„Dieses lächerliche Hindernis nehmen…“

Der Erlebnisbericht von Emmi Bonhoeffer über ihre gefährliche Reise im Sommer 1945
Emmi Bonhoeffer, Foto undatiert, wahrscheinlich 1948/49.
Foto: Jutta Koslowski
Emmi Bonhoeffer, die Ehefrau von Dietrich Bonhoeffers Bruder Klaus.

Emmi Bonhoeffer, die Ehefrau von Dietrich Bonhoeffers Bruder Klaus, musste sich im Sommer 1945 aus dem zerstörten Berlin zu ihren Kindern an der Ostsee durchschlagen. Darüber schrieb sie 1948 einen Bericht, der hier erstmals mit einer Einleitung der Bonhoeffer-Forscherin und Theologin Jutta Koslowski veröffentlicht wird.

Emmi Bonhoeffer (1905–1991) ist die Tochter von Hans und Lina Delbrück und die Ehefrau von Klaus Bonhoeffer. Gemeinsam mit ihm hatte sie drei Kinder, die an Ende des ersten Weltkriegs 13, 10 und 6 Jahre alt waren. Die Familie lebte in der Hauptstadt Berlin; weil die Bombenangriffe dort immer heftiger wurden und der Schulunterricht nicht mehr regelmäßig stattfand, wurden die Kinder von Emmi seit 1941 bei Bekannten an verschiedenen Orten evakuiert – unter anderem in Ettal in Oberbayern, in Sommerfeld in der Lausitz und zuletzt in Stawedder bei Haffkrug in der Lübecker Bucht. Dort wohnten sie im Haus von Lotta Carrière, einer Cousine von Emmi Bonhoeffer, unter sehr einfachen Verhältnissen, aber in Sicherheit (vergleiche auch hier).

Klaus Bonhoeffer engagierte sich – gemeinsam mit zahlreichen anderen Mitgliedern seiner Familie – im Widerstand gegen das Nazi-Regime. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli wurde er am 1. Oktober 1944 festgenommen und im Zellengefängnis Lehrter Straße inhaftiert (ebenso wie seine Schwager Rüdiger Schleicher, Justus Delbrück und kurz darauf Eberhard Bethge). Am 2. Februar 1945 wurde Klaus Bonhoeffer vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland Freisler zum Tod verurteilt; dies war Freislers letztes Todesurteil, denn am folgenden Tag wurde sein Dienstgebäude von einem schweren Bombenangriff getroffen und er verstarb. Das Todesurteil gegen Klaus Bonhoeffer konnte deshalb nicht mehr schriftlich abgefasst und von Justizminister Otto Thierack gegengezeichnet werden. Doch er fiel einem Justizmord zum Opfer: Auf persönlichen Befehl Hitlers wurde er gemeinsam mit Rüdiger Schleicher und zahlreiche Mitgefangenen in der Nacht vom 22. auf dem 23. April 1945 (als in Berlin bereits die Gewehrschüsse der herannahenden sowjetischen Befreier zu hören waren) aus dem Gefängnis abgeführt und auf einem nahegelegenen Trümmerfeld durch Genickschuss hinterrücks umgebracht. Die Leichen wurden mehrere Wochen später in einem durch einen Bombenkrater entstandenen Massengrab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt.

Justus Delbrück und Eberhard Bethge wurden am 25. April 1945 aus dem Gefängnis durch die Rote Armee befreit und machten sich auf die Suche nach den Vermissten. Es dauerte noch bis zum 30. oder 31. Mai 1945, bis die Familie vom Schicksal ihrer Angehörigen erfuhr – durch Herbert Kosney, den einzigen Überlebenden des Mordkommandos. Am 11. Juni hielt Eberhard Bethge für sie eine Gedenkfeier auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof. Justus Delbrück war inzwischen (am 25. Mai 1945) abermals verhaftet worden, um den sowjetischen Besatzern Auskünfte über die Widerstandsbewegung des 20. Juli zu geben; er hat die Freiheit nicht wiedergesehen und verstarb im Oktober dieses Jahres in der Haft an Unterernährung und Diphtherie.

Emmi Bonhoeffer hatte, nachdem sie über den Tod ihres Mannes Gewissheit erhalten hatte, nur noch einen Wunsch: so schnell wie möglich zu ihren Kindern zurückzukehren, die sie seit Monaten allein in der Obhut ihrer Verwandten gelassen hatte. Die Entfernung zwischen Berlin und der Lübecker Bucht erschien damals – im zerstörten und besetzten Deutschland, als es nichts zu essen gab, keine öffentlichen Verkehrsmittel und weder Post noch Telefon – schier unüberwindlich. Diese Reise war nicht nur ungewiss und beschwerlich, sondern auch sehr gefährlich, vor allem für eine Frau. Deshalb hatte Justus seine Schwester Emmi auf diesem Weg nach Holstein begleiten wollen (zumal seine eigene Frau mit ihren vier Kindern in Schleswig, also in ähnlicher Richtung, auf ihn wartete). Doch nachdem er verhaftet war und nicht wiederkam, entschloss sich Emmi Bonhoeffer, den Weg trotzdem anzutreten­ – ohne ihn, aber nicht allein, denn sie tat sich mit zwei anderen Frauen zusammen, ihren Freundinnen Charlotte Dieck und Lotte Diem, die sich zu ihrer Mutter beziehungsweise zu ihrem Kind durchschlagen wollten.

Wie mutig diese drei Frauen waren, welche Hindernisse sie zu überwinden hatten, welche glücklichen Umstände ihnen dabei immer wieder zur Hilfe kamen und wie Emmi Bonhoeffer schließlich als einzige von ihnen ihr Ziel erreicht – davon erzählt dieser Erlebnisbericht.

Wanderung zu den Kindern im Juli 1945,

von Berlin zur Lübecker Bucht.

Nach Tagebuchnotizen.

Von Emmi Bonhoeffer-Delbrück.[1]

Die Belagerung Berlins durch die Russen war überstanden. Am 30. Mai 1945 erhielten wir endlich, nach 5-wöchigem Suchen und Hoffen, die Gewissheit, dass mein Mann[2] und mein Schwager Rüdiger Schleicher[3] nicht mehr am Leben seien. Wir erfuhren, dass sie schon in der Nacht vom 22. zum 23. April durch ein Rollkommando der SS mit 14 andern politischen Häftlingen unweit des Gefängnisses[4] erschossen worden seien. –

         Mein Bruder Justus[5] hat diese Gewissheit nie bekommen, denn er wurde am 25. Mai von den Russen, nachdem sie ihn erst aus dem Gefängnis befreit hatten, als politischer Zeuge wieder abgeholt,[6] und ist seitdem verschollen.[7]

         Am 11. Juni fand auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof eine Gedächtnisfeier statt. Eberhard Bethge[8] hielt die Ansprache.[9] Er fasste den Verlauf des Geschehenen in die Worte zusammen: »Sie versuchten, dem Herrgott in den Arm zu fallen, aber er hatte das Gericht beschlossen. –«[10]

16. Juni 1945

Am 16. Juni gab ich das Warten auf Justus’ Rückkehr, mit dem ich die Wanderung nach Norden zusammen unternehmen wollte, auf, da mich die Unruhe um die Kinder nicht länger hielt, und machte mich mit zwei Freundinnen,[11] die nach Hamburg und Mölln strebten, auf die Reise.

         Die Eltern[12] hatten mir Dietrich Bonhoeffers Rad für diese Reise geborgt, das hieß soviel wie geopfert, denn man wusste, dass es mir wahrscheinlich von irgendwelchen russischen Posten gestohlen werden würde. Auch meine Freundinnen hatten Räder.         In Spandau West sollte gegen zehn Uhr ein Zug nach Wittenberge gehn, den wollten wir benutzen. Das ganze Perron stand voll Menschen, aber kein Zug kam. Wir warteten bis abends um 7 Uhr. Viele hatten es aufgegeben. Um 7 Uhr kam ein Zug, aber er fuhr nach Rathenow. Wir stiegen ein, um bloß endlich wegzukommen, die Richtung war um 45 Grad falsch.

Emmi Bonhoeffer
Foto: Jutta Koslowski
 

         In Rathenow schliefen wir zu dritt auf zwei unbezogenen Betten, nachdem wir in der Hotelküche zwischen russischen Mädchen unsre Grütze hatten kochen dürfen.

[17. Juni 1945]

Am nächsten Morgen Aufbruch um 5 Uhr per Rad in Richtung Rhinow. An der Kreuzung nach Friesack kommen uns auf der Chaussee in Marschordnung etwa 500 Mann in lumpiger Civilkleidung entgegen, begleitet von berittenen Russen in Uniformen. Wir vermuten: befreite Fremdarbeiter. Wir biegen ab in eine Tannenschonung rechts der Straße und verbergen uns im Gebüsch. Es ist zu spät. Sie haben uns gesehen. Einige, etwa 10 Mann, allmählich werden es mehr und mehr, umstellen uns von allen Seiten. Mein Rad ist das auffallendste, es hat silbern glänzende Felgen, und auch die Lenkstange blitzt noch sehr blank. Drei Mann greifen gleichzeitig an die Lenkstange. Diesen Moment können meine Freundinnen benutzen, um zu entfliehen. Ich versuche es auch, laut lamentierend, dass ich zu meinen Kindern müsse, die ganz allein an der Ostsee seien. Ein Gutmütiger wehrt einen andern ab, der meinen Rucksack abmontiert. Ich schreie laut »Kommandant, Kommandant! Überfall!! Hallo, Frau Diem, ich komme sofort…« und lauter ähnliches, ziemlich sinnloses Zeug, aber immerhin hat dies doch den ›Kommandanten‹ angelockt. Er sprengt zu Pferd den Weg zur Schonung herauf, sofort lassen alle Hände mein Rad los, und ich kann über eine Böschung entkommen.

         Es ist natürlich falsch gewesen, dem großen Trupp auszuweichen, denn auf der Straße, in Bewachung der berittenen Posten, hätten sie den Überfall wohl nicht gewagt. Wir beschlossen also, uns im nächsten solchen Fall anders zu benehmen.

         Bis Kyritz geht die Fahrt glatt. Ueberall russische Besetzung, von Zeit zu Zeit Schlagbäume mit Passkontrolle. Die Posten können oft gar kein Deutsch, halten die Pässe verkehrt herum, sagen »Gutt« und lassen uns passieren.

         Viele zerschossene Autos liegen an den Wegrändern, manche Gehölze sind zum Teil niedergebrannt, doch in den Dörfern kaum Spuren von Krieg und Bomben. Stark spürbar aber ist der ›Frontgeist‹ der Kameradschaft auf der Landstraße. Entgegenkommende Wanderer, Radler, Trecks erkundigen sich bei uns und wir bei ihnen, wie sicher der Weg ist und was zu erwarten sei.

         Außerordentlich nett war ein Bäcker in Kyritz, bei dem wir um Erlaubnis baten, etwas Grütze zu kochen. Er schenkte uns Brot und Salz und riet uns, möglichst die frühen Morgenstunden zum Weiterkommen zu benutzen, da dann die Posten am verschlafensten seien. Das hatten wir auch schon beobachtet, aber die Unruhe, vorwärts zu kommen, ließ uns doch nicht einen Tag rasten. Das war wieder falsch. Kurz hinter Kyritz drängten sich zwei russische Soldaten auf Rädern zwischen unsre Räder, fingen ein Gespräch in deutschen Brocken an, wohin wir wollten, was wir da wollten usw. Wir beschleunigten unser Tempo aufs äußerste, aber sie hielten mit. Wieder war es mein schmuckes Rad, das ihnen ins Auge stach. Im gleichen Moment fasste von jeder Seite einer auf meine Lenkstange und zwang mich zum Halten. »Ihr habt doch selber Räder, was wollt ihr mit soviel Rädern??!« – »Tauschen, Du mein Rad, ich Dein Rad.« Frau Diem kämpfte heldenhaft mit den Russen um mein Rad, während ich bald resignierte. Sie ließ meine Lenkstange absolut nicht los. [Sie] wollte mit ihm zusammen umdrehn zum ›Kommandanten‹, bis er mit seinem Taschenmesser ihren Reifen zu durchstechen drohte, außerdem – relativ anständig – mit der Faust auf ihre Hand hieb, die mein Rad umklammerte. Der andre Russe pries mir indessen in süßen Tönen sein Rad an, das »Ebbengut« sei, bloß meines silber-blau – kurz, da er schon meinen Rucksack zu durchstöbern anfing, gab ich das Rad auf und nahm seines.

         Bald merkte ich, dass es einen Fehler in der Uebersetzung hatte und alle paar Drehungen nicht fasste, so dass ich wie eine lahme Ente bald hinter den andern zurückblieb.

         Die nächsten Wanderer warnten uns vor der weiteren Chaussee – wir waren nun etwa 20 km vor Perleberg – da dort Radräuber auflauerten. Wir erwogen, einen großen Bogen zu machen, der uns etwa zwei Radelstunden gekostet hätte, aber Frau Diem entschied für ›durch‹ und fuhr einfach los. Unsere dritte Reisekameradin, die Aerztin Charlotte Dieck, hatte sich ein schönes Rot-Kreuz-Fähnchen ans Rad gemacht, auch eine solche Armbinde angelegt, was vielleicht auch respektiert wurde. Jedenfalls sauste Frau Diem mit siegesfrohem Lächeln am nächsten Posten vorbei, der uns abzusteigen gewinkt hatte, und wir hinterher. Schon glaubten wir, die gefährliche Klippe überwunden zu haben, da sah ich rechts am Wegrand hinter der Böschung drei Gewehrläufe funkeln. Abdrehen – oder durch??? – »Natürlich durch«, meinte Frau Diem. Sie legte Riesentempo auf, Lotte Dieck hielt mit Mühe stand, ich auf meiner lahmen Ente blieb zurück. Wir waren aber nur 3 m auseinander. 10 m vor uns sprangen drei Kerle aus der Böschung auf, die Maschinenpistole auf dem Rücken, und schrien »Stoy!« (Halt). Mir war nicht klar, ob dies die Nachsperre nach der durchfahrenen Kreuzungssperre war, die mit jener in Verbindung stand, oder ob es gewöhnliche Straßenräuber in Uniform waren. Sie hatten vor einem kleinen Häuschen gelegen, das wie eine Art Zöllnerhäuschen wirkte. Wir versuchten durchzukommen, und es wäre gelungen, wenn nicht von der andern Seite nun ein Vierter, der dazu gehörte, auch per Rad, uns entgegengekommen wäre, was uns sofort klar war. Zwischen Frau Diem und Lotte Dieck schwankend, verlor er beide, konnte aber mich, die ich ständig an Tempo verlor, an einen Baum drängen, so dass ich absteigen musste, wobei die ersten Kerle mich eingeholten. So stand ich allein zwischen vier Russen. 150 m weiter stiegen Frau Diem und L[otte] Dieck ab und beobachteten, was mit mir geschah. Sie verlangten meine Papiere zu sehen, so dass ich wieder dachte, es sind doch Posten. Dann behaupteten sie »Papiere nix gutt« und verlangten, dass ich mit ihnen zurückginge zu dem ›Zollhäuschen‹. Unangenehm war, dass mir der eine Soldat, der ständig meinen Kameradinnen umzudrehn winkte, bedeutete, er würde schießen, und zwar auf mich, wenn die beiden nicht zurückkämen. So winkte ich ihnen, sie sollten kommen. Frau Diem aber, die sehr gute Nerven hat, blieb ruhig stehn und dachte wohl, sie werden schon nicht schießen. Da der Posten meinen Pass in der Hand hatte und damit umdrehte, blieb mir nichts übrig, als ihm nachzugehn, denn ohne Pass war ich verloren. Ich merkte bald, dass alles nur Manöver um die Räder war. Es war Sonntag, sie hatten nichts zu tun und spielten ›Räuberles‹. Immerhin hätte ich meinen Pass nicht wiederbekommen, ohne das Rad zu geben. Es war ja nun ein miserables Rad, und das war mir eine gewisse Genugtuung. Kaum hatten sie das Rad, war auch das Interesse an meinen Freundinnen erloschen. Ich buckelte also meinen 40 Pf[un]d schweren Rucksack und pilgerte zu Fuß damit gen Perleberg.

         Lotte Dieck wartete auf mich, nahm den Rucksack auf ihr Rad, während Frau Dieck voraus fuhr, in Perleberg Quartier zu suchen. Auf dem Marktplatz wollten wir uns wieder treffen.

         Lotti und ich ließen uns nun Zeit. Teuer erkauft waren unsere Erfahrungen. Man muss also nie seinen wirklichen Pass vorzeigen, wenn es nicht wirklich ein richtiger Posten ist, was man ja immer noch merkt, wenn er merkt, dass es kein richtiger Pass war. Man muss nicht denken, dass einer schießt, wenn er sagt, dass er schießt, oder anlegt, als ob er schießt. Wenn er nicht betrunken ist, schießt er wahrscheinlich nicht.

         Todmüde in Perleberg angelangt, fanden wir Frau Diem wieder auf dem Markt, die inzwischen in der ›Herberge zur Heimat‹ freundliches Quartier für alle drei gefunden hatte, ein Saal mit Pritschen und Wolldecken und vielen Frauen und Mädchen auf der Wanderschaft. Erfahrungen und Erlebnisse wurden ausgetauscht, die alle sehr ähnlich lauteten. Facit: Am besten geht man barfuss mit vielen kleinen Kindern, dann erfährt man nur Freundlichkeiten.

18. Juni 1945

Am Montag, den 18. Juni morgens ging ich zum Bürgermeister, wurde aufgrund meiner Papiere sofort vorgelassen und bat ihn, mir irgendwie zu einem Rad zu verhelfen, damit wir weiter kämen. Es könnte ein altes sein, wenn ich nur mein Gepäck darauf laden könnte, evtl. wollte ich schieben. Er war sehr nett, sagte, die Russen hätten alle Räder der Stadt beschlagnahmt, aber von einem alten rostigen mit kaputten Schläuchen wüsste er noch, das könne er mir geben. Ich dankte von Herzen und er gab mir einen Posten mit, der mich zu dem Rad führte. Es stand in einem Hausflur hinter alten kaputten Kinder- und Rollwagen. In der Stadt war lebhaftes Getriebe. Unbehelligt kamen wir damit bis in die ›Herberge zur Heimat‹.

Emii Bonhoeffer
Foto: Jutta Koslowski
 

         Dort zeigte sich wieder, wie gemeinsame Not die besten Eigenschaften im Menschen entwickelt, wenn solche überhaupt vorhanden [sind]. Ein junger Buchdrucker aus Landau in der Pfalz, auch von der Familie getrennt nach entsetzlichen Erlebnissen, erbarmte sich über mein trostloses Rad, putzte es mir, ölte es, flickte die Schläuche, und es schien tatsächlich, dass wir damit starten könnten. Ich wagte eine kleine Probefahrt im Hinterhof – peng – Luft raus. Er montierte geduldig wieder ab. Großer Riss im Schlauch und Ventilschraube gebrochen. Er ging mit mir durch die ihm ebenso fremde Stadt, wir klopften an alle Türen von Radfahr-Geschäften, alles war schon zu, da es nach 7 Uhr abends war. Wir versuchten [es] hintenherum, mancher öffnete, hatte aber nichts, die meisten ließen verschlossen. Endlich, am Ende der Stadt, ein kleines Geschäft. Die Frau in großer Aufregung, sie hatten soeben ihren Mann abgeholt, der in der Partei war. Ich beruhigte sie und zog eine Hand voll Kaffeebohnen aus der Tasche, die ich aus Berlin für Notfälle als Medizin mitgenommen hatte. Diese Kaffeebohnen begeisterten sie dermaßen, dass sie uns sofort einen ganz neuen Schlauch heraussuchte, und in ihrem Schraubenkasten so lange kramte, bis sie eine passende Ventilschraube gefunden hatte.

         Nun konnte mein guter Buchdrucker das Rad tatsächlich auf die Höhe bringen. Beschwingten Schrittes kehrten wir heim.

         Frau Fritz, die nette Wirtin der Herberge, schenkte uns Stachelbeeren aus ihrem Garten und wir durften auf ihrem Herd wieder Grütze kochen. Unsre Vorräte gingen jetzt auf die Neige und es wurde Zeit, dass wir unser Ziel erreichten. Zum Glück hatten wir auf dem Rathaus ein paar Marken bekommen, so dass wir etwas nachkaufen konnten, Fett natürlich nicht, aber Brot und Grütze.

         Wir hatten an diesem Montag mancherlei Rat eingeholt, da wir uns nun der russisch-englischen Grenze näherten und den besten Uebergangspunkt finden mussten. Vor Grabow waren wir allseitig gewarnt worden, da man dort total ausgenommen würde. Es kam immer auf die Kommandanten an, dementsprechend benahmen sich die Truppen, und das war sehr verschieden.

19. Juni 1945

Wir starteten also am Dienstag, 19. Juni morgens um 5 Uhr nach Festung Dömitz. Herrliches Wetter, die Luft ist frisch, kein Wind, wir segelten leicht dahin. Mein Rad läuft besser als Frau Diems, ein Adler-Rad! Es ist besser als Dietrichs. Viele dankbare Gedanken sandte ich dem jungen hilfsbereiten Buchdrucker zurück. Erste Passkontrolle in Mödlich. Harmlos. Allright. In Kietz warnt uns ein Mann vor Dömitz. Dort kämen wir bestimmt nicht hinüber. Seit Wochen sei die Brücke über die Elde gesperrt, die Grenzgänger bekämen dort keine Marken mehr und drehten um. Wir sollten es am Elbdeich mit Fährleuten versuchen. Wir hatten aber von diesen Fährleuten schon gehört. Sie nehmen 200 Mark, fahren ein Stück aufs Wasser, dann schießen ein paar russische Posten, dann sagen sie »Sie sehen, es geht nicht«, drehen wieder um und behalten die 200 Mark. Wir besichtigen mehrere Stunden das Gelände am Deich und stellen fest, wo die Posten stehn. Wir verhandeln auch mit Fährleuten, aber die meisten lehnen es ab. Einer will uns seinen alten Kahn geben gegen all unsern Kaffee, Tee und Zigaretten. Wir behalten die Möglichkeit im Auge, versuchen unser Glück aber erst noch beim Dörfchen Pols.[13] Es ist ein wunderbarer heißer Sommertag, ein Weg durch blühende Wiesen. Pols scheint das gelobte Land. Wir bekommen bei einem Bauern Bratkartoffeln mit Eiern und Speck dazu und Milch zu trinken! Wir dürfen auch in seinem Stroh schlafen und die Räder sicherstellen. Ungern trennen wir uns von Pols, nachdem wir noch ein erfrischendes Bad in seinem Flüsschen genommen haben.

20. Juni 1945

Mittwoch früh um 5 Uhr Start doch nach Dömitz, da auch bei Pols keine Uebergangsmöglichkeit [besteht]. Um 1/2 7 Uhr kreuzen wir die Siedlung Neu Kaliß. Als ich Neu Kaliß lese, fällt mir ein, dass diese Adresse einmal eine Dame, Frau Neuber,[14] diktiert hat. Hier muss eine Papierfabrik sein. Wir fragen einen Bauern. »Jawohl, Herrn Vicky Bausch[15] seine Papierfabrik, die ist hier.« Richtig, Vicky Bausch hieß die Adresse. Bausch, dessen Arbeiter alle diese schmucken Häuschen bewohnten, war sogar jetzt Bürgermeister von Neu Kaliß. Also nichts wie hin. Wir finden unschwer seine Villa – morgens um 1/2 7 klingeln wir an der Türe des Herrn Bausch. Er öffnet selbst in elegantem braunem Morgenrock, ein schöner, grau-melierter Herr. Dass er selbst öffnet, beweist, dass die Mädchen hier nicht gern zu ungewöhnlichen Tageszeiten die Türen öffnen. Als er den Namen Bonhoeffer hört, verklärt sich sein Gesicht. Er machte die Tür weit auf und fragt mich nach seinem Freunde Haubach.[16] In dem Augenblick treten hinter uns zwei russische Posten, die beanstanden, dass wir uns nicht zuerst auf der Wache gemeldet haben. Bausch sagt uns noch »gehen Sie ruhig mit, und sagen Sie dem Kommandanten, dass ich Sie zum frühstücken erwarte.« Das ist natürlich die ideale Visitenkarte.

         Ein netter Reisekamerad Müller,[17] der sich bei Kyritz zu uns gesellt hatte, wurde vom Kommandanten nach Berlin zurückgeschickt, nachdem ihm Uhr und Zigarettenetui abgenommen worden waren. Wir aber erhielten die Erlaubnis, bei Bausch zu nächtigen. Der Kommandant wollte abends Bausch besuchen und unsern Fall besprechen.

         Bei Bauschs wurden wir auf das liebenswürdigste empfangen. Bad, Frühstück, Garten mit Liegestühlen stand[en] uns zur Verfügung. Frau Bausch,[18] eine bildschöne junge Frau mit zwei entzückenden Kindern, war eine Tochter des Herrn von Sell,[19] der mit Justus zusammen in russische Haft geraten war. Ich konnte ihr zwar nichts Beruhigendes sagen, aber wir hatten natürlich sofort wärmsten Kontakt, da sich mehr und mehr gemeinsame Bekannte und ähnliche Schicksale herausstellten.

         Abends kam der Kommandant. Er riet, ein paar Tage hier zu warten, vielleicht würde die Grenzsperre bald aufgehoben.

         Die sehr liebe Sekretärin von Herrn Bausch, Fräulein Bettina Nickel, umsorgte uns in rührendster Weise. Ich schlief auf dem Sofa in ihrem Zimmer, meine Freundinnen unten auf Sofas in dem wunderschönen großen Wohnzimmer mit unendlich vielen guten Büchern. (Bausch hatte Reinhold Schneiders Sachen zuerst gedruckt.)

[21. Juni 1945]

Am nächsten Tag macht Frl. Nickel mit uns einen größeren Spaziergang längs der Elde, die hier die russisch-englische Grenze bildet, und wir überlegen hin und her, wie wir hinüber kommen. Das Flüsschen ist nur etwa 20 m breit, und es will mir nicht in den Kopf, dass dieses lächerliche Hindernis nicht zu nehmen sein sollte. Aber es ist gut und ständig durch wandernde Posten bewacht. Ohne Räder und Gepäck könnte es vielleicht gelingen, wenn man das Gelände, das Ufer drüben und die Usancen der Posten genau studierte. Aber Bausch bittet dringend, es jedenfalls nicht von seinem Grundstück aus, ja auch nicht aus seiner Gastfreundschaft heraus zu tun, da er damit das Vertrauen des Kommandanten, auf welches für ihn alles ankommt, verlieren würde. Da war also wieder mal die berühmte Kehrseite der Medaille ›gute Beziehung‹.

         Drüben auf dem andern Ufer lag das Dorf Heiddorf. Dort wohnte die unverheiratete Schwester von Frau Bausch, der es gelungen war, bei einer Gelegenheit ›nach England‹ zu kommen. Sie hatte drüben Arbeit gefunden bei einem englischen Offizier als Dolmetscherin, da es in Heiddorf natürlich nicht viele Intellektuelle gab. Fräulein von Sell erschien manchmal am abendlichen Ufer und warf Nachrichten in Bauschs Garten. Auch der 17jährige Neffe, Hanno Bausch, schwamm gelegentlich unter Wasser hinüber, wenn dringende Nachrichten zu geben fahren.

         Da es uns unangenehm war, in diesen schlechten Zeiten zu dritt auf länger Gast zu sein, bei Menschen, die uns zwar nicht im geringsten spüren ließen, dass wir ihnen eine Last wären, aber wir waren doch schließlich Fremde für sie, so gingen wir öfter über Land zu Bauern, putzten dort Fenster, schälten ihnen Kartoffeln, gegen ein Essen.

22. Juni 1945

Am 22. [Juni 1945] gingen wir auf Bauschs Rat mit dessen Empfehlung zum Bürgermeister nach Dömitz, eine kleine Stunde hübscher Fußweg. Er setzte uns die Lage freundlich auseinander, dass bald eine Entspannung eintreten müsse, da Dömitz von fünf Dörfern jenseits der Elde (Nebenfluss der Elbe bei Dömitz, an dem auch Neu Kaliß liegt) versorgt würde, und die Sperre die Stadt einfach aushungere. Aber vorläufig sähe er keine Möglichkeit, uns zu helfen. Er riet, noch ein paar Tage zu warten.

         Ich ging dann noch allein zum russischen Kommandanten mit meinen besonderen Papieren. Da passierte das Erstaunliche, dass er bei meinem Mädchennamen stutzte. »Sind sie Verwandte von Kriegshistoriker Hans Delbrück?«[20] – »Ja, das ist mein Vater.« – »Ihr Vater hat im Jahr 1919 ein Einleitung zu russische Kriegsgeschichte geschrieben!« – »Ich weiß nicht, vielleicht, jedenfalls gibt es nur einen Hans Delbrück, der eine Kriegsgeschichte[21] geschrieben hat.« – »Ja, dieser hat das geschrieben. Ich weiß mehr wie seine Tochter!« Dabei schlug er sich strahlend aufs Knie. Ich zollte ihm auch aufrichtige Bewunderung und dachte, ob wohl ein deutscher Unteroffizier so gut über russische Historiker Bescheid weiß? Nun hoffte ich, doch sicher zu meinen Kindern kommen zu können – aber »rüber jetzt nix. Später vielleicht. Aber weil Sie Tochter von Hans Delbrück sind, sollen sie ein Pfund Fleisch haben!« Drei viertel weinend, ein viertel lachend kam ich aus der Höhle des Löwen wieder heraus.

[23. Juni 1945]

Am nächsten Morgen beschlossen wir, die Räder bei Bausch zu lassen, das Gepäck auf ein Minimum zu entlasten, dieses auf den Kopf zu schnallen, und bei Gelegenheit eines harmlosen Bades hinüber zu schwimmen. Wir gingen ganz weit weg von Bauschs und nahmen den Weg zunächst in Richtung zu unsern Bauern und Kostgebern.         Etwa eine halbe Stunde hinter dem Dorf pirschten wir uns einzeln über das Bahngleis an das Flüsschen heran. Kein Posten zu sehn. Drüben badeten Kinder. Dort wollten wir auch baden. Aber kaum hatte ich das Ufer erreicht, stießen hinter Holzstößen verborgen russische Posten mit Bajonetten vor. Ich war allein. Die beiden andern sah ich nicht. Ich tat sehr harmlos und erfreut, sie zu sehen, und frug, ob ich hier baden dürfte. »Nix baden. Wache kommen.« Ich verhandelte lange, bot ihnen ein Fläschchen Schnaps an, das mir die gute Frau Bausch auf alle Fälle mitgegeben hatte. Sie verlangten, dass ich mich neben sie auf den Waldboden setzen sollte, bis um 3 Uhr Wachenwechsel sei. Es war etwa 1/2 1 Uhr. – Während ich da saß und traurig ins Wasser starrte, immer von meinen Kindern halb russisch, halb deutsch erzählend – da ich von Berlin wusste, dass Russen sehr kinderlieb sind – zwinkerte der eine, recht Unangenehme, dem andern zu und machte eine unmissverständliche Bewegung. Ich tat, als ob ich nicht merkte, was er vorhatte, konnte aber beobachten, dass der andre den Kopf schüttelte. Dieser, sehr anständig, hatte aufrichtiges Mitgefühl, verstand meine Lage und sagte, er würde mir gerne rüberhelfen, aber dann würde er erschossen. Das wollte ich ja nun wieder nicht. Plötzlich kam ein dritter und vierter Posten, die meine Freundinnen gefunden hatten. Geteiltes Leid ist halbes Leid! Wir mussten doch lachen, wie wir alle so blöd ins Netz gegangen waren.

Emmi Bonhoeffer
Foto: Jutta Koslowski
 

         Um 3 Uhr wurden wir endlich abgeführt. Man sperrte uns in einen dunklen Kellerraum, dessen Fenster mit einem Brett von außen verstellt war, nur ein kleiner Ausschnitt, etwa 10 cm im Quadrat, ließ Licht einfallen. Aus der hellen Sonne kommend, sahen wir zunächst nichts. Es stank bestialisch. Man konnte sich nicht hinsetzen. Endlich merkten wir, dass in einer andern Ecke jemand lag. Sogar zwei. Es waren Männer. Sie waren ganz nass, waren von drüben hierher geschwommen und dabei geschnappt worden. Sie lagen da schon zwei Tage. Essen hatten sie nicht bekommen, folglich waren sie nicht sehr gesprächig. Wir teilten unsre Brote mit ihnen. Wir hatten nur eine Angst, den Ruf »Frau, komm!«,[22] wie wir ihn in Berlin so oft gehört hatten, und wie er manche Bekannte von uns zum Rasiermesser hatte greifen lassen.

         Ziemlich kleinlaut standen wir beisammen. Es verging vielleicht eine Stunde. Da öffnete sich die Tür. »Frau, komm.« Frau Diem geht zuerst. Lotti und ich bleiben zurück. Lotti holt ihr Messerchen raus. »Quatsch«, sage ich. »Auch das geht irgendwie vorüber.« – »Du willst noch zu deinen Kindern. Ich hätte ja umdrehn können, meine Mutter später sehn. Das ist es mir nicht wert.« Da tönt Frau Diems heitere Stimme von draußen: »Frau Bonhoeffer, Sie können ruhig kommen, ich sitze hier sehr gemütlich in der Sonne und muss dem Posten einen neuen Kragen in sein Jackett heften, ein Jammer, ein wunderbares Damasttischtuch haben die Kerls für diesen Zweck in Streifen gerissen!«

         Bald sitzen wir alle drei in der Sonne und heften frische Streifen in die verschwitzten russischen Soldatenkragen. Dann werden wir wieder eingesperrt. Vor der Nacht haben wir Angst. Es[23] bleibt uns erspart. Gegen 9 Uhr abends werden wir zur Vernehmung vor den Kommandanten geführt. Frau Bausch ist auch da. Wir sagen übereinstimmend aus, dass wir baden wollten, und dann aufs Land gehn, um Arbeit gegen Essen zu suchen. Der Kommandant, der unsre Pässe bekommen hatte, hatte Frau Bausch als Zeugin holen lassen. Das war uns äußerst unangenehm. Rührenderweise hat Herr Bausch es uns nicht übel genommen, dass wir ihm diese Unannehmlichkeiten bereiteten. Wir wurden in Gnaden entlassen mit dem Befehl, bis morgen früh um 5 Uhr den Ort in Richtung Berlin zu verlassen.

[24. Juni 1945]

Meine Freundinnen fuhren zurück. Ich hielt mich bei Bauschs, unter dem Vorwande einer Halsentzündung, verborgen. Nicht um die Welt wollte ich zurück. Was sollte ich in Berlin? Meine Kinder verzehrten sich in Unruhe um mich, und ich um sie.

25. Juni 1945

Am 25. [Juni 1945] übersiedelte ich in ein Zimmer der benachbarten Villa des Herrn Rudolf Bausch, der noch in englischer Kriegsgefangenschaft war. Mit seinem Sohne Hanno entwarf ich einen neuen Fluchtplan.

28. Juni 1945

Am 28. Juni abends um 10 Uhr war die Lage günstig. Der Hof der Papierfabrik war sehr ruhig, wenig russische Soldaten waren zu sehen, auch am Ufer schien der Postenverkehr geringer als sonst. Ich stand mit dem sehr vollen Rucksack, den ich in wasserdichtes Tuch, (einen Mottensack aus Bauschs Kleiderschrank) gesteckt hatte, der nur leider leuchtend blau war, unten an einer angelehnten Kellertüre und beobachtete Hanno Bausch, der mit einem russischen Posten sprach. Als dieser ihn verließ und etwa 20 Schritte entfernt in einem Torbogen verschwunden war, machte mir Hanno ein Zeichen mit der Hand, die er auf dem Rücken hielt. Ich huschte heraus, legte den Rucksack auf ein vorbereitetes Brett am Ufer, glitt wie ein Aal ins Wasser und schwamm los, den Rucksack vor mir her schiebend. Ich merkte nicht, dass das Wasser nass war. Das Herz schlug im Hals. Möglichst keine Wellen machen, damit der Posten auf der Brücke nicht aufmerksam wird. Zu diesem ging nun Hanno und verwickelte ihn in ein Gespräch. Ich erreichte das erste Ufer, eine kleine Insel, um die sich der Fluss teilte. Das Ufer war höher, als ich gedacht hatte, ich kriegte den schweren Rucksack nicht hinauf. Endlich gelang es. Wie eine Schlange auf dem Bauch kroch ich durch hohe Brennnesseln, den Sack hinter mehr herschleifend. Jenseits der Insel wieder ins Wasser. Die Insel war nur etwa 20 m breit. Noch einmal 20 m zu schwimmen und ›England‹ war erreicht. Ich hätte den Boden küssen können. Es war der Boden, auf dem meine Kinder waren. Nun musste alles Kinderspiel sein.

         Pudelnass aber strahlend grüßte ich die englischen Posten an der Dorfstraße, die mir freundlich zulächelten und gratulierten. Ich fand bald die Wohnung von Fr. v. Sell. Aber sie war nicht zu Hause. Schnatternd und schlotternd stand ich abends um 1/2 11 Uhr vor einer verschlossenen Tür. Da öffnete sich oben ein Fenster. Ich brauchte nicht viel zu erzählen, wer mich sah, wusste Bescheid. Eine sehr freundliche Frau öffnete mir, half mir aus den nassen Kleidern, hängte sie an ihrem Ofen auf, kochte mir Tee und riet, mich ruhig in Frl. v. Sells Bett zu legen, diese würde wahrscheinlich wiedermal nicht kommen, sie sei viel unterwegs.

         Das Zimmer hatte kaputte Scheiben, die gesplittert im Zimmer lagen. Im Nebenzimmer lag ein Haufen zusammengetragener Männer- und Frauenkleider. Alles war sehr unordentlich und unübersichtlich. Ich schlief nicht ein. Tee und Aufregung.

         Nach einiger Zeit höre ich Geflüster draußen und leise die Haustür gehn. Frl. v. Sell mit dem englischen Offizier. Ich flöte mit mildester Stimme: »Fräulein von Sell, bitte kriegen sie keinen Schreck, ich liege in Ihrem Bett, Ihre Schwester hat mich zu Ihnen geschickt, ich bin von Neu Kaliß rübergeschwommen.« Sie tritt herein, ohne im Geringsten bestürzt zu sein, fährt sie quasi fort: »Wenn Sie weiter nach Norden wollen, müssen Sie morgens sehr früh hier weg, die Russen rücken morgen hier nach, wir ziehn uns hier zurück, lassen Sie sich nicht überrollen.« – »Wann und wie kann ich hier schnell weg, ich habe mein Rad drüben lassen müssen?« – »Versuchen Sie, um 7 Uhr mit dem englischen Lastauto mitzukommen, holen Sie sich vorher dazu einen Stempel im Office des Mil[itary] Gov[ernment]. Ich muss jetzt leider fort, wir fahren gleich, nehmen Sie mit, was Sie hier brauchen können.« Schon war sie wieder draußen, hatte ein paar Sachen gerafft, und ein Auto brummte ab.

[29. Juni 1945]

Nun war vollends an Einschlafen nicht mehr zu denken. Eine Uhr besaß ich schon seit den Russentagen in Berlin nicht mehr. Ich wartete also auf das Morgengrauen, um mir Frühstück in der verlassnen Küche zu machen und meine Weiterreise vorzubereiten. Die großzügig hinterlassenen Schätze bereiteten mir die Qual der Wahl, denn wenn mich das Auto nicht mitnahm, musste ich ja weiterwandern und konnte also nicht allzuviel aufpacken. Ich nahm aber Butter, Grieß, Zucker, Seife, Tee, Brot und eine warme Decke mit. Als es heller wurde, ging ich zum beschriebenen Office. Alles schlief dort noch. Auf der Straße wenige Passanten. Mit jedem konnte man das Gespräch anfangen: Gehen die Engländer hier weg? Werden die Russen nachrücken? Wird die Grenzsperre aufgehoben? Alles wurde vermeintlich verneint. War ich besser informiert als die englischen Soldaten? Ein zweiter Vorstoß im Office verschaffte mir den erwünschten Stempel. Von Müdigkeit merkte ich nichts. Das Auto kam. Ich stieg mit auf. Zwei Stunden später war ich in Hamburg.

         Wie nun nach Lübeck? Züge gingen noch nicht, aber Gemüseautos sollten gehn. Es gelang mir, in ein solches hineinzuklettern. Geld bin ich auf der ganzen Reise nicht losgeworden. Ich hatte die trocknen Kleider aus dem Rucksack an, aber mein nasser Anzug hing wie eine Ausweisfahne[24] immer über meinem Rucksack. So wurde ich oft gefragt, wo ich herkäme, und wenn das Wort Berlin fiel, war ich sofort umstanden von einem Haufen Leute, die dort Freunde und Verwandte hatten und noch nichts von ihnen gehört hatten seit der russischen Besetzung. Ich beruhigte nach Kräften, immer an das Wort von Justus denkend: »In solchen Zeiten muss man nichts glauben von dem, was man hört; und nur die Hälfte von dem, was man sieht.«

         Es fiel mir auf, dass in dem Gemüseauto viele Soldaten waren, auch Offiziere, noch mit allen Rangzeichen auf Achseln und Mützen. Die Gespräche waren auffallend unvernünftig, von irgendwelcher Einsicht keine Spur. Die alte Dolchstoß-Legende in voller Blüte, beleidigte Erbitterung, Schuld nur beim neidischen Feind und bei den ›Verrätern‹ suchend. Ich schwieg natürlich und dachte mir mein Teil. Das Wort vom ›Otterngezücht‹[25] fiel mir ein, und die nachdenklichen Betrachtungen meiner klugen Schwägerin Dohnanyi[26] – »ob sie es wert sind, ist mir so fraglich – – «

         In Lübeck auf dem Marktplatz abgeladen, hörte ich, dass es keinen Sinn habe, meine Kinder bei Haffkrug zu suchen, dort sei längst kein Deutscher mehr, nur noch Polen. »Glaube nichts von dem, was du hörst«, warnte in mir die Stimme meines Bruders.

         In Lübeck ging ich zunächst zu der Adresse von dem Diem-Kind, das Frau Diem eigentlich hatte holen wollen. Es war mit Fräulein v. Ruts[27] nach Hamburg übergesiedelt, doch konnte man meine Nachrichten dorthin weiterleiten.

         Der erste Mensch, den ich in Lübeck zu Fuß erreichen konnte, war Thomas’ Klavierlehrerin Frau Kühl-Reuter in der Sophienstraße. Sie nahm mich in liebevollster Weise auf und bot sofort an, dass ich bei ihr übernachten könne. Es war Abend geworden. Sie erquickte mich mit allem, was ihre Speisekammer, eine rechte Kriegs-Speisekammer, bot, machte mir ein bequemes Lager mit frischer Wäsche auf ihrem Sofa, radelte noch in der Dunkelheit nach dem Krankenhaus-Süd, um Justus Carrière[28] Bescheid zu sagen, dass ich da sei. Nie werde ich vergessen, wie unsagbar wohl mir ihre Herzenswärme tat.

         Justus kam. – Er saß lange an meinem Bett. Wenige Worte genügten, ihn ins Bild zu setzen und mir das Gefühl tiefen Verstehens zu geben. Dies Gefühl bestätigte sich ein Jahr später, als er mir eine kleine Operation am Fuß machte, die mich eine Woche an seine Klinik band. Alle durch das Geschehenen aufgerührten Fragen politischer, weltanschaulicher oder persönlich-seelischer Art hatte es hier für mich nur Sinn, mit ihm zu besprechen.

         Er war auch im Mai [1945], als meine erste Nachricht nach der Kapitulation durch einen fremden Reisenden an die Kinder[29] zu seinen Händen gelangt war, nach Stawedder hinausgeradelt – gute zwei Stunden – und hatte sie ihnen gebracht. Es war die Nachricht von Justus’ und Eberhards Befreiung,[30] von Georg Hobes[31] Tod und von unserer Hoffnung auf die baldige Heimkehr von Klaus und Rüdiger, Dietrich und Hans. – – –

         Die Stawedderer waren tatsächlich aus ihrem Häuschen verwiesen worden und hatten einige Nächte im Kuhstall in Süsel verbringen müssen, aber inzwischen hatten die Polen das Häuschen wieder geräumt, waren in großen Lagern am Strande untergebracht worden, und ich würde die Kinder wahrscheinlich wieder am alten Ort finden.

[30. Juni 1945]

Am nächsten Morgen begleiteten mich Frau Kühl und ihre nette etwa 13jährige Tochter noch ein Stück die Schwartauer Allee hinauf, um zu erleben, ob es mir gelingen würde, auf einen Lastwagen zu kommen. Züge nach Haffkrug oder Pönitz gab es noch nicht. Sie hielten eine gute Stunde Schritt mit mir, aber alle Wagen fuhren vorbei. Das meiste waren englische oder polnische Autos. Diese hielten grundsätzlich nicht. Die paar deutschen waren überfüllt oder fuhren andere Strecken. Ich bat die beiden Treuen umzudrehn, aber nur die Behauptung, ich hätte allein mehr Chance, mitgenommen zu werden, bewog sie endlich, zurückzubleiben. Ich musste noch etwa zwei Stunden laufen mit dem schweren Gepäck, dann erbarmte sich ein polnischer Reiter, wenigstens den Rucksack auf sein Pferd zu laden, sodass ich leicht nebenher gehen konnte. Leider bog er bald ab.         Erst in Pansdorf las mich ein deutscher Laster auf, setzte mich aber im nächsten Dorf schon wieder ab. Nochmals eine Stunde Gepäcksmarsch, dann erkannte ich den Fleischerwagen von Süsel. Ich saß auf, fuhr bis zu seinem alt-vertrauten Geschäft und hatte nun nur noch den hundertmal gegangenen Weg Süsel-Stawedder. Es war mittags 12 Uhr. Die letzte Biegung, da, das Dach von Carrières Häuschen, geduckt unter die mächtigen Kirschbaumzweige, versteckt hinter dem verwucherten Knick.[32] Wie immer stand das kleine Gartentor offen, noch 10 Schritte und ich konnte durch die Fensterscheiben der kleinen Haustür direkt ins Esszimmer hineinschaun. Thomas[33] saß mit dem Rücken zur Tür, Lotta[34] ihm gegenüber, den Blick auf die Haustür. Sie sah mich, Thomas sah nur ihr Gesicht, blitzschnell, als hätte er nur auf diesen Moment gespannt, drehte er sich um und stürzte heraus – – – viele Menschen hatten um den Tisch gesessen, Finchen[35] mit einem Haufen Kinder, ihre Freundin Frau Knab mit vier Kindern, Walter[36] und Cornelie[37] waren in der Küche und im Kuhstallzimmer gewesen und kamen, durch den Tumult angelockt, herbeigelaufen. Ich sah nichts mehr – nur meine gesunden Kinder. – – – –

 

[1]      Geschrieben von Emmi Bonhoeffer in Gronenberg unter dem Datum 1. Februar 1948 im Jahr 1945(?? Das kann nict sein, oder? Meinen Sie 1948 oder 1949) (Archiv von Cornelie Großmann, unveröffentlichtes Dokument). Vereinzelte Rechtschreibfehler wurden hier stillschweigend korrigiert und die Orthographie an die neue deutsche Rechtschreibung angepasst. Da die von Emmi Bonhoeffer benutze Schreibmaschine offensichtlich nicht über den Buchstaben ›ß‹ verfügte, wurde die Schreibweise ›ss‹ an den entsprechenden Stellen durch ›ß‹ ersetzt. Die in diesem Bericht angegebenen Daten wurden zur Strukturierung des Textes als Überschriften (kursiviert) eingefügt.

[2]      Klaus Bonhoeffer (1901–1945) war das dritte Kind von Karl und Paula Bonhoeffer und der ältere Bruder des Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer. Vgl. Koslowski, Jutta: Wer war Klaus Bonhoeffer? Annäherungen an einen unbekannten Widerstandskämpfer, Gütersloh 2022 (im Erscheinen).

[3]      Rüdiger Schleicher (1895–1945) war mit Klaus Bonhoeffers ältester Schwester Ursula verheiratet. Seit 1933 arbeitete er im neu gegründeten Reichsluftfahrtministerium in Berlin und leitete dort ab 1935 als Ministerialrat die Rechtsabteilung. Er beteiligte sich nicht aktiv am Widerstand, wurde aber als Mitwisser der konspirativen Aktivitäten der Familie Bonhoeffer verhaftet und am 2. Februar 1945 zusammen mit Klaus Bonhoeffer vom Volksgerichtshof zum Tod verteilt.

[4]      Sie waren im Zellengefängnis in der Lehrter Straße 3 in Berlin inhaftiert und wurden auf dem ehemaligen ULAP-Ausstellungsgelände unweit des Lehrter Bahnhofs ermordet.

[5]      Justus Delbrück (1902–1945) war das fünfte Kind von Hans und Lina Delbrück und der ältere Bruder von Emmi Bonhoeffer. Seit Jugendtagen war Justus der beste Freund von Klaus Bonhoeffer – er studierte ebenso wie dieser Jura in Heidelberg und Berlin und absolvierte sein Referendariat (wie Klaus) beim Reichsverband der Deutschen Industrie in Berlin. Danach ging er in den Staatsdienst, den er jedoch 1935 wieder verließ, da er sich weigerte, in die NSDAP einzutreten und sich stattdessen zur Bekennenden Kirche hielt und dem Widerstand angehörte. Zeitweise konnte Justus Delbrück durch Hans von Dohnanyi im Amt Ausland/Abwehr des OKW eingesetzt werden (wo auch Dietrich Bonhoeffer tätig war), bis er 1940 in die Wehrmacht eingezogen wurde. Am 17. August 1944 wurde er von der Gestapo verhaftet und in der Lehrter Straße inhaftiert. Im März 1945 – nach der Ermordung seines Cousins Ernst von Harnack – konvertierte Justus Delbrück zum Katholizismus. Er gehörte zu den wenigen Gefangenen, die am 25. April 1945 aus dem Gefängnis befreit wurden.

[6]      Bereits am 20. Mai 1945 wurde er als ehemaliger Mitarbeiter der militärischen Abwehr von den russischen Besatzern erneut verhaftet und in das Speziallager Jamlitz bei Lieberose verbracht; dort verstarb er am 23. Oktober 1945 an Diphtherie bzw. Dystrophie (Unterernährung).

[7]      Handschriftliche Bleistiftnotiz am Rand: »Oktober 46 inoffizielle Nachricht von seinem Tode durch Sfianoff? einen entlassenen Gefangenen«.

[8]      Eberhard Bethge (1909–2000) war Pfarrerssohn und studierte selbst Theologie. Im Predigerseminar in Finkenwalde lernte er Dietrich Bonhoeffer kennen und wurde sein engster Freund und Mitarbeiter. 1943 heiratet er Renate Schleicher, die Tochter von Klaus’ ältester Schwester Ursula; somit gehörte er zum Familienkreis der Bonhoeffers. Danach wurde er zur Wehrmacht eingezogen und als Schreiber in Italien stationiert, bis er am 30. Oktober 1944 im Zusammenhang mit den Ermittlungen zum 20. Juli verhaftet wurde. Am 25. April 1945 wurde er (ebenso wie Justus Delbrück) aus dem Gefängnis entlassen und machte sich auf die Suche nach den Vermissten. Bei familiären Anlässen wie Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen wirkte er häufig als Pfarrer mit und machte sich durch seinem unermüdlichen Einsatz als Nachlassverwalter und Biograph von Dietrich Bonhoeffer verdient.

[9]      Lieder, Gebete und Predigt dieses Gottesdienstes sind erhalten geblieben: Eberhard Bethge: Ansprache auf der Beerdigung von Emmi Bonhoeffer am 20. März 1991 (Archiv von Cornelie Großmann, unveröffentlichtes Dokument).

[10]    Emmi Bonhoeffer zitiert hier aus dem Gedächtnis, da ihr die Predigt von Eberhard Bethge damals nicht vorlag. Hier der Wortlaut des Absatzes, auf den sie sich bezieht: » Vergeblich warfen sie sich ihm in die Arme. Gott wollte mehr als ihre verantwortungsfreudigen Pläne. Er wollte ihr Opfer als Zeichen für uns – und wir bringen es nun mit schwerem Herzen.« (Eberhard Bethge: Ansprache auf der Beerdigung von Emmi Bonhoeffer am 20. März 1991, S. 1, Archiv von Cornelie Großmann, unveröffentlichtes Dokument).

[11]    Es handelte sich um Charlotte Dieck, eine befreundete Ärztin, und Lieselotte Diem, eine Lehrerin an der Waldschule und Nachbarin von Emmi Bonhoeffer in Eichkamp.

[12]    Karl und Paula Bonhoeffer, die Schwiegereltern von Emmi Bonhoeffer.

[13]    Nicht identifizierbar

[14]    N.i.

[15]    Viktor Bausch (1898–1983) wurde in Neu Kaliß geboren als Enkel von Theodor Bausch, dem Mitbegründer der dortigen Papierfabrik Felix Schoeller & Bausch. Nachdem er Chemie, Maschinenbau, Philosophie und Geschichte studiert hatte, kehrte er in das Familienunternehmen zurück und führte es während der Nazizeit (wobei er Oppositionelle unterstützte). 1946 wurde die Fabrik durch die sowjetische Besatzungsmacht demontiert und bis 1949 von Viktor Bausch wieder aufgebaut. 1950 ging er nach Westdeutschland. Nach der Wende wurde der Privatbesitz in Neu Kaliß an seinen Sohn Thomas zurückgeben, und von diesem dort die gemeinnützige Stiftung ›Bauschpark 2007‹ gegründet.

[16]    Theodor Haubach (1896–1945) war ein Studienfreund von Viktor Bausch und wurde in dessen Betrieb in Neu Kaliß beschäftigt, nachdem er 1936 aus dem KZ entlassen worden war. Haubach hat bei Karl Jaspers promoviert; war er als SPD-Politiker aktiv und engagierte sich im Widerstand gegen Hitler. Nach dem 20. Juli 1944 wurde er erneut festgenommen, vom Volksgerichtshof zum Tod verurteilt und am 23. Januar 1945 (gemeinsam mit Helmuth James Graf von Moltke) in Berlin-Plötzensee erhängt.

[17]    Nicht identifizierbar

[18]    Erika Bausch, geb. von Hornstein (1913–2005) betätigte sich als Malerin und Schriftstellerin; später drehte sie auch Dokumentarfilme.

[19]    Ulrich von Sell (1884–1945) war der Stiefvater von Erika Bausch; ihr leiblicher Vater Erich Freiherr von Hornstein war im Ersten Weltkrieg gefallen. Sell gehörte dem politischen Widerstand gegen das Nazi-Regime an und wurde nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli verhaftet. Er wurde im gleichen Gefängnis wie Klaus Bonhoeffer, Rüdiger Schleicher und Justus Delbrück inhaftiert und dort am 30. März 1945 aus der Untersuchungshaft entlassen. Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Berlin wurde er wieder verhaftet und in das ›Speziallager Nr. 6‹ bei Lieberose verbracht, wo sich auch Justus Delbrück befand; dort starb er im November 1945 (einen Monat nach Justus) an Unterernährung und Lungenentzündung.

[20]    Hans Delbrück (1848–1929) war im Deutschen Kaiserreich Mitglied des Reichstags und engagierte sich als Publizist. Außerdem war er Professor für Geschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Er war Herausgeber der Preußischen Jahrbücher und verfasste zahlreiche andere umfangreiche Werke.

[21]    Delbrück, Hans: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, 4 Bde., Berlin 1900/1902/1907/1920. Vom letzten Band (oder von den verschiedenen Neuauflagen der vorhergehenden Bände) hätte Emmi durchaus etwas wissen können.

[22]    Die Soldaten der Roten Armee waren berüchtigt und gefürchtet für ihre systematischen Massenvergewaltigungen an deutschen Frauen und Mädchen, die in den ersten Monaten nach Kriegsende stattfanden.

[23]    Korrektur; im Original: Sie.

[24]    Bedeutung unklar.

[25]    Vgl. Mt 23, 33, wo Jesus in seiner Drohrede gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer ausruft: »Ihr Schlangen, ihr Otternbrut! Wie wollt ihr der höllischen Verdammnis entrinnen?«

[26]    Christine von Dohnanyi (1903–1965) war eine Schwester von Klaus und Dietrich Bonhoeffer und verheiratet mit Hans von Dohnanyi, der im Amt Ausland/Abwehr eine maßgebliche Rolle im Widerstand gegen Hitler spielte. Vgl. Smid, Marikje: Hans von Dohnanyi, Christine Bonhoeffer. Eine Ehe im Widerstand gegen Hitler, Gütersloh 2002.

[27]    N.i.

[28]    Justus Carrière (1915–2001) war der jüngste Sohn von Paul und Lotta Carrière.

[29]    Dieser Brief ist erhalten geblieben: Emmi Bonhoeffer: Brief an ihre Kinder vom 25. Mai 1945 (Archiv von Walter Bonhoeffer, unveröffentlichtes Dokument).

[30]    Am 25. April 1945 wurden Justus Delbrück und Eberhard Bethge von der Roten Armee aus ihrer Haft im Gefängnis Lehrter Straße befreit.

[31]    Georg Hobe (1886–1945) war der Ehemann von Emmi Bonhoeffers älterer Schwester Lene; am 5. Mai 1945 wurde er in Wannsee von einem betrunkenen russischen Soldaten erschossen.

[32]    Das ist ein mit Sträuchern bepflanzter kleiner Erdwall, wie sie an der Holsteinischen Küste weit verbreitet sind; die Bauern grenzten damit ihre Felder ab und schützten den Boden vor Erosion durch den von der Küste her beständig wehenden Wind.

[33]    Thomas Bonhoeffer (geboren am 26. August 1931 in Berlin) war der älteste Sohn von Emmi und Klaus Bonhoeffer.

[34]    Lotta Carrière (1889–1964) war eine Cousine von Emmi Bonhoeffer. Gemeinsam mit ihrem Mann Paul war sie in den zwanziger Jahren aufgebrochen, um in dem winzigen Dorf Stawedder an der Lübecker Bucht eine Bauernkate zu renovieren und dort ein alternatives Künstler-Leben zu führen. Nachdem ihr Mann bereits 1929 verstorben war, zog Lotta ihre vier Kinder dort als alleinerziehende Mutter auf und verdiente ihren Lebensunterhalt mit Klavierunterricht. Vgl. die Schilderung von Lottas jüngster Tochter Agnes Carrière, die schreibt: »Stawedder ist ein kleines Dorf nahe der Lübecker Bucht. Meine Eltern hatten vorn Berlin aus dort eine Schusterkate gekauft – als Musikerehepaar – mit einer Kuh und einem Schwein. Wir waren vier Kinder und wuchsen mit vielen Gästen, viel Musik und viel Freiheit auf. Oft und gern kam Emmi Delbrück, eine Cousine meines Vaters, aus Berlin zu uns.« (Agnes Carrière. In: Briefe von Walter von Hase an Agnes Carrière Mai 1944 – März 1945, S. 6, Archiv von Hein Schelten, unveröffentlichtes Dokument).

[35]    Sophie Carrière (geboren 1916, Todesdatum unbekannt) war das dritte Kind von Lotta und Paul Carrière.

[36]    Thomas Bonhoeffer (geboren am 26. August 1931 in Berlin) war der Tochter von Emmi und Klaus Bonhoeffer.

[37]    Cornelie Bonhoeffer (geboren am 31. Oktober 1934 in Berlin) war der erste Sohn von Emmi und Klaus Bonhoeffer.

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