Transgender-Debatte ernsthaft führen
Mit einer ‚naturwissenschaftlichen Perspektive‘ hat Alexander Maßmann auf meinen Beitrag
Mit einer ‚naturwissenschaftlichen Perspektive‘ hat Alexander Maßmann auf meinen Beitrag
In diesen Tagen nach der Wahl spüre ich wieder eine tiefe Sehnsucht nach einer richtig guten politischen Predigt. Ich sehne mich nach tröstenden, ausrichtenden, ermutigenden Worten nach einem erschreckenden Tag im Oval Office und einer Wahl, bei der im Osten unserer Republik flächendeckend dunkelblaubraun angekreuzt wurde. Ich wünsche mir orientierende Worte nach der Horrorfahrt in Mannheim und vor der nächsten Aktion, die sicher schon irgendein psychisch Verwirrter oder politisch oder religiös Verblendeter plant. Bei mir herrscht Aschermittwochstimmung. Da hilft keine Predigt, die mir sagt, was ich mir auch selbst sagen kann. Da braucht es prophetische Worte, die aus dem Hören auf Gottes Wort kommen. Karl Barth hat gemeint, man solle die Bibel mit der Zeitung lesen und die Zeitung mit der Bibel: „Wie man beten soll, steht in der Bibel, und was man beten soll, das steht in der Zeitung.“
Wahrscheinlich schreibt jemand in Deutschland gerade an solch einer Predigt. Jedenfalls möchte ich mir das vorstellen. Denn von einer Renaissance der politischen Predigt sind wir leider immer noch weit entfernt. Der politischen Predigt geht es ein bisschen so wie der Bundeswehr. Heruntergewirtschaftet, nicht ernstgenommen, belächelt, und plötzlich merkt man, dass man mit Armeen aus Gummibärchen und Panzern aus Marzipan nicht so richtig weiterkommt und Herbert Grönemeyer eben Sänger und kein Verteidigungsminister ist.
Bewerben für den Predigtpreis
Gerade läuft wieder die Bewerbungsfrist für den Deutschen Ökumenischen Predigtpreis und ich ermutige als Jury-Mitglied ausdrücklich alle, die sich gerade an eine politische Predigt wagen, sich mit ihren Predigten zu bewerben: practica@uni-bonn.de. Ich stelle mir Predigten vor, die nicht von oben herab „abkanzeln“ oder klingen wie parteipolitische Statements, sondern die an biblisch-christliche Werte erinnern. Barmherzigkeit z.B. Spannend dürfen sie gerne auch sein. Jesus hat das vorgemacht. Seine Predigten waren politisch brisant und zugleich Aufreger. Wie das heute geht, ist uns letzthin von einer Bischöfin in Washington demonstriert worden.
Diese Kolumne erscheint am 7. März, und das ist Weltgebetstag. Auf der ganzen Welt versammeln sich Menschen, um einer politischen Predigt zuzuhören. „Informiert beten, betend handeln“ heißt das Motto seit fast 100 Jahren – die größte ökumenische Frauenbewegung weltweit. In diesem Jahr sind es Frauen von den Cook-Inseln, die den Gottesdienst gestaltet haben. Der Weltgebetstag kann eine wichtige Inspiration für die politische Predigt sein, zumal seine Botschaft stets politisch ist. Informiert predigen, predigend handeln wäre nicht die schlechteste Anregung für Predigende, die sich an die politische Predigt wagen wollen.
Biblische Worte teilen
Dass in der biblischen Botschaft tröstliche Kraft auch in politisch deprimierenden Tagen zu finden ist, habe ich gerade erst wieder – ganz überraschend! – mit Vikarinnen und Vikaren erlebt. Zum Abschluss ihrer Ausbildung im Theologischen Seminar hatten sie die Aufgabe, für sich nach Bibelworten zu suchen, die sie in diesen verwirrenden, unklaren, beängstigenden und unsicheren Zeiten stärken können. Wer mochte, konnte dies anschließend in die Gruppe einbringen und mit den anderen teilen. Viele wollten. Und plötzlich entstand eine dichte, einzigartige Atmosphäre. Es war, als ob die biblischen Worte und die Geschichten, die die Vikarinnen und Vikare dazu erzählten, eine eigene Kraft entwickeln würden, die über sich hinausweist. Das hat uns alle tief bewegt und berührt. Ich finde: Wir haben etwas von der Kraft des Heiligen Geistes gespürt. In diesem Moment. Wir brauchen mehr davon!
Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.
Die säkulare Erzählung unserer Tage hält weder Wüste noch Leere aus.
Mit dem historisch schlechtesten Ergebnis bei einer Bundestagswahl von nur 16,4 Prozent bei der Wahl von Sonntag müssen die Sozialdemokrat:innen erst mal klar kommen. Vielleicht ne Runde spazieren gehen? Oder old school eine Flasche Wein und eine Mahler-Sinfonie? Oder ein Bier mit Genoss:innen und dabei proletarisches Liedgut (Roland Kaiser oder Arbeiterlieder) hören? Ein bisschen Trauerarbeit ist wohl angesagt. Doch mit dem Selbstmitleid sollten es die Genossinnen nicht übertreiben. Vom Wahlergebnis der SPD geht die Welt nicht unter. Vielmehr geht es in Deutschland und der Welt gerade derart hoch her, dass sie SPD überhaupt keine Zeit zu verschwenden hat, wieder klar Schiff zu machen.
Was liegt Tröstliches vor: Erstens sind historische Vergleiche zwar eine schöne Fingerübung für Moderator:innen, die an Wahlabenden Grafiken auf ihren Bildschirmwänden hin und her schieben, aber für die Gegenwart und Zukunft sind sie nur von begrenztem Interesse. Ihr Unterhaltungswert übersteigt den praktischen Nutzen. Die Welt und das Land haben sich seit Bismarcks Zeiten, seit Adenauer, Brandt und auch Schröder und Merkel reichlich gewandelt.
Vergleiche hinken
Heute gilt als „Wahlsieger“, wer an die 30 Prozent der Wähler:innenstimmen auf sich vereinen kann. Da heulen Adenauer, Strauß aber auch die Hamburger SPD, die am Sonntag auf 32 Prozent „abrutschen“ könnte, leise in die Kissen, aber es ist schlicht Normalität in unserer pluralen Demokratie, in der unterschiedliche politische Interessen und Milieus sich eben in einer Vielfalt von Parteien ausdrücken, die gemessen an ihren tatsächlichen Wahlergebnissen an der parlamentarischen Arbeit teilhaben dürfen.
Ebenso wie mit den historischen Vergleichen verhält es sich häufig auch mit den Gewinn- und Verlustrechnungen am Wahltag, insofern sie einfach mal 4 Jahre zurückspringen und die Entwicklung seither (bei anderen Wahlen, aber auch im Zeitgeschehen) unsichtbar machen. Da kann man wunderbar feuilletonieren! Tatsache ist, dass die SPD bei der Bundestagswahl 2021 überraschend sehr gut abgeschnitten hatte, auch und besonders im Osten dank Mindestlohnversprechen, seriösem Kanzlerkandidaten und dem Thema Gerechtigkeit als zentralem Wahlkampfthema. Nach dem friedlichen Ende der Ära Merkel war die Lust auf die Union merklich geschwunden, auch dank einiger Skandale von Unionspolitikern.
Doch auch damals reichte es gerade so für 25,1 % und einen faktischen Gleichstand mit der Union. Es ist über den ganzen lästigen Ampel-Ärger längst in Vergessenheit geraten, dass sich Grüne und FDP zunächst in eine bilateralen Sondierung begaben und sich schließlich für die SPD und gegen einen Jamaika-Versuch mit der Union entschieden. Nach dem gerade eben zu Ende gegangenen Wahlkampf, in dem sich Grüne und FDP sichtlich nach der Union ausstreckten, muss man sich das wirklich aktiv in Erinnerung rufen.
Die Ampel stand auf Rot
Von dem hohen Ross von 2021, das so hoch nun eben gar nicht wahr, musste die SPD nach dieser Regierungsperformance wieder heruntersteigen. Dazu reicht schon ein Blick auf die Erfolgsfaktoren von damals:
Das Mindestlohnversprechen hat die Sozialdemokratie gehalten, aber de facto ist die wirtschaftliche und soziale Lage aufgrund zahlreicher äußerer Faktoren heute unsicherer als damals. Hervorzuheben ist natürlich der Ukraine-Krieg als „Mutter aller Probleme“, an denen die Ampel schließlich scheiterte. Die Waffenhilfe für die Ukraine, die Sorge um die Flüchtlinge, die Inflationsbekämpfung und die beschleunigte Energiewende aber fraßen die Mittel auf, die vor allem SPD und Grüne gerne anderweitig unters Volks gebracht hätten. Olaf Scholz löste sein Führungsversprechen, das bei den zur Autoritätshörigkeit neigenden Deutschen gut verfangen hatte, viel zu selten ein.
Zum Schluss hat die von der AfD angezettelte und von der Union in fast vollständiger geistiger Umnachtung vorangetriebene Migrationsdebatte – wie zu erwarten war – nur der extremen Rechten geholfen. Die Unzufriedenheit der Progressiven im Lande mit der Unfähigkeit von SPD und Grünen, dem Wahlkampf einen anderen Dreh zu geben, und ihrer bis an die Selbstverleugnung reichenden Kompromissfähigkeit nicht nur in der Migrationspolitik fand schließlich zum Urnengang ein Ventil in der Entscheidung für die Partei DIE LINKE. Außer den Protestant:innen, die tapfer überdurchschnittlich SPD wählten (20 Prozent immerhin), und den ganz feste hoffenden Genoss:innen wollte zum Schluss kaum jemand der „alten Tante“ die Treue halten.
Eine toxische Beziehung
Man könnte die Liste der Kalamitäten, Missgeschicke, historisch unglücklichen Konstellationen, Fehler und stilistisch fragwürdigen Entscheidungen wohl noch lange fortsetzen. Der Wahlkampf und seine Vorgeschichte jedenfalls waren für die SPD nichts anderes als ein katastrophaler perfect storm, dem zu widerstehen nur wenigen politischen Ausnahmetalenten zuzutrauen wäre. Mit denen ist die SPD allerdings nach zwölf (!) Regierungsjahren ganz sicher nicht im ausreichenden Maße gesegnet.
Die Deutschen und die SPD haben eine komplizierte Beziehung, die gelegentlich ins Toxische zu kippen droht. Stets pendelt sie zwischen Zuneigung, bodenloser Enttäuschung, Bestrafung und erneuter Anhänglichkeit. Tatsächlich kann man wohl an keiner anderen Partei die Gemütslage der Bevölkerung dieses Landes besser ablesen. An der SPD kann man sich richtiggehend ausagieren. Oder anders: Weil ihre traditionellen Milieus längst verschwunden sind, ist die SPD so abhängig von der Stimmung wie kaum eine andere Partei.
Die Stimmung maßgeblich zu beeinflussen, wie es die AfD vermag, gelingt der SPD schon etwas länger nicht mehr. Während sich nicht wenige Grüne-Anhänger in eine para-soziale Beziehung mit ihren Spitzenpolitiker:innen begeben und rechts der Mitte bei Union und FDP dem Mackerkult gehuldigt wird, stehen SPD-Politiker:innen als Sandsäcke zum Abreagieren stets bereit. Gelegentlich tut es einfach gut, die SPD stellvertretend für das Land leiden zu sehen. An Programm, Strategie, Medienarbeit und Personal muss also sicher gearbeitet werden.
Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität
Nun aber die Zukunft: Vom Prinzip her ist jeder denkende Mensch Sozialdemokrat:in. In einer Welt der Oligarchen braucht es mehr Gerechtigkeit. Die sicherheits- und klimapolitischen Reformen müssen sozialverträglich gestaltet werden, sonst wird uns allen der Laden um die Ohren fliegen. Die Demokratie und die Republik müssen gegen Autoritarismus und Rechtsextremismus verteidigt werden. Und wenn Personalangebot, Schwerpunktsetzung, Stimmung und Lage passen, dann wird die SPD auch wieder an den Wahlurnen reüssieren.
Die SPD ist tief verwurzelt in Kommunen und Ländern, sie ist sturmgefestigt und historisch (!) unverwüstlich. Wenn es dunkel wird, kann man auf Sozialdemokrat:innen zählen. Wäre gut, wenn der Zorn des Wahlvolks uns bis dahin noch eine SPD übrig gelassen hat.
Natürlich muss die SPD die Wahlniederlage „aufarbeiten“, einen „Generationenwechsel“ einläuten und „sich neu aufstellen“ (obwohl man Ottmar Schreiner und Regine Hildebrandt wohl kaum wird auferwecken können). Die SPD wird das alles aber en passant erledigen müssen, denn sie wird gebraucht! Tröstlich: Aus der Trauerarbeit wissen wir, dass das tätige Tun gelegentlich hilfreicher ist als die grüblerische Ruhe.
Hoffnungsträger Sozialdemokratie
Angesichts der dräuenden Kanzlerschaft von Friedrich Merz und einer Union, die während des Wahlkampfs vom süßen Trank des Rechtspopulismus nicht nur ein bisschen gekostet hat, liegen die Hoffnungen der Republik – wieder einmal – auf der Sozialdemokratie.
Die SPD muss aus dem werdenden Koalitionsvertrag den Rödderschen Kulturkampf rausverhandeln, Linnemanns und Merzens fossilen Träume platzen lassen, Flüchtlinge, Migrant:innen, wirtschaftlich Schwache und LGBTQI+ verteidigen. Sie muss den starken Staat zu Gunsten derjenigen, die seinen Schutz brauchen, vor Wirtschaftsinteressen bewahren. Sie muss die demokratische Zivilgesellschaft aus der Regierung heraus unterstützen. Sie muss für die europäische Gemeinschaft, die internationale Zusammenarbeit und das Völkerrecht eintreten, wo der Bierzelt-Patriotismus der Konservativen marodiert. Sie muss den Faschismus schlagen, wo sie ihn trifft.
PS: Dies war meine 50. zeitzeichen-Kolumne. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön allen Leser:innen, die immer wieder aufmerksam und kritisch lesen, was ich hier zusammenschreibe, und Reinhard Mawick und Stephan Kosch für das wohlwollende Lektorat!
Philipp Greifenstein ist freier Journalist sowie Gründer und Redakteur des Magazins für Kirche, Politik und Kultur „Die Eule“: https://eulemagazin.de
Die vorgezogene Bundestagswahl hat auch die politische Agenda für die Kirchen verändert.
Dr. Armin Kohnle ist Professor am Lehrstuhl für Spätmittelalter, Reformation und territoriale Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig.
Vielen wird spätestens heute Morgen ein Stein vom Herzen gefallen sein, als man gewahr wurde, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht – kurz BSW – es nicht vermocht hatte, die Fünfprozenthürde zu überwinden.
In diesen aufgeregten Zeiten braucht es Orte der Konzentration und manchmal sogar Kontemplation. Klar, das können auch Kirchen und andere sakrale Räume sein. Aber der gestandene Protestant findet solche Räume der Andacht ja manchmal auch an unerwarteten Plätzen. Ich habe an dieser Stelle schon über das religiöse Aroma eines Aufgusses in der Sauna geschrieben oder die seelsorgerliche Betreuung im Friseur-Salon nebenan.
Aber es gibt noch einen Ort, der profan daherkommt, und doch überraschende Möglichkeiten bietet. Ich rede vom Krafttrainingsraum, in diesem Falle einer der Ketten des Schweizers Werner K. Der ehemalige Boxer, Fitness-Unternehmer und spätstudierte Philosoph, der 2021 im Alter von 80 Jahren starb, bezeichnete zwar die Religion als „größten Betrug an der Menschheit“. Er schuf mit seiner strengen Methodik des Krafttrainings und entsprechender Ästhetik aber Räume mit sehr protestantischer Aura. Und das liegt nicht nur am hohen Altersdurchschnitt der Trainierenden.
Hier geht es um die Essenz, den Muskel und mich, und um nix anderes. Es gibt keine Laufbänder, keine Musik, keine Bar mit Shakes oder bunten Säften, allein ein Wasserspender steht auf dem Industrieparkett zwischen den Maschinen. An diesen drückt, hebt und zieht man voller Disziplin und Konzentration seine Gewichte auf und ab im stets gleichen Rhythmus (1,2,3,4–1,2–1,2,3,4) und kämpft so gegen Rückenschmerz und Muskelschwund. Aber eben nicht nur. Die Ruhe, das mantramäßige Zählen, das Pilgern auf dem Stationenweg zwischen Rückenstrecker und Beinpresse, das alles hat eben auch etwas Meditatives, hilft gegen Stresssymptome und depressive Verstimmung, stärkt Geist und Seele. Schließlich ist der Körper ja auch der Tempel des Heiligen Geistes. Und
der weht bekanntlich, wo er will.
Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen".
Die in Halle an der Saale beheimatete Salzwirker-Brüderschaft ist 500 Jahre alt.