Ich freue mich auf meinen 1234. Geburtstag. Ich male mir mit königlichem Vergnügen aus, wer kommen wird, wer dicht bei mir sitzt und es sich in nicht zu weiträumigen himmlischen Sitzgelegenheiten gut gehen lässt. Ich bin mir mit der Schriftstellerin Sybille Lewitscharoff gewiss, dass da keine „klappernde Totenherde“ feiern wird. Es wird ein Fest mit „Spiellaunen und Volten und Hakenschlagen“ sein. Und wenn ich mich frage, wie wir aussehen werden, geben mir die Auferstehungsgeschichten der Bibel kluge Hinweise. Auferstandene haben demnach nämlich sehr wohl Leiber. Die jedoch sind anders. Nicht an den leiblichen Verpackungen, sondern an ihren unverwechselbaren Charakterzügen und geteilten Geschichten werden sich meine Geburtstagsgäste wieder erkennen.
Nun gut. Um solch ein Fest zu erleben, muss ich von meinem Tode auferstehen – das ist mir klar. Und jenen, die heftige Zweifel an meinen Visionen haben, reserviere ich gern vorerst einen Platz am Katzentisch meiner himmlischen Geburtstagsparty. Wir können ja abwarten, wie sich das Leben entwickelt und werden es dann einfach sehen …
Ich kann nun einmal nicht verleugnen, dass die Auferstehung für mein Leben zentral ist. Der Gedanke an sie hat mich schon aus so manchem Tief gerettet, z.B., als ich mich plötzlich mit Anfang Vierzig in einer kargen Einzimmer-Wohnung vorfand – mit ganz anderen Lebensplanungen im Kopf. Mann, war das grausam melancholisch, dieser Schneefall am Weihnachtsabend und ich allein zu Haus. Der Gedanke an meine Auferstehung hat mir damals den Mumm eingehaucht, auch einmal heftig über mich zu lachen und mir mit einem Augenzwinkern zu sagen: „Komm schon. Das hier ist nicht schon alles. Du hast noch ewig Zeit. Am Ende tut sich schneller etwas als Du erwartest.“ Und es tat sich was.
Wundern über religionspädagogische Ratgeber
Auferstehung ist für mich eine der wertvollsten Lebensperspektiven, die Menschen haben können. Darum ärgere ich mich über kirchliche Statistiken, die vorrechnen, wie viele Geistliche nicht an die Auferstehung von den Toten glauben. Und ich wundere mich über jenen neueren religionspädagogischen Ratgeber, der mir neulich in die Hände fiel. Der hat doch im Ernst den Lehrenden eingetrommelt, mit Schülern über alles zu diskutieren, was Gott und die Welt betrifft, nur ja nicht über die Auferstehung. Das ist ungefähr so, als würde man Krimiautoren empfehlen: „Berichtet in Euren Romanen in Zukunft nur ja nicht von Ermordeten und Leichen!“ Überhaupt: Kann mir jemand erklären, wie ich mit Schülern christlich gesehen über die Gerechtigkeit, eine gerechtere Welt, einen gerechten Gott ins Gespräch kommen kann, wenn ich um die Auferstehung von den Toten einen Bogen mache? Wie soll ich je damit halbwegs fertig werden, dass Kinder sterben, Frauen verachtet und Menschen weltweit Gewalt angetan wird, dass Zeitgenossen durch Krankheiten brutal aus dem Leben gerissen werden? Und was sollte ich von einem Gott halten, der dazu nicht mehr zu sagen hätte als: „Sorry, deren Biographie ist leider furchtbar ungünstig verlaufen.“
Ein Gott, der nur dies zu sagen hat, erfüllt mich mit Scham. Ein Gott aber, der in Christus in die Abgründe des Todes selbst eingetreten ist, um sie von innen heraus mit seinem Leben zu überwinden, das ist ein Gott, der etwas tut. So ein Gott räumt den unfair abgebrochenen und geschädigten Biographien ein Recht auf eine gerechtere himmlische Entfaltung ein. Überhaupt erwarte ich von Gott, dass er die Biografien aller Menschen nicht bloße Episoden am Rande des Kosmos bleiben lässt.
Was ich bisher von Gott in Erfahrung bringen konnte, ist dies: Gott liebt das Leben. Wer das Leben liebt, schätzt die Geselligkeit und ist auf lebendigen Austausch mit anderen aus. Wenn das stimmt, dann ist die Auferstehung eine Konsequenz der Liebe zum Leben. Vorgeschmack der Auferstehung sind unsere Erinnerungen an einen Menschen, der uns lieb und teuer war. Allerdings führen sie diesen Menschen vor Augen, ohne ihn selbst ins Leben zurück zu bringen. Das wird mir dieser Tage schmerzlich bewusst.
„Was würde er …“
Vor fast zehn Jahren ist mein Vater gestorben. Wie gerne erinnere ich mich an ihn. Es gab viele Situationen und es wird noch viele geben, wo ich frage: „Was würde er dazu sagen?“ Es bleibt aber bei diesem unvollendeten halben Satz: „Was würde er ...“ Denn er sagt es nicht mehr selbst. Er wird in all meinen Erinnerungen sein Leben nicht mehr weiter entwickeln und nicht mehr leidenschaftlich neue Ideen beisteuern können. So protestieren meine Erinnerungen gegen den Tod, können ihn aber aus eigener Kraft nicht überwinden. Denn der Tod ist ein ungeheuerlicher Räuber. Er raubt einem Menschen sich selbst, den anderen und Gott. Das kann Gott nicht zulassen wollen. Es ist für mich ein großer Trost, dass er über die Kraft der Erinnerungen hinausgehen kann und die Lebensenergie hat, einen Menschen dem Tod zu entreißen und ihn höchstpersönlich aufzuerwecken. Darauf zähle ich und versuche schon jetzt im Leben zu vernehmen, was nach Auferstehung schmeckt. Überall da etwa, wo es herzlich und großzügig zugeht, deutet sich mir Auferstehung an.
Es sind für mich auch deshalb ungeheuer kostbare Momente, wenn ich mir mit anderen Menschen gemeinsam ausmale, wie Gott uns jetzt schon bei der Hand nimmt und sich mit uns auf und davon in das ewige Leben hinein aufmacht. Das klingt unvernünftig, doch selbst so ein vernünftiger Mann wie Sokrates hat gesagt, es sei ein Gebot der Vernunft, im Blick auf das Leben nach dem Tod kühne Bilder zu wagen und es nicht bei einem sterilen „Wir wissen es nicht!“ zu belassen.
Freche, kühne Bilder
Es ist gut, wenn diese Bilder mit einer Portion Humor entwickelt werden. Eine meiner Sternstunden erlebte ich mit einer über 90 Jahre zählenden Intellektuellen, die ich regelmäßig besuchte. Die meinte eines Tages zu mir trocken: „Hauptsache Gott lässt mich nicht als Mann auferstehen!“ Dann haben wir Tränen gelacht. Sie hatte einen rechten Tyrannen zum Gatten und hielt nicht allzu viel vom männlichen Geschlecht. Auferstehungserwartungen brauchen freche und kühne Bilder. Thomas von Aquin erwartete, dass wir alle als 35-Jährige das ewige Leben verbringen würden, und dachte dabei an das Lebensalter Jesu Christi. Ich denke, es ist unwahrscheinlich, dass der Himmel zu einem Jahrgangstreffen lauter Mittdreißiger gerät. Aber in einem hat Thomas von Aquin Recht. Die Leidenschaft Jesu Christi, mit der er das Leben aufmischte, wird auch im Himmel stilbildend sein.
Der Kirchenvater Hieronymus stellte sich den Himmel als Promenade vor. Die Promenade ermögliche mit Freunden wie Feinden ewig in Frieden zu leben. Wenn ich mir einmal meinen 1234. Geburtstag als Promenade vorstelle, dann werde ich mit jenen, die ich besonders liebe, schon von weitem Blickkontakt aufnehmen, sie anlachen und begeistert auf sie zu tanzen. Und wenn sie an mir vorbei kommen, werden wir gemeinsam aus der Reihe tanzen und Volten und Haken schlagen, bis wir uns wieder in die Promenade einfädeln. An jenen aber, die ich nicht so mag, werde ich höflich grüßend vorbeitanzen.
So schürt die Auferstehung von den Toten die Vorfreude auf himmlische Geburtstagsfeste und provoziert Bilder, die mir den Sinn für Auferstehungsaugenblicke schon in diesem Leben weckt. Darum lebe und deute ich meinen Alltag schon heute als eine solche Promenade. Der Geschmack von Auferstehung bleibt da nicht fern. Ich schmecke mehr und mehr, wie wertvoll der mir ist.
(Eine leicht veränderte Fassung dieses Textes erschien vor Jahren bei Publik Forum)
Stephan Schaede
Stephan Schaede, (*1963) ist Leiter des Amtsbereichs der VELKD
und Vizepräsident im Kirchenamt der EKD in Hannover. Zuvor war der promovierte Systematische Theologe von 2021 an Regionalbischof im Sprengel Lüneburg und von 2010 bis 2020 Direktor der Evangelischen Akademie in Loccum.