Halbnass und friedensbewegt
„Religions for Peace (RfP)“, die nach eigenen Angaben größte und repräsentativste multireligiöse Plattform der Welt, feierte mit nichtalkoholischen Getränken und veganem Essen am Tegeler See in Berlin die Gründung ihrer neuen europäischen Organisation mit Namen „Religions for Peace Europe (RfP Europe)“. Ein Hoffnungszeichen in Zeiten des Krieges in Europa – auch wenn der Name eines Kriegstreibers fast ein Tabu zu sein schien.
Etwas ist seltsam an diesem Abend: Da erschüttert derzeit ein Grauen Europa ins Mark, der schreckliche Angriffskrieg von Putins Armee auf die Ukraine, die erste Invasion in ein unschuldiges europäische Land nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Friedensordnung Europas ist zerbrochen. Und der wichtigste religiöse Führer Russlands, der Moskauer Patriarch Kyrill I. verteidigt diese Aggression des russischen Diktators, eindeutig und explizit, auch mit religiösen Pseudo-Argumenten. Das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche versagt als Kopf einer christlichen Kirche, die, wie alle großen Religionen, eigentlich dem Frieden verpflichtet sein müsste. Aber an diesem Abend hier in der Borsig-Villa am Tegeler See im Norden Berlins fällt Kyrills Name nicht, als sei er tabu. Vielleicht weil das Entsetzen so groß ist bei den religiösen Führungspersönlichkeiten, die im riesigen Park vor dem Palais zusammengekommen sind, um genau dem zu dienen: dem Frieden in Europa.
Denn das war der Grund des Treffens von etwa fünfzig „religious leaders“, wie es an diesem Mittwochabend am Rande der Hauptstadt auf Englisch häufiger heißt: „Religions for Peace (RfP)“, die nach eigenen Angaben größte und repräsentativste multireligiöse Plattform der Welt, feierte mit nichtalkoholischen Getränken und veganem Essen die Gründung ihrer neuen europäischen Organisation mit Namen „Religions for Peace Europe (RfP Europe)“. Die neue Dachorganisation bündelt die Kräfte erfahrener Friedensorganisationen mit religiöser Prägung, nämlich die European National Interreligious Bodies (ENIB), das European Council of Religious Leaders (ECRL), das European Women of Faith Network (EWFN) und schließlich das European Interfaith Youth Network (EIYN).
Möglich wurde dies auch durch die Unterstützung des Auswärtigen Amtes, das an diesem Abend nicht zuletzt die Borsig-Villa als Tagungsort zur Verfügung stellte. Das eindrucksvolle Gebäude, von 1900 bis 1908 gebaut, ist neben Neubauten auf diesem Gelände der Sitz der Akademie des Auswärtigen Amtes zur Ausbildung des deutschen diplomatischen Personals und zugleich das Gästehaus des Auswärtigen Amtes. Das Außenamt unterstützt durch sein Referat „Religion und Außenpolitik“ und an diesem Abend durch die Bereitstellung des Gästehauses die Gründung von RfP Europe.
Irmgard Maria Fellner, Beauftragte für Auswärtige Kulturpolitik und stellvertretende Leiterin der Abteilung Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt, nannte die Gründung von RfP Europe einen „Meilenstein“. Die neue Organisation sei ein wundervoller Partner des Auswärtigen Amtes. Es sei sehr wichtig, dass Diplomaten von religiösen Führungsfiguren lernten, denn beide Gruppen dienten dem Frieden. Religionen spielten eine wichtige Rolle in der Zivilgesellschaft. Das diplomatische Personal könne von den friedensbewegten religiösen Führern lernen, in die Tiefe zu gehen bei Problemen, die zu lösen ein gemeinsames Anliegen sei. Etwa beim Klimaschutz, beim Einsatz für mehr Toleranz in der Welt und für die Verteidigung der Meinungsfreiheit weltweit. Insofern sei man von Seiten des Auswärtigen Amtes stolz, Religions for Peace helfen zu können, die Führungspersönlichkeiten aus 90 Staaten der Welt vereine. RfP Europe hat nun ein Büro am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor, eine Adresse erster Klasse.
Thomas Wipf vom European Council of Religious Leaders (ECRL) und Präsident von RfP Europe, sagte, allen Religionen sei eine gemeinsame Vision für den Frieden und für einen respektvollen Umgang miteinander und mit der Schöpfung eigen. Man verfolge diese Vision mit Demut, zumal man um die Ambivalenz der Religionen wissen, die Konflikte auf der Welt sowohl entschärfen wie verschärfen könnten. Das sei derzeit zu beobachten. Noch etwas direkter war der Staatssekretär für Europa der Berliner Landesregierung, Gerry Woop, in dessen Ressort auch die Religionspolitik fällt. Das friedensfördernde Potenzial der Religionen sei enorm wichtig – gerade jetzt, da zu erleben sei, wie Religion politisch und nationalistisch missbraucht werde. Auch hier fiel der Name Kyrill nicht.
Kriegszeiten sind keine guten Zeiten für religiöse Führerinnen und Führer, die den Frieden wollen. Wie immer bei den Treffen von Religions for Peace, zu deren Unterstützerinnen unter anderem die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann gehört, finden wichtige Gespräche eher im Geheimen und leise statt. Ziemlich wahrscheinlich, dass in kleiner Runde an diesem Abend irgendwo an den Tischen der Name des Moskauer Patriarchen fiel. Und wie die Lage der Religionen und des Friedens in Europa derzeit ist, machte das Wetter (oder Petrus?) an diesem Abend ziemlich deutlich: Über den Tegeler See braute sich bei anfangs sonnigem Maiwetter ein großes Gewitter zusammen. Plötzlich prasselte bei starkem Wind ein heftiger Regen auf die Friedensbewegten und zwang sie, alle halbnass und eng im Palais zusammen zu stehen. Auch das war kein schlechtes Bild für die Situation und Aufgabe der religiösen Führungsfiguren Europas in diesen Zeiten des Krieges.
Philipp Gessler
Philipp Gessler ist Redakteur der "zeitzeichen". Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Ökumene.