesprächen geht es um aufgezwungene oder freiwillige Weichenstellungen, deren Wirkungen bis in die Gegenwart reichen.

Susanne Krahe

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Julian Barnes: Der Lärm der Zeit

Kunst gegen Macht

Schostakowitsch und Russland
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Ein Buch, das nachdenken lässt über die Rolle der Kunst, den Umgang mit Macht und Schuld.

In diesem Buch geht es nicht wirklich um Lärm, ausdrücklich wird sogar darauf hingewiesen, dass der Protagonist nicht lärmempfindlich ist. Nur Hundegebell stört Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch (1906-1975) hin und wieder beim Komponieren, aber das ist allenfalls ein Problem, als er während des Krieges auf dem Land leben muss. Wohl aber leidet er an dem „Lärm der Zeit“, an all dem, was nicht Musik ist, sondern der Macht zuzuschreiben ist, die ihn hofiert, wenn seine Musik dem sowjetischen Ideal entspricht, die ihn aber auch stets bedrängt und bedroht, wenn dies nicht der Fall ist. Etwa, als Stalin eine Aufführung seiner Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ besucht und diese vorzeitig verlässt. Kurz darauf sorgt ein offenbar vom Diktator selbst geschriebener Verriss in der Parteizeitung Prawda nicht nur für den zeitweiligen künstlerischen Bann, sondern für existenzielle Angst vor der Hinrichtung.

So begleiten wir im ersten Teil von Julian Barnes’ jüngstem Buch Schostakowitsch bei seinem nächtlichen Warten am Aufzug auf die Geheimpolizei. Schließlich sollen ihm, Frau und Kind die entwürdigenden Szenen einer Verhaftung in der Wohnung erspart bleiben. Man sagt, dass man anhand von Schostakowitschs Symphonien die Geschichte der Sowjetunion nacherzählen könne.

Der britische Bestseller Autor Julian Barnes wählt zum Glück einen anderen Weg, der das Buch auch für weniger musikalisch Interessierte lesenswert macht. Er beschreibt drei Phasen in Schostakowitschs Leben. Zunächst eben die Zeit nach der vernichtenden Kritik an „Lady Macbeth von Mzensk“ im Jahr 1936. Dann, vermeintlich reputiert durch seine im „vaterländischen Krieg“ geschriebene siebte Symphonie, als Teil einer Delegation, die auf Stalins Anordnung 1949 den Weltfriedenskongress in New York besucht. Dort hört er in der Übersetzung seiner Rede, die er nicht selber geschrieben hat, wie der von ihm verehrte Strawinsky als Verräter und reaktionärer Musiker beschimpft wird, der Musik nur um der Musik Willen mache - und sieht sich gezwungen, dieses Urteil öffentlich mit eigenen Worten zu bestätigen. Und abschließend, im „Tauwetter“ unter dem sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow ab 1956, als er gezwungen wird, in die von ihm so gehasste Partei einzutreten.

Man könnte dies als drei Stufen der Anpassung an ein Regime verstehen, das jedwede Kunst für seine Zwecke und Ziele einspannte und auf ihre Freiheit nichts gab. Doch das wäre zu banal. Julian Barnes taucht ein in die, zum Teil akribisch recherchierte, zum Teil anverwandelte, Gedankenwelt des Komponisten, der doch eigentlich nur der Musik verpflichtet sein will und um das physische und künstlerische Überleben in einer Diktatur kämpft. Seine Waffe ist die Ironie, die auch in seinen Kompositionen eine Rolle spielt, auch wenn sie nicht von allen als solche erkannt wird.

Doch in der späten Phase seines Lebens muss er einräumen: „Und Ironie hatte ihre Grenzen. Zum Beispiel konnte man kein ironischer Folterer sein, auch kein ironisches Folteropfer. Ebenso konnte man nicht ironisch in die Partei eintreten. Man konnte aufrichtig in die Partei eintreten oder man konnte zynisch in die Partei eintreten: eine andere Möglichkeit gibt es nicht. (.) Wenn man der Ironie den Rücken zukehrte, erstarrte sie zu Sarkasmus. Und wozu war sie dann nütze? Sarkasmus war Ironie, die ihre Seele verloren hatte.“

Manche Kritiker meinen, dass Barnes neuestes Buch nicht sein stärkstes ist. Mag sein. Aber es ist mindestens ein gutes Buch, das Nachdenken lässt über die Rolle der Kunst, den Umgang mit Macht und Schuld und das zudem die bedrohliche Enge eines Lebens in einer Diktatur spürbar werden lässt.

Stephan Kosch

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Jürgen Israel: Katzendorfer Tagebuch

Unterwegs

Ein Tagebuch aus Rumänien
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In die 800jährige Kultur der Siebenbürger gibt dieses Tagebuch mit seinem lakonischen Ton sehr spezielle und lohnenswerte Einblicke.

Auswärtige Stipendien haben Vor- und Nachteile. Neue Länder und Bekanntschaften, andere Bräuche inspirieren den Schriftsteller; deswegen verschiebt er vielleicht seine Pläne; oder er gibt sie ganz auf. Ihm mag der vertraute Arbeitsplatz fehlen und der Umgang mit den Seinen - ist der Studienort auch noch so reizvoll. In den Aufzeichnungen des Berliner Autors Jürgen Israel geht es darum nicht - weder ums Schreiben, noch um ambivalente Empfindlichkeiten angesichts der Entfernung von daheim. Selbst über die Stipendiaten-Wohnung liest man nur, dass sie auf dem Pfarrgrundstück ist und größer als die Wohnungen vieler Einheimischer. Israels Dasein als Schriftsteller spielt, bis auf die Erwähnung der Preisverleihung und einer Lesung, keine Rolle.

Er erzählt, wie er in Rumänien, Siebenbürgen, im 1?250-Seelen-Ort, der auf Deutsch Katzendorf heißt - einst von den Siebenbürger Sachsen gegründet - ankam und für ein Jahr als „Dorfschreiber“ aufgenommen wurde. Er beschreibt, wie er sich auf die Leute einlässt, auf ihr dörfliches Leben: Als Hilfshirte geht er mit auf die Weide, beteiligt sich beim Grasmähen, bei Tiergeburten und beim Schlachten. Natürlich wird er eingeladen: in die Familien, auf Feste, zu Gottesdiensten. Er erlernt, mit immerhin siebzig Jahren, die rumänische Sprache und das Reiten. Private Eindrücke ergänzt er durch Blicke in die Geschichte Siebenbürgens: Die Deportation deutscher Einwohner 1946, die Zeit der Diktatur bis 1989, die Umstände des heutigen Zusammenlebens von Rumänen, Ungarn und Zigeunern. Die Roma in Katzendorf werden von den Einwohnern „Zigeuner“ genannt - und sie nennen sich selbst so.

In Katzendorf lebt noch heute eine Siebenbürger Sächsin mit ihrem Sohn; die anderen sind ausgewandert, hauptsächlich nach 1990, meistens nach Süddeutschland. Viele dieser Menschen fühlen sich weder hier noch da heimisch. Wer von ihnen in der warmen Jahreszeit die alte Heimat bewohnt, gilt als „Sommersachse“.

Wie es um die rumänische Wirtschaftspolitik bestellt ist, zeigt sich im Dorf, wo zum Beispiel der für wohlhabend gehaltene Dichter ständig angebettelt wird; landesweit zeigen sich an der Korruption, hohen Preisen und niedrigen Löhnen persönliche Armut und staatliche Misere, die der Autor beispielsweise bei einem Krankenhausaufenthalt erlebt.

Das Buch klingt aus mit einem Abgesang auf das Siebenbürgisch-Sächsische, dessen „Tradition mit ihrem Nachbarschaftswesen, mit ihren sozialen, kirchlichen und kulturellen Strukturen an ihr Ende gelangt“ ist. In ganz Rumänien leben noch 13?000 evangelische Siebenbürger. In ihre 800jährige Kultur gibt dieses Tagebuch mit seinem lakonischen Ton sehr spezielle und lohnenswerte Einblicke.

Christoph Kuhn

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Holly Macve: Golden Eagle

Begeisternd

Holly Macve: Golden Eagle
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Eine seelenvolle Hochzeit der Elemente und dazu countrygetaufte Musik zum Sich-verlieren und -wiederfinden.

Parental Advisory Explicit Content, elterlicher Draufsicht Empfohlenes, wie oft bei HipHop, gibt es hier definitiv nicht, statt dessen Irisieren von Abschied, Tod und Verlust, Verfehlen und bittersüßem Schmerz. Per aspera ad astra, sagen die Lateiner - durch Widriges zu den Sternen, wobei der Spruch verdeckt, dass Weg und Ziel meist eher ineinander liegen als hintereinander. Genau dies einzufangen schaffen dafür manche Songs. Leidenschaft, Zweifel, Mut und was da sonst an Sisyphos-Parcours ist, umfassen sie ganz.

Gleich zehn solcher Songs gelingen der erst 21-jährigen Holly Macve auf ihrem wundervollen Debut „Golden Eagle“. Wichtigstes Instrument ist ihre Stimme. Eindringlich, erdenschwer, glockenhell, so somnambul wie klar, die Töne fast taumelnd verschliffen, Garantie für eine Gänsehaut. Sie klingt waldbodendampfend, dennoch ätherisch, oder kommt wie ein fernes Echo dunkler Wasser daher: Eine seelenvolle Hochzeit der Elemente und dazu countrygetaufte Musik zum Sich-verlieren und -wiederfinden. Da fragt man vielleicht, woher sie diese Intensität nimmt. Ein Ressentiment, natürlich. Warum sollten junge Menschen nicht so tief blicken und klingen können? Verweise auf Rimbaud & Co. erübrigen sich. Trotzdem ist die Überlegung spannend, wie sie erst klingen mag, wenn das Leben noch tiefere Wunden schlägt. Es kann gut sein, dass es in Richtung der von Whisky und Männerkummer abgeschmirgelten Stimme einer Lucinda Williams geht. Derzeit klingt Macve vor allem schön und weckt Assoziationen an weitere große Sängerinnen - an die Intensität einer Grace Slick (Jefferson Airplane) etwa und besonders bei ihren klavierbegleiteten Kunstliedern auch an Anja Plaschg (Soap & Skin). Mitunter spielt sie mit dem Schillern zwischen Mädchenhaftem und abgeklärter Honkytonk-Frau. Country jedenfalls mag sie und gewinnt ihm das Beste ab. Doch erst im Heartbreak Blues, dem dritten Song, ist erstmals die Pedal Steel zu hören. Der schleifende Gesang, der berauschend hypnotisch auch Höhensprünge verbindet, streift hier am Rand von Westernjodeln.

Geboren wurde Holly Macve in Galway in Irland, aber in Yorkshire in England wuchs sie auf. Ihr Großvater war klassischer Komponist (seinem Tod gilt der Titelsong), Bob Dylan begegnete ihr in der Plattensammlung der Mutter. Leonard Cohen, Johnny Cash und Gillian Welch entdeckte sie später. Einflüsse, die man in den Kompositionen, der Erzählhaltung, an ihrer Vorliebe für ernste Stoffe und lyrische Bilder spürt. Holly Macve macht daraus überzeugend ganz ihr Eigenes. Eine schöne junge Frau, die irritierend zeitlos, also frappierend gegenwärtig klingt und von der wir mehr hören wollen. Ihr Debut schließt mit Sycamore Tree und der emblematischen Zeile: Tell me two bittersweet the world can be. Große Empfehlung.

Udo Feist

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Hansjörg Hemminger: evangelikal

Originell

Die evangelikale Bewegung
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Es wäre dem Buch zu wünschen, dass es frischen Wind in das Gespräch zwischen Evangelische aller Couleur bringt.

Aktuell und allgemeinverständlich, kritisch und wohlwollend zugleich, wertend und dennoch nicht polemisch, gibt dieses Buch aus einer originellen Perspektive heraus einen Überblick über Entwicklung und brisante Themen der evangelikalen Bewegung in Deutschland.

Zwei Besonderheiten sind hervorzuheben: Da ist die Fülle und Aktualität des Stoffes. In der bisher spärlichen Literatur zum Thema wird meist nur eine der vielen Strömungen betrachtet, bezogen auf einen begrenzten Zeitraum der Vergangenheit. Hier liegt der Fokus gerade auf den gegenwärtigen Herausforderungen durch die Gemengelage unterschiedlicher Strömungen und Konfliktthemen in der Bewegung. In bewundernswerter Weise ist es Hansjörg Hemminger gelungen, dieses komplexe Feld auf 240 Seiten kompakt darzustellen. Dass hier mancher Sachverhalt holzschnittartig dargestellt ist, wird man hier und da monieren, meistens aber als Konzentration auf Wesentliches schätzen, etwa auf treffende Unterscheidungskriterien. Dennoch bleibt Raum für Humorvolles, Überraschendes.

Im ersten, dem geschichtlichen Kapitel, teilt der ehemalige Weltanschauungsbeauftragte der Württembergischen Landeskirche nach einem erhellenden Blick auf die Glaubensbasis der „Evangelischen Allianz“ die komplexe Entwicklung der Bewegung beherzt in drei Phasen ein. Das zweite Kapitel verhandelt schwergewichtige theologische Themen, wie „Mission und Toleranz“ oder das Bibelverständnis. Erstaunlich leichtfüßig führt der Autor durch diese Themen, indem er den „Reichtum“ evangelikalen Glaubens aufzeigt, von reformatorischer Theologie her Einseitigkeiten kritisiert, wie die Konzentration auf das eigene fromme Bewusstsein, und vor Irrwegen, wie dem fundamentalistischen Glaube an die Bibel, warnt. Während hier noch viel Sympathie für die Grundanliegen der Evangelikalen zum Ausdruck kommt, herrscht im dritten Kapitel ein kritisch mahnender Grundton. Dort geht es um die Beziehung zu den Kirchen und zur Welt, um Reizthemen wie Homosexualität oder Kreationismus. Der Autor bedauert die Tendenz, sich vom Feindbild her zu definieren und damit selbst wieder Feindbilder zu bestätigen, und auch den Mangel an Selbstkritik.

Die zweite Besonderheit betrifft die Perspektive und den eigenwilligen Stil. Da ist einmal der Einfall des Autors, immer wieder einen fiktiven Völkerkundler von der Erforschung des religiösen Stammes der Evangelikalen berichten zu lassen. So gelingt es ihm, Eigenheiten „der Evangelikalen“ aus neugierigem Abstand heraus und ohne die üblichen Klischees zu beschreiben, und so Freunde und Gegner der Bewegung zu einem Perspektivwechsel einzuladen.

Ansonsten spricht Hansjörg Hemminger sehr persönlich: ein Naturwissenschaftler mit pietistischen Wurzeln; ein evangelischer Christ, der darunter leidet, wenn sich seine Mitchristen hauptsächlich mit sich selbst beschäftigen; ein Weltanschauungsbeauftragter im Ruhestand, der viele Menschen begleitet hat, die durch evangelikale Rechthaberei und Lieblosigkeit verletzt wurden; aber auch solche, die an konfliktträchtige Gruppen gerieten, weil sie in der Landeskirche zu wenig Orientierung und Wärme gefunden hatten. Vor diesem Erfahrungshintergrund wagt er auch entschiedene, manchmal geradezu direktive Urteile und Ratschläge.

Das Buch hat etwas von einem Vermächtnis; aber einem vorläufigen, das zur Diskussion anregt. Und es wäre dem Buch zu wünschen, dass es frischen Wind in das Gespräch zwischen Evangelische aller Couleur bringt, mit seinem leidenschaftlichen Plädoyer für ein gemeinsames, aber vielstimmiges Bezeugen eines befreienden Evangeliums, jenseits aller Rechthaberei.

Annette Kick

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Didier Eribon: Rückkehr nach Reims

Zweifel

Frankreich vor der Wahl
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Eribon reflektiert schonungslos die fortwährenden Mechanismen sozialer Determination in der französischen Gesellschaft.

Nach dem für viele überraschenden Wahlausgang in den Vereinigten Staaten blickt die europäische Öffentlichkeit mit Sorge und Unsicherheit auf die Entwicklungen in Frankreich, wo das Wahlvolk in diesen Wochen über ein neues Staatsoberhaupt entscheidet. Dabei hat das amerikanische Beispiel gelehrt, dass es sich vor vorschnellen Annahmen über den Wahlausgang zu hüten und mit höchster Sensibilität auf offensichtliche und unterschwellige Diskurse in der breiten Masse der Bevölkerung zu achten gilt.

Einen in diesem Sinne beachtenswerten möglichen Zugang zur populären Klasse Frankreichs und ihrer Entwicklung seit der Mitte des 20. Jahrhunderts bietet Didier Eribons Retour à Reims. Das bereits 2009 in Paris erschienene Buch liegt seit 2016 - übersetzt von Tobias Haberkorn - auch auf Deutsch vor. Ausgehend von seinem eigenen Lebensweg - vom Arbeiterkind aus niedrigsten Verhältnissen zum international anerkannten linksintellektuellen Soziologen - reflektiert er schonungslos die fortwährenden Mechanismen sozialer Determination in der französischen Gesellschaft und die daraus resultierenden politischen Mentalitäten eines Arbeitermilieus, in dem die Front National die einstige Führungsrolle der Kommunistischen Partei übernommen hat.

Diese Reflexion hat ihren Ausgangspunkt in der Rückkehr des Autors in seine Heimatstadt Reims, nach dem Tod seines Vaters und nach Jahrzehnten des gezielten nahezu vollständigen Kontaktabbruchs zu Familie und Herkunftsmilieu. Die nüchterne Klarheit seiner Analyse wird wohl erst durch die emotionale Distanz zu diesem Milieu ermöglicht, die auch die Sprache des Autors prägt. Vor allem die beklemmenden Passagen über teils am eigenen Leibe erlittene Homophobie lassen freilich erahnen, dass der distanzierte Stil wahrscheinlich auch eine nachvollziehbare Form des Umgangs mit erlittenen emotionalen Verletzungen ist. Dabei ist ihm jedoch gleichermaßen eine Überheblichkeit gegenüber dem Umfeld seiner Herkunft fremd. Vielmehr fragt er sich immer wieder selbstkritisch, ob es für ihn andere, versöhnlichere Wege zu einem Leben als Intellektueller und bekennend Homosexueller gegeben hätte.

Selbstkritik zeigt Didier Eribon aber vor allem gegenüber der französischen Oberschicht, der er inzwischen selbst angehört, und gegenüber der Gesamtheit der politischen Linken. Ihr selbst schreibt er einen nicht geringen Anteil am Rechtsruck der französischen Arbeiterschaft zu: „Mit der Wahl der Kommunisten versicherte man sich stolz seiner Klassenidentität (...). Mit der Wahl des Front National verteidigte man hingegen still und heimlich, was von dieser Identität noch geblieben war, die die Machtpolitiker der institutionellen Linken, die Absolventen der ena oder anderer technokratischer Eliteschulen (...) ignorierten oder sogar verachteten.“

Entsprechend deutlich schließt Eribon auf die theoretisch-konzeptionellen Defizite der politischen Linken - ihren Mangel an „Theorien und Sichtweisen, die neue Perspektiven erschließen und der Linken einen Weg in die Zukunft weisen, in der sie ihren Namen wieder verdient“.

Bei Lesern, die die starken und von Eribon fraglos vorausgesetzten Prämissen - vor allem die strikte klassentheoretische Interpretation der gesellschaftlichen Verhältnisse und die Links-Rechts-Dichtomie der politisch-weltanschaulichen Landkarte - nicht oder partiell nicht teilen, können bisweilen Zweifel an der Eindeutigkeit seiner Urteile entstehen. Diese tun dem intellektuellen Erlebnis, das diese Lektüre bietet, jedoch keinen Abbruch.

Tilman Asmus Fischer

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Foto: Andreas Helle

Tilman Asmus Fischer

Tilman Asmus Fischer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und schreibt als Journalist über Theologie, Politik und Gesellschaft

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Andrew Pettegree: Die Marke Luther

Lesegewinn

Reformation und Druckereiwesen
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Pettegree erklärt, wie sich das rückständige Wittenberg zu einer blühenden Druckereistadt entwickeln konnte.

Die Marke Luther soll keine weitere Lutherbiographie sein. Der Autor, Professor für Moderne Geschichte an der Universität Saint Andrews (Schottland) und Gründungsdirektor des St. Andrews Reformation Studies Institute, will vielmehr beschreiben, wie unter den Bedingungen der Kommunikation vor 500 Jahren der Thesenanschlag den Augustinermönch innerhalb weniger Jahre zum bekanntesten Europäer machte und wie die Reformation zu einer geistigen, kulturellen und politischen Revolution wurde. Andrew Pettegree verbindet in seiner Darstellung zwei Forschungsschwerpunkte: die Reformationsgeschichte und die Geschichte des Druckereiwesens. Er nennt die lutherische Reformation nicht nur eine theologische, sondern auch eine kommerzielle Revolution. Dabei weist er schon zu Beginn seiner Untersuchung auf einen besonderen biographischen Umstand hin. Luther hatte sich in seinen Erinnerungen als Sohn eines armen Bergmanns bezeichnet, und dieses Bild ist auch in die Überlieferung eingegangen. In Wirklichkeit aber stammte Martin Luther aus einer eher wohlhabenden Familie. Das bestätigen jüngere Forschungen, die zum Beispiel auch der Historiker Heinz Schilling in seine Lutherbiographie aufnimmt. Der Vater Martin Luthers betrieb Kupfer-Bergwerke und -Hütten. Pettegree zeigt, dass Luther zur Sparsamkeit erzogen wurde. Sein Vater habe trotz guter Geschäfte auch immer neue Kredite gebraucht. Diese Herkunft habe Luther geprägt. Er sei mit Chancen und wirtschaftlichen Risiken des Bergbaus vertraut gewesen, die in vergleichbarer Weise auch das Druckereiwesen kennzeichneten. Daher habe Luther die Entwicklung des Druckgewerbes in Wittenberg, und dann auch in fast ganz Europa, verstehen und beeinflussen können. Luther habe mit Gespür für gutes Druckhandwerk beim Druck seiner Werke und der zahlreichen Flugschriften viel Zeit in Druckereien verbracht - und zwar als ein Mann der Praxis. Wie Luther Einfluss nahm, zeigt Pettegree anhand der Briefe, die dieser während seiner gelegentlichen Abwesenheiten von Wittenberg an die Druckereien gesandt hatte.

Pettegree erklärt, wie sich das rückständige Wittenberg zu einer blühenden Druckereistadt entwickeln konnte. Dabei wusste Luther Menschen zu nutzen, die zu entsprechenden Investitionen bereit waren. Vor allem schildert der Autor die Rolle von Lukas Cranach d. Ä. Dieser, als einer der erfolgreichsten Unternehmer seiner Zeit, habe auch in Druckereien investiert und dafür gesorgt, dass gute Drucker in Wittenberg siedelten. Dazu vermochte Cranach Bücher, Plakate und Flugschriften mit seinen Holzschnitten so typisch zu gestalten, dass Luther zu einer Marke wurde, die aufgrund ihrer Erkennbarkeit im deutschsprachigen Raum bald Auflagen in bisher unbekannter Höhe erreichte. Das allerdings war, das stellt der Autor dar, nicht nur ein Ergebnis geschickten Marketings. Auch waren es nicht allein die kunstvollen Drucke. Es war auch der Schreibstil Martin Luthers, der ihn zum meistgelesenen Autor seiner Zeit machte. Mit seiner 1518 veröffentlichten deutschen Predigt gegen den Ablasshandel veränderte sich die Welt. Nicht die 95 Thesen, sondern diese Predigt war in der Sprache der einfachen Menschen verfasst. Luther war in aller Munde, nachdem zuvor theologische Argumente nur bei interessierten Wissenschaftlern Gehör gefunden hatten.

Ausdrücklich betont der Autor, dass Luther für seine Schriften keine Honorare erhielt. Er überließ seine Texte unterschiedlichen Druckereien zum Druck, damit sie allesamt ihr Auskommen hatten. Auch gestattete er Druckereien in Leipzig, Straßburg, Nürnberg, Nachdrucke anzufertigen. Er war daran interessiert, dass seine Schriften verbreitet wurden.

Luther wusste um seine Bedeutung für seine Sache, aber er hielt sich für nicht mehr als ein bescheidenes Werkzeug Gottes. Es war nicht allein das Marketing um die „Marke Luther“, es war auch nicht die hohe Qualität der Drucke, - hier sind vor allem die Bibeldrucke zu nennen - die Luthers Erfolg ausmachten. Es war das Interesse an der theologischen Kontroverse, die durch die Gegenschriften bekannt und interessant wurde. Vor allem war es, das entfaltet Pettegree überzeugend, die geistige Kraft des Schriftstellers Martin Luther. Die Zeit für einen geistigen Umbruch war damals reif, so sieht es auch der britische Historiker. Luther war nicht der erste und einzige, der das Ablasswesen kritisierte. Aber es waren nicht die Humanisten seiner Zeit, auch nicht die zahlreichen Kritiker des römischen Papsttums, die das Mittelalter aus den Angeln hoben, sondern es war der kleine Mönch aus Wittenberg. Der wiederum war kein einsamer Kämpfer, sondern genoss den Schutz seines Landesherrn und die Kooperation vieler Freunde und vor allem das Glück einer neuen Kommunikationstechnik, nämlich den 80 Jahre früher erfundenen Druck mit beweglichen Lettern.

Diese Zusammenhänge beschreibt Pettegree sehr klar und anschaulich. Insofern bietet dieses Buch auch für diejenigen einen Lesegewinn, die sich über die Reformationsgeschichte und über Luthers Rolle in Kirche und Theologie informieren möchten.

Manfred Kock

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Tobias Braune-Krickau: Religion und Anerkennung

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Religion und Helfen
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Wer sozial oder diakonisch handelt, macht Erfahrungen von Selbsttranszendenz, die auch in religiöser Hinsicht gedeutet werden können.

Die Diakonie hat in der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit einen festen Platz als evangelisch geprägte Einrichtung der „Freien Wohlfahrtspflege“ und Stütze des Sozialstaates. Doch damit ist die Diakonie nicht allein. In der deutschen Gesellschaft gibt es neben der Diakonie verschiedene Anbieter sozialer Arbeit, von denen viele auch ohne religiöse Begründung auskommen. Sie leisten einen genauso guten und wertvollen Beitrag für die Gesellschaft. Was unterscheidet die Diakonie von ihnen? Und worin liegt überhaupt das Religiöse an der Diakonie? Der Marburger Praktische Theologe Tobias Braune-Krickau geht diesen Fragen aus theologischer und sozialphilosophischer Perspektive nach.

Zu Beginn des Buches macht Braune-Krickau eine „Säkularisierung des Helfens“ aus. Es hat ein historischer Wandel stattgefunden, der eine Unterscheidung zwischen religiöser und nicht-religiöser sozialer Arbeit schwierig macht: Helfen braucht keine Religion. Darum verwendet er zur Bestimmung der modernen Idee des Helfens konsequenterweise zunächst auch keinen religiösen Terminus. Vielmehr bietet sich der Begriff „Anerkennung“ als „Schlüsselthema für jede Form moderner sozialer Hilfeleistung“ und als Leitbegriff des ersten Hauptteils an. Dabei lehnt Braune-Krickau sich an die Sozialphilosophie Axel Honneths an, die ihre Wurzeln im Denken Hegels hat. Anerkennung wird hier als eine Form intersubjektiver Akzeptanz und Zuwendung verstanden. Erst durch solche „Verhältnisse wechselseitiger Anerkennung“ gelangen Menschen auch für sich zu einem positiven Selbstverständnis. Dies birgt zugleich eine politische Dimension: Anerkennung ist die Voraussetzung von Freiheit und Garant eines sozial-gerechten Gemeinwesens. Was die soziale Arbeit und mit ihr die Diakonie tut, lässt sich vor diesem Hintergrund als „Praxis der Anerkennung“ begreifen. Sie möchte Anerkennungsverhältnisse fördern und schaffen, um individuelle Freiheit unter sozialen Bedingungen zu ermöglichen.

Bis hierher hat die Religion kaum eine Rolle gespielt. Die gestiegene Relevanz des Anerkennungsthemas ist selbst schon Ausdruck der Säkularisierung des Helfens. Was ist nun aber mit der Diakonie? Wo es um Anerkennung geht, da geht es auch um Grundthemen des menschlichen Lebens. Und wer anderen hilft, der begegnet diesen Themen auf besonders dichte und prägnante Weise. Tobias Braune-Krickau spielt das im zweiten Hauptteil an den Erfahrungen von Leiden, Lieben, Handeln und Hoffen durch. Dabei zeigt sich: Genau diese Erfahrungen machen das Helfen noch heute so eigentümlich religionsaffin, selbst wenn seine äußere Form säkular bleibt. Wer sozial oder diakonisch handelt, macht Erfahrungen von Selbsttrans-zendenz, die auch in religiöser Hinsicht gedeutet werden können. Diakonie wird deshalb als „prägnanter Ort religiöser Erfahrung“ verstanden.

Die Pointe dieses Ansatzes liegt darin, dass der Autor so nicht nur das Verhältnis zwischen diakonischem und säkularem Helfen bestimmt. Er hebt damit zugleich die konstitutive Bedeutung der Diakonie für das Christentum im Ganzen hervor: Die Diakonie ist eine nicht zu ersetzende Sphäre der christlichen Religion, eine „eigene religiöse Vollzugsform“. Ohne die Diakonie würde dem Christentum ein wesentlicher Erfahrungsort fehlen. Es braucht Diakonie, um seiner selbst willen. Tobias Braune-Krickau hat mit diesem gut lesbaren und stilistisch eleganten Werk eine herausragende theologische Arbeit vorgelegt, die im Gespräch mit der gegenwärtigen Sozialphilosophie auf der Höhe ihrer Zeit ist. Die Lektüre ist nicht nur für Interessierte der Diakoniewissenschaften, sondern insbesondere auch aus gesamttheologischer Perspektive ein Gewinn.

Gregor Bloch

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Gregor Bloch

Gregor Bloch ist Pfarrer und theologischer Mitarbeiter des Evangelischen Bundes Westfalen und Lippe. Er wohnt in Detmold.

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Michael Brenner: Israel

Nüchterne Bilanz

Über Israel
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Aufklärung über die Geschichte der zionistischen Idee ist unerlässlich - dieses Buch leistet dazu einen wertvollen Beitrag.

Zionismus“ - dieses Wort ist von einem Begriff der politischen Ideengeschichte inzwischen beinahe zu einem Schimpfwort, ja zu einem, antisemitische Vorwürfe camouflierenden, Deckbegriff geworden. Das beweisen etwa die Obsessionen des Abgeordneten der Alternative für Deutschland (AfD) im Stuttgarter Landtag, Wolfgang Gedeon, der von sich behauptet, kein Antisemit, sondern „nur“ Antizionist zu sein. Aber auch die eher linke postkoloniale Geschichtsschreibung sieht in Zionismus und Gründung des Staates Israel oftmals kaum mehr als Formen des europäischen Kolonialismus.

Daher ist Aufklärung über die Geschichte der zionistischen Idee unerlässlich - das kürzlich erschienene Buch von Michael Brenner Israel - Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates leistet dazu einen im besten Sinne aufklärerischen Beitrag.

Tatsächlich ist Brenners Buch die derzeit wohl beste verfügbare Darstellung der Geschichte des politischen Zionismus und seines Zieles, der Gründung des Staates Israel. Jenseits jeder Apologetik, aber auch jenseits jeder aggressiven Kritik, unternimmt der in den USA lehrende, akademisch an der Universität München beheimatete Historiker der jüdischen Geschichte, der schon früher durch profunde Beiträge zur jüdischen Geschichte, etwa in der Weimarer Republik, aufgefallen ist, den erfolgreichen Versuch, eine Bilanz zu ziehen. In sechs übersichtlichen Kapiteln erörtert Brenner zunächst die Gründungsphase der zionistischen Bewegung mitsamt ihrer Vorläufer im späten 19. Jahrhundert, um dann die Haltung der Zionisten unterschiedlicher politischer Couleur zum Ersten Weltkrieg darzustellen. Des Weiteren behandelt er die konfliktträchtige Siedlungs- und Gründungsgeschichte jüdischer Gemeinwesen im britischen Völkerbundsmandat Palästina in den Jahren 1917-1947. Es war zu erwarten, dass die arabische Bevölkerung die jüdische Immigration als bedrohlich empfand.

Das vierte Kapitel entfaltet dann die Geschichte der ersten zwanzig Jahre des jungen, stets gefährdeten Staates bis zum „Sechstagekrieg“ des Jahres 1967. Nüchtern stellt Brenner in seinem fünften Kapitel schließlich fest, dass und wie der zionistische Traum in seiner Herzlschen Gestalt verfehlt wurde, mehr noch: verfehlt werden musste. Das sechste Kapitel schließlich trägt den Titel „Das globale Israel“ und weist den Staat Israel, den Judenstaat, als jenen westlichen Staat aus, der einerseits - technisch und ökonomisch - sehr viel moderner ist als viele andere westliche Staaten, andererseits aber so zerrissen in sprachlos nebeneinander existierende Parallelgesellschaften zerfällt, wie das bei kaum einem anderen westlichen Staat der Fall sein dürfte.

Gleichwohl: Nicht erst der arabische Frühling und der Zerfall des „alten“ Nahen Ostens heben noch einmal hervor, dass Israel der einzige westliche Staat in dieser Region ist und es wohl auch bleiben wird. Im übernächsten Jahr wird der Staat Israel siebzig Jahre alt und wer auch immer sich - aus welchen Gründen auch immer - jenseits pauschaler Verurteilungen oder blinder Solidarität für die Geschichte des Zionismus sowie für die Gründung des Staates Israel und seine gegenwärtige Wirklichkeit interessiert, kommt um dieses bestens lesbare Buch nicht nur nicht herum, sondern wird sich mit größtem Gewinn auf jenen Stand bringen, der erforderlich ist, um als politisch aufgeklärter Bürger an den im nächsten Jahr zu erwartenden Debatten teilnehmen zu können.

Micha Brumlik

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Markus Anhalt: Die Macht der Kirchen brechen

Gut recherchiert

Die Kirche und die Jugendweihe
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Was das MfS zur Durchsetzung der Jugendweihe tat und damit zur Marginalisierung der Kirchen in der Gesellschaft.

Nichts hat die evangelischen Kirchen in der DDR so schwer und nachhaltig getroffen, wie die Durchsetzung der Jugendweihe in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts.

Gerade war die Drangsalierung der Jungen Gemeinden auf Anordnung der Sowjets 1953 abgebrochen worden, da begann zunächst ganz harmlos wirkend eine neue Kampagne, die den Kirchen gleichsam das Wasser abgraben sollte. Indem der im 19. Jahrhundert von den Freireligiösen geschaffene Ritus einer Jugendweihe, der schon Ende des Jahrhunderts in sozialdemokratischen Kreisen aufgegriffen und mit „proletarischem Charakter“ versehen worden war, aufgefrischt wurde, griff die SED direkt in das Bildungsprogramm und Gemeindekonzept der Kirchen ein.

Als der auf höchster Parteiebene gebildete Ausschuss für die Jugendweihe wenig Wirkung zeigte, wurden vor allem Schulen, aber auch Volkseigene Betriebe und staatliche Behörden in die Propagierung des Unternehmens eingeschaltet.

Die Kirchen protestierten gegen die Einmischung staatlicher Institutionen; das verstoße gegen die Religionsneutralität des Staates. Dieser wiederum warf den Kirchen „staatsfeindliche Hetze“ vor und die Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit, weil sie zwischen Jugendweihe und Konfirmation ein Entweder-Oder statuierten.

Als hätte damals jeder DDR-Bürger ein „Recht“ auf Konfirmation gehabt, das nun den Staatstreuen von der Kirche verweigert würde. Mit zum Teil gefällschten Fallbeispielen wurde die Kirche in den Medien an den Pranger gestellt, Pfarrer wurden kriminalisiert und in Einzelfällen sogar vor Gericht gestellt. Eine Richtigstellung der Vorwürfe wurde den Kirchen unmöglich gemacht.

Der Landesbischof von Thüringen, Moritz Mitzenheim, der sich am lautesten und entschiedensten gegen die Jugendweihe gewendet hatte, wurde weitgehend in Ruhe gelassen. Sein juristischer Stellvertreter Gerhard Lotz, der ihm zur Stärkung seiner Position noch ein einschlägiges Rechtsgutachten erstellt hatte, wurde im Verlauf der Kampagne zum „IM Karl“. Dabei sammelte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zunächst nur Material, das es aus Unkenntnis der kirchlichen Szene nicht einmal richtig einschätzen konnte. Die Kampagne war direkt vom Politbüro der SED gesteuert. Doch die Personen-gebundenen Daten sollten später für operative Maßnahmen genutzt werden.

1959 stiegen die Teilnehmerzahlen bei der Jugendweihe kräftig an. Auch die Kirchenaustritte nahmen deutlich zu. Die Einheitsfront in der Ostkirchenkonferenz war zerbrochen. Die Kirchen in Thüringen und Anhalt machten zwischen gejugendweihten und anderen Konfirmanden fast keinen Unterschied mehr. Unter dem Einfluss von „IM Karl“ war Mitzenheim vom energischen Verteidiger der gesamtkirchlichen Position zum vorsichtigen Anpassler geworden, der von SED und MfS weiterhin als „Spaltpilz“ in der Ostkirchenkonferenz benutzt werden konnte.

Von alledem hat man schon irgendetwas gehört oder gelesen. Was hat den Autor bewogen, diese ausführliche thematische Studie aus den Stasi-Akten zu rekonstruieren? Es geht ihm um den Beitrag des MfS zur Durchsetzung der Jugendweihe und damit zur Marginalisierung der Kirchen in der Gesellschaft. Das MfS hat sich vor allem an der Verbreitung von diskriminierenden Lügen und Gerüchten über Geistliche beteiligt und mit einer Drohkulisse die Distanzierung von der Kirche betrieben. Auch das hatte man eigentlich schon gewusst. Hier ist es in einem gut recherchierten und in einigen Passagen sogar spannend zu lesenden Buch zusammenhängend dargestellt.

Götz Planer-Friedrich

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