Frau an der Spitze
Mit Sarah Mullally, die seit 2018 Bischöfin der Diözese London der anglikanischen „Kirche von England“ (CoE) ist, wird erstmals eine Frau geistliches Oberhaupt der CoE.
Mit Sarah Mullally, die seit 2018 Bischöfin der Diözese London der anglikanischen „Kirche von England“ (CoE) ist, wird erstmals eine Frau geistliches Oberhaupt der CoE.
Haben Sie schon mal etwas von Tlatelolco gehört? Tlatelolco ist ein Stadtteil von Mexico-City, und dort ist im August etwas Bemerkenswertes geschehen. In deutschen Medien wurde darüber leider so gut wie gar nicht berichtet, deshalb muss nun diese Kolumne dafür herhalten.
Vom 12. bis 15. August haben sich in Tlatelolco Vertreter*innen der Mitgliedsstaaten der CEPAL, der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Comisión Económica para América Latina y el Caribe) getroffen und den „Compromiso de Tlatelolco“ verabschiedet, also eine Art Verabredung oder Selbstverpflichtung. Für die kommende Dekade von 2025 bis 2035 wollen sie eine „substantielle Gleichstellung der Geschlechter“ anstreben; zudem formuliert der Compromiso ein „Menschenrecht auf Sorge“ und versteht darunter „das Recht der Menschen, zu sorgen, umsorgt zu werden und Selbstsorge zu praktizieren“. Dies zu garantieren, sei eine Verpflichtung des Staates und eine „Verantwortung, die von Menschen aller Gesellschaftsbereiche, Männern und Frauen, Familien, Gemeinschaften und dem Privatsektor getragen werden muss.“ Der Aufbau einer Sorgegesellschaft sei „eine wesentliche Säule zur Überwindung der globalen Krise“ und „ein neues Paradigma für nachhaltige Entwicklung, Gleichstellung und Frieden“.
Weit voraus
Die „Verabredung von Tlatelolco“ ist allem, was in Europa zum Thema Care diskutiert wird, weit voraus. Bei uns wird das Thema notorisch als Luxusthema begriffen, dem man sich widmen kann, wenn man grade keine anderen Probleme (Krieg, Wirtschaftskrise, gute Umfragewerte der AfD) hat. Am Care-Budget wird auch zuerst gespart, wenn man knapp bei Kasse ist. Das ließ sich gerade wieder an der Debatte über eine mögliche Abschaffung der Pflegestufe 1 beobachten. Nicht nur, dass das behauptete Sparpotenzial von 1,8 Milliarden Euro gar nicht existiert – tatsächlich werden nämlich nur etwa 640 Millionen Euro abgerufen. Vor allem war das wieder einmal ein Beispiel dafür, wie unsystematisch an das Thema herangegangen wird.
Pflegestufe 1 ist für Menschen gedacht, die zwar im Großen und Ganzen selbstständig leben können, aber bei manchen Dingen Hilfe brauchen: um ihre Betten neu beziehen oder oben auf dem Schrank Staub zu wischen, die Blumen auf dem Balkon winterfest zu machen oder den Wocheneinkauf stemmen. Dafür stellt die Pflegekasse ein kleines Budget zur Verfügung. Und sie unterstützt finanziell einen womöglich notwendigen Umbau in der Wohnung, eine barrierefreie Dusche zum Beispiel.
Lauter Kleinkram
Was lässt sich sparen, wenn man das abschafft? Womöglich fallen die Menschen dann beim Putzen von der Leiter oder rutschen aus beim Versuch, in die Badewanne zu steigen - dann verursachen sie Krankheitskosten statt Pflegekosten, also gut für die Bilanz der Pflegekassen, aber leider schlecht für die der Krankenkassen. Vielleicht bekommen sie aber auch schneller Pflegegrad 2, dann hätte sich die Sparidee als Kostentreiber entpuppt. Vielleicht sind sie aber auch schneller tot und kosten die Allgemeinheit dann gar nichts mehr? Ich würde mich nicht wundern, wenn das auch schon kalkuliert wurde. Oder die Schwiegertochter übernimmt das Gärtnern, Bettenbeziehen und Einkaufen und reduziert dafür ihre Erwerbstätigkeit - was dann aber für die Arbeitgeber zum Problem wird, Stichwort Fachkräftemangel. Vielleicht macht die Schwiegertochter die Pflege aber auch zusätzlich zu allem anderen und bekommt dafür einen Burnout.
So viele Möglichkeiten! Nur leider ist keine einzige davon gut! Das ist typisch für unsere Herangehensweise: Es werden lauter Kleinkram-Maßnahmen eingeführt und wieder abgeschafft, aber es gibt kein realistisches Gesamtkonzept. Ich hoffe ja – die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt – dass irgendwann eine Regierung die zigtausend Einzelmaßnahmen evaluiert, auf Effizienz und Zukunftsfähigkeit prüft, und dann einen kohärenten Plan ausarbeitet, der funktionieren kann.
Zentrale Aufgabe
Und zwar hoffe ich das aus Eigeninteresse. Denn meine Altersklasse der heute um die 60-Jährigen wird in 20, 25 Jahren nicht entfernt in den Genuss von professionellen Pflegedienstleistungen kommen, wie sie heute üblich sind. Selbst wenn der Staat aus Angst vor uns Alten dann Geld drucken würde, es wären gar keine Fachkräfte da, die man einstellen könnte. Die Frage ist nicht, ob unser derzeitiges System zusammenbricht, sondern wann und wie dieser Zusammenbruch vonstatten geht. Ob wir ihn solidarisch gestalten und die Herausforderung rational angehen, oder ob wir einfach reinschlittern. Ob es ein Wandel „by design“ wird oder „by desaster“.
Der „Compromiso de Tlatelolco“ hat meiner Hoffnung ein bisschen Futter gegeben. Auch wenn Deutschland die Augen vor dem Problem feste zukneift: Woanders denkt man offenbar ernsthaft darüber nach und sammelt Ideen. Die lateinamerikanischen und karibischen Staaten haben verstanden, dass Care nicht ein Spleen von Feministinnen ist, sondern zentrale Aufgabe verantwortungsvoller Politik. Zwar ist die Verabredung von Tlatelolco auch erstmal nur ein Papier, aber sie formuliert immerhin den notwendigen Perspektivenwechsel: die gegenseitige Fürsorge der Menschen regelt sich nicht irgendwie von selbst, sondern muss priorisiert und in politische und ökonomische Strukturen eingebunden werden. Wir sollten daraus lernen und uns dem Compromiso anschließen.
Dr. Antje Schrupp ist Journalistin und Politologin. Sie lebt in Frankfurt/Main.
Peter Sloterdijk (geboren 1947) ist ein deutscher Philosoph, Kulturwissenschaftler und Publizist. Er lehrte bis 2017 an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe Philosophie und Ästhetik. Zuletzt erschien von ihm im Herbst 2024 „Der Kontinent ohne Eigenschaften. Lesezeichen im Buch Europa“.
Dr. Elisa Klapheck ist Rabbinerin und Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK) in Frankfurt.
zeitzeichen: Frau Professorin Klapheck, der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hat jüngst nochmal die explosionsartige Zunahme des Antisemitismus bekl
Anlass für die neue Friedensdenkschrift der EKD ist die schockhafte Erfahrung des russischen Voll-Angriffs auf die Ukraine mit dem Ziel eines militärisch herbeigeführten Regime-Wechsels im Februar 2022.
Dr. Hans-Jochen Luhmann ist Co-Vorsitzender des Beirats der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und dort Mitglied der Studiengruppe „Europäische Sicherheit und Frieden“.
Anna Hofer ist Volontärin bei zeitzeichen und Der Sonntag. Sie hat Kunstgeschichte und Hörfunk an der Universität Leipzig studiert.
Wibke Henrike Schulze ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald.