Standardwerk

Neue Sexualethik

"Unterwegs zu einer neuen Sexualethik“ war der katholische Moraltheologe Eberhard Schockenhoff – als einer der profiliertesten Vertreter seiner akademischen Disziplin wie auch als Mitglied des Forums „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ im Rahmen des Synodalen Weges. „Unterwegs zu einer neuen Sexualethik“ war Schockenhoff, als er am 18. Juli 2020 im Alter von 67 Jahren in Freiburg im Breisgau nach einem Sturz in seiner Wohnung an den Folgen dieses Unfalls starb und damit auch seine Arbeit an einem neuen Standardwerk zu dieser Bereichsethik ein gewaltsames Ende fand. „Unterwegs zu einer neuen Sexualethik“ lautet der Untertitel des posthum von seinen Assistenten Hannes Groß und Philipp Haas herausgegebenen Fragments.

Einen Eindruck davon, welche Bedeutung das Buch nach seiner geplanten Vollendung für den akademischen – und nicht zuletzt auch innerkirchlichen – Diskurs hätte gewinnen können, lässt sich erahnen, wenn man die bereits abgeschlossenen sechs Teile von Die Kunst zu lieben in ein Verhältnis setzt zu Schockenhoffs 2018 erschienener Friedensethik Kein Ende der Gewalt?. Eberhard Schockenhoff starb während der Arbeit am siebenten Teil „Konkrete Problemfelder“; dessen unvollendetes erstes Kapitel „Voreheliche Lebensgemeinschaften“ ist dem Buch im Anhang beigegeben.

Gewiss: Durch das Fehlen der Konkretisierungen bleibt dem Werk Schockenhoffs die Brisanz vorenthalten, die ihm unzweifelhaft als Positionsbestimmung in der teils mit Verve geführten Debatte um die katholische Sexualmoral und der hieran anknüpfenden kirchlichen Praxis zugekommen wäre.

Jedoch: Bereits die abgeschlossenen Abschnitte verdeutlichen die Zielrichtung des Buches, wie auch dessen Streitfreudigkeit und – konstruktives – Konfliktpotenzial. In durchaus kritischer Haltung zum Lehramt wirbt der Verfasser für eine am Menschen in seiner leib-seelischen Einheit orientierte Sexualethik. Hier schreibt – das wird durchgehend deutlich – kein Revolutionär, sondern ein Theologe, der um eine menschenfreundliche und lebensdienliche Sexualethik ringt, dem es dabei gerade gelingt, Grundgedanken der überkommenen Tradition in der Gegenwart zu plausibilisieren. Dies wird etwa deutlich, wenn er die „vorrangige Aufgabe der Theologie und der kirchlichen Verkündigung“ hervorhebt, „die Orientierungsfunktion, die dem Leitbild der Ehe in unserer Gesellschaft zukommt, klar und eindeutig hervorzuheben“. In ihrem Bestreben, die anthropologischen und ethischen Argumente stark zu machen, die für das Partnerschaftsmodell der Ehe sprechen, sollten sie aber auch den Bereich alternativer Lebensentwürfe nicht aus den Augen verlieren.

Diese und weitere entsprechende Überlegungen finden sich vornehmlich in den letzten drei Teilen der sechs des Buches, welche die Grundlagen von Schockenhoffs eigenem sexualethischen Entwurf entfalten: „Bedeutungsdimensionen der menschlichen Sexualität“ – „Biblische Perspektiven und ethische Prinzipien der Sexualmoral“ – „Sexualmoral auf dem Prüfstand: Lebenskreise und Lebensräume der Liebe“.

Es ist der abgebrochenen Entstehungsgeschichte von Die Kunst zu lieben geschuldet, dass quantitativ die ersten drei Teile des Buches überwiegen, in denen sich der Autor sowohl mit den einschlägigen Diskursen der Humanwissenschaften des 20. Jahrhunderts als auch – vor allem – mit kirchlichen Traditionen der Sexualethik seit den Kirchenvätern befasst. Auch wenn das Buch sich daher über weite Strecken eher als Geschichte der christlichen/katholischen Sexualethik liest, sollte seine Bedeutung für das Hier und Jetzt jedoch nicht unterschätzt werden.

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Foto: Andreas Helle

Tilman Asmus Fischer

Tilman Asmus Fischer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und schreibt als Journalist über Theologie, Politik und Gesellschaft


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