Druckbetankung

Speedlearning in der Politik
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Die Suggestivkraft des Wortes Druckbetankung ist immens. Das allwissende Internet kennt die Zusammenhänge. Kurz und knapp vermeldet Wikipedia mit Verweis auf den Brockhaus von 1977: „Als Druckbetankung wird der Transfer (Betankung) von Treibstoff, Kraftstoff oder anderen Flüssigkeiten bezeichnet, bei dem diese in einem geschlossenen System mit relativem Überdruck beaufschlagt in einen Tank transportiert wird. Hierbei sind deutlich höhere Durchflussraten als bei offenen Systemen – wie zum Beispiel an einer Tankstelle für Kfz – erzielbar. Die Betankungszeiten werden deutlich verkürzt. Druckbetankungen kommen unter anderem bei Flugzeugen (siehe Luftbetankung) und Gastanks zum Einsatz.“

Capt. Lowell H. Smith und Lt. John P. Richter bei der ersten Luftbetankung am 27 Juni 1923.
US Air Force/Wikipedia

Capt. Lowell H. Smith und Lt. John P. Richter bei der ersten Luftbetankung am 27 Juni 1923. 

 

Wikipedia meldet auch den Transfer in die Umgangssprache.  In der Umgangssprache wird Druckbetankung auch in dem Sinne verwendet, viel Alkohol in möglichst kurzer Zeit zu trinken.“ Ironie ist bei Wikipedia selten zu entdecken, bei dieser Begriffsarbeit schon, denn verwiesen wird auf den ursprünglichen Sitz im Leben des umgangssprachlichen Gebrauchs, notiert im „Wörterbuch der DDR-Soldatensprache“ von Klaus-Peter Möller. Das Netz quillt über mit wenig amikablen Bildern vor allem männlicher Protagonisten, die sich diesem Leistungssport des Schnellbetankens durch Spirituosen verschrieben haben.

Spannender ist ein anderes semantisches Manöver: der Transfer des technischen Bildes in die Sphäre der Politik. Plötzlich ist man zum Beispiel Außenminister oder Außenministerin. Was geschieht? Eine Entgrenzung der Arbeitsplatzbeschreibung, die einem den Atem nimmt. Jetzt ist man nicht nur zuständig für: sagen wir Israel, Irak und Iran, sondern für die ganze Welt. Der schiere Wissensanspruch ist immens. Zugleich müssen die zuspitzenden Sprachformen des Wahlkampfes schlank durch weichere und vermittelnde ersetzt werden. Denkzumutungen wollen ausgehalten werden. Und zugleich gilt es mit Nachdruck Interessen zu vertreten. Ein klassisches Überforderungsprofil.

Aber es gibt gute Geister, die im Halbdunkel hinter ihren Ministerinnen oder Ministern, die am ausgeleuchteten runden Tisch sitzen, platziert sind – Spezialistinnen oder Spezialisten für die auf der Agenda stehenden Themen. Sie erinnern mich ein wenig an die Paranimfen, so werden bei Promotionen in den Niederlanden die zwei Personen genannt, die bei der Verteidigung der Dissertation hinter der Doktorandin Platz nehmen und im Notfall eingreifen oder zur Beratung bereitstehen.

Es gab eine wunderbare Szene im Fernsehen zu beobachten, als die neue deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem ersten großen Auftritt auf dem Treffen der G7 in Liverpool während einer Verhandlungspause in einer stillen Ecke mit zwei Personen zusammensaß, das können etwas Referatsleiterinnen oder Abteilungsleiterinnen der zuständigen Behörden sein, auf jeden Fall Fachpersonal. Beide Personen sprachen intensiv auf sie ein und leisteten einen Wissenstransfer in kürzester Zeit. Und Annalena Baerbock hörte intensiv, immer wieder nickend zu. Im Politikersprech und auch im Journalistenjargon wird dieser Augenblick als Druckbetankung bezeichnet. Offenbar erfolgreich, denn die Presse verteilte für den Auftritt sehr gute Noten. Eine feine Pointe: Man muss nicht alles alleine stemmen. Es gibt gute Geister, die mit Wissens-Sprit auftanken. Holly Sp(i)rit.

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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