Florian Kühl

Florian Kühl (*1970) leitet seit 2017  die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Akademie Loccum- Zuvor hat der studierte Historiker und Literaturwissenschaftler als Manager Media Relation bei dem LKW-Hersteller Volvo-Trucks sowie als TV-Redakteur und -Producer gearbeitet.

Michael Strauß

Michael Strauß ist Leiter des Referates für Kommunikation und Medien der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig.

Wir sind 19 Millionen!

Wir sind 19 Millionen!

Gemeinde ist mehr als Kerngemeinde. Aber sie braucht Pflege.
Foto: privat

Die evangelische Kirche schrumpft. Warum? Sind die Predigten zu politisch oder nicht politisch genug? Die Gottesdienste zu langweilig, das Personal zu unfreundlich, die Abläufe zu bürokratisch, die Gemeinden kulturell verengt? Das mag alles zutreffen oder auch nicht, aber es erklärt nicht, warum Leute austreten. Denn die meisten hatten schon vorher keinen Kontakt zur Kirche. Sie wissen also gar nicht, ob Gottesdienste langweilig sind oder nicht.

Der heutige Exodus der Kirchenmitglieder ist keine Reaktion auf das, was jetzt passiert, sondern eine Folge von Versäumnissen und Fehlentscheidungen, die Jahrzehnte zurückliegen. Das ist bei der Kirche nicht anders als bei der Deutschen Bahn: Man hat sich so lange nicht um die Substanz gekümmert, dass irgendwann alles gleichzeitig kaputtgeht.

Die Substanz der Kirche sind die Gemeinden. Aber von Gemeinde, von Gemeinschaft spüren die meisten Kirchenmitglieder in ihrem Alltag nichts. Weil es praktisch gar keine Berührungspunkte gibt zwischen ihnen und der Kirche. Über 19 Millionen Mitglieder hat die evangelische Kirche in Deutschland heute noch, 1990 waren es noch 10 Millionen mehr. Aber schon damals fühlten sich die meisten davon nicht wirklich als Teil der Gemeinde.

Mitglieder geghostet

Solange ich zurückdenken kann, war „die Gemeinde“ nicht die ganze Gemeinschaft der Getauften, sondern ein kleiner, exklusiver Zirkel, der für sich beanspruchte, der „Kern“ des Ganzen zu sein. Die Kerngemeinde, wie man sagte. Einer Kommunikationsstudie der evangelischen Kirche in Frankfurt am Main von Anfang der 1990er Jahre zufolge wendeten Pfarrerinnen und Pfarrer damals 90 Prozent ihrer Kommunikation für die Haupt- und Ehrenamtlichen sowie die regelmäßigen Teilnehmer:innen am Gemeindeleben auf. Alle anderen bekamen sie allenfalls zu den Kasualien oder an Heiligabend mal kurz zu Gesicht.

Das geschah nicht in böser Absicht. Die Kerngemeinde der Engagierten hatte eben sehr viele Ideen und Ansprüche. Für sie war „die Gemeinde“ soziale Heimat, der Ort ihrer Selbstverwirklichung. Natürlich betonten sie, dass die Kirchentüren „für alle offen“ stünden. Und sie wünschten sich ja auch, dass noch mehr Leute bei ihnen „mitmachen“. Aber klar war: Nicht bei ihnen lief etwas falsch, sondern bei den Leuten da draußen, die das gute Angebot nicht zu schätzen wussten, die wahrscheinlich nicht fromm genug waren oder was auch immer. Egal. Wer nicht kam, war selbst schuld, und dann fiel durchaus schon mal der böse Begriff von den „Karteileichen“. Ein vielsagendes Wort: 90 Prozent ihrer Mitglieder waren im Bewusstsein vieler im kirchlichen „Inner Circle” eigentlich schon gestorben.

Das ist bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass diese Leute - wir reden immerhin von 26 Millionen Menschen im Jahr 1990 - den Laden mit ihren Kirchensteuern finanzierten. Aber niemand verschwendete Ressourcen für den Kontakt mit ihnen. Man hatte mit sich selbst genug zu tun, und 10 Prozent von 29 Millionen sind ja auch ganz schön viele. Ich weiß von Gemeinden, die ihren Mitgliedern nicht mal den Gemeindebrief nach Hause zustellten: Wer ihn lesen wollte, sollte ihn sich eben im Gemeindebüro abholen. So war die Haltung. Und so kühlte die Beziehung nach und nach ab und endete irgendwann ganz. Man könnte sagen, die Kirche hat die große Mehrheit ihrer Mitglieder einfach geghostet.

Das fand bei diesen natürlich einen Widerhall. „Ich kann auch ohne Kirche Christ sein“, behaupteten sie zum Beispiel tapfer. Heute stellt sich heraus, dass das nicht stimmt. Denn im Christentum geht es nicht um eine individuelle spirituelle Erlösung, sondern um Gemeinschaft, um geteilte Praxis im Alltag. Die „Gemeinde“ ist der Kern, nicht irgendein erweckliches Gefühl von persönlicher Frömmigkeit.

Nur aus Versehen

Ohne Gemeinschaftserlebnis verblasst das Christsein mit der Zeit. Genau das ist in den vergangenen dreißig, vierzig Jahren passiert. Die Menschen, mit denen die Kirche nicht kommunizierte, sind zwar aus alter Verbundenheit selber nicht ausgetreten, aber sie haben die Religion auch nicht an ihre Kinder und Enkel weitergegeben. Und die ziehen jetzt die Konsequenzen. Für sie fühlt es sich logischerweise so an, als wären sie nur aus Versehen in dieser Institution gelandet.

Ändern lässt sich das heute nicht mehr. Der Drops ist gelutscht. Aber - wir sind immer noch 19 Millionen! Was wäre das für eine Kirche, die sich wirklich als Gemeinschaft aller Getauften verstünde? In der nicht eine „Kerngemeinde“ vorgibt, was Christsein bedeutet? In der die hauptamtlich Angestellten nicht meinen, ihre Mit-Christinnen und Christen würden ihnen eine bestimmte Form von Engagement und Frömmigkeit schulden? Wie müsste die Kirche sein, wenn sie sich wirklich als Dienerin der christlichen Gemeinde verstünde, also aller Menschen, die getauft sind?

Ich weiß nicht, wie eine solche Evangelische Kirche in Deutschland aussehen würde. Aber ich weiß, sie wäre riesig. Wir sind schließlich immer noch 19 Millionen!

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Handschuh mit Nebenwirkungen

Handschuh mit Nebenwirkungen

Eine Nachbetrachtung zur königlichen Kleiderordnung
Foto: Privat

Zunächst habe ich mich geweigert. Mit sehr guten Argumenten. Acht Stunden sind kein Tag, aber acht Stunden Royal-TV mit mäßig-alertem Fachpersonal, das mit abgelaufenem Insiderwissen lockt, ist nicht zumutbar. Als Niederländer bin ich selbstredend nicht unvertraut mit der Monarchie. In der Jugend war unser heutiger König bekannt als Botschafter des Bier-Giganten Heineken. Einer meiner Onkel konnte es sich nie verkneifen, vor jedem ersten Schluck das mit der Bier-Krone geschmückte Glas zu erheben und auf den Prinzen einen Toast auszusprechen. Wegen dieser sprachlichen Nähe von Bierkrone und Krone war der Berufsweg des Prinzen vorbestimmt.

Bei anstehenden Ritualen ist das niederländische Königshaus eher calvinistisch zurückhaltend. Ganz anders das britische Königshaus. Ich bin dann doch schwach geworden und habe mir eine halbstündige Zusammenfassung am Abend angesehen. Schwach geworden bin ich auch deshalb, weil mir zu Ohren kam, der König habe mit Blick auf seine Krönung in Bahnhöfen und der Londoner U-Bahn Ansagen mit der berühmten Formulierung Please mind the gap für diesen Tag eingesprochen. Das können nur die Briten.

Sitzend vor der Glotze, kam ich aus dem Staunen nicht heraus. Auch über mich, denn das aufgeführte, alt-ehrwürdige Ritual hat mich tatsächlich gleichermaßen fasziniert und erschaudern lassen.

Prophet der Nachhaltigkeit

Charles wurde zum König gesalbt. Wie ehedem die Priester, die Propheten und die Könige im alten Israel. Ungesalbter Prophet war Charles bereits seit Jahrzehnten. Mit großer Weitsicht und dem ihm eigenen Witz trat er lange vor vielen anderen als ein Prophet der Nachhaltigkeit auf. Greta Thunberg könnte sein Patenkind sein. Jetzt also die Salbung zum König. Dafür wurde die auserwählte Gemeinde ausgeschlossen, denn es wurde mit viel handwerklichem und zugleich dramaturgischem Geschick ein Zelt, das milde an Badezelte am Strand von Luxushotels erinnerte, aufgebaut, in das der kommende König mit dem anglikanischen Erzbischof von Canterbury verschwand. Während der Zeremonie war Charles nur mit einem leinenen Gewand bekleidet. Erst danach wurde der (laut Insiderwissen 4 kg schwere) Goldmantel angezogen, dann die Krone aufgesetzt (6 kg), das Zepter, der Reichsapfel.

Schließlich die Überraschung. Der Auftritt des Handschuhs. Ein schwarzer Handschuh mit langem hellem Stutzen. Mit spielerischer Ernsthaftigkeit, als habe er jahrelang in der Werbung als Handmodell für Handschuhe gewirkt, streifte er sich diesen Handschuh über, kostete den Augenblick aus, jeder sah wie jeder seiner Finger der rechten Hand im maßgeschneiderten Handschuh präzise und wohlig Platz fand. Mit der so gepolsterten und wattierten Hand umgriff er das Zepter. Der Handschuh ist eine Mahnung, symbolisiert die Milde beim Erheben von Steuern mit Blick auf die Armen. Wenn er den Handschuh trägt, kann er das Zepter nicht so fest und unerbittlich umgreifen, wie ohne Handschuh. Es ist der Handschuh der Milde: clementia. (Eine nicht nur von den Römern, sondern auch von Calvin sehr geschätzte Haltung.) Die Aktion wirkt, obwohl der König schon lange nicht mehr Steuern erheben darf. Die Gier-Bremse sollte vielleicht auch in demokratischen Milieus, die ohne Königinnen und Könige auskommen müssen, eingeführt werden. Jeder Ministerin, jedem Minister ein Handschuh als Gier-Bremse. Bitteschön. König Charles hat bereits vorab viele neue Roben nicht schneidern lassen, sondern auf second hand gesetzt.

Und auch das habe ich wieder erfahren. Rituale vermitteln sogar vor dem Fernseher eine Erfahrung, die man außerhalb von Ritualen nicht erfahren kann. Please, mind the gap.

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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Lieber menschlich statt meta und mega

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Die glitzernde Welt der Avatare lockt. Was heißt das für die Kirchen?
Foto: Harald Oppitz

Seit einiger Zeit treibt mich die Frage um, wieviel Geld ich ins Metaverse investieren sollte. Die unbegrenzte Vision des Mark Zuckerberg klingt doch verlockend. Wenn ich mich jetzt rechtzeitig beteilige, kann ich mir vielleicht noch ein kleines Stück vom großen Kuchen der schönen neuen Welt sichern, in der mein Avatar es sich gut gehen lassen kann! In der kann man nicht nur shoppen, man kann auch Grundstücke erwerben und bebauen. Leider fehlen mir die Mittel dafür, ganz zu schweigen davon, dass MZ selbst schon Milliarden an dem Projekt verloren hat und ich mir solche Verluste nicht leisten kann.

Trotzdem erzeugen er und die Global-Tec-Unternehmen schon heute erfolgreich vor allem bei jungen Leuten „fomo“: „fear of missing out“. Das ist die Angst, abgehängt zu sein und etwas nicht mitzubekommen. Schon deshalb wird voraussichtlich kein Weg an diesem digitalen Universum vorbeigehen, und genauso voraussichtlich wird es ein Universum sein, das nicht jedem offensteht. Es ist jetzt schon klar, dass der Teil der Menschheit, der zu arm oder zu ungebildet ist, um im Metaverse zu shoppen oder gar Immobilien zu erwerben, einfach exkludiert sein wird. Die Werbefilme für Metaverse, in denen schöne Menschen in hochästhetischen Gebäuden miteinander tagen, Schach (!) spielen oder in Mega-Konzerthallen abtanzen können, sprechen Bände. Sogar mein Körper soll im Metaverse dank Technik involviert sein, die Werbung verspricht mir, dass es sensorische, ja sogar olfaktorische Reize geben wird.

Shoppingmalls, Konzerthallen, Schachspiel – ob es wohl auch Kirchen geben wird? Da bin ich mir auch sicher! Die Megachurches der USA stehen bestimmt schon in den Startlöchern, um sich zu beteiligen.

Fratze des Kapitalismus

Ich hoffe, dass auch die Politik aller Länder in den Startlöchern steht. Denn ein solches Gebilde ohne gesetzliche Regelungen zu belassen wäre wie der „Wilde Westen“ – so ein Kommentator. Ein gesetzloses Megaverse würde uns – neben der Hochglanzperspektive der Shopping-Malls und ästhetischen Avatare - auch die Fratze des ungebändigten brutalen Kapitalismus zeigen. Einmal ganz zu schweigen davon, was das Metaverse für unsere Umwelt bedeutet. Denn irgendwoher muss ja auch die Energie für das Vorhaben kommen.

Es ist bezeichnend, dass sich die Reichen und Mächtigen der Welt ohne jegliche Scham an den Ressourcen unserer Erde bedienen. Und es ist traurig, dass es uns bis heute nicht gelingt, die Welt, in der wir leibhaftig leben, zu einem schönen und lebenswerten Ort für alle Menschen zu gestalten. Ich wäre schon froh, wenn sich die deutschen Stadtplaner*innen so einbringen könnten, dass in unseren Städten nicht nur schicke Lofts an den Flüssen und Seen für wohlhabende deutsche, saudische und chinesische Investoren hochgezogen würden, die dann sogar die Wege am Wasser für die Normalos sperren.

Ich bin dafür, dass stattdessen über eine generationenübergreifende , ökologische und inklusive Gestaltung unserer Städte für alle Bürgerinnen und Bürger nachgedacht wird. Da gibt es Vorbilder! Das wären dann Orte, an denen man keine Brillen braucht, um angenehme leibliche Reize zu bekommen, einfach, weil es ausreicht, den eigenen Leib zu spüren. Es wären Städte und Dörfer, in denen man sich freuen dürfte am spannenden Zusammensein mit anderen leibhaftigen Menschen. Fangen wir mit einer solchen offenen, transparenten Konzeption doch bei unseren kircheneigenen Grundstücken und Gebäuden an! Da investiere ich gerne und bin ich dann wirklich und leibhaftig dabei!

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Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.


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