Rückkehr zum Sandalenfilm

Seit 125 Jahren werden Bibelfilme gedreht – mit sehr schwankender Qualität
Still aus „Die Passion Christi“. (USA 2004)
Foto: Manfred Tiemann
Still aus „Die Passion Christi“. (USA 2004)

Schon zwei Jahre nach der Patentierung des Cinématographen durch die Gebrüder Lumière wird 1897 der erste Film gedreht, der die Geschichte des Jesus von Nazareth erzählt. Was anfängt mit einfachen Stummfilmen, steigert sich zu riesigen Produktionen in den 1960er-Jahren. Und noch heute kann man mit den bewegten Bildern zu den Erzählungen der Bibel viel Geld verdienen. Ein Überblick über 125 Jahre Filmkunst vom Experten für Bibelfilme, Manfred Tiemann.

Am Anfang war der Bibelfilm. Die Gebrüder Louis und Auguste Lumière lassen am 13. Februar 1895 ihren Cinématographen patentieren – und schon zwei Jahre später, 1897, gibt es den ersten Bibelfilm, genauer: den ersten Jesusfilm. Vor genau 125 Jahren. Zunächst werden vor allem Passionsspiele verfilmt – und durchaus gewinnbringend vermarktet. Dies ist die Anfangsphase der Bibelfilme, die vor allem die Stummfilmzeit bis zum Jahr 1929 umfasst.

La Vie et la Passion de Jésus-Christ (F 1897, Regie: George Hatot) ist der früheste Bibelfilm, der noch erhalten ist und mehr darstellt als das Abfilmen eines theatralisch inszenierten Passionsspiels. Der nur zehn Minuten lange Film zeigt 13 Szenen aus dem Leben Jesu: von der Anbetung der Könige über die Flucht nach Ägypten, die Ankunft in Jerusalem bis zur Kreuzigung, zur Grablegung und zur Auferstehung.

Eine neue Ära beginnt in den 1930er-Jahren mit dem Aufschwung des Tonfilms. Dank der neuen Technik kann die Realitätstreue intensiviert werden – durch Geräusche und unterlegte Musik. Besonders die Kreuzigungsszenen werden ausführlicher und eindringlich-gefühlvoller gedreht: Das Leiden Jesu, das Annageln ans Kreuz und seine Schmerzen kann der Zuschauer zumindest ein wenig miterleben oder erahnen.

Nach rund zwei Jahrzehnten beginnt die Epoche der biblischen Monumentalfilme. Die Uraufführung des Films Das Gewand (The Robe, USA) am 4. Dezember 1953 läutet auch in Deutschland die Reihe der so genannten Sandalenfilme ein. Und das mit einer großen technischen Neuerung: Der Film ist die erste Cinemascope-Produktion der Filmgeschichte. Das Werk beschreibt naiv die legendenhaften Geschehnisse um das Gewand Christi mit imposanten Massenszenen und Spezialeffekten.

Der Film ist so erfolgreich, dass recht schnell eine Fortsetzung gedreht wird: Die Gladiatoren (USA 1954). Erstmals ist hier auch ein klarer politischer Bezug erkennbar: Der Film folgt der Ideologie des Kalten-Kriegs-Dualismus. Hier das Lager mit Christentum, also der Freiheit in den USA – dort das Lager der Diktatur, also die Tyrannei in der UdSSR. Quizfrage: Welches Lager hat wohl im Film den Sieg davongetragen?

Einen neuen Weg geht 1960 der US-Film König der Könige. Er macht das Leben Jesu zwar wie gehabt zum Gegenstand eines dreistündigen Schau- und Erbauungsfilms. Das Neue aber daran ist, dass es dabei weniger um die Göttlichkeit Jesu geht, sondern vielmehr darum, ihn als sympathischen Menschen dem Zuschauer näherzubringen.

Auf gewohnten Pfaden trottet dagegen drei Jahre später schon wieder der bombastische Streifen Die größte Geschichte aller Zeiten (USA 1963, Regie: George Stevens) herum. Der Film soll Würde und Feierlichkeit beim Zuschauer erwecken. Das gelingt aus heutiger Sicht nur halb, aber immerhin ist die Jesusfigur mit Max von Sydow brillant besetzt.

Ein Jahr später gelingt dann einer der besten Jesusfilme überhaupt – kein Wunder, ein Regiemeister hat den Schwarz-Weiß-Film gedreht. Es ist Das 1. Evangelium Matthäus (I/F 1964). In Anlehnung an das Matthäus-Evangelium entwirft Pier Paolo Pasolini ein Jesusbild, das vor allem den sozialen Aspekt der Botschaft Jesu betont. Pasolinis Film unterscheidet sich von monumentalen amerikanischen Jesusfilmen durch seine karge, stilisierte Form.

Überhaupt beginnt nun die Phase, in der, vereinfacht gesagt, zwei Arten von Bibelfilmen klarer zu unterscheiden sind: Da ist der klassische direkte oder explizite Bibelfilm. Er bietet Illustration: „So war es!“ Oft auch evangelikal-fundamentalistisch orientiert, wollen diese Filme Beweismittel für die Historizität der biblischen Figuren liefern – nach dem etwas vermessenen Motto: „Der Kameramann war dabei.“ Andererseits instrumentalisieren diese Filme biblische Szenen zu durchaus spannenden Abenteuergeschichten, zu Kolossalgemälden oder Historienspektakeln. Dazu gehören oft Massenszenen und Materialschlachten zur Unterhaltung und Belustigung. Ein klassisches Beispiel sind The ten Commandments (USA 1956). Aber auch neuere Verfilmungen der Geschichte Jesu können dazu gezählt werden, etwa Die Bibel – Jesus (I/D/USA) aus dem Jahr 1999.

Dagegen nimmt der indirekte Bibelfilm eine Transfiguration biblischer Gestalten oder Inhalte vor: Hier sind die biblischen Personen nur indirekt dabei, gewissermaßen inkognito als eine andersnamige, individuelle Erlöserfigur. So interpretiert, mag man zum Beispiel Matrix I – III (USA 1999/2003), Chocolat (USA 2000) und Wie im Himmel (SE 2004) als verkappte Jesus- oder Erlöserfilme begreifen.

Wie generell in der Geschichte der bewegten Bilder waren die 1970er- und 1980er-Jahre auch bei den Jesus-Filmen ziemlich innovativ. Es fing schon ganz gut mit Jesus Christ Superstar (USA 1972) nach dem Musical von Andrew Lloyd Webber an. Erzählt wird die Geschichte einer Gruppe junger Leute, die in der Negev-Wüste Stationen der Passion Jesu nachspielt. Leider zeigt Regisseur Norman Jewison zahlreiche antisemitische Inhalte, wenn er die Gruppe der Jünger und Anhänger Jesu als eine multiethnisch gemischte, fröhlich tanzende und lebensbejahende Schar zeigt, dagegen die Männer des Hohen Rates als aggressive Monstren in schwarzen Kutten und Hüten und als bedrohliche Krähen am Gerüst erscheinen lässt.

Einen Blasphemievorwurf erntete in dieser Zeit ein Film, der mittlerweile zu einem Klassiker gereift ist: Monty Python’s Das Leben des Brian (GB 1979). Allerdings sind die Vorwürfe der Blasphemie leicht zu entkräften. Denn der Film stellt ausdrücklich nicht das Leben Jesu dar, sondern behandelt eben die tragisch-komische „Parallelbiographie“ von Brian Cohen (Graham Chapman): Dieser wird am gleichen Tag wie Jesus geboren und stirbt wie Jesus am Kreuz.

Auf seine Weise radikal

Der Hintergrund des Films: Bei einer Reise durch Nordafrika stießen die Pythons in Monastir (Tunesien) auf die zurückgelassenen Kulissen aus Franco Zeffirellis Filmserie Jesus von Nazareth (GB I, 1977). Ad hoc beschloss die Truppe, die Jesusgeschichte in einer Parodie auf Zeffirelli zu drehen, unter Verwendung der bestehenden Kulissen.

Auf seine Weise radikal ist auch der Regisseur Denys Arcand. Er versucht in Jesus von Montreal (CA 1989), die Leidensgeschichte Jesu in die heutige Zeit des Schauspiels, der Werbung und der Medien zu übertragen: Arcand transformiert das von ihm entworfene Jesus-Bild und Jesu Botschaft zur Kirchen- und Gesellschaftskritik und betont die besondere Zuwendung Jesu zu den Frauen.

Einen radikalen Ansatz wählt auch Es wäre gut, dass ein Mensch würde umbracht für das Volk (D 1991). Hugo Niebeling stellt im Gegensatz zu dem traditionellen Bild des langhaarigen schönen Jünglings seinen Jesus als einen ganz normalen Alltagsmenschen dar, als einen Mann im besten Alter mit Glatze und Bartstoppeln.

Biederer wird es dann wieder um die Jahrtausendwende: Der US-Regisseur Roger Young inszeniert Die Bibel: Jesus (D/I/USA 1999) als Version des Lebens- und Leidenswegs Jesu, mit dem sich der Zuschauer identifizieren soll. Young stellt einen langhaarigen Jesus als lebensbejahenden Typ dar, der Liebe und Hilfsbereitschaft zeigt. Dieser Jesus beweist seine Göttlichkeit durch Wunder und weiß bereits im Voraus, dass Gott alles gut ausgehen lassen wird. So meistert er auch den Leidensweg, allzu souverän.

Leider sind seit etwa zehn Jahren wieder deutliche Rückschritte zum „Sandalen-Kitsch“ vor allem der 1960er-Jahre zu beklagen. Mit Neuauflagen von Bibelfilmen will Hollywood nun erneut vor allem bei Amerikas christlichem Publikum Kasse machen. Zu diesem Zweck entstehen etwa die Filme Noah (USA 2014), Exodus (GB/USA/ES 2014) und Risen (USA 2016).

Einen anderen Weg gehen die History-Produktionen Son of God (USA 2014) und die achtteilige Reihe Jesus: His Life (USA 2019). Sie wollen historisch so korrekt wie möglich sein und in Zeiten des „Event-TV“ anspruchsvolle Unterhaltung liefern. Dazu gezählt werden kann auch das „Lumo Project“, das „Die chronologische Verfilmung der Berichte von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes“ (ab 2014) herausbringt. Und Pure Flix vermarktet als „Produzent von christlichen Filmen“ andere biblische Geschichten, etwa The Book of Daniel (USA 2013), The Book of Esther (USA 2013) und Samson (USA 2018).

Trotzdem die gute Nachricht: Der platte Sandalenfilm hat noch nicht gesiegt! Es gibt in letzter Zeit durchaus Filme, die sich einer politischen Auseinandersetzung für Freiheit und soziale Gerechtigkeit widmen. Milo Rau etwa interpretiert in Das Neue Evangelium (D, CH 2020) die Passion Christi als Revolte von Migranten, die in Italien für einen Hungerlohn Tomaten ernten. Milo Rau will eine politische Kampagne gegen Ausbeutung und für die Rechte von Flüchtlingen anstoßen.

Luca Lucchesi ruft mit A black Jesus (D 2020) zu Toleranz und Solidarität mit geflüchteten Menschen auf. Die clevere Geschichte: In der sizilianischen Stadt Siculiana möchte der 19-jährige Edward aus Ghana, der im Auffangzentrum für Geflüchtete wohnt, im nächsten Jahr ebenfalls zu den Trägern gehören, die jedes Jahr im Mai die große Jesusfigur aus schwarzem Holz aus der Kirche holen und durch die Straßen tragen.

Zudem gab es in den vergangenen Jahren durchaus Bibelfilme, die als Chance für eine interkulturelle Christologie und den interreligiösen Dialog gesehen werden können. Dazu gehören westliche Bibelfilme, die von Regisseurinnen beziehungsweise von Drehbuchautorinnen produziert wurden und Elemente einer feministisch orientierten Bibelauslegung aufgreifen, zum Beispiel Regisseurin Riesch-Seitler in Sarah und Hagar – zwei Frauen und ihr Erbe (D 2009). Interessant ist auch der Ansatz des iranischen Regisseurs Shahriar Bahrani, der in seiner Bibelinterpretation in der Tradition des Koran und der islamischen Überlieferung steht. Er bringt Maryam al-Muqaddasah (Saint Mary, Iran 2010) heraus. In diesem Film leidet die muslimische Maryam (Maria) unter dem Patriarchat, öffnet sich aber jüdischen Frauen und wird als selbstbewusste, „emanzipierte“ Frau gezeichnet.

Auf ein modernes Bibelfilmprojekt ist zusätzlich hinzuweisen: Der Literaturwissenschaftler, Grimme-Preisträger und Regisseur Michael Sommer hat mit Die Bibel to go (D 2020 – 2021) die Bibel vollständig „verplaymobilisiert“, die 66 Bücher der Bibel mit Playmobil-Figuren in 66 Folgen frech-witzig nachgespielt.

So ist die Geschichte Jesu und der Bibel auch filmisch noch lange nicht zuende erzählt – ja, man kann sagen, solche Filme sind weiterhin „in“. Das liegt auch daran, dass Jesus-Filme seit ihren Anfängen vor 125 Jahren bis heute als einträgliches Geschäftsmodell dienen können. Oder sie werden eingesetzt von vor allem evangelikalen Kreisen in der Missionierung, womit man nicht zuletzt auch Geld machen kann. Ein aktuelles Beispiel ist Dallas Jenkins mit seiner Fernsehserie The Chosen (USA ab 2019), die weltweit mit großem Erfolg läuft und seit 2021 auch in Deutschland als DVD mit Begleit- und Andachtsbuch angeboten wird.

Wie viel Geld man mit frommen Filmen machen kann, hat ausgerechnet Mel Gibsons Splatter-Epos Passion of the Christ im Jahr 2004 gezeigt. Der phasenweise antisemitisch angehauchte Streifen hat bei einem Budget von 30 Millionen US-Dollar den Angaben von Business Insider zufolge über 600 Millionen Dollar Gewinn gemacht. Fast eine Gelddruckmaschine war auch der Bibelfilm Noah (USA 2014), der mit einem Budget von 125 Millionen US-Dollar ein Einspielergebnis von rund 359 Millionen US-Dollar erbrachte. Satte Gewinne fuhren auch die Filme Risen (USA 2016 – Budget 20 Millionen US-Dollar, Einspielergebnis 46 Millionen US-Dollar) und Paul, Apostle of Christ (USA 2018 – Budget 5 Millionen US-Dollar, Einspielergebnis 25,9 Millionen US-Dollar) ein. Deshalb sei die Prophetie gewagt: Auch in 125 Jahren wird es noch Bibelfilme geben. Sicherlich, solange es noch Filme gibt und man mit ihnen Geld verdienen kann. 

 

Hinweis:

Weitere Einsichten von Manfred Tiemann zu Bibelfilmen sind zu finden unter: Das wissenschaftliche Bibel­lexikon im Internet (WiBiLex) (4. Akt. 2021; kostenfreier Zugang), The Bible comes from Hollywood. 125 Jahre direkte und indirekte Bibelfilme: Vom Stummfilm zum Blockbuster (Göttingen 2022) und auf seiner Homepage: www.manfredtiemann.de.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kultur"