Souverän

Geschichte christlicher Mission

Jede Gesellschaft handelt aus, woran sie sich erinnert und welche Geschichte ihre Identität bestimmt. Gegenwärtig wird intensiv um eine neue Deutung des Kolonialismus gerungen. Es geht weniger um den Kampf für Gerechtigkeit für die „Dritte Welt“ wie in den 1960er- und 1970er-Jahren, sondern um die Dekonstruktion weithin fortwirkender Rassismen in der westlichen Gesellschaft.

Jede engagierte Geschichtsbetrachtung, so berechtigt ihr Anliegen auch ist, riskiert, wesentliche Entwicklungen auszublenden und der vielschichtigen Interaktion der Akteure nicht gerecht zu werden. Wer etwa die neuzeitliche Missionsbewegung ausschließlich als Variante des Kolonialismus begreift, blendet die Menschen als eigenständig Handelnde aus. Man wird den Christen auf den südlichen Kontinenten kaum gerecht, wenn man sie lediglich als Opfer eines großen Verblendungszusammenhangs begreifen würde. Vielmehr haben ethnologische und historische Studien nachgezeichnet, wie Austausch- und Wandlungsprozesse den Prozess der Christianisierung prägen.

Das Buch von Bernhard Meier Die Bekehrung der Welt greift auf diesen neueren Forschungsstand zurück, ohne den Lesefluss mit theoretischen Diskussionen zu belasten. Das Buch ist ein Glücksfall. Souverän beherrscht es die Fülle des Stoffes, wobei die vorneuzeitliche Missionierung Europas, nicht aber Äthiopiens, Indiens oder Chinas einleitend skizziert wird. Der Professor für Europäische Religionsgeschichte schildert anschaulich, wie die christliche Mission einen kulturellen Transformationsprozess ausgelöst und dieser wiederum auf Europa zurückgewirkt hat. Erfrischender Weise beschränkt sich der in Tübingen lehrende Autor weder auf bestimmte Regionen noch Konfessionen, was zu interessanten Vergleichsmöglichkeiten zwischen katholischen Orden und evangelischen Missionsgesellschaften einlädt. Sein Interesse gilt weniger dogmatischen oder konfessionsspezifischen Gesichtspunkten, sondern den vielschichtigen Verflechtungen zwischen den Akteuren und unterschiedlichen Kontexten. Die Darstellung verschränkt dabei eine geographische Gliederung des Stoffes mit inhaltlichen Gesichtspunkten, was durch eine Aufteilung einiger Regionen auf unterschiedliche Kapitel gelingt. So wird der indische Kontext sowohl in Kapitel drei unter der Überschrift „Missionare, Händler und Gelehrte“, also auch in Kapitel zehn unter dem Thema „Mission als Motor religiösen Wandels“ behandelt.

Besonders erfreulich ist, dass die Darstellung die oft vernachlässigten arktischen Kontexte oder auch Russland miteinschließt. Dies ist nur möglich, weil große Zusammenhänge bündig dargestellt werden und es dem Autor gelingt, seinen ungeheuer komplexen Stoff elegant zu straffen. Er verzeichnet dabei jeweils treu die Aktivitäten der Missionare, was mit der Zeit etwas ermüdend wirken kann. So wird aber deutlich, dass diese anders als etwa Siedler oder Kolonialbeamten ihre ganze Arbeitskraft in das Erlernung der Sprache vor Ort und dem Verfassen von Grammatiken zur Übersetzung der Bibel investiert haben. Die neuzeitliche Missionsbewegung ist im Kern eine Übersetzungsbewegung, die Widerhall in unzähligen Sprachen und religiösen Kulturen gefunden hat.

Am Ende der Lektüre bleibt die Frage offen, wie die Menschen diese biblische Botschaft jeweils im Kontext ihrer eigenen Spiritualität interpretiert haben und wie es seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitergegangen ist. Die Darstellung dieser Missionsgeschichte, die nicht mehr von Europa ausgeht, verlangt einen Fortsetzungsband. Gleichwohl dürfte im Kontext der gegenwärtigen Debatten um das koloniale Erbe und der Bedeutung der Missionen darin, dieses Buch schon jetzt zu einem unverzichtbaren Standardwerk gehören.

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