Früher tüftelte Brian Harper an Erfindungen für das Militär oder Atomkraftwerke. Jetzt restauriert er historische Gaslaternen und erfindet andere Dinge. Etwa eine Mini-Biogasanlage für die Hinterlassenschaften von Hunden.
Malvern in der Grafschaft Worcestershire sieht aus wie England aus dem Bilderbuch. Cottages mit Moosplacken auf den Dachschindeln. Markante Schornsteine, aus denen der Rauch von Holzfeuern in den Himmel quillt. Anglikanische Kirchen aus Naturstein. Pubs mit Namen wie „The Crown“, „Hunter‘s Room“ oder „Three Horseshoes“, gepflegte Rasenflächen, Stechpalmen sowie – natürlich! – rote Telefonzellen und Briefkästen aus Gusseisen. Der Weg zu Brian Harper führt eine schmale, steile Straße hinauf. Der Siebzigjährige steht auf einer Leiter vor seinem Cottage und fummelt an einer Gaslaterne. Die Brille hat er über den Kopf mit dem grauen Haarkranz geschoben. Seine rauen Hände mit den schwarzen Rändern unter den Fingernägeln bezeugen, dass Harper öfters Hand an Gerätschaften legt. Nach einigem Getüftel leuchtet die Laterne. Zufrieden nickend steigt Harper von der Leiter. Dann grinst er und zeigt in Richtung Werkstatt: „Welcome to Wunderground, we are the three Gasketeers.“ Vor der Werkstatt sitzen seine beiden Mitstreiterinnen, Lynn Jones und Julien Salter, in der Wintersonne auf einer Bank und trinken Tee.
Die spinnen, die Briten? Brian Harper belehrt uns eines Besseren: „Ich bin nicht der verrückte Erfinder, für den Sie mich vielleicht halten mögen.“ Die drei Gasketeers basteln, tüfteln und erfinden, was das Zeug hält. Aber verrückt? Ihr Geld verdienen sie in der Hauptsache mit Gaslaternen, daher der Name. Von dieser Leidenschaft zeugt eine historische Sammlung, die aufgereiht vor dem Haus steht, darunter Art-déco-Modelle von 1905 aus Berlin oder die Kobrakopflampe aus Düsseldorf, der Hauptstadt der historischen Straßenbeleuchtung mit 14 000 Gaslaternen. Auch in Großbritannien leuchten noch viele historische Gaslaternen. Brian Harper zeigt ein Exemplar mit einer Zeitschalt-Uhr zum Aufziehen. „British Gas beschäftigt in London noch sechs Mitarbeiter, die in der Stadt herumlaufen, um sich um die Wartung der Gaslaternen zu kümmern und diese Uhren aufzuziehen.“
Nachdem die drei Tüftler vor einigen Jahren die Verwaltung Malverns davon überzeugt hatten, die lokale Straßenbeleuchtung mit Gaslaternen zu erhalten, anstatt sie durch elektrisches Licht zu ersetzen, haben sie im Auftrag der Gemeinde mehr als einhundert Exemplare instandgesetzt und zu mehr Energieeffizienz verholfen. Nun sind sie gerade mit der Restaurierung und Pflege sämtlicher historischer Gaslaternen in Nottingham und Bristol beschäftigt. „Die goldgelbe Beleuchtung mit Gas ist angenehmer für die Augen und sorgt für weniger Lichtverschmutzung“, erklärt Brian Harper.
Berühmt aber sind die drei Gasketeers für eine ganz andere technisch-soziale Entwicklung. Sie steht an der Grundstücksgrenze, eine mit Kunstrasen bedeckte Kiste aus grünen Holzplatten und Fiberglas. Im Inneren ein System aus Rohren, Stutzen, Gewindeschnecken, Tanks und Hähnen, das durch eine Einfüllklappe in der Außenseite befüttert wird mit – nun ja – Hundescheiße. Die Engländer haben mit dog poo einen weniger groben Begriff dafür. Mit etwas Wasser verquirlt fermentiert diese in dem Behälter. So entsteht Methan. Und damit brennt die Gaslaterne, die Harper gerade entzündet hat. Ungefähr dreißig Papiertüten mit Hundekot pro Tag genügen für eine Stunde Licht. Aber darum geht es nur am Rande. Seit der Pandemie hat die Zahl der Hunde in Großbritannien um zwanzig Prozent zugenommen. Ihr Kot sowie die auch in England verbreiteten schwarzen Plastiktüten zum Einsammeln werden zunehmend zum Problem. „Durch die energetische Nutzung erkennen die Hundebesitzer den Wert der Hinterlassenschaften ihrer Tiere“, erklärt Brian Harper. Und entfernen diese wirklich von Wegen, Wiesen und Straßen. Manche trainieren sogar ihre Hunde dazu, ihr Geschäft möglichst nah an der Mikro-Biogasanlage zu erledigen. Andere steuern sie mit sechs Hunden im Schlepptau an. „Wir dachten schon, wir müssen die schmale Straße verbreitern lassen.“
In die Offensive
Die Idee dazu stammt ursprünglich von einer Kunststudentengruppe am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Brian Harper hat sie mit finanzieller Unterstützung der Landschaftsschutzbehörde Malvern Hills Area of Outstanding Natural Beauty umgesetzt. Mit seiner Mini-Biogasanlage hat der Elektroingenieur es schon bis in den Guardian und ins japanische Fernsehen gebracht. Das Ganze aber ist kein Scherz. Mit seiner Firma Sight Designs will Harper die Anlage an Gemeinden, Parkverwaltungen oder Landschaftsvereine verkaufen. Vor kurzem haben die drei Gasketeers eine Verkaufsbroschüre fertig gestellt, mit der sie nun in die Offensive gehen wollen.
Die Produktion und Nutzung von Biogas in Mikro-Anlagen wird bislang vor allem in den so genannten Entwicklungs- und Schwellenländern praktiziert, auf Kuba, in Indien, Kenia, Kambodscha oder Vietnam. Dort gewinnen Kleinbauern in mit Plastikplanen abgedeckten Gruben oder kleinen, gemauerten Fermentern aus dem Dung ihrer Schweine oder Kühe Methan zum Kochen oder für die Beleuchtung ihrer bescheidenen Behausungen. In den Industrieländern kennt man die Biogastechnologie eher in Form großer, grüner Kuppeln, die mit Energiepflanzen, Abwässern, organischen Abfällen oder Tierdung gefüttert werden. Das so gewonnene Methan wird zur Stromerzeugung genutzt und seit einigen Jahren auch ins Netz gespeist, um fossiles Gas zu ersetzen.
Drei Jahre haben Brian Harper und seine Gasketeers an ihrer Kleinanlage getüftelt. Nun gibt es sie mit einem optimierten Rührwerk für die Zerkleinerung und Verquirlung von Kot und Papiertüten, mit Schutz gegen Vandalismus, einem Stromanschluss für die für den Gärprozess notwendige Wärme sowie WLAN zur Fernüberwachung.
Die Entwicklungs-Werkstatt befindet sich in dem flachen Vorbau des Cottages. Auf den Regalen stapeln sich Schachteln mit Kabelbindern, Schrauben, Muttern und Klemmen neben Aktenordnern, Oszillographen, Kamerasystemen, Sensoren, Kabeln, Kopfhörern, Lötkolben, Schraubendrehern und alten Bildschirmen. Chaos herrscht hier nur auf den ersten Blick. Brian Harper und seine Mitstreiterinnen verstehen etwas von ihrem Fach. Lynn Jones ist zwar eigentlich Lehrerin, aber die unangefochtene Expertin für Gaslaternen. Julien Salter hat als Techniker Warnlichtsysteme für Flughäfen entwickelt. Nun entwirft er am Laptop Controllerboards, Schaltkreise und vieles anderes für die Erfindungen Harpers. „Ich setze um, was Brian sich ausdenkt“, sagt er und lächelt bescheiden.
Brian Harper selbst ist auf einer Farm nur 15 Kilometer von seinem jetzigen Wohnort aufgewachsen. „Bis zu meinem sechsten Lebensjahr hatten wir weder Strom noch Telefon.“ Trotzdem bastelte er bereits im Alter von zwölf Jahren ein Transistorgerät, mit dem ihn seine Mutter zum Essen rufen konnte. Ein Stipendium an der Hochschule der britischen Armee ermöglichte die Ausbildung zum Beruf seiner Berufung. Harper zeigt alte Schwarzweiß-Fotos aus den frühen 1970er-Jahren, auf denen er mit Cordhosen und langen Haaren zu sehen ist, umringt von streng dreinblickenden Herren in Uniform, die gebannt auf ein klobiges Kamerasystem starren, das ihnen dieser Hippie erklärt. 13 Jahre später quittierte er den Dienst beim Militär und gründete seine eigene Firma. Harper entwickelte Kamerasysteme für Filmstudios in Hollywood oder für die Feuerwehr, Nachtsichtgeräte für das Militär oder Überwachungsinstallationen für Atomkraftwerke auf der ganzen Welt.
Bis ihm eines Tages klar wurde, dass er bei seinem Stresspegel nicht lange leben würde. Also verkaufte Harper 1997 die Firma und zog in das Haus mit Grundstück in Malvern, das er zehn Jahre zuvor gekauft hatte. Wie ein Maulwurf hat er inzwischen die Werkstatt Raum für Raum unterirdisch in den Hang erweitert. „Welcome to Middle Earth“, lädt er mit Bezug zum „Herrn der Ringe“ zum Rundgang und schmunzelt. „Die meisten Menschen in Malvern ahnen nicht, was hier vor sich geht.“
Große Baustelle
Auf Tolkiens Kontinent scheint alles einen Platz zu finden, was Tüftler irgendwann vielleicht mal brauchen könnten, ob Schweißgerät, Drehbank, Fachliteratur, Generator, Taschenmesser, Blechschneider, Kabelschuhe, Schaltpläne, Spannungsmessgerät, Bohrmaschine, Lüsterklemme, Kompressor oder Kreissäge. „Jetzt sind wir unter dem Haus“, sagt Brian Harper und führt über eine knarrende Holztreppe nach oben. Auch hier sieht es auf den ersten Blick nicht wirklich aufgeräumt aus. Das Haus ist eine große Baustelle mit nur wenigen bewohnbaren Quadratmetern. Brian Harper hat verschiedene Versuche aufgebaut, etwa um einfallendes Sonnenlicht zum Heizen zu nutzen. „Mein ganzes Haus ist ein großes Experiment in Sachen Energieeffizienz.“ Das dient der neuesten Geschäftsidee von Brian Harper und seinen Mitstreitern: Energieberatung für Hausbesitzer, ein in Großbritannien mit seinen alten Heizungen und schlecht isolierten Gebäuden noch weithin unbespieltes Feld.
Auch mit dem Thema Biogas aus Hundekot sind die Gasketeers noch lange nicht fertig. Warum die Mikroanlage nicht zusätzlich mit Küchenabfällen befüttern und das Methan zum Kochen benutzen? „Cooking your hot dog with dog poo.“ Brian Harper giggelt. „Hundebesitzer werden das lieben.“ Vielleicht spinnen sie doch, die Briten. Zumindest ein bisschen.
Martin Egbert
Martin Egbert ist Fotograf. Er lebt in Tecklenburg.