Laura Brauer
Laura Brauer ist Studentische Hilfskraft an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin.
Laura Brauer ist Studentische Hilfskraft an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin.
Dr. Anne Burghardt ist Generalsekretärin beim Lutherischen Weltbund in Genf.
Über diese Fragen haben Autor:innen in den vergangenen Monaten in zeitzeichen geschrieben, am 1.April um 18 Uhr können Sie als Abonnent:in mit ihnen in unserem digitalen Salon diskutieren.
Auf diesen Tag hat Pham Ti Lu ein halbes Jahrhundert gewartet.
Der neue Bonhoeffer-Film des US-amerikanischen Regisseurs Todd Komarnicki hat in Deutschland heftige Debatten über historische Stimmigkeiten im Film ausgelöst, nachdem bereits seine Vermarktung in den USA kritisiert wurde, und er befeuert eine schon lange währende „Bonhoeffer-Mania“ . Mehr Kritik hätte auch verdient, dass der Theologe des Widerstands ganz ohne seine Verlobte Maria gezeigt wird.
Maria Friederike von Wedemeyer wurde 1924 in Pätzig bei Schönfließ in der Neumark (heute Polen) geboren. Sie wuchs mit sechs Geschwistern auf dem Rittergut ihrer Eltern auf. Vater Hans von Wedemeyer war zuerst Landwirt, dann Berufsoffizier geworden. Er war ein entschiedener Gegner Adolf Hitlers. Hans von Wedemeyer fiel als Regimentskommandeur 1942 in Russland.
Die Erziehung der Kinder übernahm zuerst ein Hauslehrer. Mit elf Jahren wurde Maria auf die Internatsschule Magdalenenstift in Altenburg/Thüringen geschickt. Die von der Pädagogin Elisabeth von Thadden geleitete Internatsschule Wieblingen bei Heidelberg folgte; sie wurde Schulsprecherin und entdeckte ihre „große Liebe zur Mathematik“, wie sie einmal notierte.
Im März 1942 legte Maria von Wedemeyer ihr Abitur ab und verlobte sich im Januar 1943 mit „dem Pfarrer Dietrich Bonhoeffer“. Ihre Besuche des Verlobten im Untersuchungsgefängnis Tegel nennt sie Fürsorge: Dazu gehören Kleider waschen, Lebensmittel und Nachrichten in seine Zelle schmuggeln. Im Februar 1945 wuchs sie über sich hinaus, als sie beim Einmarsch der Sowjetarmee einen Pferdetreck anführte, mit dem sie vier ihrer Geschwister und andere Flüchtlinge von Pätzig über die Oder nach Westdeutschland brachte – 500 Kilometer weit.
Nach ihrem Verlobten Dietrich Bonhoeffer suchte sie in mehreren Konzentrationslagern vergeblich und erfuhr erst sechs Monate nach der Kapitulation von dessen Tod. Schließlich studierte die 22-Jährige Mathematik, Physik und Geschichte in Göttingen. Hier war sie zeitweise mit dem Mitstudenten Hartmut von Hentig, dem späteren Reformpädagogen, befreundet. Formales Denken galt ihr als Chance, ein moralisches Bewusstsein zu entwickeln. Sie sah das nur im Christentum für gegeben an.
Bald erhielt Maria von Wedemeyer ein Stipendium am Bryn Mawr College in Pennsylvania/USA. Nun begann eine turbulente Zeit: Sie schloss ihre Ausbildung mit dem „Master of Mathematics“ ab, hatte mit dem aus Deutschland „mitgebrachten“ Ehemann Paul-Werner Schniewind zwei Söhne. Doch die Ehe scheiterte, sie musste die Kinder allein großziehen. Beim Unternehmen Remington-Rand-Univac in Philadelphia avancierte sie zur Gruppenleiterin in der Abteilung „Angewandte Mathematik“. Maria von Wedemeyer heiratete 1959 den Geschäftsmann Barton Weller und zog nach Easton/Connecticut, doch scheiterte auch diese zweite Ehe 1965. Maria wechselte nach Boston, wo sie beim Unternehmen Honeywell eine neue Abteilung für Computertechnik „System Analysis“ verantwortete.
Maria von Wedemeyer leitete ein Team von Wissenschaftlern. Ein Mitarbeiter von ihr berichtete später: „Ich erinnere mich bei Maria am meisten an die Freude, die sie zeigte, ein Manager zu sein. Wenn sie keinen Spaß hatte, war etwas falsch … Jedermanns Idee war gleich gut und gehörte auf den Tisch … Sie war großartig, da sie mit Ideen spielen konnte.” Er ergänzte: „Maria setzte sich für Menschen ein … . Sie trug es nicht auf ihren Schläfen, aber sie ist doch ein Beispiel für Gleichberechtigung.“ Einmal ließ sie wissen: Für sie eigne sich zum Beten und Nachdenken besonders gut die morgendliche Autofahrt zur Arbeit. Sie finde es gut, dass es 40 Minuten seien.
Maria von Wedemeyer-Weller erkrankte 1977 schwer an Krebs und starb nach mehreren Krebsoperationen am 16. November des gleichen Jahres in Boston. Als Mitglied der Episcopal Church hatte sie mit dem dortigen Pastor Scott Paradise ihre Trauerfeier vorbereitet. Seine „Eulogy” für Maria endete mit diesen Worten: „Die Schönheit ihrer Gegenwart hatte die Pracht eines strahlenden Sternes. Unsere Leben werden ein wenig dunkler sein ohne sie. Aber weil sie unter uns weilte, werden wir mit mehr Mut, Kraft, Humor und Liebe leben. Es mag eine besondere Portion göttlicher Gnade gewesen sein.” Nach Marias Wunsch brachten die Söhne die Urne nach Gernsbach/Baden-Württemberg in Deutschland.
Es liegt nahe: Maria von Wedemeyer-Weller wollte die schlimme Zeit in Deutschland hinter sich lassen. Amerika und ihr unerschütterlicher Mut haben ihr dabei geholfen. Wenn Bonhoeffer überlebt hätte, wären sie gemeinsam in die USA gegangen? Diese Spekulation lässt sich kaum denken. Denn was hätte die evangelische Nachkriegskirche wirklich aus dem selbstlosen Helden im Widerstand gemacht?
Dr. Roger Töpelmann ist Pfarrer i.R. Er war bis 2020 u.a. Pressesprecher des Evangelischen Militärbischofs in Berlin.
Die Gedanken zu den Sonntagspredigten für die nächsten Wochen stammen von Jürgen Wandel. Er ist Mitarbeiter von zeitzeichen.
Ambivalenter Tag
PALMSONNTAG, 13. APRIL
Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften … Aber Gott der Herr hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. (Jesaja 50,6–7)
Der Palmsonntag ist ambivalent wie das Leben. Auf der einen Seite wirkt er heiter und vermittelt Zuversicht. Vor allem in den katholischen Gegenden des Südens bietet sich ein prächtiges Bild, das sich noch verstärkt, wenn die Sonne scheint: Die Priester tragen blutrote Gewänder, Ministranten wedeln mit Palmen, Weihrauch steigt auf und verbreitet seinen Duft. Und wenn ein richtiger Esel die Prozession begleitet, freuen sich nicht nur Kinder.
Aber noch ist Passionszeit. Und ihr Höhepunkt, die Karwoche, beginnt am Palmsonntag. Das kräftige Rot der Altartücher und der auch von evangelischen Geistlichen getragenen Stolen erinnert an das von Mitmenschen vergossene Blut Jesu und der Märtyrer, die ihn bezeugt haben. In den Lesungen des Gottesdienstes wirft das Leiden und Sterben Jesu seinen Schatten voraus. Und wer den Abschnitt aus dem Johannesevangelium hört, der den Einzug Jesu in Jerusalem schildert, weiß: Dieselben Leute, die Jesus „Hosianna!“ zurufen, werden wenig später „Kreuzige ihn!“ brüllen.
Der Abschnitt aus dem Jesajabuch, der an diesem Tag in den landeskirchlichen Gottesdiensten ausgelegt wird, erzählt vom Leiden eines Gottesknechtes. Damit kann ein Einzelner gemeint sein oder das Volk Israel (siehe Jesaja 49). Christen beziehen den Abschnitt auf Jesus. Und er passt in seiner Ambivalenz zum Palmsonntag: Auf der einen Seite wird beschrieben, was Mitmenschen dem Gottesknecht angetan haben. Aber auf der anderen Seite vertraut er darauf, dass er – Gott sei Dank – „nicht zuschanden“ wird. Und beide Erfahrungen lassen sich mit der Kreuzigung Jesu und seiner Auferweckung durch Gott verbinden.
Ostern schimmert schon in der Erzählung von Jesu Einzug in Jerusalem durch. Und das spiegelt sich auch bei den Palmsonntagsprozessionen. Denn Palmen sind ein Siegessymbol.
Zutiefst menschlich
KARFREITAG, 18. APRIL
Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe das ist dein Sohn! Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. (Johannes 19,26–27)
Jesus wird zu Unrecht verurteilt, und er wird gefoltert, verspottet, seiner Kleidung beraubt, gedemütigt und ans Kreuz genagelt. Aber inmitten dieser Unmenschlichkeit findet sich in der Erzählung des Johannes eine Szene, die zutiefst menschlich ist und zu Tränen rührt. Jesus relativiert die Blutsbande, die Familien zusammenschweißen, aber sie von Außenstehenden absetzen und abgrenzen. Man kann die Aufforderung Jesu an den Lieblingsjünger, sich um seine alleinstehende Mutter zu kümmern, auch als Ausdruck sozialer Fürsorge deuten. Aber wichtiger ist, dass Jesus die beiden zu einer Familie verbindet, die sich nicht auf ein Verwandtschaftsverhältnis beschränkt. So lässt sie sich als Vorbild für die Kirche verstehen, in der Menschen zusammenkommen, die trotz ihrer Unterschiede und Gegensätze die Aufforderung Jesu an seine Jünger beherzigen, „dass ihr einander liebt, wie ich euch liebe“ (Johannes 15,12). Und es ist kein Zufall, dass Jesus in der Passionserzählung des Johannes mit den Worten stirbt: „Es ist vollbracht.“ Das heißt, er hat seinen Auftrag erfüllt, so dass Menschen „die Wahrheit erkennen“ können, die sie „frei machen“ wird (Johannes 8,32).
Gottes Gerechtigkeit
OSTERMONTAG, 21. APRIL
Er wird den Tod verschlingen auf ewig. (Jesaja 25,8)
Was kommt nach dem Tod? Wo sind die Toten? Und wird man sie wiedersehen? Solche Fragen stellen sich Menschen, wenn sie bedenken, dass ihr Leben endlich ist. Diese Fragen bedrängen Menschen, wenn Mitmenschen sterben, die sie gekannt oder gar geliebt haben. Und diese Fragen werden gerade auch in der Passionszeit und zu Ostern wach. Mit ihnen hatten sich schon die alten Israeliten auseinandergesetzt. Aber für sie ging es zunächst nicht um das Weiterleben nach dem Tod, sondern um die Gerechtigkeit Gottes. In den ältesten Schichten des Alten Testaments findet sich noch die Auffassung, dass Gott im Diesseits die guten Menschen belohnt und die bösen leer ausgehen. Aber davon war damals so wenig zu sehen wie heute. So klagt der Verfasser des 73. Psalms: „Ich sah, dass es den Frevlern gut ging. Denn für sie gibt es keine Qualen, gesund und feist ist ihr Leib“ (4–5). Und der Psalmist fragt und klagt. „Soll es denn umsonst sein, dass ich mein Herz rein hielt … ? Ich bin täglich geplagt, und meine Züchtigung ist alle Morgen da“ (13–14). Solche Erfahrungen lassen an der Gerechtigkeit Gottes zweifeln. Daher entwickelt sich im Judentum ab dem 8. Jahrhundert vor Christus immer stärker die Hoffnung, dass Gott die Toten auferweckt und dann Recht spricht.
Wer an die Auferstehung glaubt, vertraut also darauf, dass der gerechte Gott das letzte Wort behält. Und dazu gehört die Hoffnung, dass am Ende auch denen Gerechtigkeit widerfährt, die im Laufe der Geschichte Unrecht erfahren haben: die Unterdrückten und Ausgebeuteten, die Gefolterten und Ermordeten. Die Erwartung des Jüngsten Gerichts hat der konfessionslose Philosoph Max Horkheimer als „Ausdruck einer Sehnsucht“ bezeichnet, „dass der Mörder nicht über das unschuldige Opfer triumphieren möge“.
Lob des Zweifels
SONNTAG QUASIMODOGENITI, 27. APRIL
Da sagten die anderen Jünger zu ihm (Thomas): Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nagelmale sehe und lege meine Hand in seine Seite, kann ich’s nicht glauben. (Johannes 20,25)
Thomas hätte es sich einfach machen können. Er hätte nur der Mehrheit folgen müssen nach dem Motto: Wenn elf Leute sagen: „Wir haben den Herrn gesehen“, wird es schon stimmen. Aber Thomas gibt sich nicht mit dem zufrieden, was andere behaupten. Er folgt nicht unbesehen dem, was die Mehrheit für richtig hält. Er ordnet sich nicht blind Autoritäten unter. Thomas macht sich vielmehr einen eigenen Kopf. Er sagt seinen Gefährten, was er denkt, egal was diese dann von ihm denken werden.
Und ein Zweites ist genauso bemerkenswert: Thomas hält seine Zweifel aus – acht Tage lang, heißt es im Johannesevangelium. Ja, die Schwester des Zweifels ist die Geduld. Wer zweifelt, darf nicht zu Schnellschüssen neigen. Er muss warten können, bis sich ein Problem löst, acht Tage, acht Jahre, ja vielleicht sogar ein ganzes Leben lang.
Thomas trifft den Auferstandenen nach acht Tagen. Und dieser hält Thomas keine Predigt. Er droht auch nicht mit dem Ausschluss aus dem Kreis der Jünger. Sicher – Jesus ermahnt Thomas: „Sei nicht ungläubig, sondern gläubig.“ Aber er nimmt den Zweifel des Thomas ernst. Jesus nimmt den Zweifler ernst. Und das hat Folgen. Thomas antwortet mit einem gewaltigen Bekenntnis: „Mein Herr und mein Gott“.
Übersetzt heißt das: „Auf Dich, Christus, setze ich von nun ab mein ganzes Vertrauen. Du sollst mein Leben bestimmen. Von Dir lasse ich mich leiten bei dem, was ich denke und tue. Mit Dir will ich leben. Und mit Dir will ich sterben.“
Thomas lässt sich also von Christus in seiner ganzen Existenz treffen. Er plappert nicht einfach ein Glaubensbekenntnis nach, das andere formuliert haben. Das Glaubensbekenntnis des Thomas kommt vielmehr aus seinem und aus vollem Herzen. Es ist ein persönliches, ein wahrhaftiges, ein authentisches Bekenntnis. Und das ist nur möglich geworden, weil Thomas zuvor gezweifelt hat, statt kritiklos zu übernehmen, was andere gesagt haben.
„Zweifel ist der Weisheit Anfang“, hat der Philosoph René Descartes gesagt. Und ich möchte ergänzen: „Zweifel ist des Glaubens Anfang.“ Oder etwas zurückhaltender ausgedrückt: Der Zweifel muss nicht das Ende des Glaubens bedeuten. Der Zweifel kann vielmehr die Möglichkeit eröffnen, den Glauben zu vertiefen.
Gerechter Krieg?
MISERICORDIAS DOMINI, 4. Mai
Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich … Meine Schafe hören meine Stimme, … und sie folgen mir. (Johannes 10,14+27)
Die Stimme des guten Hirten, die Aufforderung Jesu zu Feindesliebe und Gewaltlosigkeit ist immer wieder überhört worden. Kirchenleute legitimierten den Kriegsdienst von Christen mit dem Hinweis auf den römischen Hauptmann Cornelius, der Christ wurde (Apostelgeschichte 10). Und 1914 überhöhten deutsche Geistliche und Universitätstheologen den Krieg religiös. So findet sich auf vielen Kriegerdenkmälern der Spruch aus Johannes 15,13: „Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“ Diese Verdrehung der christlichen Botschaft und die Schrecken des Zweiten Weltkriegs (die zum Teil ihre Väter schilderten) haben pazifistische Kirchenleute im Hinterkopf, die Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnen.
Aber damit vergessen oder verdrängen sie einen anderen wichtigen Aspekt der (Kirchen-)Geschichte. In der Nacht zum 30. September 1938 unterschrieben die Regierungschefs von Großbritannien und Frankreich das Münchner Abkommen. Es zwang die Tschechoslowakei, die Sudetengebiete an Hitlerdeutschland abzutreten. Wie andernorts feierten die Kirchen in Großbritannien Dankgottesdienste für die Abwendung eines Krieges. Und Bischöfe priesen Premierminister Neville Chamberlain als Friedenstifter.
Der Basler Theologieprofessor Karl Barth war dagegen hellsichtig. Am 19. September 1938 forderte er in einem Brief an seinen Prager Kollegen Josef Hromadka die Tschechen zur militärischen Verteidigung ihres Landes auf. Barth schrieb, es seien „merkwürdige Zeiten, lieber Herr Kollege, in denen man bei gesunden Sinnen unmöglich etwas Anderes sagen kann, als daß es um des Glaubens willen geboten ist, die Furcht vor der Gewalt und die Liebe zum Frieden entschlossen an die zweite und die Furcht vor dem Unrecht, die Liebe zur Freiheit ebenso entschlossen an die erste Stelle zu rücken!“
Das Münchner Abkommen führte bekanntlich zu einem Scheinfrieden. Und es machte den Staatsstreich hinfällig, den Wehrmachtsoffiziere um Admiral Wilhelm Canaris für den Fall eines Krieges geplant hatten.
Zwei Jahre zuvor, am 7. März 1936, hatte Hitler das entmilitarisierte Rheinland besetzen lassen. Frankreichs Armee, die der deutschen Wehrmacht überlegen war, hätte zurückschlagen können. Aber wäre das christlich gewesen?
Jürgen Wandel ist Pfarrer, Journalist und ständiger Mitarbeiter der "zeitzeichen".
Im April 1915 kamen in Den Haag über tausend politische Aktivistinnen aus zwölf Ländern zu einem Friedenskongress zusammen. Angesichts des „Wahnsinns und des Horrors“ des Weltkriegs diskutierten sie über Möglichkeiten und Voraussetzungen für Frieden. Am Ende verabschiedeten sie eine Resolution mit zwanzig Punkten, die angesichts heutiger Kriegs- und Aufrüstungsdebatten erstaunlich aktuell sind.
Leider ist kaum etwas von dem, was die Frauen damals erarbeitet haben, beherzigt worden. Vor allem der Hinweis, dass Friedensverhandlungen erfolgversprechender sind, wenn sie nicht allein von Männern geführt werden. Dass zwischen der Beteiligung von Frauen an internationalen Gesprächen und deren Erfolgsaussichten ein direkter Zusammenhang besteht, ist inzwischen gut belegt. Trotzdem sind Männer dabei meistens unter sich, so auch bei den Verhandlungen über ein mögliches Ende des russischen Angriffs auf die Ukraine.
Keine Auswirkungen
Neben der Mahnung, Frauen an den Prozessen zu beteiligten, forderten die Aktivistinnen in Den Haag umgehende Friedensverhandlungen, eine demokratisch legitimierte Außenpolitik, das vermittelnde Engagement neutraler Nationen, sowie langfristige Perspektiven wie Bildungsprojekte und Maßnahmen zur Stärkung internationaler Begegnungen und Vertrauensbildung.
„Der Kongress hatte aber keinerlei Auswirkungen auf die internationale Politik“ steht lapidar und wohl leider zutreffend auf der Wikipedia-Seite zu dem Treffen. Dabei waren viele prominente Aktivistinnen in Den Haag. Aus Deutschland die Juristin Anita Augspurg, eine führende Persönlichkeit der Frauenstimmrechtsbewegung. Aus Großbritannien die Rechtsanwältin Jessie Chrystal Macmillan, die später zu den Mitgründerinnen des Völkerbunds gehören würde. Den Vorsitz des Kongresses hatte, als Vertreterin eines neutralen Landes, die berühmte Sozialreformerin aus Chicago, Jane Addams.
Warum blieben die Ideen und Vorschläge der Frauen dermaßen einflusslos? Die Antwort ist leider einfach: Weil sie Frauen waren. „Für den Frieden“ zu sein, gilt in der binären Geschlechterlogik der westlichen Kultur als quasi natürliche Eigenschaft des Weiblichen. Wenn Frauen sich für Frieden einsetzen, dann gilt das deshalb nicht als politische Intervention, mit der man sich auseinandersetzen muss, sondern als bloß natürlicher Ausdruck des weiblichen Wesens, der von einer allgemeinen, also männlichen Warte aus nicht weiter von Interesse ist.
Kein simples "Die Waffen nieder"
In der Rezeption des Frauen-Friedens-Kongresses spiegelt sich das bis heute. Wenn überhaupt einmal von diesem Ereignis die Rede ist, wird pauschal gelobt, dass die Frauen sich „für den Frieden“ eingesetzt haben. Aber es wird fast nie gefragt, was genau sie sich denn unter Frieden vorgestellt haben. Das führt dann dazu, dass die feministische Friedensarbeit von damals von heutigen „Friedensbewegten“ als Grund dafür angeführt werden kann, gegen autokratische Herrscher „um des lieben Friedens willen“ nicht militärisch vorzugehen.
Um ein simples „Die Waffen nieder“ ging es den Aktivistinnen in Den Haag aber gerade nicht. Dieser Titel eines Romans von Berta von Suttner aus dem Jahr 1889 wird gerne auf Plakaten herumgetragen, ohne dass man sich wirklich mit den Inhalten des Buchs beschäftigt hat. Von Suttner fordert keineswegs, einfach das Kämpfen einzustellen, sondern sie analysiert die destruktiven Dynamiken einer militaristischen Kultur und die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit man vielleicht wirklich einmal „die Waffen nieder“ legen kann.
Voraussetzungen für den Frieden
Berta von Suttner konnte am Kongress in Den Haag nicht mehr teilnehmen, weil sie im Jahr zuvor gestorben war. Aber auch die dort formulierten Resolutionen forderten nicht einfach pauschal „ein Ende des Krieges“, sondern arbeiteten detailliert aus, welche Voraussetzungen ein tragfähiger Friede haben würde, zum Beispiel:
„Dass kein Gebiet ohne die Zustimmung der dort lebenden Menschen übertragen werden darf und dass kein Recht auf Eroberung anerkannt werden darf;
- dass keinem Volk Autonomie und ein demokratisches Parlament verweigert werden dürfen;
- dass Regierungen aller Nationen sich darauf verständigen, künftige internationale Streitigkeiten einem Schieds- oder Schlichtungsverfahren zu unterwerfen und sozialen, moralischen und wirtschaftlichen Druck auf jedes Land auszuüben, das zu den Waffen greift;
- dass die Außenpolitik demokratischer Kontrolle unterworfen wird;
- dass Frauen die gleichen politischen Rechte wie Männer erhalten.“
Rüstungsunternehmen verstaatlichen?
Aktueller geht es ja wohl kaum. Und auch Punkt 12 der Resolution ist bedenkenswert. Er lautet: „Der Internationale Frauenkongress tritt für eine allgemeine Abrüstung ein und weiß, dass diese nur durch ein internationales Abkommen erreicht werden kann. Er fordert als einen Schritt dahin, dass alle Länder durch ein entsprechendes internationales Abkommen die Herstellung von Waffen und Kriegsmaterial selbst übernehmen und den gesamten internationalen Handel mit Waffen und Kriegsmaterial kontrollieren. Der Kongress sieht in den privaten Profiten der großen Rüstungsfabriken ein starkes Hindernis für die Abschaffung des Krieges.“
Eine Verstaatlichung der Rüstungsindustrie wird inzwischen von Fachleuten ernsthaft diskutiert, denn es ist immer offensichtlicher, dass die Marktmechanismen hier völlig aus dem Ruder laufen: Der Aktienkurs von Rheinmetall hat sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs verzehnfacht. Solange Waffenexporte derartig lukrativ sind, wird Frieden wohl kaum zu erreichen sein.
Vielleicht wäre es an der Zeit, feministische Friedensarbeit nicht länger zu belächeln oder zu vereinnahmen, sondern ernst zu nehmen.
Dr. Antje Schrupp ist Journalistin und Politologin. Sie lebt in Frankfurt/Main.
Der Turm der Stadtpfarrkirche Müncheberg verfügt als weithin sichtbarer Blickfang über ein buchstäbliches Alleinstellungsmerkmal: Als die ursprüngliche Landmarke nach 1817 aus statisc
Ich stamme aus Berlin (West) und habe mich in den 1990er-Jahren sehr in der evangelischen Jugendarbeit engagiert.