Alt-neue Zeiten

Gesangswunder Meschiya Lake

Dass Madonnas Schwager, der religionskritische Musiker Joe Henry, die Kinder zum Bibellesen anhielt, da sie William Shakespeare und Bob Dylan sonst bloß halb verstehen, wurde an dieser Stelle bereits erzählt. Aber nicht, was er weiter sagte: „Ich gebe ihnen eine Duke-Ellington-Platte und sage: ‚Hier sind Bibel und Duke Ellington – it’s all in there somewhere.‘“ Alte weiße Männer reden, ließe sich nun wohlfeil woke mokieren. So what.

Außerdem stimmt der Duke, ohne dass es das bräuchte, auf das Album Looking The World Over von Meschiya Lake & The New Movement ein, das mit 30er Old Time Jazz brilliert. Die famose Trikont-Compilation „Dope & Glory: Reefer Songs der 30er- und 40er-Jahre“ täte das aber auch, zumal eins der sieben Traditionals, die Lake dafür auswählte, The Reefer Man ist, bekannt vor allem in Cab Calloways Cotton-Club-Versionen und über den, „der mit dem Joint tanzt“ – Kiffer also, die es im Milieu seinerzeit reichlich gab, Satchmo inklusive.

Zwei Eigenkompositionen kommen hinzu: das Lakes Tochter gewidmete „My sweet little girl from New Orleans“, in dem ihre Stimme vom Dunklen bis ins Kieksen schraubt. Klarinette, Posaune, Trompete fallen ein, Bass und Drums stapfen, die Gitarre malt Miniaturen. Und „The place I call home“ – ein Funeral March, der stets in den Ausbruch zu kippen scheint, es aber nicht tut. So hallt es als Hymne nach und lässt ihr New Movement-Ensemble aus sieben internationalen Jazzern mit Gefühl und Augenzwinkern auftrumpfen, bis der Song zum Ohrwurm wird.

Die Platte eröffnet Duke Ellingtons „I got it bad (and that ain’t good)“ über eine asymmetrische Liebesbeziehung, inszeniert als eine Barpianoballade, in der zu geschrubbter Gitarre aber nur das Saxophon melancholisch ist. Fickerig folgt ein Ragtime-Stomp, dessen Wucht an Rock’n’Rolling grenzt. Einziger Ausreißer aus dem Epochenkolorit ist „Enjoy yourself (it’s later than you think)“, das sie als Rocksteady darbieten. Das habe sich im Studio ergeben. Des Weiteren noch ein Jimmie-Rodgers-Song, erotisch treibender Jive und, ganz herausragend, der Memphis-Minnie-Blues „Looking the world over (we enjoy good things!)“, den sie schwelgerisch auskosten.

Berauschend mittendrin Lakes Stimme: schmerz- wie lustgetauft, vor Staunen und Begreifen leise, in Trauer und Begehren sonor, stets mit viel Respekt für das Songmaterial und seine Geschichte. Kurzum, New Orleans’ Storyville, wie es leibt und lebt, zumindest in nostalgischer Phantasie – aber quicklebendig. Alte Themen ganz gegenwärtig, jung, retro jedenfalls nicht.

Es begeistert, wie zwingend und selbstverständlich Meschiya Lake das diesseits vom Gängigen auf die Beine stellt. Als sagten wir uns angesichts eingestandener wie ausgelebter Sünde Wahres und Liebes. Wie das Leben eben ist. Lake gilt als umwerfende Performerin. Hier bekommen wir einen Vorgeschmack, der für sich selber steht.

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