Es gehört zu den großen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte, dass an der Universität nicht nur weiße Männer aus der Bildungsschicht, sondern auch Frauen, Menschen ohne akademischen Familienhintergrund, Menschen mit internationaler Familiengeschichte und Menschen mit Behinderung studieren, forschen und zunehmend wissenschaftliche Karriere machen können. Ich selbst bin als first generation student ein Kind der Bildungsrevolution und konnte einen Berufsweg einschlagen, der für meine Mutter noch undenkbar gewesen wäre. Das ist nicht nur ein individueller Gewinn für diejenigen, die ihre persönlichen Begabungen entfalten können, sondern auch für die Wissenschaft, die dadurch erheblich an Qualität gewinnt und mannigfaltigere und komplexere Perspektiven verfolgen kann. Die moderne Gesellschaft ist eine Leistungsgesellschaft. Oft genug wird das negativ bewertet, aber es bedeutet zugleich, dass nicht mehr nach Kriterien des Standes, der Beziehungen, des Einkommens diskriminiert wird oder werden soll. Das „werden soll“ ist dabei entscheidend – noch längst sind wir nicht am Ziel. Immer noch verhindern Sexismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit, Klassismus, Behindertenfeindlichkeit die freie Entwicklung von Persönlichkeiten und Karrieren.
Der Soziologe Aladin El-Mafalaani hat auf das Paradox hingewiesen, dass gerade in einer Gesellschaft, die auf Gleichheit zielt, Ungleichheit ein großes Konfliktthema ist. Erst jetzt wagen es diejenigen, die zuvor nicht mit am Tisch saßen, einen gleichberechtigten Platz dort einzufordern. So ist es kein Wunder, dass es um die unterschiedlichen Diskriminierungsthemen derzeit viel Streit gibt. Die Medien tun ihrerseits viel dafür, diesen Streit anzufachen, weil nur mit viel Erregung und Übertreibung das kostbare und heiß umkämpfte Gut der Aufmerksamkeit gewonnen werden kann.
Es gehört zu meinen Aufgaben als Prorektorin für Diversität, Empfehlungen für eine gendersensible Sprache an der Universität zu entwickeln. Bei diesem Thema gehen die Wogen besonders hoch. Dabei geht es „nur“ darum, einer gesellschaftlichen Entwicklung und neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung zu tragen. Es geht um eine vernünftige und zugleich praktikable Weise, Frauen, die bislang nur „mitgemeint“ sind, und Menschen, die sich aus unterschiedlichen Gründen als non-binär verstehen, sprachlich abzubilden. Aus der psycholinguistischen Forschung wissen wir, dass maskuline Personenbezeichnungen tendenziell männliche Vorstellungen erzeugen. Das generische Maskulinum funktioniert insofern nicht (mehr) generisch. Grammatik entsteht aus dem Sprachgebrauch, sie ist nicht sakrosankt. Es geht nicht darum, jemandem eine bestimmte Sprechweise vorzuschreiben, sondern darum, sich zu bemühen, die gesellschaftliche Diversität in die Sprache aufzunehmen und solche Bemühungen nicht abzuwerten. Diesem Ziel kann man sich nur annähern. Es gibt noch keine eindeutig überzeugende Lösung. Ich denke, wir sollten diese Diskussion entspannt und tolerant führen, Argumente wahrnehmen und mit Phantasie und Augenmaß ein geschlechtersensibles Sprechen anstreben. Jesus wäre mit seinem Faible für Freiheit und heilsame Grenzüberschreitungen ganz sicher dabei.
Isolde Karle
Isolde Karle ist Professorin für Praktische Theologie an der Universität Bochum.