Entdeckung der Empfindsamkeit

Friedrich Gottlieb Klopstock: In Quedlinburg widmet man sich Leben und Werk
Verschiedene Papierinstallationen im Quedlinburger Klopstockhaus.
Foto: Kathrin Jütte
Verschiedene Papierinstallationen im Quedlinburger Klopstockhaus.

Fachwerkhäuser, so weit das Auge reicht, in diesem am Nordrand des Harzes gelegenen Welterbe. Über zweitausend sollen es sein aus achthundert Jahren, so wirbt die Stadt Quedlinburg in ihren Prospekten und im Internet. Da ist es im Häuserensemble nur eine unscheinbare Schrift im reichen Fachwerk, welche die Aufmerksamkeit der Spaziergängerin auf sich zieht: KLOPSTOCKHAUS. Ein Haus mit Fächersonnen, doppelten Schiffskehlen und Flechtbändern geschmückt, Balken in Form von Andreaskreuzen oberhalb des Eingangs.

Lässt sich Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 – 1803) hier verorten? Wer schon einmal in einer Klopstockstraße gewohnt, einen Klopstockweg entlang gegangen oder einen Platz mit diesem Namen überquert hat, den wird es hineinziehen. Unterhalb des Schlossberges in das über vierhundert Jahre alte Fachwerkgebäude Am Schlossberg 12, in dem der Dichter im Juli vor fast dreihundert Jahren das Licht der Welt erblickte.

Wie begegnet man Friedrich Gottlieb Klopstock, dem Dichter und Aufklärer heute? Zwei Ebenen hat das Haus. Eine Treppe führt in den ersten Stock, hier trifft man zuerst auf die Porträts seiner Eltern. Ihr Ältestes von 17 Kindern wurde hineingeboren in ein Haus mit tief vom Protestantismus geprägter Frömmigkeit. Friedrich besuchte nach dem Gymnasium die Fürstenschule Pforta und studierte ab 1745 in Jena, später in Leipzig Theologie. Man sieht Anrichte, Spinett, einen Tisch, die bürgerliche Wohnkultur im 18. Jahrhundert. Und man findet den „Messias“ aus dem Jahr 1773. Mit ihm begründete Klopstock früh seinen Ruhm. Als „Nationalepos“ geplant, hatte er den Stoff der Bibel gewählt: Gefangennahme, Hinrichtung, Auferstehung und die Himmelfahrt Christi bildeten das Handlungsgerüst der zwanzig Gesänge. Zu seiner Zeit begleitete diese Lektüre viele Menschen durch die Passions- und Osterzeit. Was uns heute, 250 Jahre nach dem Erscheinen, verschachtelt und auch pathetisch erscheint, traf den hohen Ton am Übergang zur Klassik. Russische, lateinische, englische, schwedische, isländische, ungarische Übersetzungen dokumentieren in der Ausstellung diese umfangreiche Wirkungsgeschichte.

Klopstock reformierte die Dichtkunst im Zeichen des empfindsamen Gefühls. Der Reimerei setzte er das von leidenschaftlichem Fühlen, Denken und Wollen erfüllte Gedicht entgegen und schuf seine eigene dichterische Sprache. „Der Dichter trat in Konkurrenz zum Prediger, das Gedicht in Konkurrenz zur Bibel“, schreibt der Quedlinburger Klopstockverein. Mit seinen Gedichten, Oden, Elegien und Hymnen gestaltete er eine dichterische Leistung zur Entwicklung der klassischen Literatur. In Glasvitrinen ruhen neben Teilen des handschriftlichen Nachlasses in Originalen und Abschriften die Gesamt- und Einzelausgaben seiner Werke. Dazu Äußerungen in der deutschsprachigen und europäischen Literatur wie Herders Nachruf, Schillers Urteil über Klopstock oder Christian Dietrich Grabbes bissiger Kommentar in Scherz, Satire, Ironie. An den Wänden eine Vielzahl zeitgenössischer Porträts, Lithografien und Scherenschnitte. Sie zeigen ihn hoch zu Ross oder auf dem Weg zum Eislauf.

Was bleibt von Klopstock? „Ein wunderbar inspirierender Poet für diejenigen, die sich auf ungewöhnliche Versformen, Metaphern und Empfindsamkeit einlassen – und für uns eine stete Herausforderung, seine Lebensleistung und seine Stellung in der deutschen Literatur und Dichtung den Quedlinburgern und ihren Gästen lebendig zu vermitteln“, erklärt Museumsfrau Ute Siebrecht.

Denn wenn der Dichter auch zu seiner Zeit ein Modernisierer war, in der Gegenwart ist er fast in Vergessenheit geraten. Schöpferische Ausstellungen und Exponate im Erdgeschoss beleben deshalb das Klopstockhaus aufs Neue. So kommen neben dem Dichter zwei weitere Quedlinburger Zeitgenossen zu Wort und zu Papier: die Ärztin Dorothea Christiane Erxleben (1715 – 1762) und der Pädagoge Johann Christoph Friedrich GutsMuths (1759 – 1839). Auf großformatigen Bannern sind von Hand zeitgenössische Zitate über das Verhältnis zum Körper verschriftet. Dazwischen lädt ein Fotopunkt mit mannshoch drapierten Papierperücken zum Schnappschuss ein. Und Kartons mit Taschentüchern, auf denen literarische Szenen des Weinens zu lesen sind. Zwischen alldem finden sich in einer Vitrine: Klopstocks Schlittschuhe. Denn was heute kaum noch jemand weiß: Er machte das Schlittschuhlaufen in Deutschland populär. Mit Gefühl auf dem Eis. 

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kultur"