Mut zur Macht

Mut zur Macht

Die EKD-Synode will sich auf ihrer Tagung mit „Kirche und Macht“ befassen
Foto: privat

Auf der Tagung der EKD-Synode in Dresden, die von heute an wie seit 2009 gewohnt in Eintracht mit der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD) und der Versammlung der Union der Evangelischen Kirchen in der EKD (UEK) durchgeführt wird, soll das Thema „Kirche und Macht“ im Zentrum stehen. Einige Gedanken dazu von zeitzeichen-Kolumnist Philipp Greifenstein.

„Kirche und Macht“ in Zeiten sinkender Kirchenmitgliedschaft zu diskutieren, ist schon allein deshalb angeraten, weil die vielfältigen Schrumpfungs- und Abschiedsprozesse in den evangelischen Kirchen keineswegs der evangelischen Pluralität Raum verschaffen, sondern vielmehr Zentralisierungs- und Rationalisierungsbestrebungen Vorschub leisten, die das synodale Prinzip und die Demokratie in der Kirche als Kollateralschäden gleich mit zu beerdigen drohen.

Sein Unbehagen darüber, dass auf dem – meine Worte! – unausweichlichen Weg von der „Volkskirche“ zur Partikularorganisation, zentrale reformatorische Errungenschaften in der evangelischen Kirche aufgegeben werden, hat unlängst Hans-Peter Großhans mehr oder weniger en passant in seinem Beitrag zum „Jahrbuch Sozialer Protestantismus 2025“ geäußert. In dem lesenswerten Band zum Thema „Sexualisierte Gewalt – Konstellationen, Problemanzeigen, Perspektiven“ schreibt der Professor für Systematische Theologie aus Münster über den Zusammenhang von sexualisierter Gewalt und protestantischer Ekklesiologie. 

„Wo Menschen sich begegnen und sie gemeinsam elementare religiöse Lebensvollzüge praktizieren, da ist neben dem darin innewohnenden Guten immer auch das Böse gegenwärtig. Davon ist nach evangelischer Glaubensüberzeugung auch eine Kirche, die sich als ein sozialer Raum versöhnten Lebens versteht, nicht ausgenommen“, erläutert Großhans. Eine knappere Begründung dafür, dass menschlicher Macht in eben einer solchen Kirche klare Grenzen gesetzt werden müssen, kann man wohl kaum formulieren.

„Nach Martin Luther ist die Kirche als Ganze nicht von der Sünde ausgenommen. Sie ist selbst eine Sünderin“, erklärt Großhans weiter. Die evangelische Kirche sei im reformatorischen Verständnis eine „zum Gottesdienst versammelte Gemeinschaft von Menschen“. Von der „congregatio sanctorum“ aus müsse man „definitorisch“ verstehen, was Kirche sei.

Nachdenklichkeiten über die Teilnahme am Gottesdienstbetrieb oder gar über das lutherische Gottesdienstverständnis außen vor: Großhans warnt ausdrücklich vor einer Kirche, die sich als ein „Dienstleistungsbetrieb“ versteht, „der von Leitungspersonal und überhaupt dem Personal – traditionell gesprochen: dem Klerus – betrieben wird“. Eine solche Agentur-Kirche lehnt er aus guten reformatorischen Gründen ab. 

Großhans gelangt zu dieser Warnung insbesondere auch durch eine Lektüre der Ergebnisse der „ForuM-Studie“ zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie von 2024. Was die Betroffenen über ihre Erfahrungen mit einer Kirche als übermächtiges Gegenüber zu Protokoll geben, diagnostiziert Großhans als bestimmendes Problem der Institution. 

Hat der Professor recht? Es versteht sich von selbst, dass ich im Rahmen dieser z(w)eitzeichen-Kolumne weder die gesamte Argumentation von Großhans noch die Breite ihrer Implikationen darstellen kann. Das Studium seines Aufsatzes und des gesamten Jahrbuchs lege ich aber allen interessierten Leser:innen sehr ans Herz! Aber ich stimme Großhans, basierend auf meinen Beobachtungen der evangelischen Kirchenlandschaft, keineswegs in allen Punkten zu:

So zieht Großhans aus den bisherigen Aufarbeitungsbemühungen der Kirchen den Schluss, die evangelische Kirche müsse möglichst vollständig auf alle Ebenen oberhalb der Gemeinde vor Ort verzichten. Das scheint mir aus zwei Gründen unangemessen zu sein: 

Erstens verdanken sich die sicher defizitären, aber doch maßgeblichen Impulse für eine Bearbeitung des Skandals des evangelischen Missbrauchs meinem Eindruck nach neben dem Druck von Betroffenen auf die jeweils höchsten Kirchenebenen vor allem dem Umstand, dass die EKD als Gemeinschaft der evangelischen Kirchen – wenn auch langsam und nicht ohne Widerstände – handlungsfähig geworden ist. 

Mit dem Beteiligungsforum sexualisierte Gewalt in der EKD und Diakonie (BeFo) hat sie inzwischen (und übrigens quer zur Grundordnung der EKD) eine Institution etabliert, die eine Mitbestimmung von Betroffenen bei den vielfältigen Prozessen von Prävention, Aufarbeitung und Anerkennung einigermaßen ermöglicht und diese im Zusammenspiel mit der Fachstelle sexualisierte Gewalt im EKD-Kirchenamt, wenn schon nicht vollständig steuern, so doch in entscheidenden Fragen koordinieren kann.

Zweitens erscheint mir der Begriff der Ortsgemeinde, der Großhans offenbar vorschwebt, doch sehr analog und an einem Idealbild einer evangelischen Kirchgemeinde orientiert zu sein. Sicher stehen wir im Jahr 2025 den Möglichkeiten digitaler Gemeinschaftsbildung skeptischer gegenüber als noch zu Beginn des Jahrzehnts, aber dennoch erscheint es mir – nicht nur im Blick auf den Ritus – zielführender zu sein, von Kontaktflächen oder Begegnungsorten zu sprechen, an denen sich digital und/oder analog Gemeinschaft der Glaubenden entfaltet. Auch wenn es schwerfällt, diese nicht von einer Institution her zu denken, in der Profis für die Gestaltung ebensolcher Orte und Gelegenheiten zunächst zuständig sind. 

Eine frei sich entfaltende Gemeinschaft der Glaubenden, die sich selbst eine Ordnung gibt und diese stets nach den aktuellen Bedürfnissen und theologischen Erkenntnissen neu orientiert, scheint mir ein unerreichbares Traumbild zu sein, das im besten Fall als Utopie handlungsleitend ist, sobald sich eine kirchliche Gemeinschaft – so Gott will! – nicht mehr allein als lokal gebundene oder personal verbundene Kleinstgemeinschaft aufstellt. Und in solchen Gemeinschaften sind die Gefahren des (Macht-)Missbrauchs ja keinesfalls kleiner…

Vielleicht ist Großhans mit seiner Kritik an der evangelischen Amtskirche auch viele Jahrzehnte zu spät dran. Jedenfalls verfolgen nicht erst die jüngsten evangelischen Reformvorhaben einen eigentümlich evangelischen Klerikalismus. 

Back to the roots …

Doch zurück zu jenen Impulsen, die man aus Großhans‘ Warnung vor einer Kirche als „Dienstleisterin“ für Spiritualität und gemeinschaftliche Aktivitäten dringend mitnehmen sollte.

Erstens muss die Selbst- und Mitbestimmung von Betroffenen gewährleistet werden. Dabei meint „Betroffene“ hier nicht allein jene Menschen, die sexualisierte Gewalt erleiden mussten, sondern alle Menschen, die kirchliche Entscheidungen mitzutragen zu haben. Kurz gesagt: Macht sollte in einer evangelischen Kirche bei denjenigen Menschen liegen, die die Konsequenzen zu tragen haben. Also bei jenen, die konkret an den (analogen und digitalen) Orten des Glaubenslebens als Gemeinde versammelt sind. Und sie sollte nur dann durch Ordnungen und übergeordnete Gremien beschnitten werden, wenn es sachgemäß und -dienlich ist.

Es müssen sicher nicht immer alle zu jeder Zeit alles mitbestimmen, aber die Partizipation der Glaubenden kann sich nicht darin erschöpfen, Weisungen „von oben“ einfach durchleiten zu müssen. Nicht zuletzt ist damit auch der Qualität der Umsetzung sicher nicht gedient, die ja von Herzen kommen soll, also mindestens einmal nach beharrlicher Überzeugungsarbeit, wenn nicht sogar freiwillig erfolgen sollte. Solche Verschleißerscheinungen lassen sich in den evangelischen Kirchen reichlich beobachten. An die gegenwärtigen Reformprozesse in den evangelischen Kirchen, da stimme ich Großhans zu, ist darum mindestens ein Fragezeichen anzubringen.

Zweitens verwirklicht sich kirchliches Handeln in Institutionen und nicht allein in Mindsets. Wer sich als Amts- oder Verantwortungsträger allein auf Bewusstseinsbildung zurückzieht, hat kirchenleitendes Handeln womöglich schon defätistisch aufgegeben. Es genügt eben nicht, von „Empowerment“ zu reden, wenn Mitarbeitende und „der Klerus“ die Fülle der ihnen mit ihren Ämtern übertragenen Macht nur nach eigenem Gefallen oder extra weisungsabhängig oder gar nicht gebrauchen. 

Nicht nur die Synode der EKD soll schrumpfen. Überall machen sich kirchliche Ämter und Verantwortungsträger klein. Ja, es muss gespart und darum angemessen verkleinert werden. Aber dass damit ein Kleinreden eigener Gestaltungsmacht einhergeht, gilt es zu problematisieren. Wer hat in einer Kirche, in der sich so viele Menschen auf allen Ebenen ohnmächtig fühlen und/oder die eigene Macht negieren, eigentlich das Sagen? Ist nicht genau das auch ein Aspekt der in der „ForuM-Studie“ dargestellten evangelischen „Verantwortungsdiffusion“? Auch im Machtvakuum kann man sich gemütlich einrichten.

Braucht es nicht vielmehr eine Kirche, deren ehren- und hauptamtliche Mitarbeiter:innen Mut zur Macht haben? Mut dazu, „Ja“ und gegebenenfalls auch „Nein“ zu sagen zu den Aufgaben, Verpflichtungen und Nötigungen, die ihnen im kirchlichen Dienst angetragen und, ja, zugemutet werden. Es wäre schade, würde die Dresdner Synodentagung allein damit zu Ende gehen, dass sich die Teilnehmer:innen gegenseitig der Notwendigkeit von Machtsensibilität versichern. Es ist genug, dass wir in einer Kirche in einer erlösungsbedürftigen Welt nicht umhin kommen, Macht übereinander auszuüben. Daraus Konsequenzen zu ziehen, bedeutet nicht allein, Macht gut einzuhegen, sondern auch, sie gut zu gebrauchen. 

 

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Weitere Beiträge zu „Kirche“

Ulrike Peisker

Dr. Ulrike Peisker ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Systematische Theologie und Sozialethik an der Universität Mainz.

Was ist gut?

Schwindende Ressourcen der Kirchen, abnehmende Nachfrage nach ihren Angeboten und zunehmende Sorgen um Nachwuchs für die kirchlichen Berufe, speziell für den Pfarrberuf, führen derzeit zunehmend zur Frage nach der Quali

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Da sein, wenn alles zerbricht

Da sein, wenn alles zerbricht

Wie kann Kirche die Notfallseelsorge auch in Zukunft verlässlich anbieten?
Foto: Christian Lademann

Mitten in der Nacht um halb eins klingelt der Pager neben ihrem Kopfkissen. Leicht schlaftrunken greift sie nach dem Gerät. „Frustrane Reanimation“ und eine Adresse steht da. Sie ruft bei der Leitstelle an. 52 Jahre, Familienvater, die Reanimationsversuche nach einem Herzinfarkt blieben erfolglos. Sie zieht sich die Kleidung an, die sie sorgsam bereitgelegt hat. In der Küche trinkt sie noch einen Schluck Wasser und atmet tief durch. Dann greift sie nach dem kleinen Koffer. Eine Kerze, ein paar Taschentücher, Wasser, die Nacht könnte ja länger werden, eine Schachtel Zigaretten, ein paar Gummibärchen und ein Teddybär, falls doch Kinder vor Ort sind. Mehr hat sie nicht dabei, wenn sie in einen Einsatz fährt. Noch einmal tief durchatmen am Steuer des Wagens, dann losfahren. Nicht zu schnell. „Fahrt in Ruhe. Wir retten niemanden. Wenn wir kommen, ist die ganze Tragödie schon passiert.“ So hat man ihr das in der Ausbildung gesagt.

20 Minuten später kommt sie am Einsatzort an. Vor der Tür begegnet sie jemandem vom Rettungsdienst. Ein kurzes Briefing. Nur die Ehefrau ist im Haus. Sie hatte auf Telefonanleitung der Leitstelle versucht ihren Mann selbst zu reanimieren. Erfolglos. Als die Einsatzkräfte eintrafen, war der Mann bereits tot. Auf der Schwelle hält sie noch einen Moment inne, dann geht sie hinein in den Flur. Ob sie drinnen auf lautes Weinen trifft oder auf eine Frau, die ganz still an die Wand schaut, das weiß sie nicht. Aber sie wird bleiben, so lange es nötig ist. Da sein, wenn sonst niemand da wäre. Ein Taschentuch reichen. Einen Kaffee kochen. Schweigen aushalten. Das soziale Netz aktivieren. In den frühen Morgenstunden kommt der Sohn bei seiner Mutter an. Noch eine gute halbe Stunde sitzt sie mit den beiden am Küchentisch. Dann verabschiedet sie sich. Müde sinkt sie in ihren Autositz und fährt nach Hause. Noch schnell bei der Tankstelle vorbei und einen Schokoriegel kaufen. Das ist ihr Ritual. Nach einem Einsatz gibt es etwas Süßes. Bissen für Bissen isst sie die Schokolade, während sie das kurze Einsatzprotokoll in ihren Rechner tippt. Und mit jedem Bissen lässt sie ein wenig los…

Abgründe und Grenzsituationen

Mittlerweile existiert organisierte Notfallseelsorge als Elemente der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) nahezu flächendeckend in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Notfallseelsorgende begleiten Polizeibeamte beim Überbringen von Todesnachrichten, werden nach Suiziden alarmiert, um bei den Hinterbliebenen zu sein, oder sind auf Autobahnen bei Großschadenslagen unterwegs. Die Einsatzarten sind dabei so mannigfaltig, wie es die Abgründe und Grenzsituationen des Lebens sein können. Neben der Notfallseelsorge für Betroffene gibt es zudem Notfallseelsorgende, die zusätzlich qualifiziert sind, um in multiprofessionellen Teams Einsatzkräfte nach belastenden Ereignissen zu begleiten.

Kaum ein kirchliches Handlungsfeld erscheint so spannungsreich wie dieses. Nicht selten haben Notfallseelsorgende nach intensiven Einsätzen subjektiv das Gefühl, kaum etwas sinnvolles getan zu haben in dieser einschneidenden Situation. Bei näherem Hinsehen wird man oft darauf kommen, dass es eben schlicht das Da-Sein war, das in diesem Moment höchst relevant für Betroffene war. Die Frage, ob ein Schluck Wasser gebraucht wird, der gemeinsame Spaziergang um den Block, die Unterstützung dabei, ein Stück weit aus der Ohnmacht zu kommen. Das Christliche darin macht sich meist nicht verbal explizit, sondern es wird für Menschen erfahrbar in der Haltung. Es ist eine Haltung, die sich speist aus der Frage Jesu: „Was willst Du, dass ich Dir tue?“ (Lk 18, 41)

Verlässlicher Partner

In den verschiedenen Regionen ist die Notfallseelsorge organisatorisch ganz unterschiedlich aufgestellt und wird neben Pfarrpersonen auch von ehrenamtlich Engagierten ausgeführt. Während die Tätigkeit in einigen Landeskirchen zur Dienstpflicht von Pfarrpersonen zählt, haben andere Regionen weitestgehend ehrenamtliche Strukturen etabliert. Auch im Kontext ehrenamtlicher Strukturen sind es aber nicht selten Pfarrerinnen und Pfarrer, die sich hier engagieren und diesen Dienst tun.

Mich bewegt gegenwärtig die Frage, wie es mit diesem gesellschaftlich so intensiv nachgefragten Arbeitsgebiet weitergeht. In wenigen Jahren werden wir 50 Prozent weniger Menschen im pastoralen Dienst haben. Dies wird erhebliche Konsequenzen erzeugen im Hinblick auf die Frage, wie verlässlich wir weiterhin dieses Handlungsfeld bespielen können. Einzelne Regionen, in denen bereits viele Pfarrstellen unbesetzt sind, kommen schon jetzt in Situationen, die Notfallseelsorge zeitweise abmelden zu müssen. Das Signal, das so kommuniziert wird, ist natürlich fatal. Im Vergleich zeigt sich, dass die Notfallseelsorge vor allem in den Regionen häufig angefragt wird, wo sie sich als verlässlicher Partner erwiesen hat. Wenn diese Verlässlichkeit nicht mehr gegeben ist, wird es perspektivisch schwierig werden wieder neue Strukturen zu etablieren.

Ehrenamtliche ausbilden

Die Kirchen tun gut daran, finanzielle und personelle Ressourcen jetzt intensiviert in gute Ausbildung von Ehrenamtlichen für dieses Arbeitsfeld zu investieren. Ein wenig scheint es mir dennoch ein Wettlauf gegen die Zeit zu sein. Die Frage ist, ob wir schnell genug sein werden, größere Pools von Ehrenamtlichen aufzubauen oder ob der Rückgang der Zahlen im pastoralen Dienst diese Initiativen überholen wird. In jedem Fall lohnt es sich, den Wettlauf aufzunehmen, um ein Arbeitsfeld nicht zu verlieren, in dem das Handeln kirchlich Aktiver derart selbstverständlich nachgefragt und angenommen wird wie in der Notfallseelsorge. Es ist gut, wenn auch andere player sich im Kontext der Psychosozialen Notfallversorgung engagieren. Dennoch sollten wir es auch als Kirchen tun. Wo sonst werden Spezialist*innen für Tod und Sterben so unmittelbar gebraucht?

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Katharina Scholl

Dr. Katharina Scholl ist Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar. Zuvor war sie Gemeindepfarrerin in Hanau-Großauheim.

Weitere Beiträge zu „Kirche“

Hustenreiz

Hustenreiz

Punktum
Foto: Rolf Zöllner

Klassische Konzerte sind immer ein Ereignis, schon bevor was gespielt wird. Das Wandeln im Foyer der architektonisch meist interessanten Gebäude bis zum Klingeln, das Gemurmel im Saal, der Kammerton, der durch den Saal schwingt und signalisiert: Jetzt geht es los. Herrlich!

Doch dann: Hustenalarm! Ich weiß, das Thema ist schon x-mal behandelt worden, zahllose Expert:innen wurden befragt, warum der Hustenreiz bei Mozart stärker ist als bei Helene Fischer oder im Kino. Trockene Raumluft, der Zwang zum Schweigen und Stillsitzen, der unbewusste Wunsch nach Kommunikation mit dem Huster auf dem ersten Rang durch Echohusten, die Lust am Mitsingen, die sich auf etwas verquere Weise äußert – alles Erklärungsversuche, die aber nicht wirklich das Problem lösen. Für die Menschen auf der Bühne ist es das auf jeden Fall, denn sie sind ja meist in höchster Anspannung. Vom Meister Alfred Brendel wird ja berichtet, dass er Hustende streng von seinem Flügel aus fixierte, bis sie still waren – oder sich vor Scham auflösten.

Seitdem ich das weiß, nehme ich Lutschware mit zum Kulturgenuss und achte darauf, dass sie nicht in knisterndes Papier eingewickelt ist. Ich trinke vor dem Konzert und in den Pausen. Ich versuche, bei aufkommendem Hustenreiz nicht in Panik zu geraten, sondern ruhig durch die Nase zu atmen, alle Feuchtigkeit im Mund zu sammeln und dann den Hustenreiz wegzu­schlucken. Und ich rufe mir zur Entspannung einen wunderbaren Sketch von Loriot vor Augen, in dem er als Dirigent „Ases Tod“ aus Peer Gynt von Edvard Grieg anstimmt und immer wieder Husteneinsätze an im Saal verteilte „Solisten“ gibt. Wenn Sie ihn noch nicht kennen, schauen Sie mal bei YouTube nach. Und vielleicht können sie beim nächsten Konzertbesuch die Hust-Arien mit Humor nehmen. Aber Lachen bitte erst beim Schlussapplaus! 

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Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 

Weitere Beiträge zu „Meinung“

Alte Meister im Gartenreich

Die drei Männer sind gleichzeitig in Wittenberg tätig und kennen sich auch untereinander: der Maler Lukas Cranach der Ältere (1442–1553) und Friedrich der Weise mit

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Wachstum

Wachstum

Blumen- und Seelen-Gärtner

Anmerkungen zu der Monografie Rilke als Gärtner kommen nicht aus ohne einen Hinweis auf den ebenfalls in der Insel-Bücherei erschienenen Zwillingsband Rilkes Tiere, herausgegeben von Angelika Overath und Manfred Koch. Vor allem aber nicht ohne einen sich verneigenden Satz vor Sandra Richters fundierter, biografisch umfangreicher Vorarbeit Rainer Maria Rilke oder Das offene Leben. Sie räumt detailreich nüchtern und empathisch ehrlich auf dem vielfach überladenen Rilke-Altar auf, indem sie der Verflechtung von Werk und Autor mit der Idealisierung eines Künstlers und der suggestiven Wirkmächtigkeit seiner Sprache ein Ende macht und diese so der plakativen Überhöhung und mythischen Einverleibung durch romantisierende Glorifizierung entreißt.

Dabei ist Sandra Richters Entthronung Rainer Maria Rilkes alles andere als eine Abrechnung mit dem Dichter. Sandra Richter stellt eine Leiter an den Dich­terhimmel und ermächtigt Rilke, für sich selbst zu sprechen. Ihr Blick auf dieses Dichterleben ist unverblümt. Gleichwohl nimmt sie alles Blühen, alle Größe und alles Scheitern, alle Schönheit der Sprache wie ihre rhythmisch vollendete Stilisierung wahr und ist so klug, sie nicht allein mit heutigen Augen zu überfliegen und der Mode besserwissender Bewertung und Zuschreibung zu unterwerfen. Sondern sie bezieht immer auch Zeit und Wirklichkeit Rilkes ein und beleuchtet sie, respektvoll unaufdringlich. So bindet sie in ihrer Darstellung den Menschen Rilke mit seinen Wünschen und Vorstellungen, seinen Eitelkeiten und Ängsten ein.

Neue Ehrlichkeit

Das ist eine neue Ehrlichkeit, eine Offenbarung, die Raum lässt, ohne ihn gleich wieder zuzustellen. Wem etwas an Rilke und seiner Dichtung liegt – und das will ich gern unterstellen oder dafür werben –, der lese zunächst diese Biografie.

Fürs Gärtnern ist zyklisch immer Zeit – so auch für diesen kleinen Band, der ästhetisch und inhaltlich ganz in die Reihe der Insel-Bücherei passt und den Dichter und seine Zeit noch einmal in die Gartenlaube lädt. Mit abgestreiften Handschuhen, gesäuberter Rosenschere, bei frisch gebrühtem Tee. Hier erscheint der zeitlebens Ruhelose ruhig, als würden die eigenen Verse zur erfahrenen Gewissheit: „Rast! / Gast sein einmal. / Nicht immer selbst seine Wünsche / bewirten mit kärglicher Kost. / Nicht immer feindlich nach allem fassen; / einmal sich alles geschehen lassen / und wissen: / Was geschieht, ist gut.“

Schon die Einführung bestätigt den Garten für Rilke als Erholungs- und Kraftort, der aber noch mehr ist als ein Ausgleich: Er wird Äquivalent zum eigenen Schaffen, Anschauungs- und Lernort. Und das Gärtnern wird zu einer unmittelbar tätigen, praktischen Kunst, die Wesentliches voraussetzt: Hören und Sehen auf den Zyklus der Jahreszeiten und Wissen um die Bedürfnisse der Pflanzen. Er vergleicht den Beruf mit dem Literaturbetrieb, sieht im Baumbeschnitt und in der Blumenpflege, im Jäten und Düngen die Arbeit von Redaktion und Lektorat und erkennt und erwartet eine hohe Professionalität, damit ein Garten auch ein solcher ist: gepflegt und gehegt: kultiviert, das Natürliche in Form und zu Schönheit und Nutzen bringend.

Das verlangt Zeit für Wachsen und Werden – und damit Kontinuität und eine Sesshaftigkeit, die Rilke nicht gewohnt ist und erst lernen muss. Dafür bildet er sich fachlich, aber auch literarisch auf den traulichen Pfaden der Lyrik weiter – etwa im gezielten Lesen von Naturlyrik wie Johann Gaudenz von Salis-Seewis’ Seelenspiegel „Bünder Nachtigall“, in der auch dessen berühmtes, volksliedartiges Herbstgedicht „Bunt sind schon die Wälder“ zu finden ist. Sandra Richter und Anna Kinder zeigen in diesem Büchlein den Seelen-Gärtner, der Rilke als Autor Vielen war und ist, als Blumen-Gärtner, der das Formen und Gestalten an der Wind und Wetter ausgesetzten Wirklichkeit des eigenen Gartens noch einmal neu begreift.

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Religiöse Rechte

Religiöse Rechte

Christentum und Extreme

Angesichts der politischen Entwicklungen in den vergangenen Jahren überrascht es nicht: Auf der Suche nach öffentlichen Einordnungen und Positionierungen zur extremen Rechten wird man bei den evangelischen und katholischen Kirchen in Deutschland mittlerweile sehr schnell fündig. Und auch der kirchliche Diskurs greift Themen wie die Gefährdung und den Schutz der Demokratien in Deutschland, Europa und weltweit immer häufiger und immer nachdrücklicher auf (siehe zum Beispiel das Schwerpunktthema „Demokratie in Gefahr“ in zeitzeichen im August 2025).

Umso wichtiger ist es deshalb, dass sich die vier Herausgeber:innen des Buches Topoi und Netzwerke der religiösen Rechten nun daran machen, den wissenschaftlich bisher eher schwach beleuchteten Zusammenhang von Christentum und Rechtsex­tremismus (und vielen in der Nähe befindlichen Phänomenen) eingehend in den Blick zu nehmen. Unterstützt von 15 weiteren Autor:innen tun dies Hans-Ulrich Probst, Dominik Gautier, Karoline Ritter und Charlotte Jacobs aus theologischer und religionssoziologischer Perspektive. Sie richten sich dabei an ein außerordentlich interdisziplinäres Publikum.

Analyse und Reflexion

Der Sammelband teilt sich in zwei inhaltliche Schwerpunkte zur Analyse und Reflexion der religiösen Rechten auf: internationale Vernetzungen und verbindende Feindbilder. Anhand von vielfältigen Beispielen wie der globalen Vernetzung der Russischen Orthodoxen Kirche, den Aktivitäten von christlich-politischen Influencern oder dem Rechtspopulismus als Herausforderung für den Religionsunterricht in Deutschland und Polen können die Autor:innen dadurch zum einen Hinweise auf Spezifika des deutschsprachigen Raums sowie internationale Kontinuitäten geben. Mithilfe des sinnvoll gewählten Analyseinstruments des Topos werden zum anderen typische und gemeinsame inhaltliche Bezugspunkte auf der großen Landkarte der religiösen Rechten aufgezeigt. Dazu zählen die Topoi des Anti-Genderismus, des identitären Nationalismus, dualistische Welt- und Lebensmuster sowie die Verbreitung von Verschwörungserzählungen. Sie alle tragen seit jeher zum inhaltlichen Grundbestand der extremen Rechten bei und erfahren nun durch die religiöse Rechte eine theologische Akzentuierung oder sogar Aufwertung.

Eine grundsätzliche Herausforderung der Frage nach „verbindenden Feindbildern zwischen extremer Rechter und Christentum“ und damit auch des gesamten Sammelbandes ist das diffuse Untersuchungsfeld. In diesem sind die Grenzen zwischen christlich-konservativ und christlich-rechtsextrem an einigen Stellen bisher nur schwach konturiert und werden von aktuellen Ereignissen sowie Treibern wie der Digitalisierung oder Globalisierung immer wieder neu angefragt. Dieser Umstand trägt zur großen Faszination für Forschungsprojekte wie den „Topoi und Netzwerken der religiösen Rechten“ bei. Gleichzeitig ist die Lektüre von einigen Artikeln des Buches deshalb recht voraussetzungsreich und öffnet den Raum für weiterführende Fragen. Kapitel oder Übersichten, in denen grundlegende Begriffe, Diskursverläufe und Akteure eingeführt und (sofern möglich) abschließend bewertet werden, wären hier für das interdisziplinäre Publikum möglicherweise hilfreich gewesen.

Unabhängig davon ist die Lektüre des Buches vor allem aufgrund der zahlreichen interessanten Fallbeispiele und der unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen sehr zu empfehlen. Das Projekt ist außerdem ein wichtiger Beitrag für die weitere wissenschaftlich-analytische Auseinandersetzung mit dem Zusammenkommen von religiös-christlichen Überzeugungen und extrem rechten Einstellungen. Insbesondere die einleuchtende konzeptionelle Verbindung von Topoi und Netzwerken liefert hierbei wichtige Impulse und lässt weitere spannende Erkenntnisse erwarten.

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Foto: Nico Herzog

Maria Sinnemann

Maria Sinnemann ist Referentin für Demokratiebildung und -förderung bei der Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers.

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