Mit Spannungen leben

Beim Fall Olaf Latzel hilft (leider) nur Frustrationstoleranz

Gut zwei Jahre hat der Prozess des Bremer Pastors Olaf Latzels eine breitere Öffentlichkeit beschäftigt, mal mehr, mal weniger (siehe Artikel links). Nach dem Freispruch, der vermutlich Bestand haben wird, wird hoffentlich Ruhe einkehren. Möge der ultrakonservative Bremer Pastor sich mit aggressiven öffentlichen Äußerungen, die Beleidigungspotenzial haben, künftig zurückhalten. Aber mögen auch die Happenings, Störaktionen und Gewalttaten gegen die Bremer Martinigemeinde aufhören. Denn solche Aktionen haben nur den Effekt, dass sich das Interesse wieder und wieder auf einen Pastor lenkt, der in einem hölzern-primitiven Biblizismus gefangen ist. Ein Gefangensein freilich, das eines akademisch gebildeten Theologen unwürdig ist, der in einer Landeskirche der EKD Dienst tut. Dass der bremischen Kirche aufgrund ihrer schmalbrüstigen Kirchenverfassung von 1920 in Sachen Lehrbeanstandung enge Fesseln angelegt sind, macht den Fall nochmal schwieriger. Ebenso wie die Tatsache, dass sich der öffentlich artikulierende Teil der Bremer Martinigemeinde bisher sehr einmütig hinter Olaf Latzel versammelt.

Der Zorn und die Empörung vieler über den Bremer Freispruch vom 20. Mai ist verständlich – besonders wenn man den Prozess nur aus der Ferne verfolgt hat. Andererseits kann der um Objektivität bemühte Beobachter beider Prozesse nicht umhin, den Freispruch für gerechtfertigt zu halten, denn für einen Schuldspruch hätte das Landgericht Bremen den alten Rechtsgrundsatz in dubio pro reo („im Zweifel für den Angeklagten“) außer Kraft gesetzt. Und auch wenn einige es in diesem Fall bedauern mögen: Es ist gut, dass es in Deutschland keine Gesinnungsjustiz gibt, auch nicht, um der (guten) Gesinnung zur Durchsetzung zu verhelfen, die Homophobie ächtet und sensibel gegenüber Diskriminierungen in der Vergangenheit ist. In diesem Sinne ist Justitia im besten Sinne blind.Was den Umgang mit Homosexualität angeht, hat sich bei uns in der Gesellschaft und auch in der evangelischen Kirche in den vergangenen Jahren gottlob viel verändert. Dass in allen EKD-Gliedkirchen, von Spezialfällen wie Württemberg und Sachsen abgesehen, Traugottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare problemlos möglich sind – wer hätte das vor zehn Jahren gedacht? Trotzdem gilt in der EKD zum Thema Homosexualität immer noch die Orientierungshilfe „Mit Spannungen leben“ von 1996, in der Homosexualität als defizitär bewertet wird. Da müsste mal etwas Neues her, schließlich gibt es in der biblischen Überlieferung Stellen, die zumindest erklärungsbedürftig sind und die heute sicher noch einmal anders und besser erklärt und bewertet werden können als 1996. Andererseits erscheint es heutzutage kaum denkbar, dass sich die EKD überhaupt offiziell mit einer ethischen Bewertung von Homosexualität beschäftigt. Die Tatsache an sich würden viele als diskriminierend empfinden. Ansonsten hilft in Fällen wie dem von Olaf Latzel letztlich nur seufzende (Frustrations-)Toleranz. Zum Glück gehören Pastoren wie er zu einer absoluten Minderheit. Wegen einiger Unverbesserlicher plötzlich ein evangelisches Lehramt einzuführen, wäre der Kirche der Freiheit nicht würdig. Also weiter diese "Sünde" bekämpfen, aber den "Sünder" (zähneknirschend) tolerieren? Ja, leider.

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