Theologie und Krise

Eine Thesenreihe darüber, wie heute Theologie sinnvoll gedacht werden kann
Abstrakte Kunst
Foto: AKG
Hannah Bischof (*1960): „Krise (I) " 2013; Acryl auf Leinwand, 40 × 60 cm.

Der Begriff der Krise (von griechisch krisis – dt. Unsicherheit, Entscheidungsraum, Wendepunkt) bestimmt immer wieder das Zentrum theologischen Denkens. Als locus classicus für die „Theologie der Krise“ als Bezeichnung für den theologischen Neuaufbruch nach dem Ersten Weltkrieg konzipiert, befindet sich die Theologie heutzutage scheinbar per se in der Krise. 33 Thesen zur aktuellen theologischen Krisenlage:

I. Krisenzeit

1. Krisen sind die Signatur der Gegenwart. Ob Corona-Krise, Klimakrise oder Kirchenkrise, oder jetzt natürlich ganz massiv die weltweit empfundene Krise aufgrund des schrecklichen Krieges in der Ukraine – der Krisenbegriff und Krisenrhetorik bestimmen die aktuellen Diskurse, wie eine flüchtige Google-Recherche zeigt. Zu Klimakrise findet man rund 4,4 Millionen Einträge. Verwandte Begriffe sind Umweltkrise (78.800 Ergebnisse) und ökologische Krise (1,59 Millionen Einträge). Noch häufiger taucht das Schlagwort „Corona-Krise“ auf (5,8 Millionen Mal). Für das Stichwort „Kirchenkrise“ gibt es dagegen nur 180.000 Suchergebnisse, was ein Indiz dafür ist, dass dieses Thema außerhalb der Kirchen die Menschen weit weniger als in Kirchenkreisen bewegt.

2. Der Ruf zur Neuorientierung ist fester Bestandteil jeder Krisenrhetorik. Sie hat Appellcharakter, sei es, das zur Umkehr aufgerufen wird, um die endgültige Katastrophe noch im letzten Moment abzuwenden – es ist fünf vor zwölf! –, sei es, dass die Krise als Chance beschworen wird, frei nach Hölderlins Versen aus seinem Gedicht „Patmos“: „Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch.“

3. Getreu dem Sprichwort: „Not lehrt beten“ sollte man annehmen, das Krisenzeiten Hochzeiten für Religion und Kirchen sind. Das aber ist augenscheinlich heute nicht der Fall, jedenfalls nicht in unseren Breitengraden. Nehmen wir zum Beispiel die Klimakrise. Die Kirchen engagieren sich seit Jahrzehnten für den Umweltschutz. Sie nennen es Bewahrung der Schöpfung. Der weltweite konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung erzielte in den 1980er-Jahren größere Aufmerksamkeit, ist aber längst kein gesellschaftlicher Motor mehr für Veränderungsprozesse. Analog zur Bewegung „Fridays for Future“ gibt es zum Beispiel in Österreich eine interreligiöse Initiative „Religions for Future“. Aber das Beispiel zeigt, dass die Kirchen vom „Vortrupp des Lebens“, wie sie einst Helmut Gollwitzer bezeichnet hat, zur Nachschubtruppe geworden, die gelegentlich etwas gekränkt an die eigene Pionierrolle vor mehr als einer Generation erinnern.

4. Auch die Corona-Krise hat den Kirchen keinen Auftrieb verliehen. Dass es in der Pandemie während der Lockdowns zu Neuaufbrüchen und eindrucksvollen Experimenten mit neuen Formaten von gottesdienstlichem Leben und Verkündigung gekommen ist, soll nicht bestritten oder kleingeredet werden. Euphorische Visionen einer digitalen Kirche der Zukunft, gewissermaßen eines Christentums 2.0, dürften aber doch etwas übertrieben sein. Nüchtern betrachtet, hat sich die Reichweite kirchlicher Verkündigungsangebote wohl nicht dramatisch erhöht. Mag es anfangs vielleicht eine gewisse Erwartung in der Bevölkerung gegeben haben, von den Kirchen und ihren Repräsentanten Wegweisendes und Hilfreiches zur Corona-Pandemie zu hören, hat diese rasch nachgelassen. Teilweise fühlten sich Menschen von den Kirchen im Stich gelassen.

5. Die Corona-Pandemie ist Lehrstück und Trigger für die Säkularisierung und Privatisierung von Religion in westlichen Gesellschaften, vielleicht sogar global. Sie führt aufs Ganze gesehen das Ausmaß theologischer Auszehrung vor Augen, von denen die Kirchen schon lange befallen sind. Es ist nicht nur der massive Verlust an Glaubwürdigkeit, den die Kirchen im Umgang mit sexualisierter Gewalt erlitten haben, der das dramatische Anwachsen der Austrittszahlen befeuert.

6. Die Krise ist insgesamt die Signatur der Moderne. Die Moderne ist Krise in Permanenz. Die Wendung „Theologie in der Krise“ ist doppeldeutig. Sie kann als Ortsangabe gelesen werden, also als Bestimmung des Kontextes, in dem heute Theologie zu treiben ist. Sie kann aber auch als Diagnose gelesen werden, dass sich die Theologie insgesamt in einer Grundlagenkrise befindet.

7. Wer Theologie für die Krise treiben und formulieren möchte, muss sich zugleich der Krise stellen, in der die Theologie sich selbst befindet. Der theologische Auszehrungsprozess, von dem die Rede ist, betrifft nicht die Kirchen allein, sondern auch die akademische Theologie und beide in ihrem Wechselverhältnis.

8. Die Frage, worin denn eine Theologie in der Krise und für die Krise – kurz eine Krisentheologie – bestehen kann, muss noch weiter vertieft werden. Es geht nicht allein darum, in apologetischer Manier dem Schema von Frage und Antwort zu folgen, also theologische Antworten auf die Krise oder die Krisen als Frage zu geben. Die theologische Aufgabe und Herausforderung besteht auch darin, die gängige Krisendiagnostik und Krisenrhetorik einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen.

9. Was nottut, ist ein dezidiert theologischer Begriff der Krise, das heißt ein biblisch fundierter Begriff, der innerweltliche Krisenerfahrungen transzendiert und dort thematisch wird, wo von Gott, seiner Beziehung zu uns Menschen und zur Welt im Ganzen die Rede sein soll.

II. Theologie in der Krise – Theologie der Krise

10. In der gegenwärtigen Lage ist es hilfreich, an jene Theologie der Krise zu erinnern, die nach dem Ersten Weltkrieg unter dem Namen der Dialektischen Theologie für einen theologischen Neuaufbruch sorgte.

11. Um beim Stichwort „Theologie der Krise“ oder „Theologie der Krisis“ nicht ausschließlich an Karl Barth zu denken, seien einige Sätze aus Rudolf Bultmanns Aufsatz über „Die liberale Theologie und die jüngste theologische Bewegung“ aus dem Jahr 1924 zitiert, in dem er seinen Richtungswechsel zur dialektischen Theologie bekundete. „Gott“, so schreibt Bultmann, „bedeutet die totale Aufhebung des Menschen, seine Verneinung, seine Infragestellung, das Gericht für den Menschen. Ob Gott adäquat oder inadäquat erkannt ist, ob man in Anthropomorphismen von Gott redet oder nicht, ist ganz gleichgültig. Es handelt sich um nur die Frage: was bedeutet Gott für den Menschen? Und wo der Gedanke Gottes wirklich erfaßt ist, bedeutet er eben die radikale Infragestellung des Menschen.“

12. Der Begriff der Krisis taucht bei Bultmann in Verbindung mit der Sinnfrage auf. Er vertritt die These, Pessimismus und Nihilismus hätten ihren Maßstab am menschlichen moralischen Urteil und seinem Glücksverlangen. Diese These bewahrheitet sich meines Erachtens in der Corona-Pandemie ebenso wie in der Klimaschutzdebatte.

13. Die Theodizee ist in der Moderne zur Anthropodizee mutiert. Sofern der Mensch oder die Menschheit als Kollektivsubjekt für das Schicksal des Planeten allein verantwortlich ist, findet eine umfassende Moralisierung aller Lebensbereiche, auch Gesellschaftsbereiche und auch der Sphäre des Politischen statt. Die grundlegende gesellschaftliche und politische Erschütterung, welche die Pandemie ausgelöst hat, besteht im massiven Kontrollverlust aller Systeme und der Herausforderung, ohne gesichertes Wissen oder im Wissen um das eigene Nichtwissen agieren und politische Entscheidungen unter der Voraussetzung bleibender Ungewissheit treffen zu müssen.

14. Die krisenhafte Begegnung mit dem biblisch bezeugten Gott, die je auf ihre Weise Barth und Bultmann beschrieben haben, kann hingegen als Gericht und zugleich als Gnade erfahren werden. Bultmann sieht im göttlichen Gericht die heilsame Möglichkeit, dass der Mensch von sich selbst frei wird. Soziologisch und sozialethisch können wir auch sagen, dass die moderne Gesellschaft vor ihrer selbstzerstörerischen Selbstüberlastung bewahrt wird.

15. Im Zuge der Corona-Krise ist über die Systemrelevanz der Kirchen diskutiert worden. Nach biblischem Zeugnis ist es nicht die primäre Aufgabe der Kirche, bestehende gesellschaftliche Systeme zu stabilisieren. Schon gar nicht, wenn sie die Menschenrechte missachten, das Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich verschärfen und die Ausbeutung von Mensch und Natur vorantreiben.

16. Im Verlust an Systemrelevanz liegt für Kirche und Theologie die Chance, aus der babylonischen Gefangenschaft einer auf reine Diesseitigkeit reduzierten Moralanstalt befreit zu werden. Der Glaube ist kein Muss. Er bleibt aber eine Option, wie auch Gott nicht notwendig, sondern – mit dem evangelischen Theologen Eberhard Jüngel gesprochen – mehr als notwendig ist und unseren Wirklichkeitssinn gerade dadurch schärft, dass er uns mit Möglichkeitssinn begabt.

III. Gottes Krise

17. Krisenhafte Züge der modernen Theologie rühren nicht nur von der Krise als Signatur der Moderne her. Sie haben ihre Ursache in einer noch tiefer liegenden Ursache, die man als Krise Gottes bezeichnen muss. Inkarnations- und kreuzestheologisch betrachtet, ist das Kreuz Christi wohl das Gericht Gottes über den Menschen und die Welt und zugleich der Ort der von Gott gestifteten Versöhnung. In diesem Akt der Hingabe aus seiner grenzenlosen Liebe setzt sich freilich Gott selbst aufs Spiel. Er liefert sich seinen Feinden aus und erleidet selbst den Tod, auch wenn vom Tod Gottes nur auf trinitarische Weise gesprochen werden kann, weil anders von der Auferweckung des Gekreuzigten gar nicht mehr die Rede sein könnte, durch die erst der Tod Jesu als Heilsereignis begreifbar und wirksam wird.

18. Wenn Gott im Wort ist und durch das Wort zur Sprache und damit zu uns Menschen kommt, dann ist die in der modernen Gesellschaft zu beobachtenden Krise christlicher Glaubenssprache zugleich eine „Gotteskrise“ (Johann Baptist Metz). Ohne selbstkritische Auseinandersetzung mit der innerkirchlichen Gotteskrise und dem Misslingen kirchlicher und theologischer Rede von Gott laufen alle Versuche, auf neue Weise von Gott zu reden, ins Leere.

19. Es zählt zu den Aufgaben einer Theologie in der und für die Krise, das Schweigen der Sprache auf rechte Weise als Schweigen Gottes zu begreifen, das im 20. Jahrhundert auf vielfältige Weise beschrieben worden ist.

20. Von Gott können wir nur sprechen, wenn er selbst auf neue Weise zur Sprache kommt. Dass dies auch heute geschehen kann, bleibt die Verheißung der biblischen Überlieferung, die uns zugemutet wird. Es gehört zu den Zumutungen des Neuen Testaments zu glauben, dass selbst die abgründigen Erfahrungen von Gottes Schweigen in der heutigen Welt durchdrungen sind vom befreienden Wort des Evangeliums, dass Gottes Schweigen, dessen Erfahrung überhaupt nicht zu leugnen ist, sein Reden nicht dementieren kann.

21. Letztlich ist die Krise Gottes als Krise seiner Allmacht zu begreifen, die zu Ostern als Macht über den Tod gefeiert wird. Es gehört zu den theologischen Herausforderungen der Gegenwart, wie von Gottes Wirken in der Welt, in der Geschichte und im Leben der einzelnen Menschen gesprochen werden kann. Diese Frage berührt den Schöpfungsglauben ebenso wie das Problem der Geschichtstheologie. Auch dies ist in der Corona-Krise deutlich geworden.

22. Das inkarnations- und kreuzestheologische Motiv der Krise Gottes ist, bei Lichte gesehen, schon der Schöpfungslehre eingeschrieben. Die biblische Erzählung von der Sintflut hat ihr Wahrheitsmoment darin, dass die vorfindliche Welt nicht mehr die ursprüngliche, von Sünde und Entfremdung freie Schöpfung ist, die aber trotz allem von Gott weiter geliebt ist und erhalten wird. Mit dem Versprechen, die Erde nicht noch einmal vernichten zu wollen, sondern sie zu erhalten, lässt sich Gott auf den sündigen Menschen ein. Das aber bedeutet, „daß Gott die menschliche Entfremdung und Schuld leidet, daß er, Gott, eben diese menschliche Schuld zur Voraussetzung seines Handelns macht“ (Carl Heinz Ratschow).

23. Der Marburger Systematiker Carl Heinz Ratschow gebraucht zur Beschreibung dieses Sachverhalts den Begriff der Wandlungen Gottes, der sich schon bei Ernst Troeltsch, Friedrich Gogarten, Ernst Barlach und Rudolf Bultmann findet. Ratschow verwendet ihn, um von der Kondeszendenz (dt. Herabneigung) Gottes zu sprechen, die gemäß dem Philipperhymnus (Phil 2,5-11) in der Niedrigkeit Christi ihren äußersten Punkt findet.

24. Unter dem Vorzeichen der Sünde, das heißt der Entfremdung von Gott, ist die prozesshafte Schöpfung in ihrem Bestand und Fortgang als permanente Krise zu verstehen. Indem Gott sich zur Erhaltung der Schöpfung (conservatio mundi) und ihrem dynamischen Fortgang (creatio continua) bestimmt, wird die Schöpfung zu Gottes eigener Krise. Erst in dieser Zuspitzung lässt sich erfassen, was es bedeutet, dass in evolutionärer Sicht Gottes ursprüngliches Schaffen und sein fortgesetztes Schöpfungshandeln eine Einheit bilden.

25. Auf diese Weise wird nun aber auch der trinitätstheologische Gedanke der Schöpfungsmittlerschaft Christi kreuzestheologisch erschlossen, nämlich so, dass im Kreuzestod Christi die Krise der Schöpfung und mit ihr die Krise Gottes ihren äußersten Kulminationspunkt erreicht.

26. Soll in Anbetracht der Krise Gottes weiter von ihm die Rede sein, ohne alle Theologie in Anthropologie und Ethik aufzulösen, wird dies – so meine These – allerdings nur möglich sein, wenn an der Rede von der Allmacht Gottes festgehalten wird. Mit ihr steht und fällt alle christliche Rede von Gott, wie ein Blick auf die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse zeigt.

27. Nicht nur fällt auf, dass sowohl das Apostolikum als auch das Nicäno-Konstantinopolitanum ausdrücklich von Gottes Allmacht sprechen (Deus, pater omnipotens, griechisch Pantokrátor), sondern, dass seine Allmacht überhaupt die einzige Eigenschaft ist, die Gott in beiden Glaubensbekenntnissen zugesprochen wird. „Sie bringt also nicht nur eine Eigenschaft unter anderen zum Ausdruck, sondern stellt heraus, was Gott in Wahrheit ist, wer er als Gott ist“ (Hans Christoph Askani). Oder um es mit den Worten Rudolf Bultmanns zu sagen: Wo „überhaupt der Gedanke ‚Gott‘ gedacht ist, besagt er, daß Gott der Allmächtige, d.h. die Alles bestimmende Wirklichkeit sei“.

28. Wird der Gedanke der Allmacht Gottes preisgegeben, läuft die Transformation christlicher Glaubensgehalte in ethische Appelle auf eine Hypermoral (Arnold Gehlen) hinaus. Das Vertrauen auf Gottes Allmacht und sein Handeln in der Welt steht nicht im Widerspruch zum Gedanken menschlicher Eigenverantwortung. Vielmehr befreit der Glaube, das bedingungslose Vertrauen auf Gott, zur Verantwortungsübernahme und zur freien Tat.

29. Wir erfahren Gottes Wirken in, mit und unter Widerstand und Ergebung dem gegenüber, was wir Schicksal nennen. Dann erfahren wir, dass menschliche Lebensführung immer auch ein Geführtwerden ist.

IV. Wartende Theologie

30. Theologie in der Krise – im doppelten Sinne des Wortes – und Theologie für die Krise hat die Aufgabe zu warten: zu warten auf den je neuen Einbruch Gottes in die Welt, auf sein Kommen und darauf, dass er auf neue Weise zu uns Menschen spricht, indem die Sprache der biblischen Überlieferung für uns auf neue Weise sprechend und ansprechend wird. Solche Krisentheologie ist gerade nicht resignativ, sondern höchst erwartungsvoll.

31. Das Warten auf die Offenbarung bzw. die Wiederkunft Christi auf die Herrlichkeit Gottes und einen neuen Himmel und eine neue Erde ist ein Grundmotiv im ganzen Neuen Testament. Vom Warten sprechen wir nicht nur in der Bedeutung des Abwartens, sondern auch im Sinne des Hegens und Pflegens (Wartungsdienst), im Sinne der Vorbereitung auf das, was kommen mag und also auch im Sinne der Wachsamkeit, zu der die Christen im Neuen Testament aufgerufen werden. Paulus: „Wir warten im Geist und aus Glauben auf die Erfüllung unserer Hoffnung: die Gerechtigkeit“ (Galater 5,5).

32. Was Theologie und Kirche zur Erneuerung des christlichen Glaubens beitragen können, ist tätiges Warten. Zu Recht kritisiert die Praktische Theologin Birgit Weyel eine „Art Aufregungsbewirtschaftung à la ‚Es muss etwas getan werden‘, auch weil angeblich nur noch ein verhältnismäßig schmaler zeitlicher Korridor bleibt, wo man noch etwas ändern kann“, warnt aber genauso richtig vor „einem schlichten ‚Weiter so‘“. Tätiges Warten ist weder das eine noch das andere.

33. Eine wartende Kirche „wartet, indem sie arbeitet“ (Dietrich Bonhoeffer). Theologie, die sich mit letzter Redlichkeit einer Situation stellt, in welcher der christliche Glaube eben nicht fraglos gegeben ist, ist wartende Theologie, die nicht zu allem und jedem etwas zu sagen hat, sondern bisweilen nur qualifiziert schweigen kann und auch in Glaubensfragen ihre Sprachnot nicht kaschiert. Sie ist ferner in dem Sinne wartende Theologie, dass sie das Erbe des biblischen Zeugnisses hütet, getragen von der Hoffnung, dass es neu zu sprechen beginnt. Wartende Theologie dient der Einübung in ein Christsein, das, wie Bonhoeffer gesagt hat, in dreierlei besteht, nämlich nicht nur im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen, sondern auch im Warten auf Gottes Zeit.

(Die vorliegende Thesenreihe fußt auf einem Vortrag, den der Verfasser am 16. Februar 2022 vor dem Allgemeinen Pfarrkonvent der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg gehalten hat.)

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