Positionalität

Über den Religionsunterricht

Der konfessionelle Religionsunterricht (RU) steht mit dem Rücken zur Wand, in erster Linie der Konfessionsstatistik wegen. In der vor wenigen Jahrzehnten noch mehrheitlich protestantischen Mittelstadt, an deren Berufsschule ich unterrichte, zählen nurmehr gut zwanzig Prozent der Bevölkerung zur evangelischen Kirche. Eine konfessionsgebundene Gruppe von Schülerinnen und Schülern, mit denen sich ein „evangelischer“ RU im Sinne verfassungsmäßiger Vorgaben aufziehen ließe, gibt es nicht mehr.

Welche Chancen ein RU hat, der nicht nur religionskundlich informieren, sondern Begegnungen mit gelebtem Glauben stiften und existenziell „bilden“ will, hat ein Team der Universität Halle/Saale untersucht. Die empirischen Befunde, im Land Sachsen-Anhalt erhoben, stimmen nachdenklich, doch keineswegs nur pessimistisch.

Getauft ist von den am RU Teilnehmenden nur die Hälfte – was im Umkehrschluss bedeutet, dass zumindest an Gymnasien eine erkleckliche Zahl junger Menschen ohne förmliche Kirchenbindung das inhaltlich von der Kirche verantwortete Unterrichtsangebot wahrnimmt. Versteht man ihn als „Kirche in der Schule“, schafft der RU kirchlichen Akteuren folglich mehr gesellschaftliche Resonanz als der Alltag vieler Kirchengemeinden.

Innerhalb der Pädagogenschaft allerdings scheint der Beitrag religiöser Bildung zum Gesamtbildungsauftrag nicht umfassend akzeptiert zu sein. Religionslehrkräfte sehen sich mit ihren spezifischen Zugängen zu Mensch und Welt zuweilen weder ernst genommen noch im pädagogischen Gesamtkonzept abgebildet.

Hier fragt sich, ob die Kirche kommunikative Möglichkeiten genügend nutzt, um ihrem rechtfertigungstheologisch fundierten Verständnis des Menschen gesellschaftlich Gehör zu verschaffen. Gerade im Zeichen von Ökonomisierung und Digitalisierung wäre die Kirche der Reformation gefordert, für ein Menschenbild der freundlichen Fehlerkultur vernehmlich einzutreten. Die so umrissene Per­spektive ist, folgt man der Studie, in der Schule nicht recht „angekommen“. Wenn aber nicht erkennbar ist, wofür „Kirche“ im Unterschied zu Moralisierung und „Perfektionierung“ steht, erhebt sich die Frage nach ihrer öffentlichen Berechtigung auf ganz natürliche Weise.

Beachtenswert sind viele empirische Einzelergebnisse: So nennen mehr männliche als weibliche Schüler ihren persönlichen Glauben als Grund für die Teilnahme am RU. Die vom übrigen Unterrichtsgeschehen abweichende Methodik und Atmosphäre des RU spricht Lernende der Sekundarschulen stärker an als Gymnasiasten; auch schreibt ein höherer Anteil der Sekundarschüler den vermittelten Inhalten eine Relevanz für das eigene Leben zu, obwohl ihre Kirchenbindung statistisch geringer ist. Zurecht warnen die Autoren der Studie daher vor sozialen oder genderpolitischen Klischees. „Unterhalb“ der Gymnasialebene ist eine besondere kirchliche Bildungsanstrengung zu wünschen.

Aufhorchen lässt zudem der Befund, dass Schülerinnen und Schüler sich deutlich öfter als „gläubig“ charakterisieren denn als „religiös“. Die persönliche Gottesfrage scheint virulenter als das Bedürfnis, sich in einer Kultur oder Institution wiederzufinden. Für Lehrende hebt die Studie mit Recht hervor, wie unerlässlich religionspädagogische Professionalität den Anspruch einschließt, eigene Standpunkte transparent zu kommunizieren und so zum authentischen Gegenüber zu werden. Religiös zu bilden, setzt eine reflektierte Positionalität voraus, an der sich Mündigkeit entwickeln kann.

In ernster Situation werden jene, die „Kirche in der Schule“ repräsentieren, daran erinnert, was sie sein dürfen: persönliche Zeugen des Glaubens.

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