Ökumenische Herausforderung

Der Krieg in der Ukraine und die Kirchen Europas
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Der Ukrainekrieg bringt nicht nur großes Leid über viele Menschen und stellt Europa und die Weltgemeinschaft vor neue politische Herausforderungen. Er hat auch Konsequenzen für die Ökumene der Kirchen, deren Ausmaße noch nicht absehbar sind. Während in den Stellungnahmen aus dem Bereich der EKD und der DBK die Frage nach der Vereinbarkeit von Friedenspolitik und Waffen­lieferungen immer deutlicher hervortritt, halten sich überregionale Stellungnahmen in diesen Punkten eher zurück.

Eine besondere Rolle im Spektrum der Stellungnahmen nimmt die „Erklärung zur Lehre von der „Russischen Welt“ (Ruskij Mir)“ vom 13. März 2022 ein, die inzwischen über vierzehnhundert überwiegend orthodoxe Theologinnen und Theologen aus aller Welt unterzeichnet haben. Sie richtet sich nicht auf die friedenspolitische Frage als solche, sondern verurteilt die „Russische Welt“-Ideologie, aus der heraus „viele Mitglieder der Hierarchie des Moskauer Patriarchats“ Putins Krieg gegen die Ukraine unterstützen. Im Hintergrund stehe eine „Form von orthodoxem ethnophyletischem religiösem Fundamentalismus mit totalitärem Charakter“, der den Prinzipien der orthodoxen Kirche zutiefst widerspreche. „Wenn wir solche falschen nationalreligiösen Prinzipien für gültig erachten, dann hört die orthodoxe Kirche auf, die Kirche des Evangeliums Jesu Christi,
der Apostel, des Nizäno-Konstanti­nopolitanischen Glaubensbekenntnisses, der Ökumenischen Konzilien und der Kirchenväter zu sein.“ Das Narrativ, die „Russische Welt“ müsse dem korrupten „bösen Westen“ mit seinem Liberalismus entgegentreten, wird abgelehnt. Mit sechs programmatischen Schrift-Zitaten verurteilt die Erklärung die Gleichsetzung des Reiches Gottes mit einem irdischen Reich, theokratische Regierungsformen und Cäsaropapismus, die Hierarchisierung ethnischer Identitäten, die Beförderung von Spaltung, Misstrauen, Hass und Gewalt, den geistlichen „Quietismus“ und die Unterdrückung der Wahrheit. Die formale Nähe zur Barmer Theologischen Erklärung und zum Belhar-Bekenntnis unterstreicht den ökumenischen Impetus.

Neben solcher dringend nötiger theologischer Ideologiekritik und der völkerrechtlichen Verurteilung des russischen Angriffs verdienen auch die exzessiven Formen der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und insbesondere gegen Frauen theologische und kirch­liche Aufmerksamkeit.

Es gibt in­zwischen viele Berichte von Vergewaltigungen. Dass sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe zum Einsatz gebracht wird, gilt als wahrscheinlich. Auch sonst trägt der Krieg dazu bei, in Geschlechterrollen und Formen der Diskriminierung zurückzufallen, gegen die die feministische Bewegung mit großer Energie gekämpft hat. Frauen sind im Krieg in anderer Weise bedroht und  gefordert als Männer. Viele sind im Ukrainekrieg mit ihren Kindern geflohen und müssen sich an neuen Orten ein­richten,  während andere in Kellern eingeschlossen wochenlang ausharren, in Angst, oft ohne jede Information und ohne Versorgung mit dem Lebensnotwendigen. Eine Außenpolitik, die diese Seite des Krieges adressiert, ist fortschrittlich. Auch Kirchen und  Theologien können hier noch deutlicher werden! 

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Friederike Nüssel

Friederike Nüssel ist Professorin für Systematische Theologie in Heidelberg und Herausgeberin von zeitzeichen.


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