Ein in sich verwobenes Farbfeuerwerk

Retrospektive Ernst Wilhelm Nays in Hamburg mit komplexem Werk in allen Phasen
Ernst Wilhelm Nay, Die Jakobsleiter, 1946
Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln
Ernst Wilhelm Nay, Die Jakobsleiter, 1946

Die Hamburger Kunsthalle zeigt gerade zwei Ausstellungen, die von Licht und Farbe sprühen: Die Impressionisten mit ihrem flirrenden Leuchten (siehe zeitzeichen März 2022) und das expressive Farbfeuerwerk Ernst Wilhelm Nays (1902 – 1968). Claude Monet und Max Liebermann sind berühmt, die Werke Nays können jetzt in einer fulminanten Retrospektive entdeckt werden.

Mit dem 1902 in Berlin geborenen Künstler fand die westdeutsche Kunstszene nach der nationalsozialistischen Abschottung wieder Anschluss an die internationale Kunstwelt. Nays Werke wurden weltweit gezeigt: 1948 beteiligte er sich erstmals an der Biennale in Venedig, 1957 stellte er im New Yorker Museum of Modern Art aus, 1958 zur Brüsseler Weltausstellung, 1959 und 1964 auf der Documenta in Kassel. Paris hatte Picasso – Bonn Nay. Seine politische Haltung während der 1930er-Jahre erleichterte die Akzeptanz. Er konnte darauf verweisen, dass die NS-Kulturbehörde ihn zeitweise mit Ausstellungsverbot belegte, einige seiner Werke als „entartet“ klassifizierte und konfiszierte. Zwar hatte er im April 1933 gegenüber dem Leiter des Kultusministeriums betont, dass er ohne den „geringsten Tropfen jüdischen Blutes“ sei und er sich „aktiv an dem großartigen Neubau“ Deutschlands beteilige, aber restlos überzeugen konnte er nicht: Es wurde kein Malverbot verhängt, aber der Zugang zu großen Ausstellungen verwehrt. Nay blieb Mitglied der Reichskammer der Bildenden Künste und erhielt Malmaterialien und Beihilfen. 1939 unternahm er erneut einen Versuch, als „artgerechter“ Künstler anerkannt zu werden. Der Reichskammer stellte er einige seiner gerade in Norwegen entstandenen Gemälde vor. Jetzt bescheinigte man ihm, er sei „zwar noch als recht eigenwilliger, nicht aber mehr als entarteter Maler zu bezeichnen“, und gewährte ihm eine monatliche Zuwendung von dreihundert Reichsmark (etwa 1 200 Euro).

Zwischen Himmel und Erde

Nach dem Krieg gelang Nay die Drehung von einer völkisch geprägten Mystik zu einer universalen. Damit befand er sich – wie er 1933 gehofft hatte – tatsächlich „im Einklang mit den politischen Entwicklungen der Zeit“.

In den 1960er-Jahren lehnten ihn dann jüngere Künstler als dekorativ ab. Dass dieser Vorwurf verfehlt ist, zeigen die rund 120 Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen in Hamburg. Der Besucher kann die Entwicklung des Künstlers über fast fünfzig Jahre, von 1919 bis zu seinem Tod 1968 in Köln, chronologisch verfolgen. Einige Vor- und Rückbezüge belegen, wie spätere Motive bereits in den ersten Jahren angelegt waren. Die Schau setzt fünf Schwerpunkte: Frühphase, Naturkräfte, Hekatebilder, Farbmelodik und Spätphase. Übertrüge man die großformatigen, ausdrucksstarken Farberuptionen in eine Tonsprache, erklänge meist eindringliche, rhythmische (Jazz-)Musik. Zwischen- oder Grautöne, wie in Nays Verhalten während der Nazi-Zeit, gibt es kaum.

Besonders spannend sind zahlreiche Bilder, die unter der Bezeichnung der griechischen Göttin der Magie, der Jenseitsvermittlerin Hekate, zusammengefasst werden. So entstand 1946 die außergewöhnliche Interpretation der „Jakobsleiter“. Anders als in der biblischen Geschichte träumt der Erzvater nicht nur von einer Engelsstiege zwischen Himmel und Erde. Der aus vielen Farbflächen zusammengewürfelte Jakob kämpft gegen bedrohliche, kreisförmige Engel, will die Leiter erklimmen, wirft die Arme empor – und stürzt hinab. Das Bild erzählt von der Hybris der gerade zurückliegenden Jahre und einem völligen Scheitern. 

 

Information

Bis zum 7. August 2022 ist in der Hamburger Kunsthalle die Ausstellung „Ernst Wilhelm Nay – Retrospektive“ zu sehen. Danach wird sie in Wiesbaden und  Duisburg gezeigt.

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