Maximale Freiheit
Um Intersektionalität und die Infragestellung einer binären Geschlechterordnung drehen sich heute die Konflikte im Feminismus. Sie werden in den Medien und im Internet lautstark und unerbittlich ausgetragen. Die Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp beschreibt Brüche und Diskrepanzen.
Feminismus kann ganz schön kompliziert sein. Die Herausgeberin von EMMA Alice Schwarzer zum Beispiel gilt vielen gar nicht mehr als richtige Feministin. Feminist*innen sind heute auch nicht mehr nur Frauen (deshalb das Sternchen), sondern alle möglichen Geschlechter. Und schließlich ist Feminismus unbedingt intersektional, was auch immer das sein soll. Kein Wunder, dass sich manche nach den guten alten Zeiten zurücksehnen, als es einfach um Gleichberechtigung ging. Das war ein schlichtes, nachvollziehbares Ziel. Aber jetzt? Überall Fettnäpfchen.
Der Blick zurück ist allerdings wie so oft auch hier verklärend. Alice Schwarzer war schon in den 1970er-Jahren unter Feministinnen höchst umstritten, und nicht mal die Sache mit der Gleichberechtigung war früher so simpel, wie es uns heute erscheint: 1918 sprachen sich etliche Frauenrechtlerinnen gegen das allgemeine Wahlrecht aus, zum Beispiel im Deutschen Evangelischen Frauenbund. Was sich aber wirklich geändert hat, das ist die Sachlage: Wir sind die erste Generation, in der die formale Gleichstellung von Frauen und Männern im Großen und Ganzen verwirklicht ist. Der Kampf gegen offensichtlich zutage liegende Diskriminierungen fällt also tendenziell weg – und damit ein wichtiges Band, das die Frauenbewegung trotz aller Unterschiede bislang einte.
Sichtbare und laute Debatten
Was sich außerdem geändert hat: Innerfeministische Konflikte sind ein Gegenstand des öffentlichen Interesses geworden. In den 1970er-Jahren interessierte sich außerhalb von Frauenzentren niemand dafür, worüber Feministinnen untereinander stritten. Heute werden diese Debatten in reichweitenstarken Medien und im Internet für alle sichtbar ausgetragen.
Worum aber drehen sich die Konflikte zwischen verschiedenen Strömungen des Feminismus? Im Kern geht es um die Frage, wer das Subjekt feministischer Positionen ist und wessen Interessen dabei vertreten werden sollen. Mehr als früheren Generationen ist heutigen Feminist*innen bewusst, dass nicht alle Frauen dieselben Anliegen haben und es deshalb problematisch ist, wenn jemand im Namen der Frauen sprechen will.
Die Wurzeln dieser Erkenntnis liegen bereits in den frühen 1980er-Jahren. Schwarze Aktivistinnen in den USA kritisierten damals die Dominanz weißer bürgerlicher Frauen in der Frauenbewegung. Statt als „Feministinnen“ bezeichneten sich manche von ihnen daher als „Womanistinnen“ – ein Begriff, den die Schriftstellerin Alice Walker 1979 in einem Aufsatz prägte („schwarz“ und „weiß“ bezeichnen hier keine Farben, sondern gesellschaftliche Zuschreibungen und Machtpositionen).
Immer mehr Frauen of Color – ein Begriff, der neben Schwarzen auch andere nicht weiße Frauen einschließt, zum Beispiel solche mit asiatischen, lateinamerikanischen Herkünften – wiesen darauf hin, dass viele Themen der traditionellen Frauenrechtsbewegung vorwiegend die Anliegen einer bestimmten Gruppe wiedergeben. Zum Beispiel beim Thema Abtreibung: Dass eine Frau möglichst viele Kinder bekommen und jede Schwangerschaft austragen soll, wird als gesellschaftlicher Anspruch vor allem an weiße Frauen herangetragen. Schwarze und migrantische Frauen hingegen sehen sich dagegen häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würden zu viele Kinder bekommen. Deshalb, so der Einwand, müsse Feminismus nicht nur für einen Zugang zu sicheren und legalen Abtreibungen eintreten, sondern genauso für das Recht jeder Frau, Kinder zu bekommen, wenn sie möchte, und diese in sicheren und unterstützenden Gemeinschaften großzuziehen. Kritik an einer Dominanz weißer bürgerlicher Perspektiven im Feminismus wird aber schon sehr lange geübt. So begehrten im 19. Jahrhundert Arbeiterinnen und sozialistische Feministinnen gegen die Fokussierung der bürgerlichen Frauen auf das Wahlrecht auf – für viele von ihnen waren niedrige Löhne und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse drängendere Probleme. Auch in der feministischen Theologie gab es solche Debatten: Mitte der 1980er-Jahre kritisierten jüdische Theologinnen wie Susannah Heschel, dass Christinnen Jesus als angeblich „neuen Mann“ feierten, indem sie seinen kulturellen Hintergrund, also das Judentum, als inhärent patriarchal und frauenfeindlich darstellten.
In einer strukturell patriarchalen Welt sind zwar alle Frauen qua Frausein benachteiligt, aber im konkreten Fall kann das nun einmal sehr Unterschiedliches bedeuten. Diese „Überkreuzung“ unterschiedlicher Diskriminierungsachsen hat die Juristin Kimberlé Crenshaw 1989 erstmals unter dem Begriff der „Intersektionalität“ zusammengefasst, der heute zum Standardrepertoire feministischer Theoriebildung und Debatten gehört. „Intersektionaler Feminismus“ bedeutet, dass geschlechtsbezogene Diskriminierungen nicht isoliert betrachtet werden, sondern als in andere soziale Fragen eingebettet. Statt „Alle Frauen sind Schwestern“ zu skandieren, fragen intersektionale Feminist*innen danach, welchen Frauen bestimmte Maßnahmen tatsächlich zugutekommen und welchen nicht.
In Deutschland ist das Thema vor allen in Hinblick auf antimuslimische Ressentiments und ökonomische Ungleichheit von Bedeutung. Als etwa nach der sexualisierten Gewalt in der Silvesternacht 2016 „nordafrikanische“, islamische Kulturen für die Männergewalt verantwortlich gemacht wurden, waren muslimische Frauen davon auf andere Weise betroffen als Nicht-Musliminnen. Oder, ein anderes Beispiel: Wenn berufstätige Eltern in Form eines einkommensabhängigen Elterngeldes unterstützt werden, profitieren wohlhabende Familien von dieser teils als feministisch ausgegebenen Maßnahme deutlich mehr als arme Familien.
Queer bedeutet schräg
Um ein differenzierteres Verständnis vom Subjekt „Frauen“ dreht sich auch ein zweites aktuelles Konfliktfeld, nämlich die queerfeministische Infragestellung einer binären Geschlechterordnung aus Männern und Frauen. Das Wort queer bedeutet so viel wie „schräg, aus der Norm fallend“ und hat sich seit den 1990er-Jahren als Überbegriff für eine grundlegende Hinterfragung traditioneller Bedeutungen von Geschlecht herausgebildet. Es ist, mit anderen Worten, gar nicht mehr so klar, welcher Mensch eine Frau ist und welcher ein Mann.
Angefangen hat das schon mit der Akzeptanz von Homosexualität als „normaler“ geschlechtlicher Orientierung. Denn nach dem traditionellen Geschlechterverständnis begehren „richtige“ Frauen und Männer per Definition das jeweils andere Geschlecht – frauenliebende Frauen galten früher als „Mannweiber“, männerliebende Männer als verweiblicht. Die so genannte zweite Welle der Frauenbewegung brach in den 1970er-Jahren mit diesem Modell. Frauen verstanden sich nun nicht mehr als Menschen, die vor allem auf das Männliche bezogen sind. Daraus entstanden lesbische Paarbeziehungen als Lebensformen (die so genannten Politlesben) sowie eine politische Praxis und Kultur, bei der Frauen sich in allen Belangen aufeinander bezogen statt auf Männer und die Adrienne Rich als „lesbisches Kontinuum“ bezeichnete.
Es war die Zeit des Separatismus als politische Praxis: Männer wurden aus Frauenräumen ausgeschlossen, damit die Frauen untereinander ein von der männlichen symbolischen Ordnung unabhängiges Selbstbewusstsein entwickeln konnten. Dieses so genannte Consciousness Raising war eine äußerst wichtige und erfolgreiche Strategie, allerdings hatte sie auch Nebeneffekte, die sich später als problematisch herausstellten. Zum Beispiel hatte der biologische Körper nun eine viel größere Bedeutung für das Verständnis von Geschlecht: Wenn Frauen so frei sind, dass sie weder an ihrer Kleidung noch an sexuellem Begehren oder stereotypem Verhalten zu erkennen sind – was macht eine Frau dann zur Frau? Es bleiben nur Vagina und Uterus.
In der Folge wurde die Unterscheidung zwischen „Sex“, also reproduktiver Körpervariante, und „Gender“, der sozialen Geschlechterrolle, zur zentralen Argumentation großer Teile der Frauenbewegung. Bis 1990 dann Judith Butler in ihrem Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“ diese strikte Trennung wieder in Frage stellte und damit zur Ikone des späteren Queerfeminismus wurde: Butler zeigte, dass Biologie und Soziales in der Realität unweigerlich in einem großen Durcheinander miteinander verwoben sind. Die Mehrheit heutiger Feministinnen ist der Überzeugung, dass Frausein uneindeutig bleibt und sich nicht restlos definieren lässt, genauso wie Geschlecht generell. Queerfeministische Aktivist*innen stellen die Gegenüberstellung von männlich und weiblich als ordnendes Prinzip von Geschlechterbeziehungen grundsätzlich in Frage. Statt weiterhin davon auszugehen, dass es auf der biologischen Ebene (Sex) eine eindeutige Zweiteilung gäbe, während auf der sozialen Ebene (Gender) jede geschlechtliche Zuordnung abgeschafft werden müsse, schlagen sie vor, die Kategorien als solche zu hinterfragen und in der politischen Praxis ganz konkret zu untergraben.
Was die Biologie betrifft, so bedeutet das, uneindeutigen Körpervarianten mehr Aufmerksamkeit und auch praktische Akzeptanz zukommen zu lassen – etwa im Kampf gegen Operationen an intersexuellen Babys, die nicht mehr als Korrektur eines biologischen Fehlers, sondern als Genitalverstümmelung verstanden werden. In kultureller Hinsicht bedeutet es, die geschlechtliche Interpretation der eigenen Existenz als subjektives Persönlichkeitsrecht anzuerkennen, wie im Entwurf für ein neues Transsexuellengesetz.
Diese Debatten sind auch eine Reaktion darauf, dass der gleichstellungspolitische Versuch, einengende Geschlechterstereotypen abzuschaffen, nicht von Erfolg gekrönt war, um es vorsichtig auszudrücken. Das Versprechen, mit der Emanzipation auch eine Annäherung von Weiblichkeit und Männlichkeit hervorzubringen, wurde nicht eingelöst, im Gegenteil: Die Hölle der hellblau-und-rosa Geschlechterklischees durchzieht die Alltagswelt heute sogar fast noch mehr als in den 1980er- Jahren. Menschen können gesellschaftlichen Geschlechterstereotypen nach wie vor ebenso wenig entgehen wie ihrer biologischen Kategorisierung aufgrund des Aussehens ihrer Genitalien. Dagegen, so die queerfeministische Position, hilft nur maximale Freiheit bei der persönlichen Navigation durch diese Welt.
Weiterhin gibt es allerdings auch viele Feministinnen, die an der rein biologischen Definition von Geschlecht festhalten. Sie werden manchmal – durchaus despektierlich – als „TERFS“ bezeichnet, als „Trans Exclusionary Radical Feminists“, sie selbst bezeichnen sich meist schlicht als „Radikale Feministinnen“. Tatsächlich stellen sie nicht per se in Frage, dass es Transgeschlechtlichkeit gibt, also Menschen, die sich trotz eindeutiger körperlicher Merkmale nicht dem entsprechenden Geschlecht zugehörig fühlen. Doch sie beharren darauf, dass der Wechsel von Geschlechtsidentitäten nur in Einzelfällen stattfinden sollte und einen echten Verwandlungsprozess erfordert, der auch eine körperliche Transformation beinhaltet, also Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen. Und auch dann, so betonen sie, seien trans Frauen nicht restlos weiblich, weil sie eben eine männliche Sozialisation durchlaufen hätten.
Hohe gesellschaftliche Relevanz
Diese innerfeministischen Debatten werden oft mit harten Bandagen ausgefochten. Es handelt sich hier aber auch um Themen von hoher gesellschaftlicher Relevanz, denn es geht ja um nicht weniger als darum, am Ende des Patriarchats eine neue symbolische Ordnung zu entwickeln. Über Jahrtausende war sozial verankert, dass Männer qua Definition Vormacht und Vorherrschaft über Frauen haben. Wenn wir dies nicht mehr wollen – und es gibt selbst ganz Rechtsaußen kaum noch Stimmen, die das im Grundsatz bestreiten –, dann muss sich kulturell mehr verändern, als dass wir ein bisschen Emanzipation einführen. Es geht dabei ans Eingemachte: Wer hat das Recht, festzulegen, was Männer und Frauen sind und was das für die einzelnen Personen bedeutet? Der Staat? Die Kirchen? Die Naturwissenschaft?
Feminismus streitet sich um menschenrechtliche Fragen, die alle Menschen betreffen. Sie sind von grundsätzlicher Bedeutung für die persönliche Identität, und das heißt auch: Es lohnt sich durchaus, darüber hart zu ringen.
Antje Schrupp
Dr. Antje Schrupp ist Journalistin und Politologin. Sie lebt in Frankfurt/Main.