Und es ward licht

Ausstellung „Impressionismus – deutsch-französische Begegnungen“ in der Hamburger Kunsthalle
Lovis Corinth (1858 – 1925): Blick auf den Köhlbrand, 1911.
Foto: Elke Walford/© Hamburger Kunsthalle/bpk
Lovis Corinth (1858 – 1925): Blick auf den Köhlbrand, 1911.

Mit einer Neupräsentation von über achtzig Werken französischer und deutscher Impressionisten zeigt die Hamburger Kunsthalle eine der prägenden Kunst­richtungen der Moderne als ein europäisches Phänomen. Der Theologe Robert M. Zoske hat die fünf umgestalteten Säle der Lichtwark-Galerie besucht.

Licht. Endlich wieder. Das Frühlingslicht belebt. Auch das Licht der Impressionisten in Hamburg ist eine Wohltat für die Seele. In den nächsten Jahren gestaltet die Kunsthalle ihren Sammlungsrundgang neu. Den Beginn machen einundachtzig Bilder und vier Skulpturen französischer und deutscher Künstler zwischen 1854 und 1932, die in fünf thematischen Räumen präsentiert werden. In diesem Licht waren die Werke noch nicht zu sehen, und ihre Geschichten werden anders erzählt. Die Deutschen Liebermann, Corinth und Beckmann korrespondieren mit den Franzosen Manet, Renoir und Monet. Hinzu kommen selten gezeigte Werke von Gretchen Wohlwill, Alma del Banco, Leopold von Kalckreuth und Jean-François Millet, Edgar Degas, Camille Pissarro und weiteren.

Im ersten der taubenblau ausgemalten Räume, „Ansichten der Stadt“ benannt, hängen Claude Monets „Waterloo Bridge“ und Lovis Corinths „Blick auf den Köhl­brand“ nebeneinander. Mehr als vierzig Mal hat Monet die Londoner Brücke über die Themse gemalt, so sehr faszinierte ihn das Wechselspiel von Licht, Smog- und Nebelschwaden. Die Hamburger Version von 1902 ist voll blaugrauer Töne, der Horizont mit seinen Fabrikschornsteinen verschwimmt im Dunst. Und dennoch dominiert das Licht, das unter den Brückenbögen und auf den Wellen tanzt und glitzert. Als Corinth 1911 sein Hafenbild malte, konnten es sich wohl nur wenige vorstellen, dass an dieser Stelle einmal ein filigran-mächtiges Bauwerk, die Köhl­brandbrücke, die dreihundert Meter breite Süderelbe überspannen würde. Himmel und Erde teilen die Leinwand in zwei Hälften. Ein winziger Kirchturm durchbricht die Horizontlinie. Die rauchenden Schornsteine im Vordergrund und der rege Schiffsverkehr zeigen, wie intensiv die industrielle Nutzung des Wasserarms schon damals war. Huschen die Menschen auf der Waterloobridge schemenhaft vorüber, so verbirgt Corinths Industrielandschaft sie hinter Schiffen und Gebäuden ganz. Aber das Licht bleibt.

Bleibendes Licht

Im zweiten Raum „Porträts und Stillleben“ verstreut Lovis Corinths fröhliche Flora ihre Blumen. Sie schmücken die Konterfeie von Frauen und Männern, gemalt durch die Maxe Beckmann, Liebermann und Slevogt und die Édouards Manet und Vuillard. Die Blüten fallen herab auf Lesser Urys und Corinths Chrysanthemen, Monets Birnen und Trauben, Renoirs Blumen im Gewächshaus, Otto Scholderers Schwertlilien, Victoria Dubourgs Blumenkorb und manch andere. Es scheint, als schwebte Blumenduft durch den Raum.

Schon zu Beginn des Rundgangs erblickt man durch eine Sichtachse im dritten Raum ein imposantes Gemälde. Es ist Pierre-Auguste Renoirs „Morgendlicher Ausritt im Bois de Boulogne“ (261,5 mal 226 Zentimeter) als Teil der Werkgruppe „Auftritt und Inszenierung“. Auf ihm reitet hoch zu Ross eine schwarz gekleidete Dame der Pariser Oberschicht vorbei. Den bewundernden Blick des sie begleitenden Jungen erwartet sie anscheinend auch vom Betrachter. Renoir hat hier meisterhaft die Bewegung der Pferde wiedergegeben und mit grauen und ockernen Farben das noch fahle, kühle Morgenlicht eingefangen. Ausritt und Auftritt der Amazone sind stattlich, sie werden aber überstrahlt von der zwei Drittel kleineren „Nana“ Manets schräg gegenüber. Die titelgebende Kokotte steht in Rüschenunterrock und Mieder vor dem Spiegel. In der rechten Hand hält sie eine Puderquaste, in der linken einen Lippenstift. Für einen Moment unterbricht sie das Schminken und blickt selbstbewusst den Ausstellungsbesucher an. Auf dem Sofa hinter ihrem Rücken wartet schon der nächste wohlhabende Freier. Manet hat den mit Frack, Zylinder und Gehstock ausgestatteten schnauzbärtigen Herrn durch den Bildrand zwiespältig zerschnitten. Hellblau und weiß dominieren das Bild: Nanas Unterrock und das Hemd des Kunden strahlen blütenweiß, Strümpfe und Mieder der Dame sind hellblau, ihr Haar- und Ohrschmuck funkeln bläulich, die blaue Wandtapete taucht auch das braune Mobiliar in ein frivoles Himmelslicht. Neben der „Nana“ hängen zwei Bilder Corinths, die aus dem Leben der eleganten Halbweltdame sein könnten. „Nach dem Bade“ links zeigt eine Frau, die im Freien ihre Schuhe und ihr knallrotes Kleid wieder anzieht, rechts ist Corinths Ehefrau zu sehen, deren lange Haare ein Frisör pflegt: „Charlotte am Frisiertisch“. Im Badebild dringt das Licht eher dezent durch das Grün der Pflanzen, im „Frisiertisch“ flutet es das Boudoir. Es ist, als hätte ein Filmteam gerade eine Batterie von Scheinwerfern draußen vor den Fensterscheiben eingeschaltet.

In diesem dritten Raum lässt sich auch wunderbar der Unterschied zwischen den französischen Impressionisten und ihren deutschen Nachfolgern betrachten. Beide ließen sich von Theater- und Opernbühnen inspirieren. Über Eck hängen die Darstellungen eines Schauspielers und eines Opernsängers. Manet malte Jean-Baptiste Faure als „Hamlet“, Slevogt Francisco d’Andrade als Don Giovanni. Das Entsetzen Hamlets, als ihm der Geist seines Vaters erscheint, versinnbildlicht Manet in einer zittrig-gänsehäutigen Auflösung sämtlicher Konturen. Slevogts Don Giovanni ist zwar der Schrecken ins Gesicht geschrieben, als ihn die weiße Hand des steinernen Gastes packt, um ihn in die Hölle zu ziehen, er ist aber realistisch dargestellt. Lediglich der konturlose, mit wilden, breiten Strichen gemalte braune Hintergrund ist voller Impressivität. „Die französischen Maler waren radikaler, was die Auflösung der Konturen betrifft, die deutschen blieben deutlicher dem Gegenständlichen verhaftet“, erklärt Markus Bertsch, verantwortlich für die Sammlung des 19. Jahrhunderts in der Kunsthalle. Er hat mit Karin Schick, Leiterin der Klassischen Moderne, die Ausstellung konzipiert. Die Kuratorin erklärt die Bedeutung des nächsten Raumes so: „Das Landschaftsbild war die Paradedisziplin des Impressionismus, die Natur sein Geburtsort.“ Erst, als vorgrundierte Leinwände und Ölfarben in Tuben auf den Markt kamen, sei die Freilichtmalerei möglich gewesen. Das natürliche Licht und seine Wirkungen hätten die Impressionisten fasziniert. „Mit kurzen Pinselstrichen, Flecken und Punkten hielten sie rasch ihre subjektiven Eindrücke fest, und da das Auge nur Farben, keine eindeutigen Formen oder begrenzte Gegenstände sieht, gab es in ihren Bildern auch nur weiche Konturen.“ Die Landschaftsgemälde sind denn auch die eigentlichen Lichtbilder der Ausstellung. Es sind die Szenen mit blauem Himmel und weißen, dahinziehenden Wolken, aufragenden grünen Zypressen, flirrender Sommerhitze über Kornfeldern, Mohnblüten, bunten Booten auf einem Fluss, Lichtreflexen auf dem Wasser und zwischen den Feldern entspannt dahinschlendernden Spaziergängern. Kunstvoll ist das eingefangen in Alfred Sisleys „Kornfeld bei Argenteuill“ oder Pissarros „Rast unter Blumen bei Pontoise“. Es ist ein müheloses, unbeschwertes Leben – einfach wohltuend schön. Im Kopf des Betrachters swingt George Gershwins „Summertime and the livin’ is easy“.

Breiter Strich

Der impressionistischen Pastellmalerei ist die letzte Abteilung gewidmet. Mit dem breiten Strich der Steinkreide konnten die Künstler besonders gut Licht- und Schatteneffekte einfangen. Hier finden sich noch einmal die Themen Stadt, Porträt und Stillleben, Auftritt und Inszenierung und Landschaft, aber als Pastellbilder. Aufgrund der Lichtempfindlichkeit ist immer nur ein Teil der Pastelle zu sehen, jeweils nach vier Monaten wechseln die Exponate. Hauptwerk ist hier Degas „Vor dem Spiegel“, das die Rückenansicht einer Frau mit Federhut und Goldreif an ihrem Schminktisch zeigt. Sie bindet sich gerade ihr blondes Haar. Geht man nahe an das Bild heran, sieht man die einzelnen Striche der Kreide, etwas entfernt betrachtet, bilden sie zusammenhängende Farbflächen. Selbst ein kleinformatiges Werk wie Liebermanns „Blumenterrasse nach Nordosten“ wird zu einem überbordenden Farbfeuerwerk.

Auf dem Weg zurück, vorbei an den lichten Wohlfühlbildern, klingt es im Besucher wie aus „Porgy and Bess”: „One of these mornings / you’re gonna rise up singing / Then you spread your wings / and you’ll take the sky.“ 
 

Informationen

Die Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle läuft bis zum 31. Dezember 2023.

Markus Bertsch/Karin Schick (Hg.): Impressionismus. Wienand Verlag, Köln 2021, 200 Seiten, Euro 25,–.

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