Die Gedanken zu den Sonntagspredigten für die nächsten Wochen stammen von Dorothee Löhr. Sie ist Pfarrerin in Mannheim.
Spurensuche
Sonntag Septuagesimä, 13. Februar
Wer sich rühmen will, der rühme sich dessen …, dass ich der Herr bin. (Jeremia 9,23)
Du brauchst kein Angeber zu sein. Aber du solltest es auch nicht mit falscher Bescheidenheit versuchen. Denn „so kommt es dann zuletzt heraus, dass ich ein ganz famoses Haus“ bin (Wilhelm Busch). Die Sache ist ernst und fröhlich zugleich. Dein Wert vor Gott und den Menschen ruht gar nicht in dir selbst. Und auch bei der Suche im Innern findet sich keine Antwort. Nach einem Witz wird jemand einmal aufgefordert, endlich einmal in sich zu gehen. Aber der antwortet lakonisch: „Da war ich schon, und da ist auch nichts los.“ So bleibt nur noch übrig, mich nach außen als Angeber zu zeigen oder als demütiger Selbstzweifler. Aber die alte und doch noch frische Botschaft Gottes lautet: Du bist längst gerechtfertigt. Müh dich also nicht ab. Gott kennt dich, versuche ihn zu erkennen, rühme dich seiner Barmherzigkeit und suche seine Spuren in deinem Leben.
Neues Leben
Sonntag Sexagesimä, 20. Februar
Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert ... und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. (Hebräer 4,12)
Mittelalterliche Bilder zeigen, dass aus dem Mund Christi ein Schwert hängt. Der Auferstandene sitzt als Richter auf einem Regenbogen, während die Menschen aus ihren Gräbern klettern und die Engel die letzte Posaune blasen.
Gottes Wort ist wirksam wie ein gut geschärftes Schwert. Es schneidet auseinander, was getrennt werden soll, „Seele und Geist, auch Mark und Bein“. Aber von der Liebe Gottes kann uns nichts scheiden. Geschieden werden vielmehr Tod und Leben, Rache und Fürsorge, Hass und Trauer. Das Schwert Gottes, sein Gerichtswort, ist machtvoll, aber ohne Gewalt: Es verschafft Ruhe und Gerechtigkeit. Und diese Ruhe ist anders als die Friedhofsruhe, die nach einer Schlacht einkehrt. Sie ermöglicht vielmehr Trauer und Neuanfang, Wahrheit und Gerechtigkeit, neues Leben, Zukunft in der Gemeinschaft mit Gott – schon heute.
Mit Gott verbündet
Sonntag Estomihi, 27. Februar
Und Jesus sprach zu ihnen: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. (Markus 8,34)
Wer das heute predigt, dem fällt nicht nur Petrus ins Wort (wie gegenüber Jesus in Markus 8,32), sondern dem will jeder widersprechen. Die Aufforderung Jesu zur Selbstverleugnung wirkt nicht nur zur Karnevalszeit wie Spielverderberei. Das wird auch in anderen Zeiten so empfunden. Denn vordergründig ist Selbstverleugnung eine unangenehme Kost.
Und es ist sympathisch und menschlich zugleich, dass Petrus Jesus nach dessen Leidensankündigung widersprechen, ihn beschwichtigen und beruhigen will.
Christlich geschulte Hörer sind schon ein bisschen daran gewöhnt und wissen, wie die Geschichte weitergeht. Aber täuschen wir uns nicht: Eine Leidensankündigung, frei und offen ausgesprochen, die auch noch in der Aufforderung an andere gipfelt, das Kreuz auf sich zu nehmen und sich selbst zu verleugnen, klingt so fremd und hart, dass auch wir sie nur schwer ertragen können.
Dass Petrus Jesus ins Wort fällt, ist also eine ganz menschliche und zeitgemäße Reaktion. Ja, Petrus spricht für uns: „Ist es denn wirklich nötig, dass du leidest und stirbst? Wir helfen dir doch, wir werden schon verhindern, dass du getötet wirst. Die Auferstehung, von der du sprichst, verstehe ich nicht, aber die Auseinandersetzungen mit den Vertretern der religiösen Macht, deinen Autoritätskonflikt verstehe ich dagegen. All das beruht doch auf einem Missverständnis, entspringt missglückter Kommunikation, und mit Geduld und Fingerspitzengefühl werden wir schon noch einen Kompromiss finden. Wenn wir etwas geschickter auftreten, werden wir die Herrschenden noch davon überzeugen, dass du nur das Beste willst, auch für sie. Alles wird gut. Du siehst deine Situation einfach zu dramatisch!“
Worin besteht das Besondere von Jesu Leidensankündigung, für Petrus und – für uns?
Heute werden Leidensankündigungen oft ausgesprochen, damit wir dem, der sie äußert, ins Wort fallen und mithelfen, das Leiden zu verhindern oder es wenigstens erträglicher zu machen. Jesus aber erwartet keine Hilfe. Er spricht ganz einfach die Wahrheit aus, frei und offen.
Bei uns ist das anders: Wir erzählen Freunden von unseren kleinen und großen Leiden, um damit nicht allein zu bleiben, sondern Unterstützung und Mitleid zu erlangen. Wir wollen gerne darin bestätigt werden, dass wir das Leiden eigentlich nicht verdient haben, oder dass wir besonders tapfer sind, oder nicht so schlimm dran wie andere. Wir erzählen von unserem vergangenen, gegenwärtigen und kommenden Leid, weil wir Zuwendung erwarten.
Oft genug wird vom Leiden erzählt, um auf andere moralischen Druck auszuüben und bei ihnen Schuldgefühle zu wecken.
Und Ärzte, Ärztinnen, Pflegende und Angehörige können es nur schwer aushalten, wenn sie nicht mehr helfen können, jedenfalls nicht sichtbar und in Richtung einer Genesung. Und auch Patienten und Patientinnen wollen oft nicht, dass die Wahrheit ausgesprochen wird, sondern möchten lieber, dass diese im Unklaren bleibt.
Aber bei Jesus ist das anders: Er redet frei und offen, mutet uns sein Leiden zu und duldet kein Ausweichen. Er leidet an der Lieblosigkeit und Unwahrheit, der Ungerechtigkeit und Unerlöstheit, der Gottesferne dieser Welt. Denn sie will Gottes Propheten, ja Gottes Sohn und Gottes Liebe beseitigen. Also lieber die Augen zu, als diese Wahrheit auszuhalten, lieber verharmlosen und beschwichtigen. Solange es geht. Aber Jesus steht für die Wahrheit ein. Und das ist die einzige Rettung. Er behauptet nicht, dass alles nur halb so schlimm ist mit uns. Aber er verzweifelt auch nicht darüber oder moralisiert oder hält sich einfach heraus oder wird zynisch. Jesus deckt die Wahrheit über unsere Welt vielmehr auf. Ja, er trägt sie stellvertretend. Das ist die Aufgabe, von der er sich nicht abbringen lässt, nicht einmal von Petrus.
Jesus kann für diese Wahrheit frei und offen einstehen, weil er für die Liebe einsteht, weil seine Liebe stärker ist als der Tod. Er kann Petrus zurechtweisen, weil er ihn liebt. Denn es würde diesem, uns und Gott nichts nützen, wenn Jesus nachgäbe und sich schonte. Er würde seine Lebensaufgabe verfehlen. Und diese geschieht nicht vergeblich, für sie steht Gott selbst ein.
Auch wir sehnen uns nach Aufgaben, danach, nützlich zu sein. Wir sehnen uns danach, etwas zu tun und jemand zu sein, für den Gott einsteht. Schon in der doppelten Bedeutung des Wortes Aufgabe schwingt etwas von dem mit, was Jesus über die Nachfolge sagt: Jede Aufgabe im Leben bedeutet auch die Aufgabe eigener Wünsche und Pläne. Die Aufgabe eines Lebens in der Nachfolge besteht darin, dass ich mein Leben als Gabe Gottes empfange und nicht meiner selbst. Natürlich würde ich mir meine Aufgaben gerne selbst aussuchen. Und Leiden oder Altwerden wären sicher nicht dabei. Aber: Lebensaufgaben sind Loslassübungen. Wer vertieft in eine Aufgabe ist, vergisst sich selbst für eine kurze Zeit und findet sich erfüllt wieder.
Die Lebensaufgaben Gottes für uns sind manchmal schwerer und manchmal leichter zu erfüllen. Aber bei Gott gibt es kein Leben ohne Aufgabe, kein Leben ist umsonst. Wir können Lebensaufgaben verfehlen, statt sie zu erfüllen. Aber man entkommt ihnen nur um den Preis, sein Leben zu verfehlen. Denn was kann der Mensch geben, womit er sein Leben auslöse? Nichts als das, was er empfangen hat.
Keine Gabe ohne Aufgabe. Das ist die Wahrheit, für die Jesus eintritt. Man kann Lebensaufgaben nicht ausweichen, und wenn man es versucht, erkennt man sich später selbst nicht mehr und schämt sich. Auch Jesus hätte sich vor Gott nicht wiedererkannt, hätte er dem Drängen der Jünger nachgegeben. Hätte Jesus sein Leben erhalten, wäre es bei Gott verloren gewesen.
An seinem Kreuz wird beides sichtbar: dass die Welt gottlos ist und dass Gott sie trotzdem liebt und dass er das letzte Wort behält. Damit ist das Kreuz Jesu für uns wie das Rückgrat, das uns den aufrechten Gang erlaubt. Wir tragen es an unserem Leib. Das Kreuz erinnert uns daran, dass Gottes Liebe bei uns ist, gerade wenn wir meinen, am Leben verzweifeln zu müssen. Es erinnert uns daran, dass sich unsere Lebensaufgaben lohnen, auch wenn sie darin bestehen, eine Krankheit zu ertragen, und selbst wenn andere uns einflüstern, wir könnten unseren Lebensaufgaben ausweichen. Jesus ermutigt uns, getrost und zuversichtlich unser Kreuz in Liebe auf uns zu nehmen, weil wir nicht allein sind, sondern in seiner Nachfolge stehen. Jesus Christus sagt frei und offen, dass nur dort die Wahrheit und die Liebe zu finden sind, sogar durch den Tod hindurch.
Am Ende der Rede Jesu steht die Vision vom Endgericht, vom Menschensohn in der Herrlichkeit des Vaters. Diese Vision steht dafür, dass Gott bis zum Ende der Stärkere bleibt. Die Gerichtsvision Jesu will darauf hinweisen, dass unsere Welt vom Bösen besessen ist, wenn sie denkt, sie könne ihre Maßstäbe selbst festsetzen. Denn Gott ist der Richter. Er bestimmt, was gut und böse ist, welches Leben gut und welches vergeblich war. Er wird im Gericht das letzte Wort behalten, genauso wie er in der Auferstehung Jesu das letzte Wort behalten hat. Es kommt alles darauf an, sich mit diesem Gott verbündet zu wissen, so dass er sich unser nicht zu schämen braucht.
Jesus verkündigt diese Lehre frei und offen, ohne die Wahrheit zu verschleiern. Und zu ihr gehört, dass es uns nichts nützt, ohne Gott die ganze Welt zu gewinnen und dafür das wahre Leben einzubüßen, das wir in der Nachfolge Jesu erhalten. Es beginnt, wo wir unser Kreuz aufnehmen, und kommt in Gottes Herrlichkeit zum Ziel.
Andere Perspektive
Sonntag Invokavit, 6. März
Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils! (2. Korinther 6,2)
Paulus beschreibt den Perspektivwechsel, den Gott ihm als Botschafter Christi gewährt. Und damit legt er aus, was für uns alle gilt und was geübt werden will, der fröhliche, kraftvolle, wirksame Wechsel: Bist du in Christus, so bist du neu.
Die Liste der Leiden, denen Paulus ausgesetzt ist und die er in 2. Korinther 4–10 anspricht, ist zwar überwältigend: Trübsale, Nöte, Ängste, Schläge, Gefängnisaufenthalte, Verfolgung, Mühen. Aber als Diener Christi erfährt er schon jetzt eine Umkehrung seiner Erfahrungen und den Glanz Gottes im brüchigen Scherbengefäß: „Als die Sterbenden, und siehe, wir leben“ (Vers 9), „als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben“ (Vers 10).
Bitten auch wir um einen solchen Perspektivwechsel und üben wir uns darin – jetzt und heute, nicht erst morgen.
Dorothee Löhr
Dorothee Löhr ist Pfarrerin in Mannheim. Sie ist Mitglied in der Jury des Predigtpreises.