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Von Gott reden – mit Gott reden

Die Corona-Pandemie hat nicht nur die Frage nach der Rolle der Kirchen, ihrer Präsenz und ihrer Systemrelevanz im Pandemiegeschehen aufbrechen lassen. Es sind auch bohrende Fragen nach Inhalt und Substanz ihrer Botschaft laut geworden. Kirchliche Repräsentanten beeilten sich zu versichern, dass Gott mit dem Covid-Virus nichts zu tun habe, dass man die Pandemie schon gar nicht als Strafe Gottes verstehen dürfe, dass Gott vielmehr immer auf der Seite der Leidenden, der Schwachen und Bedrängten zu finden sei.

Abgesehen davon, dass man gern erführe, woher die kirchenleitenden Religionsexperten das alles so genau wissen, mutet in der Folge jede religiöse Deutung des Geschehens als überflüssig und entbehrlich an. Zu Recht wirft Annette Kurschus, EKD-Ratsvorsitzende und Präses der westfälischen Landeskirche, im vorliegenden Buch die Frage auf, wer hier eigentlich wen retten soll: Gott die Menschen – oder diese Gott? Dass man in der Pandemie „der Wissenschaft“ folgen und vertrauen solle, konnte man auch ohne Gott und Kirche für vernünftig halten. Warum also weiter von Gott reden? Wie von Gott und wie zu ihm reden?

Mit diesen Fragen setzen sich die Beiträge des vorliegenden Bandes redlich auseinander, bei dem es sich gewissermaßen um einen Werkstattbericht aus der Evangelischen Kirche von Westfalen handelt. Sein Ziel ist es, das Gespräch in den Gemeinden und Kirchenkreisen anzustoßen, was auch das dokumentierte Votum des Theologischen Ausschuss der Landeskirche beabsichtigt. Allerdings kann man längst nicht mehr fraglos voraussetzen, dass angesichts der Pandemie überhaupt noch nach Gott gefragt wird, wie der Haupttitel suggeriert. Vielen Menschen sind nicht nur die Antworten auf die sogenannte Gottesfrage, sondern auch diese selbst abhandengekommen. „Die Frage nach Gott wachhalten: Das ist es“, so Kurschus, „was unsere Gesellschaft von der Kirche verlangen kann.“

Einleitend benennen der Bochumer Theologieprofessor Traugott Jähnichen und Vicco von Bülow, westfälischer Landeskirchenrat, die theologischen Fragen und Herausforderungen. Selbstkritisch notieren sie, dass es Kirche und Theologie „nur bedingt gelungen“ sei, „öffentlich wahrnehmbar ‚Beistand, Trost und Hoffnung’ zu vermitteln“. Tatsächlich muss man wohl, wie der Heidelberger Theologieprofessor Thorsten Moos in seinem brillanten Beitrag tut, von einer Fatigue sprechen, die Theologie und Kirche in der Pandemie erfasst hat. Seine „kleine Dogmatik Theologischer Fatigue“ ist ein wahres Kabinettstück.

Eine Besonderheit des Buches besteht darin, die Bedeutung des Gebets in der Pandemie neu bewusst zu machen, als Lob und Dank, aber auch als Klage und (Für)bitte. Gerade so gelte es, „Gott als Gegenüber neu zu entdecken und in die Pflicht zu nehmen“. Über die schöpferische Kraft des Gebets schreibt Kurschus in einem separaten Beitrag, der auf originelle Weise das Märchen von Dornröschen auf die Frage münzt, ob es nach dem Ende der Pandemie ein Zurück zur alten Normalität geben könne oder gar dürfe.

Weitere Beiträge zum Gebetsthema steuern Ralf Stolina und Carsten Haeske bei. Ersterer untersucht das persönliche Gebet, letzterer die Veränderungen des gottesdienstlichen Gebets in der Corona-Pandemie und somit eine öffentlich sichtbare Form religiöser Praxis.

Eine pandemische Weihnachtspredigt von Martin Treichel schließt den vorliegenden Band ab. Ihr Thema: „Ein Gott, der Hilfe braucht.“ Da ist er wieder, der Gott, der in uns und durch uns zur Welt kommen und durch uns das Gute in die Welt bringen wird, von dem man heute oft in der Kirche hört. So liefert der lesenswerte Band am Ende ein schönes Beispiel, an dem sich die von Kurschus aufgeworfene Frage durchspielen lässt: Wer rettet hier eigentlich wen?

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